Pflanzenmorphologie

[725] Pflanzenmorphologie, die Lehre von den Gestaltungsverhältnissen der Pflanzen, sondert sich naturgemäß in die Lehre von der äußern Gliederung (Organographie) und in die Lehre von dem innern Bau (Pflanzenanatomie, Phytotomie). Ursprünglich war die P. lediglich eine Hilfswissenschaft der Pflanzensystematik, die in exakt definierten Kunstausdrücken ein Verständigungsmittel für die Beschreibung der Formen der Gewächse liefern sollte. Diese ältere P. ist eine rein deduktive Wissenschaft, die, von abstrakten Ideen ausgehend, die morphologische Natur des einzelnen Gebildes nach logischen Formeln ableitet; ihr Arbeitsgebiet ist in der Ausstellung exakter Definitionen der Grundbegriffe und in der Subsummierung aller Einzelfälle unter diese erschöpft, sie leistet im wesentlichen die Dienste einer systematischen Terminologie des Pflanzenkörpers und seiner Teile In neuerer Zeit ist indessen die P. in neue Bahnen geleitet und eine selbständige Wissenschaft geworden, welche die Pflanzenteile als Organe des lebenden Pflanzenleibes betrachtet und die Beziehungen zwischen der Form und dem Bau dieser Organe und der von ihnen zu verrichtenden Lebensfunktion aufzudecken sowie die gestaltbildenden Entwickelungsvorgänge in ihrer Abhängigkeit voneinander und von dem Einfluß äußerer Faktoren ursächlich zu ergründen sucht. Die P. tritt auf dem neuen Arbeitsfeld in engste Beziehung zur Pflanzenphysiologie und kann geradezu als eine Physiologie der Gestaltungsvorgänge bezeichnet werden. Sie kann sich indessen bei der natürlichen Komplikation ihrer Probleme nicht wie die Physiologie auf die Anwendung rein physikalisch-chemischer Untersuchungsmethoden beschränken, und kann es auch nicht als das nächste Ziel ins Auge fassen, jedes Entwickelungsgeschehen in eine übersichtliche Kette von chemischen und physikalischen Vorgängen aufzulösen, vielmehr erfordert die gestellte Aufgabe ein Operieren mit komplexen Lebenserscheinungen, wie Erblichkeit, Reizbarkeit, Korrelation, die vorerst einer rein mechanischen Deutung unzugänglich sind.

a) Organographie. Die wichtigsten Organkategorien der Pflanze sind die Vegetationsorgane und die Fortpflanzungsorgane. Abgesehen von den niedersten Pflanzen, bei deren einfachem Körper noch nicht von einer Organbildung gesprochen werden kann, dokumentiert sich die fortschreitende Arbeitsteilung am Vegetationskörper der Pflanze in dem Auftreten eines Gegensatzes zwischen Basis und Spitze (Polarität), der zur Unterscheidung von zwei Grundorganen, Wurzel (s. d.) und Sproß (s. d.), führt. Die Funktion der Wurzel ist die Befestigung der Pflanze am Standort und die Aufnahme und Zuleitung von Wasser und Nährstoffen an den Sproß. Der Sproß erscheint als der Träger der Assimilationsorgane (s. Assimilation), d.h. der Blätter (s. Blatt), die bei den Gefäßpflanzen und auch bei manchen niedern Pflanzen, Moosen und Algen, in gesetzmäßige Regelmäßigkeit an dem Scheitel der Sproßachse ausgegliedert werden. Außer der normalen Funktion oder neben derselben können die bezeichneten Grundorgane des Vegetationskörpers gelegentlich andre Aufgaben erfüllen, sie erscheinen dann entsprechend der veränderten Lebensverrichtung in ihrer Gestalt verändert (metamorphosiert). An den Grundorganen treten sehr häufig Anhangsgebilde auf, die als Haare oder Emergenzen zusammengefaßt werden und verschiedenartige Funktionen übernehmen können (s. Haare der Pflanzen). Die Organe der Fortpflanzung, die als Sporangien und Geschlechtsorgane (s. d.) auftreten, werden gleichfalls vom Sproß getragen. Die Träger der erstern sind bei den höhern Pflanzen fast immer Blätter (Sporophylle), die gegenüber den Blättern mit rein vegetativer Funktion mehr oder minder weit metamorphosiert erscheinen. Bei den Samenpflanzen sind die Sporophylle mit andern metamorphosierten Blattgebilden an besondern Sproßabschnitten zu Blüten (s. d.) vereinigt.

b) Pflanzenanatomie (Phytotomie). Der Vegetationskörper der Pflanzen ist aus Zellen aufgebaut (s. Pflanzenzelle), die sich bei den höher entwickelten Formen zu besonders organisierten Geweben verbinden. An den Vegetationspunkten findet sich ein Bildungsgewebe (s. d.) aus gleichmäßigen parenchymatischen Zellen, die zu fortgesetzter Teilung befähigt sind, auch an den erwachsenen Teilen der Sprosse und Wurzel können an bestimmten Stellen Bildungsgewebe auftreten. Im übrigen kann man in den ausgewachsenen Organen verschiedene Gewebesysteme nach ihrer Funktion unterscheiden. Das Hautgewebe (s. d.) umhüllt den Pflanzenkörper schützend und vermittelt die Wechselwirkung mit der Umgebung. Das Hartgewebe (s. d.), als dessen Elemente hauptsächlich Sklerenchym und Kollenchym auftreten, gibt den Pflanzenteilen innere Festigkeit; das Leitungsgewebe (s. d.) vermittelt den Transport der Nähr- und Bildungsstoffe; in den Assimilationsgeweben (s. Assimilation) geht die Bildung von Kohlehydraten vor sich; das Speichergewebe (s. d.) dient als Ablagerungsstätte für Stoffe, die vorübergehend aus dem Stoffwechsel ausgeschaltet sind, um später weiter verarbeitet zu werden; das Absonderungsgewebe (s. Absonderung) übernimmt die Ausscheidung von Endprodukten des Stoffwechsels, die nicht direkt an dem Aufbau des Pflanzenkörpers beteiligt sind. Zwischen den Zellen dieser Gewebesysteme bilden luftführende Hohlräume ein Durchlüftungsgewebe (s. d.). Einen besondern Abschnitt in der Pflanzenanatomie bildet die Pflanzenchemie (Phytochemie), welche die Feststellung der zum Aufbau des Pflanzenkörpers verwendeten chemischen Substanzen und ihrer Verteilung in den verschiedenen Geweben und in den Zellen derselben zum Gegenstande hat. Die Entstehung der organischen Verbindungen aus den anorganischen Nährstoffen und die mannigfaltige Umwandlung derselben im Pflanzenkörper (Biochemie der Pflanzen) gehört dagegen in das Forschungsgebiet der Pflanzenphysiologie (s. d.). Über die Verwendung der Pflanzenanatomie in der Pflanzensystematik s. d. Vgl. Goebel, Grundzüge der Systematik und speziellen P. (Leipz. 1882) und Organographie der Pflanzen (Jena 1898–1902); De Bary, Vergleichende Anatomie der Vegetationsorgane (Leipz. 1877); Haberlandt, Physiologische Pflanzenanatomie (3. Aufl., das. 1904); Giesenhagen, Über die Forschungsrichtungen auf dem Gebiete[725] der P. (im »Biologischen Centralblatt«, Bd. 18, Nr. 8, 1898).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 15. Leipzig 1908, S. 725-726.
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