Pilzvergiftung

[887] Pilzvergiftung, die durch den Genuß giftiger Pilze hervorgerufenen Zustände. Das Pilzgift erzeugt schwere Störungen im Magendarmkanal, oder es wirkt auf Gehirn und Herz, oder als Blutgift. Zur ersten Gruppe gehören unter andern der rote giftige Täubling (Russula rubra), der Satanspilz (Boletus Satanas), der Pomeranzenhärtling (Scleroderma aurantiacum, auch S. vulgare), der zuweilen betrügerischerweise als Trüffel verkauft wird. Der Geschmack dieser Pilze ist brennend scharf; nach dem Genuß, je nach der genossenen Menge bald früher oder später, tritt Schwindelgefühl und Ohnmacht ein, heftigste Leibschmerzen mit quälendem Angstgefühl und eiskaltem Schweiß, fast unstillbares Erbrechen mit oft blutigen Durchfällen. Der Leib ist dabei ausgetrieben. Der Tod erfolgt im tiefsten Kollaps. Die Behandlung richtet sich zunächst auf Entfernung des Giftes aus dem Magen durch die Magenpumpe oder durch künstlich erzeugtes Erbrechen. Ist schon längere Zeit verflossen seit der Giftaufnahme, so macht man Darmeingießungen, stillt das Erbrechen (Eis), läßt Eiswasser trinken, dazu Champagner, Kognak etc. und macht Äther- oder Kampfereinspritzung. – Zur zweiten Gruppe gehören der Fliegenpilz (Agaricus muscarius) und der Knollenblätterschwamm (Amanita phalloides). Die Erscheinungen der Vergiftung treten nach mehreren Stunden ein, sind den oben geschilderten ähnlich, aber es treten außerdem noch rauschartige Zustände hinzu; bei Fliegenschwammvergiftung Pupillenerweiterung (Mydriasis), Delirien, Halluzinationen, Krämpfe, bei Vergiftung mit Knollenblätterschwamm Starrkrampf (Opistothomis), Mundsperre, Kontrakturen, eigenartige krampfhafte Drehbewegungen um die Längsachse des Körpers, schnellende ruckweise Bewegungen der Extremitäten etc. In beiden Fällen ist die Atmung erschwert und Blausucht (Cyanose) vorhanden. Die Kranken sind schlafsüchtig und sterben in der Betäubung. Als Mittel gegen Muscarin gilt Atropin. Bei Knollenblätterschwammvergiftung fand man bei der Obduktion eine Leberverfettung wie bei Phosphorvergiftung und Verfettung der Nieren, des Herzmuskels etc. Die Behandlung ist wie oben angegeben. Ein Blutgift führt die Lorchel (Helvella esculenta), deren wirksame Substanz die roten Blutkörperchen zur Auflösung bringt. Es erfolgt Erbrechen mit Schlingbeschwerden, daneben eine allgemeine Gelbsucht, Krämpfe, Delirien etc. Man gibt salinische harntreibende Mittel, abführende Mittel und macht eventuell eine Kochsalzeingießung. Der erste Heißwasseraufguß eines Morchelgerichts soll stets weggegossen werden, weil er bisweilen giftig ist. Vgl. Baumgarten, Lehrbuch der pathologischen Mykologie (Braunschw. 1889). – Bei Tieren ist über Vergiftung durch Genuß höherer Pilze nichts bekannt. Dagegen sind Vergiftungen durch Schimmel-, Rost-, Brand-, Kern- und Hefepilze, von denen gelegentlich das Futter befallen ist, nicht selten. Sie zeigen sich meist als Magendarmentzündung mit Verstopfung oder mit Diarrhöe, Zungen- und Rachenlähmung, Speichelfluß, Schwäche, Schwindel, Taumeln, allgemeiner Lähmung oder Krämpfen, oft mit tödlichem Ausgang.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 15. Leipzig 1908, S. 887.
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