[862] Starrkrampf (Tetanus), die anhaltende krampfhafte Zusammenziehung willkürlicher Muskeln, ein Symptom verschiedenartiger Erkrankungen, z. B. der Hysterie, der Tetanie, der Strychnin- und Brucinvergiftung, vor allem aber des Wundstarrkrampfes. Es können sowohl die gesamte Muskulatur als auch einzelne Muskeln oder Muskelgruppen vorwiegend ergriffen sein. Häufig sind die Kaumuskeln allein der Sitz des Starrkrampfes, so daß der Unterkiefer nicht bewegt, die Zähne nicht voneinander entfernt werden können (Trismus). Beim Opisthotonus ist besonders die Rückenmuskulatur befallen, so daß der Patient sich bogenförmig nach hinten krümmt und unter Umständen mit hohlem Rücken, nur mit dem Kopf und den Fersen die Unterlage berührend, im Bett liegt. Beim Emprosthotonus sind namentlich die Bauchmuskeln angespannt, so daß der Bauch bretthart und der ganze Körper nach vorn zusammengekrümmt wird. Wenn die Muskulatur einer Körperseite von S. befallen wird, spricht man von Pleurothotonus. Häufig, besonders heftig bei Cholera, wird die Wadenmuskulatur von S. befallen. Die wichtigste mit S. einhergehende Krankheit, daher gewöhnlich schlechthin als S. bezeichnet, ist der Wundstarrkrampf (Tetanus traumaticus), eine höchst gefährliche Infektionskrankheit. Sie wird hervorgerufen durch den Tetanusbazillus und seine Gifte. Die Bazillen (s. Tafel »Bakterien«, Fig. 10 u. 10a) sind kurze Stäbchen, die am besten bei Sauerstoffabschluß wachsen und sehr widerstandsfähige Sporen bilden. Sie kommen außerhalb des Organismus vielfach in Gartenerde, im Staub etc. vor. In den menschlichen Körper dringen sie nicht durch die unversehrte Haut oder Schleimhaut ein, sondern nur durch Verletzungen, die allerdings so geringfügig sein können, daß sie übersehen werden können. Mit Erde verunreinigte Wunden (bei barfußgehenden Leuten, Erdarbeitern) geben daher oft Anlaß zum Ausbruch des Starrkrampfes. Die Bazillen vermehren sich ausschließlich an ihrer Eintrittspforte. Von hier aber dringt das von ihnen gebildete enorm stark wirkende Gift in den ganzen Organismus ein. Die Inkubationszeit (Dauer von der Infektion bis zum Krankheitsausbruch) dauert mehrere Tage, aber auch beträchtlich länger. Besonders rasch und heftig tritt der S. auf bei infizierten Kopfwunden. Das Hauptmerkmal des Wundstarrkrampfes sind anhaltende, schmerzhafte, in Anfällen sich steigernde Muskelzusammenziehungen. Auffallend früh befällt die Spannung und Starre die Kiefermuskeln; in leichtesten Fällen kann sie das einzige, allmählich nachlassende Symptom sein, in andern folgen ihr die tetanischen Krämpfe der übrigen Muskeln. Die Spannung der Gesichtsmuskeln erzeugt den Ausdruck starren Lächelns (»sardonisches Lachen«). Die Rückenmuskeln erzeugen durch ihre überwiegende Stärke häufig Opisthotonus. Die Muskeln der Gliedmaßen, namentlich der Arme, sind weniger heftig gespannt. Die allgemeine Reflexerregbarkeit des Nervensystems ist hochgradig gesteigert, geringe Reize, Licht, Geräusche, Erschütterungen, lösen qualvolle Krampfanfälle aus. Das Bewußtsein ist völlig ungestört. Die Temperatur ist oft stark erhöht, es besteht starke Schweißbildung. Das Schlucken ist oft, ähnlich wie bei der Tollwut, sehr erschwert oder unmöglich. Die krampfhafte Starre der Atmungsmuskeln bewirkt meist qualvolle Atmungsstörungen und ist am häufigsten die direkte Todesursache. Die Krankheit kann wochenlang dauern; tritt der Tod nicht innerhalb der ersten acht Tage ein, so kann man auf eine verhältnismäßig milde Infektion schließen und auf günstigen Ausgang hoffen. Der Leichenbefund ist nicht charakteristisch; neuerdings gelang es, in den Nervenzellen des Gehirns und Rückenmarks gewisse nur mikroskopisch nachweisbare Veränderungen zu erkennen. Das von den Bakterien erzeugte Tetanustoxin wirkt in schon äußerst geringer Menge tödlich; zur Tötung eines Menschen genügen 0,00023 g. Das Gift ist demnach 500 mal stärker als Atropin und 200 mal stärker als Strychnin. Das Gift wirkt besonders fest und in großen Mengen im Nervensystem gebunden und abgelagert, an dem es auch vorzugsweise seine Wirkung entfaltet. Diese Wirkung beruht auf einer abnorm gesteigerten Erregbarkeit des Rückenmarks gegenüber allen Reizen. Behandlung: Zur Verhütung des Starrkrampfes ist sorgfältigste Reinigung und Behandlung auch geringfügiger Wunden nötig. Namentlich mit Erde oder Holzsplittern verunreinigte und stark zerfleischte Wunden erfordern Vorsicht, bei solchen ist unter Umständen geraten, von vornherein Tetanusantitoxin (s. unten) anzuwenden. Ist der S. zum Ausbruch gelangt, so muß die Wunde energisch gereinigt und das bakterienhaltige Gewebe zerstört (durch Ausbrennen) oder noch besser radikal, auch durch Amputation des verletzten Gliedes, entfernt werden. Leider ist die Erzeugung des Giftes und dessen Verbreitung im Nervensystem beim Ausbruch der Krankheit meist schon so weit vorgeschritten, daß diese Maßnahmen wenig Erfolg haben und auch die Anwendung des Heilserums in vielen Fällen zu spät kommt. Das[862] von Behríng erfundene Tetanusheilserum wird von Pferden gewonnen, die mit Tetanusgift in allmählich steigenden Mengen immunisiert wurden. Das Serum, das in Deutschland von den Höchster Farbenwerken hergestellt wird, enthält ein das Tetanustoxin bindendes Antitoxin und ermöglicht es, sehr frühzeitig angewendet, den S. zu heilen oder zu mildern. Die im Tierexperiment erzielten günstigen Erfolge werden aber beim S. des Menschen leider vermißt, da hier naturgemäß das Serum wohl immer nach Ausbruch der Krankheit, also meist zu spät, angewendet wird. Im übrigen erfordert die Behandlung möglichste körperliche und geistige Ruhe, sorgfältige Ernährung (bei Schluckstörung) durch Nährklistiere, narkotische Mittel (Morphium, Chloral) gegen die Krämpfe, langdauernde warme Bäder und andre leichte Schwitzprozeduren. Vgl. Rose, Der S. beim Menschen (Stuttg. 1897); v. Leyden und Blumenthal, Der Tetanus (in Nothnagels »Spezielle Pathologie und Therapie«, Wien 1900).
S. kommt auch bei Haustieren, namentlich bei Pferden vor und zwar in bestimmten Gegenden, wo der Ackerboden viele Tetanusbazillen enthält. Stets bildet eine Wunde, z. B. kleine Verletzungen an den Füßen, die Eintrittspforte für die Bazillen. In manchen Gegenden ist jede, auch eine einfache Operation gefährlich wegen der Gefahr der Starrkrampfinfektion. Auf St. Domingo sollen deshalb kastrierte Pferde doppelt so teuer sein wie Hengste. Aber auch in Deutschland ist S. keineswegs selten. Die Kiefer des kranken Pferdes werden auseinander gepreßt, so daß das Maul nicht zu öffnen ist (Maulsperre), der Hals ist gerade ausgestreckt (Hirschkrankheit) oder verzogen, die Rückenmuskeln sind bretthart, die Beine werden steif und gespreizt (sägebockartig) gestellt etc. Meist verläuft der S. tödlich, Genesungen erfolgen unter allmählichem Nachlassen der Muskelspannung erst nach 23 Wochen, wenn der Krampf nicht jede Futter- und Getränkaufnahme unmöglich gemacht und die Atmung nicht allzusehr erschwert hatte. Wenn das Pferd den 14. Tag überlebt, besteht Hoffnung auf Genesung. Die medikamentöse Behandlung ist Nebensache, wichtig dagegen gleich im Anfang die energisch desinfizierende Behandlung der Wunde, welche die Eintrittspforte der Bazillen gebildet hatte. Namentlich müssen die Tiere vor allen äußern Eindrücken (welche die Krämpfe verschlimmern) geschützt werden. Der Stall wird verdunkelt, jedes laute Geräusch, plötzliches Eintreten etc. vermieden. Man bringt das Pferd in den Hängegurt (s. d.). Das Tetanusantitoxin Behrings hat sich als Heilmittel für Pferde nicht bewährt, wird aber noch verwendet. Andre Methoden sind noch nicht genügend erprobt. Vgl. Friedberger u. Fröhner, Lehrbuch der Pathologie und Therapie der Haustiere (6. Aufl., Stuttg. 1904, 2 Bde.).