[703] Regeneration (lat.), Wiedererzeugung; der Ersatz abgeworfener, verletzter oder sonst verloren gegangener Organteile oder ganzer Organe bei Pflanzen und Tieren. Hierher rechnet man in der Regel nicht die im regelmäßigen Verlauf stattfindende Erneuerung der abgeworfenen Blätter ausdauernder Pflanzen und der Hautgebilde (Haare, Federn und Schuppen) der Tiere, sondern nur die durch besondere Umstände veranlaßte Neubildung einzelner Teile. Bei Pflanzen und niedern Tieren, die das Vermögen besitzen, an beliebigen Körperstellen Knospen zu bilden, kann man aus kurzen Stengelteilen, Knollenstücken, einzelnen Blättern etc. neue Pflanzen ziehen, obwohl sich bei Stecklingen die Beschränkung findet, daß sie richtig in die Erde gesteckt werden müssen, da sich nur am untern Pole leicht Wurzeln, am obern Blatt- und Zweigknospen bilden (s. Verjüngung). Manche niedere Pflanzen, wie z. B. Lebermoose, können fast zu Brei gehackt werden, ohne das Vermögen zu verlieren, aus jedem Bruchstück eine neue Pflanze zu erzeugen. Bei Infusorien und Polypen ist die R. ebenfalls beinahe unbegrenzt, berühmt wurden hier die Versuche von Trembley, Bonnet u. a. am Süßwasserpolypen (Hydra), den man in Querschnitte teilen, aufschlitzen, umwenden etc. kann, ohne den Stücken das Vermögen zu nehmen, sich in ähnlicher Weise wie die Pflanzen, nämlich so, daß immer am obern Stück ein neuer Tentakelkranz entsteht, zum vollkommenen Tier auszuwachsen. Dasselbe gilt von Seerosen, Schwämmen, Medusen, Würmern etc., die man vielfach in kleinere Stücke zerschneiden kann, die sich wieder zum vollständigen Tier ergänzen. Bei Würmern tritt nicht selten bereits im natürlichen Laufe der Entwickelung eine Querteilung in einzelne Segmente auf, die sich zu vollkommenen Tieren ergänzen, so daß der künstlich herbeigeführte Regenerationsprozeß hier weniger auffällig ist. Auch die Stachelhäuter (Seesterne, Holothurien etc.) zerfallen teilweise freiwillig oder auf äußern Reiz in mehrere Stücke (Selbstteilung), oder werfen einzelne Organe ab und aus, die sich dann wieder ergänzen (s. Selbstverstümmelung); derselbe Vorgang tritt bei Gliedertieren (Krebsen und Spinnen) sowie bei Insekten, namentlich bei Orthopteren, die sich ihre Glieder oft selbst abfressen, ein. Bei den Mollusken ist das Vermögen der R. ebenfalls sehr stark, und die Versuche Spallanzanis über enthauptete Schnecken, denen der Kopf wieder wuchs, erregten im 18. Jahrh. ein ähnliches Aufsehen wie Trembleys und Bonnets Versuche mit der Hydra. Bei den Wirbeltieren besitzen nur noch die sogen. Kaltblüter, namentlich Molche, Eidechsen, Schlangen, die Frösche namentlich im Larvenzustand, ein lebhafteres Vermögen, verlorne Organe (Schwanz, ganze Beine, Kiemen, selbst Sinnesorgane wie die Augen) neu zu erzeugen, während sich bei den warmblütigen Tieren der Ersatz auf Hautteile, Wundverluste (s. Narbe) etc. beschränkt. Doch erzeugen sich selbst beim Menschen Nervenstücke, Knochen, sogar beträchtliche Teile von Leber und Nieren, wenn dieselben operativ entfernt werden mußten, wieder, und hierbei wie bei den gesamten Regenerationserscheinungen gilt als (allerdings nicht in allen Fällen zutreffende) Regel, daß die durchschnittenen Gewebeteile zunächst gleichartige Ersatzteile, die Haut neue Hautzellen, Muskeln neue Muskelzellen etc. aus sich heraus erzeugen. Im allgemeinen nimmt die Fähigkeit der R. mit der Vervollkommnung des Körperbaues an Umfang ab, auch ist die Regenerationsfähigkeit nicht für alle Teile eines Individuums gleichgroß; so regenerieren die Regenwürmer das hintere Körperende leichter als den Kopf; Salamander regenerieren Schwanz und Gliedmaßen, doch besitzen die Regenerate kein normales Skelett u. s. s. Während bei der normalen R. stets ein dem verloren gegangenen gleiches oder doch ähnliches Organ gebildet wird, bezeichnet man als Heteromorphose die Fälle, in denen durch Verletzungen die Bildung von Organen hervorgerufen wird, die normalerweise an der betreffenden Stelle nicht auftreten. Solche ungewöhnliche Bildungen finden ihre Erklärung meist in besondern Umständen. So entwickeln manche Polypen, wenn man sie nach Abschneiden des Köpfchens umgekehrt in den Boden steckt, ein neues Köpfchen an dem bisherigen Wurzelende; horizontal aufgehängt, entwickeln sie an jedem Ende ein Köpfchen; Hinterenden von Regenwürmern regenerieren zuweilen an ihrer Vorderseite ein zweites Schwanzende; bei gewissen Strudelwürmern gelingt es an jeder beliebigen Körperstelle, durch einen Einschnitt die R. eines überzähligen Kopf- oder Schwanzendes zu veranlassen, je nachdem der Einschnitt schräg nach hinten[703] oder nach vorn gerichtet ist. Zuweilen läßt sich dabei deutlich ein Einfluß des Nervensystems erkennen. Manche Krustazeen regenerieren ein verlornes Auge, wenn das Augenganglion noch erhalten ist; wird dieses jedoch mitentfernt, so bildet sich statt dessen ein Fühler. Die durch das Fehlen gewisser, normalerweise vorhandener Teile, bez. durch die Wundfläche bedingte Störung wirkt als auslösender Reiz für die Regenerationsvorgänge. Während einige Forscher die Regenerationsfähigkeit für eine allgemeine ursprüngliche Eigenschaft der lebenden Substanz halten, sehen andre in derselben sekundär eine erworbene und durch natürliche Auslese (s. Darwinismus) befestigte Anpassung (s. d.), die dazu führte, die Regenerationsfähigkeit derjenigen Körperteile besonders zu stärken, deren Verlust unter natürlichen Verhältnissen am leichtesten eintritt. Vgl. Carrière, Die R. bei den Pulmonaten (Würzb. 1880); Fraisse, Die R. von Geweben und Organen bei den Wirbeltieren (Kassel 1885); Strasser, R. und Entwickelung (Jena 1899); Driesch, Die organischen Regulationen (Leipz. 1901); Weismann, Vorträge über Deszendenztheorie, 2. Teil (2. Aufl., Jena 1904).