Seeversicherung

[277] Seeversicherung (Seeassekuranz, Transportversicherung zur See), Versicherung gegen die Gefahren der Seeschiffahrt. Gegenstand eines solchen Seeversicherungsvertrags kann jedes in Geld schätzbare Interesse sein, das jemand daran hat, daß Schiff oder Ladung die Gefahren der Seeschiffahrt bestehe; also vor allen Dingen das Schiff selbst (sogen. Cascoversicherung) und die Ladung desselben. In letzterer Beziehung bestimmt das deutsche Handelsgesetzbuch (§ 799), daß im Zweifel derjenige Wert, den die Güter am Ort und zur Zeit der Abladung haben, unter Hinzurechnung aller Kosten bis an Bord, einschließlich der Versicherungskosten, als Versicherungswert gelten soll. Unbenommen ist es jedoch dem Kontrahenten, durch Hinzufügen der Zölle und des Betrags der Fracht einen höhern Versicherungsbetrag zu vereinbaren; ja sogar der sogen. imaginäre Gewinn, der von der Ankunft der Güter am Bestimmungsort erwartet wird, kann Gegenstand der S. sein. Letzteres ist allerdings nach französischem Handelsrecht unzulässig, während nach dem deutschen Handelsgesetzbuch (§ 801) in diesem Fall im Zweifel 10 Proz. des Versicherungswertes der Güter als mitversichert gelten. Außerdem können aber auch Fracht, Provision, Überfahrtsgelder, Rückversicherung, Bodmerei- und Havereigelder, dagegen nicht die Heuer der Schiffsbesatzung, Gegenstand der S. sein. Unter S. für »behaltene (wohlbehaltene) Ankunft« versteht man die Versicherung gegen die geschäftliche Einbuße, die jemand durch das Mißlingen der Seeunternehmung erleiden würde; sie kann sich auf Schiff oder Güter beziehen und ist von der S. des Eigentümers gegen Verlust des Eigentums verschieden (Handelsgesetzbuch, § 850; Hamburgische allgemeine Seeversicherungsbedingungen von 1867, § 102). Die S. ist, wie alle Güterversicherung, nur als Schaden-, nicht als Summenversicherung gestattet, d. h. nur der wirkliche Schade ist zu erstatten (Verbot der Überversicherung, der Wettassekuranz, und der Doppelversicherung; Handelsgesetzbuch, § 788 ff.). Wird eine Versicherungssumme in der Police genannt, so hat dies nur entweder die Bedeutung, daß die Summe der Höchstbetrag des zu leisten den Schadenersatzes sein solle (offene Police), oder, was in der S. die Regel, die Bedeutung, daß die Vermutung[277] für Gleichheit von Schadenersatz und Versicherungssumme (Taxe, daher taxierte Police) sprechen und sogar der Gegenbeweis nur zulässig sein soll, wenn die Taxe wesentlich größer als der wirkliche Schade ist. Die S. kann für eigne wie für fremde Rechnung abgeschlossen werden. An allen größern Seehandelsplätzen bestehen Seeversicherungsgesellschaften auf Prämie (s. Transportversicherung) und Seeversicherungsvereine auf Gegenseitigkeit (Kompakten), doch befassen sich auch, und zwar namentlich in England, Einzelkaufleute mit dem einträglichen Geschäft des Seeversicherers (Assekuradörs). In Deutschland untersteht die Transportversicherung auf Gegenseitigkeit dem Gesetz über die privaten Versicherungsunternehmungen vom 12. Mai 1901, während die Transportversicherung gegen Prämie jedermann gestattet ist (vgl. Gesetz über die privaten Versicherungsunternehmungen, § 116). Die Abschließung des Assekuranzvertrags selbst geschieht zumeist durch Mittelspersonen (Assekuranzbesorger, Kommissionäre, Assekuranzmäkler). Es ist gestaltet, die Person des Versicherten, zu dessen Gunsten die S. abgeschlossen wird, unbestimmt zu lassen, wofür die Wendung »Wen es angeht« gebräuchlich ist. Der Versicherungsnehmer hat dem Assekuradör die ausgedungene Prämie zu bezahlen; wird die Seereise, auf die sich die S. bezog, vom Versicherten wieder aufgegeben, so kann die bereits bezahlte Prämie wieder zurückgefordert werden, vorbehaltlich des Rechtes des Versicherers, einen Abzug, Ristorno (s. d.), zu machen. Häufig ist der Vorbehalt gewisser Ausnahmen von der Haftpflicht des Assekuradörs, und hierauf beziehen sich die in den Pol iren wiederkehrenden Klauseln: »Frei von Kriegsverlust«, »Frei von Bruch«, »Frei von Leckage«, »Frei von Beschädigung außer im Standungsfall« u. dgl. Für denjenigen Schaden, der aus der Seeuntüchtigkeit des Schiffes, durch die natürliche Beschaffenheit oder durch die mangelhafte Verpackung der Güter entsteht, braucht der Versicherer nicht auszukommen; ebensowenig für denjenigen Schaden, der in einem Verschulden des Versicherten sich gründet. Zur Feststellung der Seetüchtigkeit der Schiffe dient die Schiffsklassifikation (s. d.). Die S. wird in der Regel für eine bestimmte Reise geschlossen; sie beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem die Güter »vom Lande scheiden«; sie endigt, wenn sie dieses im Bestimmungshafen wieder erreichen (»von Land zu Land«). Sobald der Versicherte Nachricht von einem Unfall erfährt, der dem versicherten Gegenstand zugestoßen, ist er nach den allgemeinen Seeversicherungsbedingungen zur schleunigen Anzeige darüber an den Versicherer (sogen. Andienung des Seeschadens) bei Verlust seines Anspruches verpflichtet. Der Schade selbst muß glaubhaft nachgewiesen und belegt werden (Handelsgesetzbuch, § 882 ff.). Der Regel nach kann der Versicherungsnehmer Zahlung der ganzen Versicherungssumme nur verlangen, wenn ein Totalverlust vorliegt; doch ist es unter Umständen, insbes. bei Verschollenheit des Schiffes, dem Versicherten gestattet, gegen Abtretung seiner Rechte am Versicherungsgegenstand an den Versicherer Zahlung der ganzen Versicherungssumme zu beanspruchen (s. Abandon). Schäden, die zur besondern Haverei gehören und nicht mehr als 3 Proz. des Versicherungswertes ausmachen (Franchise), hat der Versicherer nicht zu ersetzen. Die Klagen aus der S. verjähren nach dem deutschen Handelsgesetzbuch in fünf Jahren vom Ablaufe des Jahres ab, in dem die versicherte Reise beendigt ist, und bei Versicherung auf Zeit von der Beendigung der Versicherungszeit an. Vgl. »Hamburgische allgemeine Seeversicherungsbedingungen«, 1867; »Bremische Seeversicherungsbedingungen«, revidiert 1875; Deutsches Handelsgesetzbuch, § 778–905; Newson, Law of shipping and of marine insurance (2. Aufl., Lond. 1883); Vivante, Il contratto di assicurazione, Bd. 2 (Mail. 1890; franz. Ausg., Par. 1898), Arnould, The law of marine insurance (6. Aufl., Lond. 1887, 2 Bde.); Gow, Marine insurance (3. Aufl., das. 1903); Voigt, Das deutsche Seeversicherungsrecht (Jena 1887); Reatz, in Endemanns »Handbuch des Handelsrechts«, Bd. 4, S. 320 (Leipz. 1881 f.); Lewis, Das deutsche Seerecht (2. Aufl., das. 1884, Bd. 2, S. 246); Andersen, Die S. (Hamb. 1888); Agnel, Manuel général des assurances (4. Aufl, Par. 1900); Goldschmidt, Universalgeschichte des Handelsrechts (Stuttg. 1891, S. 40, 354–383); Ehrenberg, Versicherungsrecht, Bd. 1, S. 25 ff. (Geschichte, Leipz. 1893); Cosack, Lehrbuch des Handelsrechts (6. Aufl., Stuttg. 1903); Pappenheim, Handbuch des Seerechts (Leipz. 1906).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 18. Leipzig 1909, S. 277-278.
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