[873] Uhr (v. lat. hora, »Stunde«; hierzu Tafel »Uhren I-IV« mit Text), Vorrichtung zur Messung und Einteilung von Zeiträumen, die zugleich anzeigt, wie viele Zeiteinheiten seit einem bestimmten Zeitmoment abgelaufen sind. In der Regel teilen die Uhren den Tag ein und lassen auf einem Zifferblatt erkennen, wieviel Stunden, Minuten, Sekunden seit Beginn des Tages in jedem Augenblick verflossen sind. Das Maß der Zeiteinheit wird geliefert durch die stets gleichlang dauernden Schwingungen eines Regulators (Pendel oder Spiralfeder mit Schwungrad), die auf einen über dem Zifferblatt sich fortbewegenden Zeiger durch ein Zeigerwerk übertragen werden, das durch einen besondern Mechanismus, Hemmung, Gang oder Echappement genannt, mit dem Regulator verbunden ist. Damit der Regulator in Bewegung bleibt, muß er einen Antrieb erhalten; hierzu dient das Triebwerk, das durch ein herabsinkendes Gewicht oder durch eine gespannte Feder betrieben wird. Regulator, Hemmung, Triebwerk und Zeigerwerk bilden die bei jeder U. notwendigen, aber auch ausreichenden Hauptbestandteile. Soll die U. noch besondere Zwecke erfüllen, so werden noch andre Teile, Werke, hinzugefügt, ein Schlagwerk, wenn in bestimmten Zeiträumen die Zeit durch einen Glockenschlag od. dgl. angegeben werden soll (Schlaguhren), Weckerwerke, Kalenderwerke u. dgl. Über die Konstruktion und Geschichte der Uhren s. Tafel I und II mit Text, über astronomische [873] Kunstuhren und über elektrische Uhren Tafel III und IV mit Text.
Die Verfertigung der Uhren wird jetzt fast durchweg fabrikmäßig betrieben, und zwar nimmt die Schweiz hinsichtlich der Anzahl und Beschaffenheit ihrer Taschenuhren den ersten Rang in Europa ein. Genf (seit 1587), Locle und Chaux-de-Fonds sind die Hauptsitze dieser Industrie Die Schweiz führte 1901: 8,044,361 Uhren im Wert von 128,319,902 Fr. aus, seitdem zeigt die Ausfuhr einen geringen Rückgang. Hauptabnehmer sind Deutschland und Großbritannien, dann Rußland und Österreich. Die englischen Uhren besitzen zwar großen Ruf, doch sind ihnen wirklich gute Schweizer Uhren gleichzustellen, ja hinsichtlich der Bauart vorzuziehen. Hauptsitze der englischen Uhrenindustrie sind London, Birmingham, Liverpool, Manchester und Coventry. In Deutschland entwickelte sich die Uhrenindustrie zunächst im Schwarzwald seit Ende des 17. Jahrh. und gelangte im ersten Drittel des 19. Jahrh. zu größter Blüte. Nach einer weniger günstigen Periode begann ein neuer Aufschwung seit Gründung der Uhrmacherschule in Furtwangen 1850 und der Einführung amerikanischer Arbeitsweise nach 1860. Der Sitz der badischen Produktionszentren sind die Amtsbezirke Triberg, Villingen, Neustadt, der württembergischen die Oberämter Oberndorf, Rottweil, Spaichingen, Tuttlingen (vgl. darüber die Schriften von Schlenker, Stuttg. 1904, und Kuckuck, Tübing. 1906). Die Begründung der sächsischen Glashütter Taschenuhrenindustrie durch Lange datiert von 1845, sie liefert Fabrikate, die den höchsten Anforderungen genügen sollen. In Freiburg in Schlesien werden seit 1850 Regulatoruhren und Uhrgehäuse hergestellt. Die von Becker begründete Industrie vereinigte sich 1899 zu einer großen Aktiengesellschaft. Die Herstellung von Taschenuhren durch Eppner in Silberberg wurde nach kurzer Blütezeit wieder eingestellt. Im Uhrenhandel ist die Scheidung zwischen Fabrikanten, Grossisten und Detaillisten streng durchgeführt, die wichtigsten Großhandelsplätze sind Leipzig, Frankfurt a. M., Berlin, Hamburg, Dresden, Köln, München, Hannover und Breslau. Deutschland führte 1905 Uhren und Uhrgehäuse im Werte von 22,370,000 Mk. ein und 18,207,000 Mk. aus. Frankreich hat bedeutende Taschenuhrenfabrikation in Besançon. Stutzuhren werden besonders in Paris, Wien, Prag, Graz, Augsburg, Berlin und Lähn in Schlesien gefertigt. Die Vereinigten Staaten haben seit 1853 Pendel- und Taschenuhrenindustrie besonders in Waltham (Massachusetts) und Elgin (Illinois); mit vortrefflichen Arbeitsmaschinen liefert man Uhren, die den schweizerischen mindestens gleichkommen.
Literatur. Vgl. Saunier, Lehrbuch der Uhrmacherei (deutsch, 3. Aufl., Bautzen 1904, 4 Bde. und Atlas); Rüffert, Katechismus der Uhrmacherkunst (4. Aufl., Leipz. 1901); Gelcich, Die Uhrmacherkunst und die Behandlung der Präzisionsuhren (Wien 1891); J. Großmann, Lehrbuch der Uhrmacherei (deutsch von Arndt und Defossez, Bd. 1, Bautzen 1904); M. Großmann, Das Regulieren der Uhren (3. Aufl., das. 1903), Der freie Ankergang für Uhren (2. Aufl. von Strasser, das. 1893) und Uhrmacher-Bibliothek (Leipz. 1905 u. 1906, 2 Bde.); Sievert, Leitfaden für Uhrmacherlehrlinge (8. Aufl., Berl. 1906); Dietzschold, Die Turmuhren mit Einschluß der sogen. Kunstuhren (Weim. 1893); Horrmann, Repassage einer viersteinigen Zylinderuhr (2. Aufl., Halle 1886); Rambal, Enseignement théorique de l'horlogerie (Genf 1889 ff.); Caspari, Untersuchungen über Chronometer etc. (deutsch, Bautzen 1893); Gelcich und Dietzschold, Tabellen der Uhrmacherkunst (Wien 1892); Lossier, Das Regulieren der Uhren (deutsch von Löske, 2. Aufl., Bautzen 1895); Schulte, Lexikon der Uhrmacherkunst (2. Aufl., das. 1902); W. Schultz, Der Uhrmacher am Werktisch (2. Aufl., Berl. 1903); Kittel, Konstruktions- und Lehrbuch für die Uhrmacherei (Leipz. 1907); Grosch, Dietzschold und Hüttig, Praktisches Handbuch für Uhrmacher (2. Aufl., das. 1907); Tobler, Elektrische Uhren (Wien 1883); Merling, Die elektrischen Uhren (Braunschw. 1884); Favarger, L'électricité et ses applications à la chronométrie (2. Aufl., Genf 1892; deutsch, 2. Aufl., Bautzen 1896); Fiedler, Die Zeittelegraphen und die elektrischen Uhren (Wien 1890); Bohmeyer, Anleitung zur Aufstellung und Behandlung elektrischer Uhren (Berl. 1892); Gelcich-Barfuß, Geschichte der Uhrmacherkunst (5. Aufl., Weim. 1892); Horstmann, Taschenuhren früherer Jahrhunderte aus der Sammlung Marfels (Berl. 1897), welche Sammlung auch von Speckhart (das. 1907) beschrieben ist; Planchon, L'Horloge dans tous les temps (Par. 1898); Britten, Old clocks and watches and their makert (Lond. 1899); Bassermann-Jordan, Die Geschichte der Räderuhr (Frankf. a. M. 1905); Saunier, Die Geschichte der Zeitmeßkunst (deutsch von Speckhart, Bautzen 1904, 3 Bde.); Löske, Literatur über Uhrmacherei und Zeitmeßkunde (Zittau 1898); »Allgemeine Uhrmacherzeitung« (Berl., seit 1890), »Deutsche Uhrmacherzeitung« (das., seit 1876), »Süddeutsche« (Augsb., seit 1889), »Leipziger« (Leipz., seit 1894), »Österreichisch-ungarische« (Wien, seit 1881), »Schweizerische« (Romanshorn, seit 1879).