Dismembration

[185] Dismembration (v. lat., Zerstückelung), die Vereinzelung bisher verbundener u. zusammengehöriger Gegenstände, insbesondere bisher als ein Ganzes besessener Gutscomplexe, unter verschiedene Besitzer. In letzter Hinsicht unterlag die D. nach älterem Deutschen Rechte mannigfachen Beschränkungen. Nicht blos, daß bei Stamm- u. Familiensideicommissen die Anwärter der Zerstückelung widersprechen u. durch die Geltendmachung des Retractrechtes (s.d.) dieselbe hintertreiben konnten; so war auch da, wo das Gut mit Zinsen u. Frohnden belastet war, in der Regel die D. an die Zustimmung des Guts- u. Gerichtsherrn gebunden, der begreiflicher Weise ein Interesse daran hatte, daß die Kräfte des Gutes durch eine solche Maßregel nicht zu sehr gemindert wurden. Nachdem in neuerer Zeit in Folge der Ablösungen diese Beschränkungen weggefallen sind, ist die Frage, ob die D. unbeschränkt zuzulassen sei od. nicht, eine mehr nationalökonomische Frage geworden, welche fast ebenso oft verneint, als bejaht worden ist. Als Gründe für die unbeschränkte Zulässigkeit der D-en werden hauptsächlich angeführt, daß schon die Natur des Eigenthums jeder Beschränkung entgegen sei, daß erfahrungsmäßig bei größeren Complexen der Boden nicht so ausgenützt werde u. bebaut werden könne, als bei kleinerem Besitze, daß es deshalb nur ein Vortheil für den Staat sei, wenn er durch D-en den Werth des Bodens erhöhe, daß mit der dadurch gebotenen Füglichkeit zum selbständigen Wirthschaften auch die Population wachse u. hierdurch die Kraft u. die ganze Bedeutung des Staates bedeutend vergrößert werde. Allein wenn es auch richtig ist, daß durch solche D-en in manchen Gegenden der Anbau u. der Werth des Bodens noch bedeutend erhöht werden kann, so hat die Zerstückelung andererseits doch auch viele Nachtheile im Gefolge. Durch die allmälige Verminderung der größeren Güter wird das Landvolk leicht seiner Selbständigkeit beraubt. Wenn Jeder nur gerade Dasjenige erbaut, was er für sich u. die Seinigen[185] unmittelbar braucht, u. es somit an einem Überfluß landwirthschaftlicher Producte fehlt, so ist das Land nicht im Stande, vorkommende Mißernten od. sonstige schwere Zeiten zu ertragen. Es wird mit der Kleinheit der Güter stets schwieriger, eine rationelle u. nach allen Richtungen hin nutzbringende Landwirthschaft zu betreiben; manche wichtige Zweige, z.B. die Zucht des Großviehes, werden fast zu einer Unmöglichkeit. Dies wirkt aber wieder auf das Herabkommen des Ackerlandes, indem es demselben dann an dem nöthigen Dünger fehlt. Die Möglichkeit, daß eine kleine Familie bei gewöhnlichem Laufe der Dinge sich auch bei mäßigem Besitzthum scheinbar erhalten kann, treibt den Preis des Bodens in unverhältnißmäßiger Weise in die Höhe. Mit der Zunahme der ländlichen Bevölkerung treten endlich leicht auch die Gefahren einer Übervölkerung ein. Die Aufbringung der Gemeindelasten wird schwieriger, es bildet sich leicht ein ländliches Proletariat, welches, genöthigt, zu seiner Subsistenz nach industriellen Beschäftigungen zu greifen, wieder nachtheilig auf den Wohlstand der Städte wirkt u. oft gerade den entgegengesetzten Zustand, welchen die D. erreichen wollte, wieder anbahnt, indem es Wohlhabenden dadurch leichter wird, durch Zusammenkaufen kleinerer Besitzungen eine Anzahl übergroßer Güter zu bilden. Alle diese Gründe haben dazu geführt, daß neuerdings auch aus nationalökonomischen Gründen die D. mehrfach Beschränkungen in der Weise unterworfen worden ist, daß jede Zerschlagung eines bisher geschlossenen Gutes, od. auch jede Abtrennung einer Parcelle von demselben, insofern sie nicht blos zur Abrundung erfolgt od. aus öffentlichen Rücksichten, wie z.B. zum Wegebau etc. geschehen muß, der Zustimmung der Verwaltungsbehörde bedarf. Immerhin wird dabei jedoch das Gesetz Vorsorge treffen müssen, daß durch ein solches Dismembrationsverbot der Verkehr mit dem Grund u. Boden nicht zu sehr gehemmt werde, sowie daß neben den größeren geschlossenen Gutscomplexen eine Anzahl kleinerer Güter u. freiverkäuflicher Grundstücke (walzender Grundstücke) bestehe, welche im Stande sind, das Bedürfniß nach kleineren Wirthschaften zu befriedigen u. das landwirthschaftliche Leben vor einer sonst leicht eintretenden Erstarrung zu bewahren. Zweckmäßig wird aber auch für diese Grundstücke ein geringstes Maß festgesetzt (z.B. 1 Morgen, 1/2 Acker), weil noch größere Parcellirung der Bewirthschaftung nur hinderlich ist. Die systematische Zerstückelung größerer Güter (das sogenannte Güterschlachten, Güterschlächterei), welche bei dem in der Regel reichlich dabei abfallenden Gewinn öfters als Gewerbe betrieben worden ist, wirkt immer schädlich u. ist daher mit Recht meist mit polizeilichen Geld- od. Gefängnißstrafen bedroht. Vgl. Kölichen, Gedanken über D., Bresl. 1856.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 5. Altenburg 1858, S. 185-186.
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