[868] Realschulen, Bildungsanstalten, in denen die in den Volks- u. gewöhnlichen niederen Bürgerschulen gewonnenen Kenntnisse u. Fertigkeiten vorzugsweise durch den Unterricht in den Natur- u. mathematischen Wissenschaften u. in den neueren Sprachen so erweitert u. vervollständigt werden, daß ihre Schüler für die Anforderungen des praktischen Lebens u. bes. für die erfolgreiche Erlernung u. Betreibung eines umfassenderen technischen Gewerbes vorgebildet werden. Die allgemeine Bildung wird in ihnen vorzüglich dadurch angestrebt, daß die Unterrichtsgegenstände als formelle Bildungsmittelbehandeltwerden. Sie traten in Deutschland in den größeren Städten an die Seite der sogenannten Lateinischen Schulen od. Gymnasien, u. während in Gymnasien die nach einer höheren reinwissenschaftlichen Bildung strebenden u. bes. für die Führung höherer öffentlicher Ämter sich vorbereitenden Jünglinge für die Universitätsstudien vorbereitet werden, haben die R. eine vorwiegende Richtung auf das Praktische, auf das im Leben Brauchbare, u. in ihnen werden die alten, todten Sprachen als Nebenfächer behandelt, dafür aber die auf den Gymnasien höchstens als untergeordnete Nebenfächer getriebenen Realien (Naturgeschichte, Naturlehre, Geographie, auch Chemie, Waarenkunde, Technologie) zugleich mit der Mathematik u. den lebenden Sprachen in den Vordergrund gestellt, weshalb sie eben den Namen R. erhielten. Dadurch geriethen aber die Realisten mit den Humanisten (vgl. Humaniora) in Streit, u. wenn auch der Streit um die selbständige Existenz der R. bereits zu deren Gunsten entschieden ist, so sind doch die Gebietsgrenzen der Gymnasien u. der R. noch keineswegs allseitig festgesetzt, u. der Streit, obz.B. die Cameralisten, die Pharmaceuten u. selbst die Ärzte ihre Vorbildung für ihre späteren Universitätsstudien besser auf einer R. od. auf einem Gymnasium. zu suchen haben, noch nicht völlig entschieden. Das deutsche Realschulenwesen hat sich zuerst u. vorzugsweise im protestantischen Norddeutschland ausgebildet, indem man hierbei den Lateinischen Stadtschulen, zum Theil nach dem Vorgange der Lehranstalten des Halleschen Waisenhauses u. der andere Tendenzen verfolgenden Philanthropisten (s.d.), schon vor dem Ende des 18. Jahrh. mancherlei Reformen einführte u. die bereits 1747 von Hecker in Berlin errichtete R. mehrfach nachahmte. Indeß blieben diese Reformen immer noch unvollständig u. vereinzelt, u. die eigentliche Zeit der R. beginnt erst nach dem Befreiungskriege mit dem Wiedererblühen Preußens u. seiner Gewerbthätigkeit Ja, die höheren Bürgerschulen wurden selbst in Preußen erst 1831 durch das Reglement für die Prüfung der Candidaten des höheren Schulamtes officiell als Anstalten anerkannt, welche vorzugsweise durch Unterricht in der Mathematik u. den Naturwissenschaften, sodann in der Geschichte u. Geographie, sowie auch in der Deutschen u. Französischen Sprache eine höhere wissenschaftliche Vorbildung bezweckten, worauf dann 1832 eine Vorläufige Instruction für die an höheren Bürger- u. R. anzuordnenden Entlassungsprüfungen erschien. Durch diese letztere wurde dem bisher vielfach hin u. her schwankenden Realschulenwesen zuerst ein festes Gepräge gegeben, dasselbe aber auch zugleich, wenigstens in Preußen, dem officiellen Prüfungswesen unterworfen. Dem bei der Prüfung für reif erkannten Schüler wurde die Begünstigung blos einjährigen Militärdienstes zugestanden, u. die R., welche dieses wohl auch hier u. da durch den Titel von Realgymnasien (s.d.) geltend machen wollen, auch hierin den Gymnasien an die Seite gestellt. Doch wurden dieselben dadurch zugleich auch aus der Stellung wirklicher höherer Bürgerschulen etwas herausgerückt u. zunächst als Vorbereitungsschulen für Bau-, Forst-, Post- u. Büreaubeamte bei den Provinzialbehörden bezeichnet. Darum war auch die Beibehaltung des Unterrichts in der Lateinischen Sprache nicht zu vermeiden, von dessen erfolgreicher Benutzung später sogar ein Ministerialbeschluß (vom 30. Decbr. 1846) die Ertheilung eines Zeugnisses der Reise wenigstens theilweise abhängig machte. In Folge dieser Anerkennung u. Begünstigung von oben nahm die Zahl der R. in Preußen u. im übrigen Deutschland bald entschieden zu. Hiermit sind aber auch zugleich die Anforderungen an dieselben gestiegen, u. ein preußisches Ministerialrescript vom 27. Mai 1850 verordnet, daß künftig zur königlichen Bauschule nur Abiturienten von solchen R. zugelassen werden sollen, die aus sechs Klassen bestehen, von denen die[868] vier unteren jede einen ein-, die beiden oberen aber jede einen zweijährigen Cursus haben. Gewöhnlich nehmen die sechsklassischen R. ihre Schüler aus den Elementarschulen mit dem zehnten Lebensjahre auf. Später als in Preußen wurde das Realschulenwesen im Königreich Sachsen organisirt. Zu den R. in Leipzig u. Annaberg sind nun auch zwei R. in Dresden hinzugekommen, seitdem die höhere Bürgerschule in Neustadt u. die Annenschule in Altstadt Dresden Ostern 1851 diesen Charakter erhalten haben. In Plauen u. Zittau sind die beiden Gewerbschulen seit 1854 in R. verwandelt u. mit den dortigen Gymnasien vereinigt worden. Ebenso besteht seit Michaeli 1857 in Chemnitz eine R., welche eine städtische Anstalt ist. Das neue Schulregulativ vom 2. Juli 1860 sichert denjenigen Vortheile zu, welche die Reifeprüfung an einer R. bestanden haben, namentlich soll ihnen die Aufnahme in die Polytechnische Schule in Dresden u. die Gewerbschule in Chemnitz erleichtert werden. In den Ernestinisch Sächsischen Ländern sind das sechsklassige Realgymnasium in Gotha u. das Realgymnasium in Eisenach die ausgedehntesten R., neben denselben bestehen zwei R. in Meiningen u. in Saalfeld, u. auch Altenburg besitzt in seiner höheren Bürgerschule seit 1860 einen Anfang zu einer R. Im Hessischen hat vorzüglich die R. im Großherzogthum Hessen ebenso wie die ihre Spitze bildende Gewerbschule in Darmstadt die sogenannten ethischen Wissenschaften gepflegt u. damit mehr die allgemeine Geistesbildung als die blos technische Vorbildung ihrer Schüler im Auge gehabt. Das Herzogthum Nassau hat vorzüglich seit 1845 für das Realschulenwesen eine gesteigerte Thätigkeit entfaltet. Württemberg hat zwar in vielen, selbst kleinen Städten sogenannte R. für zwölf- bis vierzehnjährige Knaben errichtet u. zwar theils mit den Lateinischen Schulen od. mit den Gymnasien verbunden, theils für sich bestehende; allein dieselben sind größtentheils nur auf eine od. wenige Klassen beschränkt. In Baiern sind bis jetzt die Lateinischen Schulen zur Vorbereitung sowohl für die Gymnasien als für die technischen Bildungsanstalten beibehalten u. zur Förderung einer mehr praktischen Vorbildung für den Betrieb der Landwirthschaft u. der Gewerbe, Kreislandwirthschafts- u. Gewerbschulen eingerichtet worden. In Hannover finden sich an vielen Orten R. meist mit dem Namen von Gewerbschulen. In Österreich zerfallen die R. in Unter- u. Oberrealschulen, beide mit dreijährigem Cursus, wobei namentlich für die Oberrealschulen ein ziemlich hohes Ziel gesteckt ist.