Sprachunterricht

[594] Sprachunterricht. Die neuen Sprachen überhaupt werden erlernt, theils weil ihre Kenntniß in den bürgerlichen Geschäften u. mannigfachen Lebensverhältnissen von großem Nutzen ist, theils weil man dadurch zum Besitz u. Genuß der ausgezeichneten literarischen Werke kommt, welche in diesen Sprachen geschrieben sind. Beim Jugendunterrichte kommen bes. die Französische u. Englische, auch die Italienische Sprache in Betracht, weil durch sie die oben angegebenen Zwecke bes. erreicht werden. Die neuen Sprachen können durch den Gebrauch od. nach Regeln erlernt werden; am zweckmäßigsten wird beides mit einander verbunden, indem man mit dem Gebrauch anfängt u. dann nach u. nach die Regeln damit verbindet. Der Unterricht beginnt mit der Aussprache, da dieselbe so äußerst wichtig ist; sie muß durch Vorsprechen von Wörtern u. Sätzen u. das Nachsprechenlassen geübt werden, damit der eigenthümliche Ton derselben richtig aufgefaßt wird. Man wählt dazu Wörter u. Redensarten, welche sinnliche Gegenstände od. oft wiederkehrende Begriffe bezeichnen u. oft in der Sprache vorkommen. Daran knüpfen sich kurze Perioden, kleine Erzählungen u. Gedichte, welche der Lehrer übersetzt u. memoriren läßt. Nun kommen die Leseübungen durch Vorlesen u. Nachlesenlassen, wobei die am häufigsten vorkommenden Regeln über die Aussprache nach u. nach gegeben werden, zugleich ist das Gedächtniß immerfort durch Auswendiglernen von angemessenen Vocabeln, Redensarten, kleinen Stücken zu üben. Nun schreitet man zum Übersetzen des Gelesenen fort, wozu man zuerst gute Elementarbücher u. Chrestomathien nimmt u. nach u. nach zu leichteren u. schwereren Autoren übergeht. Dazu kommen nun eigentlich grammatische Übungen, damit sich die Schüler der Gesetze der Sprache bewußt werden; die Schüler müssen dabei die Redetheile genau kennen lernen, die Paradigmen dem Gedächtniß fest einprägen, die syntaktischen Regeln bes. durch Analyse u. Construction einüben. Damit müssen immer Sprech- u. Schreibübungen verbunden werden, indem nur durch häufiges u. sehr vieles Sprechen u. Schreiben Fertigkeit darin erlangt wird. Eine in neuester Zeit in Aufnahme gekommene Art des Selbstunterrichts in der Französischen u. Englischen Sprache ist die Toussaint-Langenscheidt'sche Methode, welche auf brieflichen Mittheilungen beruht; diese sogenannten Briefe enthalten, wie andere Lehrbücher neuerer Sprachen, verschiedene Lectionen in systematischer Reihenfolge. Eine correcte Aussprache, worauf gerade bei der Französischen u. bes. bei der Englischen Sprache so viel ankommt, kann durch diese Methode natürlich kaum annähernd erzielt werden. Die beiden Werke darüber sind: Toussaint u. Langenscheidt, Brieflicher Sprach- u. Sprechunterricht für das Selbststudium der Französischen Sprache, Berl. 1858, 6. A. Lpz. 1862; Lloyd u. Langenscheidt, Brieflicher Sprach- u. Sprechunterricht für das Selbststudium der Englischen Sprache, Lpz. 1862. Der Unterricht der Jugend in den alten klassischen Sprachen, der Griechen u. Römer, hat außer dem Zweck der Kenntniß der Literatur u. der Alterthümer dieser Völker noch den zugleich für Viele als ein formales Bildungsmittel des Geistes zu dienen u. ist bes. für die nothwendig, welche sich einem Berufe widmen wollen, zu welchem eine gelehrte Bildung verlangt wird. Die allgemeinen Regeln für diesen Unterricht sind dieselben, wie für jeden S., wozu dann noch besondere kommen, welche theils durch die Eigenthümlichkeit dieser Sprachen, theils dadurch bedingt werden, daß es alte, ausgestorbene Sprachen sind, daß ebendeshalb manche Methoden namentlich das Erlernen durch den Gebrauch,[594] gar nicht od. doch nur sehr beschränkt angewendet werden können, u. daß zum tieferen Eindringen in dieselben so viele Hülfsmittel u. Hülfskenntnisse nöthig sind, daß ein fortgesetztes Studium dazu nöthig ist. Ob die Griechische od. Lateinische Sprache für den Jugendunterricht wichtiger sei, darüber ist viel gestritten worden; die Griechische ist ausgezeichneter durch Schönheit, Ausbildung u. die in ihr enthaltenen vollendeten Werke; die Lateinische ist einfacher, bestimmter u. für die Lebensverhältnisse brauchbarer u. hat in dem Unterrichtswesen aller christlichen Völker immer das Übergewicht behauptet. So behauptet denn die Lateinische Sprache immer noch den ersten Platz unter den Unterrichtsgegenständen auf Gelehrtenschulen. Bei dem Unterricht in den alten Sprachen nun beginnt man mit den elementarischen Vorübungen des Vorsprechens, Vorsagens, Memorirenlassens von Wörtern, Redensarten, kleinen prosaischen u. poetischen Stücken, um die Anfänger an die fremden Töne u. Formen allmälig zu gewöhnen. Dann geht man über zum Lesen, wobei auf Richtigkeit in Aussprache u. Versmaß, Sicherheit u. Fertigkeit streng zu halten ist; dazu kommt dann das Übersetzen, Exponiren u. Componiren, wobei dem Gedächtniß ein möglichst großer Vorrath von Vocabeln u. Phrasen einzuprägen ist u. kleinere u. größere prosaische u. poetische Stücke gelernt werden müssen. Nun tritt der Unterricht in der Grammatik dazu, wobei die Paradigmen u. die nothwendigsten Regeln über Genus, Rection etc. erlernt u. in Beispielen angewendet werden. Die Übersicht des ganzen Sprachsystems nach der Grammatikgehört später für die oberen Klassen. Bei diesen Übungen im Übersetzen werden gewöhnlich Elementarbücher u. Chrestomathien zu Grunde gelegt. Nachdem der Schüler in diesem Elementarunterrichte fest geworden ist, geht man zu den leichteren u. nach u. nach zu immer schwererern Autoren über. Es ist dabei in der Art des Lesens u. Erklärens eine feste Stufenfolge zu beobachten. Der Schüler muß sich präpariren u. der Lehrer beschränkt sich zunächst auf den bloßen Wortsinn, später wird die Übersetzung dem Genius der Muttersprache angemessen. Auf der folgenden Stufe wird bei der statarischen Lectüre mehr erklärt, es wird Wortkritik angewendet, die Realien werden mehr berücksichtigt, immer ist aber das Linguistische u. Grammatische die Hauptsache. Für die gereiften Schüler folgt nun die vollständige Interpretation, welche nicht blos Sprachgebrauch, Sinn, Zusammenhang, Folge der Ideen, Form der Darstellung, rhetorische u. poetische Entwickelung eines abgeschlossenen Ganzen, sondern auch historisch alle zum Verständniß des Autors nöthigen Kenntnisse umfassen muß, damit das Gelesene ein vollkommenes Bildungsmittel des Geistes werde. Zu dieser statarischen muß noch die cursorische Lectüre kommen, welche mehr auf das allgemeine Verstehen des Sinnes u. Inhaltes geht u. bei Einzelnem nicht lange verweilt. Bei der Lesung der Dichter muß das Nöthige über Prosodie u. Metrik eingeübt werden. Zu den bisher angeführten Übungen müssen nun auf jeder Stufe noch Schreib- u. Styl-, später auch Sprechübungen kommen, wobei eine angemessene Stufenfolge, sowohl in der Art als in der Größe der Aufgaben stattfinden muß. Der Schüler benutzt dabei. Wörterbuch u. Grammatik. Auf der höchsten Stufe werden freie Arbeiten über gegebene od. selbstgewählte Themata gefertigt. Alle diese letztern Übungen finden indeß mehr im Lateinischen als im Griechischen statt, da erstere Sprache für den Gebrauch nothwendiger ist.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 16. Altenburg 1863, S. 594-595.
Lizenz:
Faksimiles:
594 | 595
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika