[341] Erhaben. (Schöne Künste)
Es scheinet daß man in den Werken des Geschmaks überhaupt dasjenige Erhaben nenne, was in seiner Art weit größer oder stärker ist, als wir es erwartet hätten, weßwegen es uns überrascht und Bewundrung erweket. Das blos Schöne und Gute, in der Natur und in der Kunst, gefällt, ist angenehm oder ergötzend; es macht einen sanften Eindruk, den wir ruhig geniessen: aber das Erhabene würkt mit starken Schlägen, ist hinreissend und ergreift das Gemüth unwiderstehlich. Diese Würkung thut es nicht blos in der ersten Uberraschung, sondern anhaltend; je länger man dabey verweilet und je näher man es betrachtet, je nachdrüklicher empfindet man seine Würkung. Was eine liebliche Gegend, gegen den erstaunlichen Anblik hoher Gebürge, oder die sanfte Zärtlichkeit einer Zidli, gegen die rasende Liebe der Sappho, das ist das Schöne gegen das Erhabene.
Es ist demnach in der Kunst das Höchste, und muß da gebraucht werden, wo das Gemüth mit starken Schlägen anzugreifen, wo Bewundrung, Ehrfurcht, heftiges Verlangen, hoher Muth, oder auch, wo Furcht und Schreken zu erweken sind; überall wo man den Seelenkräften einen großen Reiz zur Würksamkeit geben, oder sie mit Gewalt zurükhalten will. Deswegen ist die nähere Betrachtung desselben, seiner verschiedenen Gattungen, der Quellen, woraus es entspringt, seiner Behandlung und Anwendung, ein wichtiger Theil der Theorie der schönen Künste.
Da überhaupt das Erhabene wegen seiner Größe Bewundrung erwekt, diese aber nur da entsteht, wo wir die Größe würklich erkennen, so muß die Größe des erhabenen Gegenstandes nicht völlig ausser unsern Begriffen liegen; denn nur da, wo wir noch einige Vergleichung anstellen können, entsteht die Bewundrung der Größe. Das völlig unbegreifliche rührt uns so wenig, als wenn es gar nicht vorhanden wäre. Wenn man uns sagt; Gott habe die Welt aus Nichts erschaffen, oder Gott regiere die Welt durch bloßes Wollen, so fühlen wir gar nichts dabey, weil dieses gänzlich ausser unsern Begriffen liegt. Wenn aber Moses sagt: Itzt sprach Gott, es werde Licht und das Licht ward, so gerathen wir in Bewundrung, weil wir uns wenigstens einbilden, etwas von dieser Größe zu begreifen; wir hören befehlende Worte und fühlen einigermaaßen ihre Kraft; und wenn man uns anstatt des bloßen göttlichen Willens, ein sinnliches Zeichen desselben sehen läßt, wie Homer und nach ihm Horaz thut, die uns ein Bild Jupiters geben, cuncta supercilio moventis, der mit dem Auge winkt und dadurch alles in Bewegung setzt, so erstaunen wir über diese Macht. Wer uns von der Ewigkeit [341] spricht und sagt, sie sey eine Dauer ohne End, der rührt uns wenig, weil wir nichts dabey denken; wenn aber Haller singt:
Die schnellen Schwingen der Gedanken,
Wogegen Zeit und Schall und Wind
Und selbst des Lichtes Flügel langsam sind,
Ermüden über dir und finden keine Schranken.
so bekommen wir doch einigermaaßen einen Begriff dieser unbegreiflichen Größe, indem wir sehen, daß sie das Höchste, so wir denken können, weit übersteigt. Wenn wir in einer Schlacht einen unbekannten Menschen aus den Gliedern heraustreten sähen, der allein das feindliche Heer schlagen wollte, so würden wir ihn für einen unsinnigen Prahler halten; wenn aber dieser Mann ein Achilles ist, wenn wir aus seinem Charakter, aus seiner Fassung, aus seinem Ton einigermaaßen begreifen, daß er dem Unternehmen gewachsen seyn möge, alsdann erstaunen wir über seinen Muth. So müssen wir für jedes Erhabene ein Maaß haben, nach welchem wir seine Größe, wiewol vergeblich, zu messen bemüht sind. Wo dieses fehlt, da verschwindet die Größe, oder sie wird blos zur Schwulst. Indem wir aber vermittelst des Maaßes, das wir haben, die Größe des Erhabenen zu begreifen bemüht sind, erhebt sich der Geist oder das Herz; die Seele nihmt einen hohen Schwung um sich zu jener Größe zu erheben. Daher kommt in einigen Fällen die Würkung, die Longinus dem Erhabenen zuschreibt, wenn er sagt: »Natürlicher Weise wird die Seele durch das wahre Erhabene gleichsam erhöhet, und indem sie selbst einen hohen Schwung bekommt, mit Vergnügen und großen Gesinnungen erfüllt, als wenn sie das, was sie hört, selbst erfunden hätte.«1 Dieses aber gilt nur von dem Erhabenen, das eine antreibende Kraft hat;2 denn die von der zurükstoßenden Art ist, erwekt Furcht und Schreken.
Um die Gattungen des Erhabenen näher zu betrachten merken wir an, daß die Gegenstände der Bewundrung entweder auf die Vorstellungskräfte oder auf die Begehrungskräfte der Seele würken. Denn wir bewundern die Dinge, zu deren klarer Vorstellung unsre Begriffe nicht hinreichen, und auch die, welche das Gefühl unsrer Begehrungskräfte übersteigen.
Alle Gattungen der Vorstellungen, die welche durch die Sinnen kommen, die von der Phantasie gebildet, und die vom Verstand erzeuget werden, können zur Bewundrung führen. Man kann die Majestät der Natur in den Alpen nicht ohne Bewundrung sehen; und wer solche Gegenstände würdig mahlen oder beschreiben kann, der erreicht das blos sinnlich Erhabene, wie Haller
Der sich die Pfeiler des Himmels, die Alpen die er besungen
Zu Ehrensäulen gemacht3.
Noch weiter erstrekt sich das Erhabene der Phantasie, die uns eine zweyte sinnliche Welt erschaft. Durch diese Größe sind die Gemählde des Himmels und der Hölle, bey Milton und Klopstok, erhaben: welch erstaunlicher Reichthum der Phantasie in ihren Beschreibungen! Auch der Verstand hat erhabene Gegenstände; so geben uns die neuern Philosophen erhabene Begriffe von dem Weltgebäude, und von der Größe des göttlichen Verstandes; auch nennen wir die Wahrheiten und Betrachtungen erhaben, da durch wenig Begriffe eine weite Gegend in dem Reich der Wahrheit helle wird.
Wir bewundern die Gegenstände der Vorstellungskräfte wegen der Menge und des Reichthums der Dinge, die uns auf einmal vorschweben und die wir zu fassen nicht vermögend sind, die sehr viel weiter gehen, als wir folgen können; oder wir bewundern sie aus Ueberraschung, weil sie unsrer Erwartung entgegen laufen, weil wir etwas widersprechend scheinendes für wahr erkennen; wenn das Große klein, das Kleine groß wird; wenn aus Unordnung und Verwirrung Ordnung entsteht. So ist es ein erhabener Gedanken für die, welche die Richtigkeit desselben einigermaaßen einsehen, daß aus aller scheinenden Unordnung in der physischen und sittlichen Welt, die schönste Ordnung im Ganzen bewürkt wird. Und wenn Pope von Gott sagt: er sehe mit gleichem Blik eine Wasserblase und Welten in Staub verfliegen, oder Haller von seiner Ewigkeit singt:
Der Sternen stille Majestät
Die uns zum Ziel befestigt steht,
Eilt vor dir weg wie Gras an schwühlen Sommertagen;
Wie Rosen, die am Mittag jung
Und welk sind von der Dämmerung,
Eilt vor dir weg der Angelstern und Wagen.
so kommt das Erhabene dieser Gedanken aus der wunderbaren Vergleichung dessen, was wir als das Größte der körperlichen Welt kennen, mit dem Kleinesten; wodurch wir erst die wunderbare Größe Gottes einigermaaßen erkennen, gegen den eine [342] ganze Welt und ein Stäubchen, gleich groß sind. So gränzet es auch an das Erhabene, wenn der eben angeführte Dichter in seinem Gedichte von dem Ursprung des Uebels, nachdem er eine reizende Beschreibung von der Schönheit der Natur gemacht hat, plötzlich ausruft:
Und dieses ist die Welt, worüber Weise klagen!
Oder wenn Cicero ausruft: Welch trauriges Schauspiel, der Erhalter des Vaterlandes ist gezwungen es zu verlassen und die es verrathen haben, bleiben ruhig darin!4 Dieses ist also die eine Gattung des Erhabenen, das unsre Vorstellungskräfte mit Gewalt angreift.
Die andre Gattung würkt die Bewundrung durch das Gefühl des Herzens. Indem wir andrer Menschen Empfindungen, Leidenschaften, innerlich würkende Kräfte oder äusserlich ausbrechende Handlungen, mit unserm Gefühl vergleichen und gegen das halten, was wir zu thun vermögend sind, so entsteht allemal Bewundrung, wenn wir Kräfte sehen, die weit über die Unsrigen gehen, oder deren Größe wir nicht anders, als durch eine ausserordentliche Anstrengung unsers eigenen Gefühls, fassen können. Eben dieses geschieht auch, wenn wir im Guten oder Bösen etwas sehen, das unsre Empfindung gleichsam bestürmt. Daher entsteht das Erhabene in den Gesinnungen, in den Charaktern, in den Handlungen, und auch in den leblosen Gegenständen der Empfindung.
Die Empfindungen der Ehre, der Rechtschaffenheit, der Liebe des Vaterlandes können so stark seyn, daß sie unsre Bewundrung erweken, und alsdann nennen wir sie Erhaben. So ist die Großmuth erhaben, die große Beleidigungen verzeiht, wie wenn Augustus zum Cinna, der in eine Verschwörung gegen ihn getreten war, sagt: Laßt uns Freunde seyn Cinna;5 der hohe Muth des Hohenpriesters Joad, der bey den gefährlichsten Umständen, womit man ihn erschreken will, ruhig sagt: Ich fürchte Gott, Abner, und kenne keine andre Furcht.6 So hat die Standhaftigkeit des Milo etwas Erhabenes, von dem Cicero sagt: er halte nur den Ort für den Ort der Verbannung, wo es nicht erlaubt ist, Tugendhaft zu seyn.7 Dieses ist das Erhabene in den Gesinnungen und Charakteren, wodurch Männer von hoher Sinnesart, die weit über die gemeine Tugend erhaben sind, unsere Bewundrung verdienen, und wovon man vornehmlich in der griechischen und römischen Geschichte sehr viel Beyspiele findet.
Dieses Erhabene hat auch im Bösen statt, weil selbst in der Gottlosigkeit etwas Bewundrungswürdiges seyn kann. Die Anrede, womit Satan8 nach seinem Fall die Hölle grüßt, hat etwas Erhabenes. »Seyd gegrüßt Schreknisse; dich grüß ich unterste Welt und dich tiefste Hölle. Empfange deinen neuen Einwohner; einen der ein Gemüth mit sich bringt, das weder Ort noch Zeit zu verändern vermag. Das Gemüth ist sein eigener Platz und kann in ihm selbst einen Himmel aus der Hölle, und eine Höll aus dem Himmel machen. – Wenigstens werden wir hier frey seyn; der Allmächtige hat hier nicht gebaut, was er uns mißgönnen sollte; er wird uns hier nicht verjagen.« Von dieser Art ist auch die, anderswo angeführte Rede des Eteokles,9 die Rede des Ajax,10 der einigermaaßen dem Jupiter Troz bietet, die erhabene Boßheit des Caiphas und des Philo in Klopstoks Meßias. Jede würkende Kraft von ausserordentlicher Größe hat etwas Bewundrungswürdiges. Die Stärke des Gemüths, das sich durch nichts niederdrüken läßt, eine Kühnheit die keine Gefahr achtet, ein Muth, den kein Hinterniß überwältiget, hat etwas Großes, wenn gleich diese Stärke nicht gut angewendet wird. Das Böse darin ist zufällig, das Gute wesentlich. Ein großmüthiger Bösewicht kann bald gut werden, und durch einen kleinen Schritt zu einer ehrwürdigen Größe gelangen; aber wem die Stärke des Geistes und die Kräfte der Empfindung fehlen, wenn gleich sonst im Gemüth nichts Böses vorhanden wäre, der bleibt in der sittlichen Welt immer ein geringschätziges Geschöpf.
Wie die hohe Sinnesart, die das Gemüth bey den wichtigsten Vorfällen, selbst bey dem stürmenden Ungewitter der Gefahren und des Unglüks in bewundrungswürdiger Ruhe zu erhalten vermag, etwas Erhabenes hat, so können im Gegentheil auch die Leidenschaften eine wunderbare und erstaunliche [343] Würksamkeit hervorbringen. Bey der stillen Größe der hohen Gesinnungen bewundern wir die Stärke der Seele, die sich bey den heftigsten Anfällen in Ruh zu erhalten vermag; bey der Heftigkeit gewisser Leidenschaften zieht die, unsre Erwartung übertreffende Würksamkeit, die alles überwältigende Kraft derselben, unsre Bewundrung nach sich. Jene ruhige Größe gleichet den majestätischen Gebürgen, von denen einer unsrer Dichter singt:
So stehet ein Berg Gottes,
Den Fuß in Ungewittern,
Das Haupt in Sonnenstrahlen11
Diese würksame Größe hingegen ist, wie ein gewaltiger Strohm, der alles, was ihm in Weg kommt, mit sich fortreißt. So ist die Wuth des Achilles im Streit, den auch die verschlingenden Wellen des Xanthus nicht zurükhalten, oder die erstaunliche Rachgier des Coriolans in Thomsons Trauerspiel.12 – Gib mir den untersten Rang in dem Heer; ganz Italien soll dennoch erfahren und allen künftigen Zeiten soll die Stimme des Gerüchts es sagen, daß ich zugegen gewesen, daß Coriolan dem Heer der Volscier beygestanden, als das weitherrschende Rom der Erde gleich gemacht worden. – So viel Stärke konnte man von keinem Menschen erwarten.
Selbst die überwältigenden Leidenschaften können, wenn sie starke Seelen betreffen, etwas Erhabenes zeigen. Wer kann ohne Schaudern den Schmerz des Hiobs ansehen, da er die Stunde seiner Gebuhrt verfluchet, oder das erstaunliche Leiden des sterbenden Herkules,13 oder den Jammer des Philoktets,14 oder die erschrekliche Quaal des Abbadona?15 Selbst die Liebe, wie sie die Sappho oder die Clementina martert, setzt in Erstaunen. In jenen muthigen Leidenschaften ist das Gemüth selbst der Gegenstand der Bewundrung; hier aber bewundern wir die Größe des Gegenstandes, der das Leiden hervorbringt, und den wir in der leidenden Seel als in einem Spiegel erbliken. Man kann eine ähnliche Würkung durch Vorbildung des Gegenstandes selbst erreichen. Nämlich die überwältigenden Leidenschaften, wobey die Seele blos leidend scheinet, können, wie so eben angemerkt worden, erhaben geschildert werden, man kann aber das Erhabene auch durch die Gegenstände dieser Leidenschaft selbst erreichen, indem anstatt der Furcht, des Schrekens, der Verzweiflung, die Gegenstände, von denen diese Leidenschaften entstehen, geschildert werden: so ist Miltons Beschreibung der Hölle erhaben furchtbar.
Dieses sind also die verschiedenen Gattungen des Erhabenen in der sichtbaren und unsichtbaren Natur. Nicht nur die Beredsamkeit und die Dichtkunst, sondern auch die zeichnenden Künste, haben den Ausdruk desselben in ihrer Gewalt. Es ist keine Gattung desselben, die Raphael nicht erreicht hätte, und wir wissen sowol aus den Zeugnissen der Alten, als aus dem Antiken das übrig geblieben, daß die alten Bildhauer das Erhabene der Sinnesart und der Charaktere in einem hohen Grad erreicht haben; daß sie im Jupiter die göttliche Majestät, in der Minerva die Weißheit u. s. f. auf eine erhabene Weise sichtbar zu machen gewußt haben. In einem einzigen Stük scheinet den neuern Künstlern der Ausdruk des Erhabenen zu fehlen; wo sie nämlich die Gottheit abbilden wollen. Wenigstens ist mir kein erträgliches Bild davon bekannt, wo nämlich die Gottheit unmittelbar vorgestellt wird. Denn sonst haben wir allerdings Gemählde, die von der Größe und Majestät Gottes mittelbar erhabene Vorstellungen enthalten, wovon das große Gemähld von Raphael, das insgemein das Sakrament genennt wird, ein fürtrefliches Beyspiel ist. Selbst der Baukunst kann man das Erhabene nicht ganz absprechen. Wenn gleich unsre Baumeister es nicht erreichen, so läßt sich doch fühlen, wie durch Gebäude gewaltige Eindrüke von Ehrfurcht, von Macht und Größe, und auch von schaudernden Schreken zu bewürken wären. Auch die Musik ist nicht vom Erhabenen entblößt; sie hat das Erhabene der Leidenschaften, auch wol die ruhige Größe der Seele, in ihrer Gewalt. Händel und Graun haben es oft erreicht. Wer sich davon überzeugen will, darf von dem ersten nur Alexanders Fest, und von dem zweyten die Oper Iphigenia hören. [344] Dieses sind die verschiedenen Gattungen des erhabenen Stoffs. Nun ist auch zu bemerken, daß ein Gegenstand entweder durch seine innerliche Größe erhaben ist, oder daß er durch die besondere Weise, wie er vorgestellt wird, seine Größe bekommt; jenes könnte man das wesentlich Erhabene, dieses das zufällige nennen. Es giebt Dinge, die wir nur geradezu erkennen oder empfinden dürfen, um sie zu bewundern. Wer sich einen Begriff von dem Weltgebäude machen kann, wird gewiß das Erhabene darin fühlen. So wird man auch bey jeder Aeusserung einer hohen Sinnesart, wenn man sie nur zu empfinden vermag, in eine Art des Entzükens gesetzt; und jede große schrekhafte Begebenheit macht bestürzt, wenn man sie nur, wie sie ist, sieht oder erzählen höret. Aber eine Vorstellung, die man sehr oft, ohne merkliche Würkung davon zu empfinden, gehabt hat, kann uns in einem Licht, oder in einer Wendung gezeiget werden, wo sie den lebhaftesten Eindruk macht. So sind die schon angeführten Vorstellungen von der Ewigkeit und von der unermeßlichen Größe Gottes. Denn ob schon beyde Gegenstände an sich groß sind, so ist es sehr schweer sich ihre Größe mit einiger Klarheit vorzustellen: dazu hat uns das Genie des Dichters geholfen. So ist es eine gemeine, uns sehr wenig rührende Wahrheit, daß die Großen der Erde so wie gemeine Menschen sterblich sind; aber sie nähert sich dem Erhabenen, wenn Horaz sie also ausdrükt:
Pallida mors æquo pulsat pede pauperum tabernas
Regumque turres.16
Daß nach dem Tod aller Unterschied des Ranges und der Würde wegfällt, ist ein gemeiner Gedanken, aber in einer arabischen Erzählung bekommt er etwas Wunderbares und Erhabenes. Der berühmte Caliph Harun Al- Raschid begegnete einem Einsiedler, der einen Todtenkopf mit Aufmerksamkeit zu betrachten schien. Was machst du damit? sagt der Caliph. Der Einsiedler – ich suche zu entdeken, ob dieses der Schädel eines Bettlers oder eines Monarchen sey? Eine bewundrungswürdige Einkleidung einer ganz bekannten Wahrheit. Auch Gedanken, die schon an sich groß und erhaben sind, können durch die Einkleidung noch einen höhern Grad desselben erreichen. Es ist an sich schon etwas großes, sich den wahren Philosophen, als einen Menschen vorzustellen, der durch sein Nachdenken das menschliche Geschlecht erleuchtet; aber noch wunderbarer wird dieses durch die Art, wie sich Kleist ausdrükt:
Die, deren nächtliche Lampe den ganzen Erdball erleuchtet.17
Hier ist wesentlich und zufällig Erhabenes zugleich. Dieses zufällig Erhabene ist das, was Longinus der Kunst zuschreibt, und davon er in Absicht auf die redenden Künste am ausführlichsten und gründlichsten handelt. Nachdem er angemerkt hat,18 daß dieses Erhabene durch grammatische und rhetorische Figuren; durch Tropen und andre mit Würde verbundene Ausdrüke; endlich blos durch den Ton und Fall der Rede kann erhalten werden; so wendet er den größten Theil seines Werks19 an, dieses durch eine Menge wol ausgesuchter Beyspiele zu erläutern. Wir empfehlen ein oft wiederholtes Lesen dieses Werks allen denen, die das Große und Erhabene im Ausdruk zu erreichen suchen.
Was Horaz vom Schreiben überhaupt sagt: daß man um gut zu schreiben, erst gut denken müsse, kann insbesonder auf jede Gattung des Erhabenen angewendet werden. Wer es erreichen will, muß irgend eines der natürlichen Vermögen des Geistes oder des Herzens, in vorzüglicher Größe besitzen. Ohne diesen Vorzug wird man weder selbst erhabene Vorstellungen oder Empfindungen hervorbringen, noch da, wo man sie antrift, sich zunutze machen können. Das erste und vornehmste Mittel, sagt Longinus, das Erhabene zu erreichen, ist die natürliche Fähigkeit große Begriffe und große Gedanken hervorzubringen; das andre, starke und große Empfindungen zu haben. Wiewol nun der, dem die Natur diese Vorzüge versagt hat, sie durch keine Bemühung erlangt, so kann die natürliche Fähigkeit durch die Umstände der Zeit, durch Gelegenheit, durch Arbeit und Studium erhöht werden. Niemand bilde sich ein, daß Homer oder Demosthenes, Phidias oder Raphael das Erhabene, das wir an ihnen bewundern, allein der Natur zu danken haben. Den Saamen des Erhabenen legt die Natur in den Geist und in das Herz; daß er aber aufkeimet und Früchte zeuget, wird durch Ursachen bewürkt, die von aussenher kommen.
Will man einen Beweis davon haben, so vergleiche man den Olympus oder den Tartarus des Homers, mit dem Himmel und der Hölle Miltons; oder die philosophischen Gedanken des Lukretius mit denen, die wir bey Pope und Haller antreffen. Wer wird dem Homer die Erhabenheit der Phantasie [345] und dem Lukretius die Stärke und Größe des Verstandes absprechen? Aber wie weit bleibt das Erhabene der homerischen Phantasie und der epikurischen Philosophie hinter dem, was wir in ähnlichen Fällen bey diesen Neuern antreffen, zurük? Das große Genie muß von aussenher erhabene Nahrung haben, wenn es erhabene Früchte zeugen soll. Man bedenke, was für eine Menge großer Köpfe in dem XII und XIII Jahrhundert an der scholastischen Philosophie gearbeitet, und wie wenig große Wahrheiten sie gefunden haben! Es war das Unglük der Zeiten, daß so viel große Köpfe sich blos an dialektischen Kleinigkeiten üben konnten. Auf eine ähnliche Weise erkläret der vorher angeführte Kunstrichter,20 warum seine Zeiten das Erhabene der Beredsamkeit vermissen. Der vornehmste Grund, sagt er, liegt in der unseeligen Habsucht, die unser ganzes Leben belagert, und sich aller Würksamkeit bemächtiget. Denn die unersättliche Begierde nach Reichthum, thut er hinzu, an der wir alle krank daniederliegen, nebst Weichlichkeit und Wollust halten uns in der Unterdrükung, erstiken alle männliche Stärke.
Es ist also nicht genug, daß der Künstler von der Natur die Anlage zum Erhabenen bekommen habe. Die Zeiten, darin er lebt, die Gegenstände, womit er sich beschäftiget, der Nationalcharakter seiner Zeitverwandten, und noch mehrere zufällige auf das Genie würkende Dinge, müssen die glüklichen Anlagen unterstützen. Corneille, der die tragische Bühne in Frankreich zuerst in Würde gebracht, hatte gewiß die besten Anlagen zum Erhabenen, aber wie oft ist er nicht blos schwülstig, wo er hätte erhaben seyn können? Dieses ist den romanhaften Begriffen der ritterlichen Tapferkeit, die damals noch übrig waren, und bisweilen dem, was die Galanterie seiner Zeit abentheuerliches hatte, zuzuschreiben. Daher geschah es, daß er einigemal schwülstig oder platt wurde, wo er groß zu seyn glaubte. Was kann abgeschmakter seyn, als folgende Stelle.
Jason ne sit jamais de communes maitresses,
Il est né seulement pour charmer des Princesses,
Et haïroit l'amour s'il avoit sous sa loi
Rangé de moindres cœurs que des filles de Roi.21
Und doch hat dieses der Mann geschrieben, der in demselben Aufzug die Medea, auf die Vorstellung ihrer Vertrauten:
Votre païs vous hait, votre époux est sans soy
Dans un si grand revers, que vous reste - t - il?
die wahrhaftig große und erhabene Antwort geben läßt: Moi!
Und wenn in dem Cid desselben Dichters Don Rodrigue seinem Vater, auf die Frage: Hast du auch Herz mein Sohn? die trozige, abgeschmakte Antwort giebt: jeder andere, als mein Vater, sollte sogleich die Probe davon sehen! So sieht man wol, daß dieses weniger dem Dichter, als den Vorurtheilen seiner Zeit zuzuschreiben ist.
Man kann von der Natur die Anlage zu einem großen Geist und Gemüth erhalten haben, und sich dennoch von dem Kleinen und Niedrigen, das in den Sitten und in der Denkungsart seiner Zeitgenoßen herrscht, hinreißen lassen. Hat nicht Miltons erhabener Geist, durch eine elende Schultheologie verführt, der göttlichen Majestät selbst Reden in den Mund gelegt, die ins niedrige fallen? Und haben nicht die Götter des großen Homers, wie Cicero richtig anmerkt, alle Schwachheiten der Menschen an sich? Also müssen die Anlagen zum erhabenen Genie von aussenher unterstützt werden. Der große Verstand, der erhabene Wahrheiten vortragen soll, muß, wie bey Pope und Haller, von wahrer Philosophie unterstützt werden; Reichthum und Feuer der Phantasie, von Kenntnis dessen, was in der Natur groß und schön ist. Mit dem Verstand und dem großen Gemüth eines Demosthenes oder Cicero würd ein Redner in Sybaris wol Spitzfündigkeiten, aber nichts Großes hervorgebracht haben. Unwissenheit und Aberglauben, wenn sie national sind, hemmen den größten Verstand, erhabene Wahrheiten zu lehren; und sittliche oder politische Sophisterey, die herrschend worden, die erhabenen Gesinnungen.
Der erhabene Künstler wird also nicht blos durch die Natur gebildet, die Umstände darin er sich befindet, müssen dem großen Genie eine völlig freye Entwiklung verstatten. Verstand und Herz müssen ihre Würksamkeit ungehindert äussern können. Dem besten Genie werden durch die Niedrigkeit aller Gegenstände, womit es umgeben ist, Fesseln angelegt.
Unsere Zeiten sind durch sich selbst dem Erhabenen, in Absicht auf die Vorstellungskräfte, wegen der Cultur der speculativen Wissenschaften und der Naturlehre, ganz vortheilhaft, und was ihnen in Ansehung des Sittlichen und des Politischen fehlet, kann doch noch einigermaaßen durch die Bekanntschaft,[346] die wir mit den alten Griechen und Römern, den freyesten und in den Aeusserungen der Sinnesart ungehindertsten Völkern, haben, ersetzt werden.
Wenn das Genie des Künstlers auf diese Weise die Fähigkeit, sich zum Erhabenen empor zuschwingen, bekommen hat, so müssen in den besondern Fällen auch noch besondere Ursachen vorhanden seyn, die ihm eine stärkere Reizbarkeit geben; denn große Gedanken und Empfindungen entstehen nur bey wichtigen Veranlasungen. Es ist nicht möglich über kleine Sachen groß zu denken, noch bey gleichgültigen oder geringschätzigen Geschäften groß zu handeln. Nur alsdenn, wenn der Künstler durch die Größe seiner Materie in Begeisterung gesetzt worden, wird das Erhabene, dessen er fähig ist, in seinem Verstand oder in seinem Herzen hervorbrechen. Hat er in diesen Umständen den Ausdruk, nach Maaßgebung seiner Kunst, in seiner Gewalt; besitzt er als ein Mahler die Zeichnung, als ein Tonsetzer Harmonie und Gesang, als ein Redner die Sprach, so thut alsdenn die Natur das übrige. Das wichtigste ist Erhaben zu denken und zu fühlen; nach diesem aber muß man sich auf eine den Sachen angemessene Weise ausdrüken können. Es kann etwas würklich Erhaben seyn, und durch die Art, wie es sich zeiget, oder durch das schwache Licht, darin es erscheint, merklich von seiner Größe verlieren. So wird in der so eben angeführten Stelle aus der Medea das erhabene Moi, durch den Zusatz, Moi, vous die - je, et c' est assez, würklich geschwächt.
Der Ausdruk des Erhabenen erfodert also noch eine besondere Betrachtung. Longinus sagt, man erreiche ihn, wenn man von dem was zur Sache gehört nur das Nothwendige, oder die wesentlichen Theile mit guter Wahl aussuche und wol verbinde22; und sein neuester Ausleger hat sehr gründlich angemerkt, daß der Ausdruk in der sapphischen Ode, die der griechische Kunstrichter als ein Muster des Erhabenen anführet, durch seine Einsalt der Größe der Sache völlig angemessen sey.23 Daß die höchste Leichtigkeit und Einfalt des Ausdruks zum Erhabenen der Leidenschaften nöthig sey, empfindet man. Man vergleiche den Ausdruk in der angezogenen sapphischen Ode, mit der künstlichen Wendung, die ein Neuerer gebraucht hat, eben dieselbe Leidenschaft auszudrüken. Die fürtrefliche Scene zwischen Sir Carl Grandison und Miß Byron, die Richardson im 19 und zwey folgenden Briefen des dritten Theils beschreibet, endiget sich damit, daß Sir Carl in dem Augenblike, da die zärtlichste Liebe zu Miß Byron auf dem Punkt eines völligen Ausbruchs war, plötzlich abbricht, und seine Geliebte verläßt. In diesem Augenblike war bey ihr die Liebe auch auf das höchste gestiegen, und dieses beschreibt sie in folgenden Worten. »Als er weg war, sah ich bald hier bald dorthin, als wenn ich mein Herz suchte; und dann verlohr ich auf einige Augenblicke die Bewegung, als wenn ich es für unwiederbringlich verlohren hielte, und ward zur Statue.« Man fühlt hier das Erhabene, wie in der Ode der Sappho; aber es wird doch durch das, was der Ausdruk schweeres hat, etwas verdunkelt. Durch hin und hergehende Blike sein Herz suchen, ist eine Metapher, die etwas schweeres und hartes hat.
Alles was im Ausdruk schweer und gesucht ist, was Witz und Kunst verräth, ist dem Erhabenen entgegen; und wie in den sittlichen Handlungen diejenigen, die groß denken, immer den geradesten Weg gehen, da kleinen Seelen listige Umwege natürlich sind, so ist es auch in den Künsten, wo das Schlaue der großen Denkungsart entgegen ist. Ein Gegenstand, der in seinem Wesen groß ist, darf nur genennt, und ohne allen Schmuk in ein klares Licht gesetzt werden, um einen starken Eindruk zu machen; wo von solchen die Rede ist, da kann der Ausdruk nicht einfach genug seyn, wie schon anderswo mit mehrerm angemerkt worden.24 Nur dann, wenn der Gegenstand ausser dem Kreis unsrer klaren Vorstellungen liegt, muß ein wol überlegter Ausdruk ihn dem Gesichte näher bringen, wie bald soll gezeiget werden.
Das Erhabene der Empfindungen wird kräftiger ausgedrükt, wenn man uns gleichsam in die Seele [347] hinein bliken läßt, als wenn man uns äusserliche Zeichen vorlegt, aus denen wir das inwendige erst abnehmen sollen. Der Mahler oder Bildhauer, der Genie genug hat, die Seele im Körper sichtbar zu machen, kann ohne gewaltsame Bewegungen das Erhabenste der Empfindungen ausdrüken; wer aber im Körper nichts, als leblose Materie sieht, muß das, was in der Seele vorgeht, mittelbar, durch allerhand Zeichen ausdrüken. Scopas, oder wer der Künstler seyn mag, dessen Meißel die Niobe gebildet hat, konnte das tödtliche Entsetzen dieser unglüklichen Mutter unmittelbar in ihrem Gesicht ausdrüken, und Agesander nebst seinen Gehülfen25 hatten, um den heftigsten Schmerz des Laocoons auszudrüken, nicht nöthig die Zeichen des Schreyens oder Heulens zu Hülfe zu nehmen. Die leidende Seele zeiget sich dem Aug und auf dem ganzen Körper, das Gehör braucht nicht gerührt zu werden. Dieses mußte Virgilius zu Hülfe nehmen, weil sich Gesichtszüge und Stellung des Körpers nicht so beschreiben lassen, daß die Seele sichtbar wird. Der Bildhauer konnte den Schmerz selbst ausdrüken; der Dichter mußte ein Zeichen desselben fühlen lassen.
Die Hülfsmittel zum Erhabenen, die in dem Ausdruk liegen, scheinet Longinus für die redenden Künste sehr richtig angegeben zu haben, wie schon vorher erinnert worden. Er nennt drey Gattungen derselben; schikliche Figuren, sowol grammatische, als rhetorische; eine gute Wahl des Ausdruks und einen der Größe der Sach angemessenen Ton, und die dazu nöthige Zusammenfügung der Rede.26 Wie durch diese verschiedenen Hülfsmittel die Vorstellungen, denen es sonst nicht an innerlicher Größe fehlet, noch größer erscheinen und bis zum Erhabenen steigen, zeiget dieser scharfsinnige Kunstrichter weitläuftig,27 und verdient hierüber mit Aufmerksamkeit gelesen zu werden. Wir merken überhaupt an, daß die Art des Ausdruks das Erhabene der Vorstellung auf eine doppelte Weise herausbringen kann; 1) dadurch, daß Vorstellungen, deren Größe wir durch abgezogene Begriffe nicht fassen, durch die Entwiklung oder durch Einkleidung groß und erhaben erscheinen; 2) daß der feyerliche oder lebhafte Ton uns reizt und gleichsam zwingt, uns die Sachen groß vorzustellen. Beydes verdient eine nähere Betrachtung.
Daß große Vorstellungen bisweilen erst durch Entwiklung Erhaben werden, weil wir sie ohne diese nicht faßen oder abmessen könnten, beweisen die schon vorher angeführten Beyspiele von der Ewigkeit überhaupt, und besonders von der Ewigkeit Gottes. So kann auch durch mancherley Arten der Einkleidung die Hoheit abgezogener Vorstellungen, begreiflich oder rührend werden. Wir fühlen nichts Erhabenes, wenn man uns sagt, Gott habe alles mit Weißheit geordnet; Salomon kleidet dieses so ein, daß es Erhaben wird.28 Durch Bilder, Gleichnisse, und besonders durch Belebung des Leblosen und der abgezogenen Begriffe, können Vorstellungen, die sonst wenig Kraft haben würden, bis zum Erstaunen kräftig werden. Wer erstaunt nicht, wenn Haller von dem Erfinder des Schießpulvers den wunderbaren Ausdruk braucht: Er schaft dem Donner Brüder! hier kommt das Erhabene blos von der Einkleidung. Die Poesien der Hebräer geben unzählige fürtrefliche Beyspiele von solcher Erhebung der Vorstellungen, die sich für die Dichtkunst vorzüglich schiket, ob sie gleich der Beredsamkeit nicht ganz verboten ist.29
Daß der Ton der Rede, die blos grammatischen Figuren, die Wahl vollklingender und edler, auch bisweilen ungewöhnlicher, oder schikliche Nebenbegriffe erwekender Wörter, ernsthaften und an sich wichtigen Vorstellungen etwas Erhabenes mittheilen können, läßt sich gleich begreifen und durch Beyspiele fühlbar machen. Der Eindruk, den eine Sache auf uns machen soll, kommt zum Theil von der Faßung her, in welcher wir uns befinden. Das blos mechanische der Rede sezt uns oft in die eigentlichste und beste Faßung, am lebhaftesten gerührt zu werden. Wer schon durch den Ton der Rede geschrekt wird, auf den macht eine schrekhafte Vorstellung einen desto lebhaftern Eindruk, und der feyerliche Ton und Gang der Rede macht oft, daß Vorstellungen von mittelmäßiger Kraft die ganze Seel ergreifen. Daher wird begreiflich, daß ein Theil der Kraft des Erhabenen blos in dem Mechanischen des Ausdruks liegen könne. Beyspiele hievon geben fast alle Chöre in den griechischen Tragödien, und in Klopstoks Meßias ist kaum eine Seite, wo man nicht mehr, als eines antrift; weil nie ein Dichter so durchaus den hohen Ton getroffen hat, wie dieser. [348] Es würde ein sehr unnützes Unternehmen seyn, Regeln aufzusuchen, wie das Große im Ausdruk zu erhalten sey. Wenn der Geist und das Herz des Redners und des Dichters von dem Gegenstand ganz eingenommen und gerührt sind, so bilden sich die Wörter und Redensarten von selbst so auf der Zunge, als wenn ein Theil des innern Lebens sich in den todten Buchstaben ergöße; wenn nur der Dichter sonst den ganzen Reichthum und die Mechanik seiner Sprache besitzt. Also ist das allgemeineste Mittel zum Erhabenen in der Schreibart zugelangen, ein von dem Gegenstand ganz durchdrungener Geist und ein von der Stärke der Empfindungen aufgeschwollenes Herz. Wie Erhaben ströhmen nicht die Reden des Demosthenes, Cicero und Roußeau; in jenen, bey dem vollen Gefühl der Gefahr, womit die Freyheit ihres Vaterlandes bedroht wird; in diesem, wenn er die Rechte der Menschlichkeit zu retten sucht, von deren Heiligkeit er so ganz durchdrungen ist? Also sind eine lebhafte Vorstellungskraft und ein warmes Herz zugleich die würkenden Ursachen erhabener Vorstellungen und des erhabenen Ausdruks. Freylich muß zu dem letztern die allgemeine Fertigkeit wol zureden, wie Longinus anmerkt, noch hinzukommen.
Dem Erhabenen sind entgegengesetzt das Schwülstige oder falsche Erhabene; das Platte oder Niedrige, und das Frostige: davon wir in besondern Artikeln gesprochen haben.
1 | Longinus vom Erhabenen im VII. Absch. |
2 | S. ⇒ Kraft. |
3 | Kleist im Frühling. |
4 | Philip. X. |
5 | Im Trauerspiel des Corneille, Cinna. |
6 | Im Trauerspiel des Racine, Athalie. |
7 | Est quodam incredibili robore Animi septus; exilium ibi esse putat, ubi virtuti non sit locus. Orat. pro T. An. Milone. |
8 | Im 1 B. von Miltons verlohrnem Paradies. |
9 | S. Aeschylus. S. 19. |
10 | Il. E. v. 645. f f. |
11 | Ramler in der Cantate v. Tode Jesu. |
12 | O! il imports not which of us commands. Give me the lowest ranck among your troops; All Jtaly will know, the voice of fame Will tell all futur times, that I was present, That Coriolanus in the Volscian Army Assisted when imperial Rome was sackd. |
13 | Sophocl. Trachiniœ vs. 1010 u. s. f. |
14 | Sophocl. Philoct. vs. 747 u. s. f. 941 f. f. |
15 | Meßias II Ges. |
16 | Od. I. 4. 13 |
17 | Im Frühling. |
18 | im VIII Absch. |
19 | vom XVI bis zum XL. Abschnitt. |
20 | Longin im XLIV Abschn. |
21 | Medée Act. Sc. 1. |
22 | im X Absch. |
23 | Hoc admonere liceat veræ simplicitatis atque naturalis pulchritudinis exemplum ex eo (Sapphus Odario) capi posse et debere. Nam prosecto si quis tantum vocabula singula intelligat, nullo eget ad sensum interprete: adeo sunt emnia plana, verbisque ac formulis in vita communi obviis et juxta naturam usurpatis, descripta. Ipsæ Metaphoræ notissimæ sunt, sed verba illa vitæ communis rem clarissime significant; non enim circumloquendo hæc tam graviter dicere potuisset aut ulle modo assequi. Morus in Annot. ad Long. C. X. §. 2. |
24 | S. den Art. ⇒ Beywort auf der 168. S. |
25 | S. Winkelmanns Gesch. der Kunst II Th. S. 347 |
26 | VIII Absch. §. 1. |
27 | im XVI u. s. f. Abschnitten. |
28 | Spr. Sal. VIII 27-31. |
29 | Man sehe hierüber Lowths Vorlesungen über die Poesie der Hebräer in der XIII u. s. f. Lectionen. |
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