Angoulême [2]

[525] Angoulême (spr. anggulǟm'), 1) Charles de Valois, Herzog von, natürlicher Sohn Karls IX. und der Marie Touchet, geb. 28. April 1573, gest. 24. Sept. 1650, führte zuerst den Titel eines Grafen von Auvergne, ward 1580 Großprior von Frankreich und erhielt 1619 das Herzogtum A. Anfangs Anhänger Heinrichs IV., wurde er 1605 wegen einer Verschwörung gegen ihn zum Tode verurteilt, aber zu ewigem Gefängnis begnadigt und 1616 wieder in Freiheit gesetzt. Unter Ludwig XIII. belagerte er 1617 Soissons, ging 1620 als Gesandter zu Kaiser Ferdinand II., befehligte 1628 in La Rochelle und kämpfte in Languedoc, Deutschland und Flandern. Die »Mémoires du duc d'A.« (1662) beruhen nur teilweise auf seinen Mitteilungen.

2) Louis Antoine de Bourbon, Herzog von, geb. 6. Aug. 1775 in Versailles, gest. 3. Juni 1844 in Görz, ältester Sohn des Grafen Artois, nachherigen Königs Karl X., und Maria Theresias von Savoyen, folgte 1789 seinem Vater in das Exil nach Turin, stellte sich 1792 in Deutschland an die Spitze des Emigrantenkorps und begab sich nach dessen Auflösung nach Edinburg, darauf nach Blankenburg am Harz und endlich nach Mitau, wo er sich im Juni 1799 mit der einzigen Tochter Ludwigs XVI. vermählte. 1806 ging er nach dem Bourbonenasyl Schloß Hartwell in England. Als 1814 die Verbündeten in Frankreich einrückten, erschien er 2. Febr. im britisch-spanischen Hauptquartier zu St.-Jean-de-Luz und sammelte hier Anhänger des legitimen Königtums um sich, zog 12. März in Bordeaux ein und proklamierte Ludwig XVIII. als König. Sein Versuch, den nach Frankreich zurückgekehrten Napoleon aufzuhalten (April 1815), mißlang; er mußte nach Spanien fliehen. Nach Herstellung der Bourbonenherrschaft erhielt er 1823 den Oberbefehl zur Unterdrückung der spanischen Revolution, überschritt 6. April die Bidassoa und rückte 24. Mai in Madrid ein, ohne bedeutenden Widerstand gefunden zu haben. Vor Cadiz erstürmte er 30. Aug. den Trocadéro, wofür er zum Fürsten von Trocadéro ernannt wurde. Vergeblich bemühte er sich, den Rachetaten der spanischen Royalisten zu steuern. Nach der Thronbesteigung seines Vaters Karl X. (1824) war der beschränkte und heftige A. als »Dauphin« der geheime Protektor ultraroyalistischer Umtriebe. Infolge der Julirevolution entsagte A. mit seinem Vater 2. Aug. 1830 zu Rambouillet der Krone zu gunsten seines Neffen, des Herzogs von Bordeaux, begleitete Karl X. nach Holyrood, 1832 nach Prag und 1836 nach Görz, wo er als Graf von Marnes bis zu seinem Ende in Zurückgezogenheit lebte.

3) Marie Thérèse Charlotte, Herzogin von, Gemahlin des vorigen, Tochter Ludwigs XVI. und der Marie Antoinette, geb. 19. Dez. 1778 in Versailles, gest. 19. Okt. 1851 in Frohsdorf. Sie zeigte früh scharfen Verstand und Willenskraft. Im August 1792 mit im Temple eingekerkert und 1793 von ihrer Mutter getrennt, sah sie die Häupter ihrer Eltern und ihrer Tante Elisabeth fallen und hatte auch persönlich viel zu erdulden. Sie hinterließ über diese Ereignisse »Mémoire écrit par Marie-Thérèse-Charlotte de France für la captivité de ses parents« (Par. 1892) und »Journal de la duchesse d'A., 5 oct. 1789–2 sept. 1792« (beide hrsg. von Imbert de Saint-Amand, das. 1893). Am 19. Dez. 1795 gegen die von Dumouriez an die Österreicher ausgelieferten Deputierten zu Basel ausgewechselt, begab sie sich nach Wien. Dort verlobte sie Ludwig XVIII., dem sie mit Liebe und Treue anhing, mit dem Herzog von A., den sie 10. Juni 1799 in Mitau heiratete. Am 4. Mai 1814 zog sie mit Ludwig XVIII. in Paris ein. Bei der Rückkehr Napoleons war sie in Bordeaux und übernahm es, die Stadt in der Treue zu erhalten und Mittel zum Kriege zu schaffen; ihre Energie erkannte Napoleon an durch die Worte: »Diese Herzogin ist der einzige Mann der Familie Bourbon.« Während der Hundert Tage lebte sie wieder in England. Nach der zweiten Restauration verfocht sie bei aller persönlichen Versöhnlichkeit doch eifrig streng royalistische Grundsätze. Beim Ausbruch der Julirevolution ging sie nach England in ihre dritte Verbannung. An der Seite ihres Gemahls lebte sie später in Görz, zuletzt mit ihrem Neffen, dem Grafen von Chambord, dessen Erziehung sie leitete, auf ihrer Herrschaft Frohsdorf bei Wiener-Neustadt. Vgl. Imbert de Saint-Amand, La duchesse d'A. et les deux Restaurations (Par. 1887).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 525.
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