[413] Briefgeheimnis, der Rechtsschutz, den das Gesetz dem Absender oder Empfänger einer schriftlichen Mitteilung dadurch gewährt, daß es die vorsätzliche und unbefugte Eröffnung eines verschlossenen Briefes oder einer andern verschlossenen Urkunde, die nicht zur Kenntnisnahme des unbefugt Öffnenden bestimmt ist, mit Strafe (Geldstrafe bis zu 300 Mk. oder Gefängnis bis zu drei Monaten) bedroht (Reichsstrafgesetzbuch, § 299). Die Verfolgung tritt jedoch nur auf Antrag ein, und zwar des Absenders bis zur erfolgten Bestellung der betreffenden Postsendung, von da ab des Adressaten. Ferner wird das B. durch besondere Strafandrohungen gegenüber Post- und Telegraphenbeamten geschützt. Dieselben werden nach § 354ff. des Reichsstrafgesetzbuchs mit Gefängnis bestraft, wenn sie der Post anvertraute Briefe, Pakete oder Depeschen in andern als den im Gesetz vorgesehenen Fällen eröffnen oder unterdrücken, Depeschen verfälschen, von ihrem Inhalte Dritte rechtswidrig benachrichtigen oder einem andern wissentlich eine solche Handlung gestatten oder ihm dabei wissentlich Hilfe leisten. Neben der Gefängnisstrafe kann auf Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter auf die Dauer von ein bis zu fünf Jahren erkannt werden. Im übrigen können Verletzungen des Brief- und Telegraphengeheimnisses nur auf dem Disziplinarwege verfolgt werden. Den vorstehenden Bestimmungen liegt der durch das Reichspostgesetz von 1871 im § 5 aufgestellte Gedanke zu Grunde: »Das B. ist unverletzlich. Die bei strafrechtlichen Untersuchungen und in konkurs- und zivilprozessualen Fällen notwendigen Ausnahmen sind durch ein Reichsgesetz festzustellen«. Diese Ausnahmen sind in § 99ff. der Strafprozeßordnung für strafrechtliche Untersuchungen dahin geregelt, daß nur der Richter bei Gefahr in Verzug, und wenn die Untersuchung nicht bloß eine Übertretung betrifft, auch die Staatsanwaltschaft zu der Beschlagnahme von Postsendungen und Drahtnachrichten für den Beschuldigten befugt ist. Ebenso können auch solche Sendungen beschlagnahmt werden, die zwar nicht an den Beschuldigten gerichtet sind, bezüglich deren aber Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, daß sie von jeneni herrühren, an ihn gerichtet sind, oder daß ihr Inhalt für die Untersuchung von Wert ist. Im Konkursverfahren sind die Post- und Telegraphenanstalten verpflichtet, auf Anordnung des Konkursgerichts alle für den Gemeinschuldner einlaufenden Sendungen, Briefe und Depeschen dem Konkursverwalter auszuhändigen. Dieser ist zu ihrer Eröffnung berechtigt. Der Gemeinschuldner kann die Einsicht, und wenn[413] ihr Inhalt die Masse nicht betrifft, die Herausgabe verlangen. Auf Antrag des Gemeinschuldners kann das Gericht diese Anordnung jedoch aufheben oder beschränken (Konkursordnung, § 121). Währenddes Belagerungszustandes können auch die Militärbefehlshaber Postsendungen mit Beschlag belegen. Druckschriften können nach dem Preßgesetz (§ 23) unter Umständen auch ohne richterliche Anordnung beschlagnahmt werden. Beschädigte Sendungen können bei den Postanstalten und unbestellbare bei den Direktionen, bez. Oberpostämtern amtlich zum Zwecke der Feststellung ihres Inhalts, bez. ihres Absenders eröffnet werden. Die Zivilprozeßordnung hat keine Ausnahme von dem Grundsatz der Wahrung des Briefgeheimnisses zugelassen. Für Österreich ist ein besonderes Gesetz (vom 6. April 1870) zum Schutze des Briefgeheimnisses erlassen. Hiernach ist die absichtliche Verletzung des Geheimnisses der Briefe und andrer unter Siegel gehaltener Schriften durch widerrechtliche Eröffnung oder Unterschlagung derselben, insofern diese Verletzung nicht unter eine strengere Bestimmung des allgemeinen Strafgesetzes fällt (Verbrechen des Mißbrauchs der Amtsgewalt), als Übertretung zu ahnden. Diese Übertretung ist, wenn sie von einem Beamten oder Diener in Ausübung des Amtes oder Dienstes verübt wurde, mit Arrest bis zu sechs Monaten, sonst aber mit Geldstrafe bis zu 500 Gulden oder mit Arrest bis zu drei Monaten zu bestrafen. In Frankreich, dem Heimatlande der Cabinets noirs (s.d.), ist das B. wohl durch Art. 187 des code penal geschützt, der Schutz ist jedoch, wieder Fall Dreyfus gezeigt, ein sehr problematischer In England ist das B. seit 1837 gesetzlich geschützt und seit 1875 zum Postgeheimnis erweitert. Vgl. Kohler, Das Recht an Briefen (Berl. 1893).