Getreidebau

[759] Getreidebau (hierzu Tafeln »Getreide I-III«). Die Kultur der Getreidepflanzen gestaltet sich gegenüber der Kultur andrer Nutzpflanzen sehr einfach, die ihnen gewidmete Fläche erreicht daher besonders in unentwickelten Kulturgebieten die größte Ausdehnung. Manche Getreidearten stellen überdies sehr geringe Ansprüche an Klima und Boden, und bei ihrem geringen Wassergehalt (12–14 Proz.) ist der Transport auf weite Entfernungen sowie die Aufbewahrung ohne komplizierte Einrichtungen möglich. In Mitteleuropa werden als Hauptbrotfrüchte in größter Ausdehnung Weizen (Triticum sativum, turgidum, durum und vulgare, s. Tafel »Getreide I«, Fig. 2, 3 u. 4) und Roggen (Secale cereale, s. Tafel »Getreide I«, Fig. 1) kultiviert. Ungeachtet Weizen größere Ansprüche an Klima und Boden stellt, wird er selbst unter minder geeigneten Vegetationsverhältnissen dem Roggen vorgezogen, weil er eine wertvollere und für den Weltverkehr geeignetere Frucht liefert. In Süd- und Osteuropa sowie in Amerika gewinnt neben diesen beiden Winterhalmfrüchten der Anbau von Mais (Zea Mais, Tafel III, Fig. 7) die größte Bedeutung. Hafer (Avena sativa und A. sativa orientalis, Tafel II, Fig. 1–3) wird meist nur gebaut, um den Bedarf von Pferdefutter zu decken. Gerste (Hordeum sativum distichon, H. sativum vulgare, H. sativum zeocriton, H. sativum hexastichon, Tafel II, Fig. 4–7) erlangt dort größere Verbreitung, wo sich die Vegetationsverhältnisse für die Hervorbringung von Malzgerste eignen. Gegenüber dem Weizen werden Spelz (Spelt, Dinkel, Triticum sativum Spelta, s. Tafel »Getreide I«, Fig. 5), Emmer (Triticum sativum dicoccum, Tafel I, Fig. 6) und Einkorn (Triticum monococcum, Tafel I, Fig. 7) in Europa gegenwärtig nur strichweise gebaut. Weizen (s. Landbauzonen) bildet einen breitern Gürtel als Roggen und wird als vorherrschende Frucht im mittlern und südlichen Frankreich, in England, einem Teil von Deutschland, Ungarn, den südlichen Donauländern, in der Krim, in den Kaukasusländern und im mittlern Asien, am Kap, in Chile und Buenos Aires gebaut. An der Nordgrenze seines Gebiets ist er mit Roggen, an der Südgrenze mit Reis und Mais vergesellschaftet. Einer noch weit größern Menge von Menschen dient aber Reis (Oryza [759] sativa, Tafel III, Fig. 1) zur Nahrung. In Hinterindien und auf den Sundainseln heimisch, hat er sich über Süd- und Ostasien, Arabien, Persien und Kleinasien verbreitet und ist von da nach Nordafrika, Ägypten, Nubien, Griechenland und Italien, in der neuesten Zeit auch nach Amerika vorgedrungen; die afrikanischen und amerikanischen Tropenländer kultivieren ihn jedoch weniger ausschließlich als Indien. Den Mais (Zea Mais, Tafel III, Fig. 7) fanden die Europäer bei der Entdeckung Amerikas in Kultur vor, und noch heute ist er in Peru, Mittelamerika und Mexiko Volksnahrungsmittel. In Europa verbreitete er sich erst seit dem 17. Jahrh. An der Westküste Afrikas ist seine Kultur auf die Tropen beschränkt, während sie nördlicher in allen Mittelmeerländern zu Hause ist. Die gemeine Hirse (Panicum miliaceum, Tafel III, Fig. 3), aus Ostindien stammend, steht in ihrer Verbreitung dem Reis wenig nach, und in China ist ihre Kultur uralt. Auch die Kolbenhirse (Fennich, Setaria italica, Tafel III, Fig. 2), gegenwärtig im südlichen, hier und da auch im mittlern Europa gebaut, ist ostindischer Abkunft. Von geringerer Bedeutung ist die europäische Bluthirse (Panicum sanguinale, Tafel III, Fig. 4), die auf magerm, sandigem Boden gebaut wird. Als Charakterpflanze Afrikas ist die Mohrenhirse (Sorghum vulgare, Tafel III, Fig. 5) zu betrachten. Sie kam zu Plinius' Zeiten nach Europa. Afrika erhielt sie mit dem Reis durch die Araber; sie wird dort an der Ost- und Westküste, in der Nordhälfte bis Timbuktu und in Abessinien angebaut, außerdem in Ungarn, Dalmatien, Italien, Portugal. Von andern Brotfrüchten sind zu erwähnen: Negerhirse (Pennisetum typhoideum, Tafel III, Fig. 6), die in Afrika heimisch, dort von Senegambien bis Abessinien, von der Nordküste bis Mosambik, auch in Ostindien, Arabien und in beschränktem Maß in Spanien gebaut wird, Tef (Eragrostis abessinica, Tafel III, Fig. 9), in den abessinischen Gebirgen, der das Lieblingsbrot der Abessinier liefert, die aus Ostindien stammende, gleichfalls in Abessinien kultivierte Eleusine Tocusso und die in Ostasien vielgebaute Korakan oder Dagussa (Eleusine coracana, Tafel III, Fig. 8). Aus Ostindien stammend, hat sich über Ägypten und die angrenzenden Länder die Perlhirse (Dochen, Penicillaria spicata) verbreitet und bildet in manchen Gegenden das Hauptnahrungsmittel. Auch Glyceria fluitans, einige Bromus-Arten und Coix lacryma sind unter den Zerealien zu erwähnen, sowie Buchweizen, Quinoa (Chenopodium Quinoa), die seit uralter Zeit in Neugranada, Peru und Chile kultiviert wird, und Amaranthus frumentaceus auf den Bergabhängen von Maissur und Koimbatur. – Das Getreide bedarf zu seiner Entwickelung einer gewissen Quantität Wärme, die sich auf einen längern oder kürzern Zeitraum verteilen darf, sobald nur gewisse Grenzen nicht überschritten werden. Die Vegetationsdauer und die mittlere Wärmesumme (Zahl der Vegetationstage multipliziert mit der Zahl der mittlern Tagestemperatur) betragen unter 48–50° nördl. Br.:

Tabelle

Reis wird im Sumpf gebaut, Mais liebt trocknes Kontinentalklima; Weizen verlangt bindigen, frischen, Roggen lockern, warmen und trocknen Boden, Gerste in gutem Kulturzustand befindlichen Lehm- oder Lehmmergelboden. Hafer nimmt mit den geringern Bodenarten vorlieb und eignet sich wie Roggen für Neubruch oder Rodeland. Der Buchweizen gedeiht am besten auf leichten, sandigen Bodenarten. Reis und Mais sind einjährig; die andern Getreidearten kommen auch als Winterfrucht vor, doch Gerste bloß in Frankreich und Süddeutschland, Hafer nur selten. Weizen erhält in der Fruchtfolge den besten, unkrautfreien Platz, meist nach bebauter Brache, Grünfutter oder Klee, Roggen einen ähnlichen Standort, Gerste nicht abgetragenes Land, gewöhnlich nach gedüngter Hackfrucht, Hafer als abtragende Frucht den geringsten Platz, Mais wird meistens zwischen zwei Halmfrüchte gestellt, Buchweizen als Stoppelfrucht nach der Getreideernte gebaut. Der Acker ist zu Weizen rein vorzubereiten, aber nicht zu stark zu pulvern, zu Roggen dagegen öfter zu pflügen, je gebundener der Boden ist, Gerste verlangt reines, Feingekrümeltes Land, Hafer ist mit Bezug auf die Bodenvorbereitung wenig anspruchsvoll, Mais lohnt Tiefkultur. Frische Stallmistdüngung befördert bei Getreide, besonders in feuchten Lagen, die Bildung von Lagerfrucht, der hartstengelige Mais erweist sich jedoch für Stallmistdüngung sehr dankbar. Von Kunstdüngern werden nach stickstoffsammelnden Erbsen und Kleearten phosphorsäurereiche, wie Superphosphat, Knochenmehl, nach stickstoffzehrenden Kartoffeln, Rüben, Getreide stickstoff- und kalireiche, wie Chilisalpeter, Kalisalze, verwendet. Der Chilisalpeter dient übrigens auch als Kopfdüngung zur Aushilfe von schwach durch den Winter gekommenen Getreidesaaten. Zur Saat soll stets frischer, unkrautfreier, schwerer Same genommen werden, der entweder breitwürsig ausgestreut oder besser auf 10–16 cm Entfernung gedrillt wird. Im Frühjahr sind die Wintersaaten abzueggen oder, wenn sie aufgefroren sind, anzuwalzen, bei zu üppigem Stande sind die Saaten zur Verhütung von Lagerfrucht im Herbst oder Frühjahr zu schröpfen oder abzuweiden. Sortengetreide wird zuweilen wetter (auf 20–26 cm Entfernung) gedrillt, um während der Vegetation den Boden behacken zu können. Desgleichen wird der Mais, der mit der Hand, der Drill- oder Dibbelmaschine auf 50–63–80 cm Entfernung gebaut wird, als Hackfrucht 1–2mal behackt und schließlich angehäufelt.

Die Zahl der tierischen Schädlinge ist sehr groß; zu den schädlichsten gehören: die Drahtwürmer (Agriotes segetis), die Engerlinge (Melolontha vulgaris), die Heffenfliege (Cecidomyia destructor), die Fritfliege (Oscinis Frit), die Haferfliege (O. pusilla), das Grünauge (Chlorops taeniopus), die Wintersaateule (Agrotis segetum), die Ackerschnecke (Limax agrestis), die Weizenälchen (Anguillula tritici) etc. Vgl. Artikel und Tafeln »Landwirtschaftliche Schädlinge«. Von Schmarotzerpilzen schädigen die Getreideernten besonders Weizensteinbrand (Tilletia Caries), Flugbrand (Ustilago Carbo), Rostpilze (Puccinia graminis, P. straminis und P coronata), Mutterkorn (Claviceps purpurea).

Die Ernte (s.d.) des Getreides findet in der Gelbreife statt, und zwar wird zumeist vor allem der Winterroggen, dann der Winterweizen, die Sommergerste und zuletzt der Hafer mit der Sense oder Getreidemähmaschine geschnitten. Beim Mais werden Mitte September bis Anfang Oktober die Lieschen geschlitzt[760] und die Kolben ausgebrochen, die über Winter unter Fach oder in eignen Trockenhäusern (Csardaken) aufbewahrt und im Frühjahr mit der Hand oder besondern Maisentkörnungsmaschinen abgerebbelt werden. Die sehr schwankenden Saat- und Erntemengen betragen auf einen Hektar bei:

Tabelle

Bei nahezu gleicher Anbaufläche ist der Ernteertrag der wichtigsten Getreidearten in den letzten Jahrzehnten beträchtlich gewachsen. Die Anbaufläche ist bei Roggen von 1885–98 von 5,842,000 Hektar auf 5,945,000, also nur um etwa 100,000 Hektar, bei Weizen von 1,919,000 auf 1,969,000, also um 50,000 Hektar gewachsen. Der Ernteertrag dagegen ist von 1886–90 bis 1896–98 gestiegen beim Roggen von 5,845,000 auf 7,233,000, also um 1,388,000, beim Weizen von 3,052,000 auf 3,769,000, also um 717,000 Ton. Dem Werte nach ist der Ertrag beim Roggen von 836 auf 942, beim Weizen von 531 auf 629 Mill. Mk. bei nicht nennenswert vergrößerter Anbaufläche gewachsen. In der Regel werden in ozeanischen Gebieten, wie England und Frankreich, überhaupt Mitteldeutschland Mißernten oder zum mindestens Ertragsausfälle durch zu hohe Niederschlagsmengen über das durchschnittliche Jahresmittel, dagegen in kontinentalen Gebieten, wie im Innern der Vereinigten Staaten von Nordamerika, in Ungarn, Rußland, durch dürre Perioden verursacht. S. Getreidehandel etc.

Für Saatgetreide wird stets nur eine Sorte rein ausgesät, für Marktgetreide können jedoch außer Reinfaalen auch Mengsaaten ausgeführt werden. Gemengt angebaut werden entweder verschiedene Sorten Einer Fruchtart, oder Gemenge verschiedener Getreidearten untereinander oder mit Hülsenfrüchten und gleichzeitig abgeerntet. Bei richtiger Wahl geben Mengsaaten, welche die jeweiligen Vegetationsverhältnisse besser auszunutzen vermögen, reichere Erträge als Reinsaaten. Am häufigsten wird Weizen und Roggen als Halbfrucht (Mengkorn, Gemengkorn) angebaut in Lagen, die für Weizen nicht sicher genug sind. Aus demselben Grunde wird Roggen-Spelz, Linsen-Spelz, Linsen-Roggen, Erbsen-Roggen, Winterwicken-Roggen, Gerste-Sommerroggen, Hülsenfrucht-Gerste, Hülsenfrucht-Hafer (Rauhfutter, Rauhzeug) angebaut. Über die Züchtung neuer besserer Getreidesorten s. Getreidesamenzucht. Vgl. Krafft, Die Pflanzenbaulehre (7. Aufl., Berl. 1902); Körnicke und Werner, Handbuch des Getreidebaues (Bonn 1885, 2 Bde.); Nowacki, Anleitung zum G. (3. Aufl., Berl. 1899); Vilmorin-Andrieux u. Komp., Les meilleurs blés (Par. 1881); Wollny, Die Kultur der Getreidearten (Heidelb. 1887); Kirchner, Die Getreidefeinde, ihre Erkennung und Bekämpfung (Stuttg. 1903).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 759-761.
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