[723] Noailles (spr. noáj'), sehr altes franz. Adelsgeschlecht, das aus der Provinz Limousin stammt und seinen Namen von einer 1663 zum Herzogtum erhobenen Herrschaft bei Brives im Depart. Corrèze erhielt, in deren Besitz es schon 1023 war. Namhaft sind:
1) Antoine de, geb. 4. Sept. 1504, gest. 11. März 1562, bekleidete die Würde eines Admirals von Frankreich, schloß mit England den Waffenstillstand von Vaucelles 1556 ab und wurde Gouverneur von Bordeaux. Seine Brüder François (151985) und Gilles (15241600) waren Bischöfe von Dax, daneben aber auch ausgezeichnete Diplomaten und Gesandte in Venedig, London, Rom und Konstantinopel. Vgl. Vertot, Négociations des frères N.en Angleterre (Par. 1763); »Lettre inédites de François de N.« (das. 1866).
2) Anne Jules, Herzog von, Marschall von Frankreich, geb. 5. Febr. 1650, gest. 2. Okt. 1708, befehligte 1680 in Flandern, 1689 in Roussillon gegen die Hugenotten, gegen die er große Milde und Versöhnlichkeit bewies, und 169094 in Katalonien, wo er 27. Mai 1694 die Schlacht am Ter gewann; später fiel er um seines Bruders (s. Noailles 3) willen in Ungnade beim König.
3) Louis Antoine de, Kardinal und seit 1695 Erzbischof von Paris, Bruder des vorigen, geb. 27. Mai 1651, gest. 4. Mai 1729, zeichnete sich durch seinen freien kirchlichen Standpunkt aus. Als er dem Jansenisten Quesnel (s. d.) seinen Schutz zuwandte und sich an der neuen Ausgabe des Neuen Testaments beteiligte, ward er von den Jesuiten verfolgt, verstand sich aber erst 1728 zur Unterzeichnung der gegen ihn erwirkten Bulle »Unigenitus«. Sein Appellationsinstrument gab Heineccius mit Anmerkungen heraus (Halle 1718). Vgl. E. de Barthélemy, Le cardinal de N. (Par. 1887).
4) Adrien Maurice, Herzog von, Marschall von Frankreich, ältester Sohn von N. 2), geb. 29. Sept. 1678, gest. 24. Juni 1766, befehligte im Spanischen Erbfolgekrieg ein französisches Armeekorps in Spanien, eroberte 1710 Gerona und wurde 13. Febr. 1711 von Philipp V. zum spanischen Granden erhoben. Während der Regentschaft des Herzogs von Orléans an die Spitze des zerrütteten Finanzwesens gestellt, griff er zu den gewaltsamen Maßregeln der alten Finanzmänner, mußte endlich als Gegner des Schotten Law 1718 seine Stelle an d'Aguesseau abtreten und zog sich ins Privatleben zurück. Erst 1733 im Polnischen Erbfolgekrieg erhielt er wieder ein Kommando am Rhein nebst dem Marschallstab. 1735 vertrieb er an der Spitze der sardinischen Truppen die Kaiserlichen aus Italien. Im Österreichischen Erbfolgekrieg erlitt er bei Dettingen 27. Juni 1743 von der pragmatischen Armee eine Niederlage, vertauschte darauf sein Kommando mit einer Anstellung im Staatsrat und brachte die Leitung aller auswärtigen Verhältnisse in seine Hand. 1746 übernahm er eine Sendung an den spanischen Hof, den er wieder mit [723] Frankreich aussöhnte. Seit 1755 lebte er in der Zurückgezogenheit. Einen Auszug aus seinen »Mémoires« gab Millot (Maastricht 1777) heraus; die »Correspondance de Louis XV et du maréchal de N.« veröffentlichte Rousset (Par. 1865, 2 Bde.). Sein ältester Sohn, Louis, Herzog von N., geb. 21. April 1713, gest. 22. Aug. 1793, erhielt für die in mehreren Feldzügen in Flandern und Deutschland geleisteten Dienste 1775 den Marschallstab und wurde Gouverneur von St.-Germain; er ist der Stammvater der noch blühenden ersten Linie der Herzoge von N. Seine Gattin, geborne Cossé-Brissac, endete 70jährig mit vielen Gliedern ihrer Familie 22. Juli 1794 auf dem Schafott.
5) Paul, Herzog von, geb. 4. Jan. 1802, gest. 30. Mai 1885, erbte 1824 die Titel und Pairie seines Großoheims Louis François Paul, Herzogs von N. (17391824), trat 1827 in die Pairskammer und zählte zu den Legitimisten. Auch als Geschichtschreiber machte er sich bekannt und wurde 1849 zum Mitglied der Akademie erwählt. Er schrieb eine »Histoire de Madame de Maintenon« (Par. 184858, 4 Bde.) und »Histoire de la maison de St-Cyr« (1843, 2. Aufl. 1856). Sein ältester Sohn, Herzog Jules, geb. 12. Okt. 1826, gest. 7. März 1895, war als ökonomischer Schriftsteller tätig und hinterließ zwei Söhne, von denen Adrien-Maurice, Herzog von N. (geb. 1869), das gegenwärtige Haupt dieses Familienzweiges ist, und drei Töchter. Der zweite Sohn von N. 5), Emmanuel, Marquis de N., geb. 15. Sept. 1830, ward 1872 französischer Gesandter in Washington, 1873 Botschafter in Rom, 1882 in Konstantinopel und nahm 1886 seinen Abschied. 18961902 war er wieder Botschafter in Berlin. Er machte sich durch Werke über Polen bekannt (»La Pologne et ses frontières«, 1863; »La poésie polonaise«, 1866; »Henri de Valois et la Pologne en 1572«, 1867, 3 Bde.).
6) Philippe de N., Herzog von Mouchy, Stifter der jüngern Linie N. Mouchy, zweiter Sohn von N. 4), geb. 27. Nov. 1715, gest. 27. Juli 1794, erhielt, nachdem er in der Schlacht von Fontenoy (1745) und in mehreren Feldzügen in Deutschland mitgekämpft, 30. März 1775 den Marschallstab und starb zugleich mit seiner Gemahlin Louise, der Erbin des Hauses Arpajon, unter der Guillotine. Sein zweiter Sohn, Louis, Vicomte de N., geb. 17. April 1756, gest. 9. Jan. 1804 in Havana, nahm an Lafayettes Expedition nach Amerika teil, schloß sich mit Begeisterung der Sache der Revolution an, war eins der ersten Mitglieder des Adels, die zur Nationalversammlung übertraten, beantragte 4. Aug. 1789 die Abschaffung der Feudalrechte, verließ aber nach Errichtung der Republik Frankreich und kehrte erst unter dem Konsulat dahin zurück. Er ging darauf als Brigadegeneral nach Haïti, verteidigte es tapfer gegen die Engländer und starb an seinen Wunden.
7) Antoine von N., Herzog von Mouchy, Fürst und Herzog von Poix, gegenwärtiges Haupt dieses Familienzweigs, geb. 19. April 1841, seit 18. Dez. 1865 vermählt mit der Prinzessin Anna Murat, ist einer der offensten und eifrigsten Bonapartisten und gehörte zu deren Partei sowohl in der Nationalversammlung als seit 1876 in der Deputiertenkammer.