Haïti

[634] Haïti (Hayti, mit dem spanischen, in der Handelswelt gebräuchlichern Namen Santo Domingo, früher auch Hispaniola genannt), nächst Cuba die größte, reichste und schönste der Großen Antillen (s. d. und Karte »Westindien«), zwischen 17°37´ (Kap Beata) bis 19°57´ nördl. Br. (Kap Isabela) und 68°21´ (Kap Engaño) bis 74°30´ westl. L. (Kap les Irois), bis 638 km lang und 264 km breit, enthält mit den kleinen Nebeninseln Tortuga, Gonave, Beata, Saona etc. 77,253 qkm mit 1,9 Mill. Einw. Im O. wird H. durch die 110 km breite Monadurchfahrt von Puerto Rico, im W. durch den Kanal von Jamaika (Windwardpassage) von Cuba (87 km) und Jamaika (185 km) getrennt. Durch die nach einer eingelagerten Nebeninsel benannte große Bucht von Gonave gliedert sich H. im W. in zwei Halbinseln, von denen die kürzere (90 km) nordwestliche gegen Cuba gerichtet ist und in dem Kap à Foux endigt, die schmälere und längere (230 km) südwestliche aber auf Jamaika weist und in die Vorgebirge von Dame Marie und Tiburon ausläuft. Ebenso schneidet die nahezu in Rechteckform von O. her eingreifende Samanabucht eine schmale Nordosthalbinsel von dem Hauptkörper der Insel ab, die Bucht von Neiba im S. aber eine breite, unvollkommene Südhalbinsel. Als Naturhäfen sind der durch Korallenbänke geschützte Golf von Port-an-Prince sowie die Bucht von Gonaives im W., die Buchten von Azul, Kap Haïtien, Liberté, Puerto Plata, Santa Barbara im N., von Santo Domingo (die Ozamamündung), Jacmel, Aquin und Au Cayes im S. wichtig. – H. ist sehr gebirgig und bildet den Kern der Antillenkordillere (s. Westindien). Das Hauptgebirge, in seinem höchsten Teile Cibaogebirge genannt und im Monte Entre los Rios 2440 m, im Pico de Yaqui 2955 m, im Loma Tina 3140 m hoch, durchzieht die Insel vom Kap à Foux bis zum Kap Engaño, so daß die Sierra Maestra auf Cuba als seine westliche, die Kordillere von Puerto Rico als seine östliche Fortsetzung erscheint. Nördlich davon liegt die vom Yaqui und Yuna bewässerte, bis auf die Stein schotterstrecke Despoplado sehr fruchtbare Talebene von Santiago (die »Vega Real«) und jenseit derselben das nördliche Küstengebirge: die Sierra de Monte Cristi, im Diego de Campo 1220 m hoch und im Kap Samana endigend. Eine andre hohe Parallelkette, im Mont la Hotte 2225 m und Mont la Selle 2712 m, begleitet das Cibaogebirge im S., von dem Kap Dame Marie bis zur Bucht von Neiba und in der Verlängerung der Blue Mountains von Jamaika. Dazwischen liegt ein merkwürdiges abflußloses Längstal mit den beiden Salzseen Laguna del Fondo und de Enriquillo. Die ausgedehnten Talebenen am Artibonite, an der Rivière Blanche, am Rio Ozama u. a. sind z. T. von Savannen eingenommen. Außerordentlich fruchtbar sind aber zahlreiche kleinere Flußtäler. Artibonite und Yuna sind in ihren Unterläufen schiffbar. Im Cibaogebirge sind Granit, Syenit, Glimmer- und Chloritschiefer, Quarzit, Diabas, Diorit weitverbreitete Gesteine sowie daneben frühtertiärer, an Fossilien reicher Kalkstein, Sandstein und Konglomerat. Die Fußhügel begleiten z. T. mächtige junge Flußschotteranhäufungen, die Gold führen. In den Küstengebirgen findet sich junger Korallenkalk und Muschelbreccie in beträchtlicher Höhe, die Hauptbergmassen bestehen aber auch aus frühtertiärem Kalkstein und cretazeïschem Konglomerat sowie aus Schiefer und Quarzit mit Kupfer-, Silber- und Eisenerzlagerstätten (bei Puerto Plata, Yasica). Auch Steinsalz, Braunkohle und Petroleum (bei Azua) kommen vor. Während der Goldseifenabbau in der Zeit von Petrus Martyr hoch im Schwange stand, liegt das gesamte Bergwesen gegenwärtig beinahe gänzlich danieder. Das Klima ist heiß und feucht, auf den Bergen herrscht ein ewiger Frühling. Jahrestemperatur in Port-an-Prince: 26,0°, kältester Monat 24,4°, wärmster (Juli und August) 27,7°, mittlere Jahresextreme 31,6° und 21,2° (absolute 38° und 13,6°). Regenmenge 156 cm. Große Trockenzeit von November bis März, Hauptregenzeit April und Mai, kleine Trockenzeit (nur verhältnismäßig trocken) Juni und Juli, von August bis Oktober kleinere Regenzeit, regelmäßige Gewitter von Mai bis Oktober (115 Gewitter-[634] und 153 Regentage). Feuchter ist die dem Passatwind unmittelbar ausgesetzte Nordküste, an der die Regenzeit von Dezember bis April, die Trockenzeit von Mai bis September dauert und Kap Haïtien 325, Sanchez 206 cm Regenhöhe verzeichnet. An der Südküste treten im Sommer heftige Orkane auf. In seinem Vegetationscharakter weicht H. nicht sehr von den übrigen Antillen ab (vgl. Cuba und Jamaika). Waldungen, reich an tropischen Formen, bekleiden die Insel bis zum Gipfel der Berge. Aromatische Croton-Arten, Kakteen, Mimosen und Guavensträucher wachsen auf den felsigen Boden der dürren, vom Passatwinde nicht getroffenen Bergabhänge, die reicher befeuchteten Hänge und Täler tragen Baumwollbäume (Eriodendron anfractuosum), Königspalmen (Orcodoxa regia), Fächerpalmen (Sabal umbraculifera), Mahagoni (Swietenia mahagoni), Flammenbäume (Poinciana regia) und zahlreiche Arten vom Lorbeer- und Oleandertypus, untermischt mit Schlingpflanzen, Epiphyten u. dgl. Der über 1200 m sich erhebende Bergwald ist durch Farnbäume charakterisiert sowie durch große Bestände der Antillenkonifere Pinus occidentalis. Die eigentliche Hochgebirgsregion zwischen 2300 und 2900 m trägt Erikazeen und Stauden des amerikanischen Festlandes. In seiner Tierwelt ähnelt H. Cuba; von einheimischen Säugetieren finden sich aber nur Fledermäuse, Nager, darunter eine Art Aguti (Dasyprocta), und der auch auf Cuba heimische merkwürdige Spitzrüßler (Solenodon), der seine nächsten Verwandten in Madagaskar hat, während diese Form der Insektenfresser in Amerika sonst völlig fehlt. Unter den Eidechsen ragt eine auf H. beschränkte riesige Baumiguane (Metopoceros cornutus) hervor. Seen und Flüsse sind von Kaimans belebt, die Küsten von Krabben und Schildkröten. Moskitos sind zahlreich.

In politischer Hinsicht teilt sich H. in zwei selbständige Republiken: die Negerrepublik Haïti und die Dominikanische Republik. Über letztere vgl. den besondern Artikel (Bd. 5, S. 100).

Die Negerrepublik Haïti umfaßt die kleinere westliche Hälfte der Insel, 28,676 qkm mit (1901) 1,3 Mill. Einw. (9/10 Neger, der Rest Mulatten und wenige Weiße). Die Städte liegen meist an der Küste, während die Binnenlandbevölkerung vorwiegend in verstreuten Hütten wohnt. Umgangssprache ist das Französische, Staatsreligion die katholische, mit dem Metropolitan in Port-an-Prince, einem Bischof in Kap Haïtien, doch werden alle andern Religionsbekenntnisse geduldet. Englische und amerikanische Missionare sind mit wenig Erfolg tätig. Der »Vaudou« genannte Geheimkultus der zum großen Teil in ihr altes Heidentum zurückgefallenen Neger ist ein Mischding von Fetischglauben und katholischem Christentum, mit eignen Priestern (Papa loi), nächtlichen Orgien, Schlangenverehrung, Tier- und gelegentlichen Menschenopfern etc. Das Schulwesen steht auf niedriger Stufe, obschon es 1888: 606 Nationalschulen (110 für Mädchen) und 24 Privatschulen (16 für Mädchen) gab. Die Schulbevölkerung schätzt man auf 35,000. Von höhern Lehranstalten bestehen 5 Lyzeen, eine medizinische und eine Rechtsschule. Die Presse ist durch 27 Zeitungen vertreten. Der primitiv betriebene Landbau erzeugt namentlich Kaffee, Kakao, Zuckerrohr, Tabak, Baumwolle, Reis, Bohnen, Erbsen, Maniok, Yams, Bataten. Wein kommt nur als Schattenpflanze vor. Die Viehzucht ist unbedeutend, doch sind Rinder und Schweine, auch verwilderte, zahlreich. Die Forstwirtschaft der an Farb-, Bau- und Schmuckhölzern reichen Wälder ist ganz vernachlässigt, die jährliche Ausfuhr beträgt 300,000 Doll. Noch schlechter steht es mit dem Bergbau. Schwefelhaltige Thermalquellen sind zahlreich. Neben den metrischen Maßen und Gewichten bestehen noch altfranzösische und englische: die Anna und das Yard, 1 Caballeria zu 10 Carreaux = 12,926 Hektar, 1 Gallon zu 2 Pots = 3,725 Lit., der Quintal = 48,95 kg., Grundlage der Landeswährung ist nach einem Gesetze vom 28. Sept. 1880 die Gourde oder der Dollar zu 100 Centimes = 4,05 Mk. Gold wie Silber; aber diese Währung wird einesteils durch Noten der Nationalbank, andernteils durch nordamerikanisches Kleingeld vertreten. Die Industrie ist äußerst gering. Der Handel, der nach Aufhebung der Sklaverei mit der Produktion gewaltig fiel, hat sich in den letzten Jahren gehoben; 1901 betrug die Einfuhr 5,5 Mill., die Ausfuhr 12,76 Mill. Doll. (58,1 Mill. Pfd. Kaffee, 4 Mill. Pfd. Kakao, 2,2 Mill. Pfd. Baumwolle, Mahagoni, Häute, Honig, Wachs, Gummi). Dem auswärtigen Handel geöffnet sind: Port-au-Prince, Jacmel, Kap Haïti, Gonaïves, Petit-Goave, St. Marc, Aux Cayes, Jérémie, Port-de-Paix, Miragoane und Aquin. In dem Haupthafen Port-au-Prince verkehrten 1900: 183 Schiffe von 285,092 Ton., in Aux Cayes 1901: 166 Schiffe von 191,240 T. und in Kap Haïtien 1901: 169 Schiffe von 187,867 T., vor allem mit Hamburg und New York. Eine einzige 16 km lange Eisenbahn führt von Kap Haïtien nach Grand Rivière; unterseeische Kabel verbinden Le Mole-St.-Nicolas mit Puerto Plata (Dominikanische Republik) und Santiago de Cuba. Die Post beförderte 1887 durch 31 Ämter 306,043 Briefe und Postkarten und 174,853 Drucksachen und Warenproben. Nach der Verfassung vom 9. Okt. 1889 steht an der Spitze der Verwaltung ein von den beiden zur Nationalversammlung vereinigten Kammern auf 7 Jahre gewählter Präsident, dem fünf Minister zur Seite stehen. Der Senat zählt 39 auf 6 Jahre teils vom Hause der Gemeinen gewählte, teils vom Präsidenten ernannte Mitglieder, die sich je zu einem Drittel alle 2 Jahre ergänzen, das Haus der Gemeinen 95 direkt von allen 21 Jahre alten Einwohnern auf 3 Jahre gewählte Abgeordnete. Weiße sind den drückendsten Beschränkungen (Verbot des Grundbesitzes, hohe Steuern etc.) ausgesetzt. Für die Rechtspflege bestehen ein Kassationstribunal in Port-an-Prince, 6 Bezirksgerichte und 5 Handelstribunale. Zu Verwaltungszwecken wird der Staat in 5 Departements eingeteilt. Hauptstadt ist Port-au-Prince. Die Finanzen, früher in jämmerlichem Zustand, haben sich etwas gebessert. Nach dem Budget für 1901/02 betrugen die Einnahmen (Ein- und Ausfuhrzölle) 4,409,318 Doll. Papier und 2,917,435 Doll. Gold, die Ausgaben 4,422,816 Doll. Papier und 2,918,490 Doll. Gold; die öffentliche äußere Schuld 12,567,964 Doll., die innere Schuld 4,737,783 Doll. Papier und 10,655,502 Doll. Gold. Die Armee ergänzt sich durch Konskription (7 Jahre) und Freiwillige (4 Jahre) und zählt 6828 Mann (darunter 650 Garde mit 10 Generalen, 1978 Gendarmen). Die Seemacht besteht aus 3 eisernen Schraubendampfern und einem Stahlkanonenboot. Das Wappen zeigt eine mit der Freiheitsmütze besteckte Palme hinter und zwischen Fahnen, Kanonen und sonstigen militärischen Emblemen. Auf dunkelrotem Bande die Devise: L'UNION FAIT LA FORCE (s. Tafel »Wappen III«, Fig. 3). Die Landesfarben sind Blau, Rot. Die Flagge s. auf Tafel »Flaggen I«.[635]

[Geschichte.] H. (»Bergland« in der Sprache der Ureinwohner) wurde 6. Dez. 1492 von Christoph Kolumbus entdeckt und Española (»Kleinspanien«) genannt. Die Insel war damals von einem harmlosen Indianervolk bewohnt, das unter einer Menge kleiner Häuptlinge oder Kaziken stand. Nach Gold forschend, besuchte Kolumbus verschiedene Küstenplätze und errichtete in der Nähe von Punta Santa ein kleines Fort, La Navidad, worin er eine Besatzung von 40 Mann zurückließ. Bei seiner Rückkehr nach H. 28. Nov. 1493 fand er jedoch das Fort in Trümmern. Die Spanier legten darauf im Osten des Kap Monte Cristo die Stadt Isabella an, von wo aus sie sich in den Besitz der reichen Goldminen von Cibao setzten. Bald darauf entstand an der Mündung des Flusses Ozama eine neue Stadt, Santo Domingo, welche die Hauptstadt der Insel wurde und derselben später ihren Namen gab. Die Insel, deren Goldminen anfangs durch Eingeborne, dann durch Kariben von den Bahamainseln, nach 1528 auch durch sächsische Bergleute und schließlich durch afrikanische Negersklaven betrieben wurden, war im 16. Jahrh. der Mittelpunkt des spanischen Kolonialreiches, der Sitz der ersten Vizekönige und der obersten Behörden. Im 17. Jahrh. sank ihre Bedeutung, besonders war für das Gedeihen der Kolonie die Festsetzung der Bukanier oder Flibustier (s. d.) auf der Insel Tortuga (1630) sehr nachteilig. Zwar wurden sie endlich von da vertrieben, aber ein vorwiegend aus Franzosen bestehender Überrest derselben siedelte sich als Pflanzer auf der menschenleeren Nordküste von H. an und stellte sich unter den Schutz Frankreichs, das im Frieden von Rijswijk 1697 den ganzen westlichen Teil der Insel abgetreten erhielt. Dieser, Saint-Domingue genannt, entwickelte sich durch die rastlose Tätigkeit der Franzosen im Plantagenbau zu hoher Blüte und zählte 1788 auf 28,000 qkm 455,089 Einw. (27,717 Weiße, 21,808 Farbige und 405,564 Sklaven), während der spanische Teil 1790 auf 45,000 qkm 125,000 Einw., darunter nur 15,000 Sklaven, zählte.

Während in dem spanischen Anteil, wo vorwiegend Viehzucht betrieben wurde, Weiße und Farbige gleiche Rechte genossen und die Sklaven patriarchalisch wohlwollend behandelt wurden, führte der Plantagenbetrieb im französischen H. zu scharfen Gegensätzen. Nur die Weißen waren im Besitz aller Rechte, die Farbigen, obwohl sich reiche und angesehene Männer unter ihnen befanden, waren fast rechtlos: beiden gegenüber stand eine achtfache Übermacht von Negersklaven, die nur durch brutale Strenge niedergehalten wurden. Schon vor der französischen Revolution strebten die Farbigen nach Gleichstellung, die »Freunde der Schwarzen« nach Verbesserung der Lage der Sklaven; doch führte erst die schwankende Politik der gesetzgebenden Versammlungen zu ernstlichen Unruhen. 1790–91 erhoben sich die Neger unter Ogé im Norden, wurden aber rasch wieder unterworfen. Erst als Royalisten und Republikaner unter den Kreolen sich befehdeten, wiederholten sich im August 1791 die Negerausstände und führten mit Hilfe der Spanier zur Losreißung der nördlichen Bezirke unter Jean François und Jean Biassou. Auch der Süden erhob sich, dort aber standen die Farbigen an der Spitze; ihr Führer, André Rigaud, verständigte sich mit den Behörden, nachdem der Konvent zum dritten Male die Gleichstellung der Farbigen mit den Weißen ausgesprochen. Nun rebellierten aber die Kreolen und bedrohten die Behörden von Süden und Osten her mit Hilfe Englands. Aus dieser Not suchte der Gouverneur Rettung, indem er, um die Schwarzen für sich zu gewinnen, die Sklaverei aufhob. Der Norden zwar beharrte auch jetzt in seinem Widerstande, dagegen scharte sich eine loyale Negerpartei um Toussaint l'Ouverture, und dessen Feldherrngeschick und Organisationstalent führte einen Umschwung herbei. Der Norden erlag, als der Friede von Basel (1795) auch den spanischen Anteil unter französische Herrschaft brachte; 1798 wurden die Engländer verdrängt, 1800 der Herrschaft der Farbigen ein Ende gemacht. Damit war Toussaint, wenn auch nominell unter französischer Oberhoheit, tatsächlich unumschränkter Gebieter der ganzen Insel. Er suchte die Rassen miteinander auszusöhnen, die Kulturen wieder in Aufnahme zu bringen und den Reichtum der Insel zu alter Blüte zu heben. Da schickte Napoleon den General Leclerc mit 25,000 Mann nach H., der Toussaint in das Innere zurücktrieb und zur Ergebung zwang, worauf er 1802 nach Frankreich geschickt wurde. Da aber die weißen Pflanzer nun die Sklaverei wiederherzustellen suchten, brach der Aufstand unter dem Negergeneral Dessalines von neuem aus; die französischen Truppen wurden durch Krankheiten aufgerieben, und im November 1803 mußte Rochambeau die Insel räumen.

Dessalines ließ sich 8. Okt. 1804 unter dem Namen Jakob I. zum Kaiser ausrufen und gab 20. Mai 1805 eine neue Verfassung, doch wurde er schon 1806 durch eine Verschwörung unter dem Neger Christophe und dem Mulatten Pétion gestürzt. Aber nun kam die Feindschaft zwischen den Mulatten und den Negern zum Ausbruch. Während dieses Kampfes eroberten die Spanier ihren Anteil an der Insel wieder. 1808 trennte sich die französische Hälfte in eine Mulattenrepublik mit Pétion als Präsidenten im Süden und in den Negerstaat unter Christophe im Norden; ein 10 Stunden breiter unbebauter Landstrich bildete die Grenze. Christophe verwandelte 1811 den nördlichen Staat in eine erbliche Monarchie und ließ sich unter dem Namen Heinrich I. zum Kaiser krönen; das neue Staatsgesetzbuch (Code Henri) und der europäischen Vorbildern nachgeahmte Hofhalt standen zu der Kleinheit des Staates in lächerlichem Gegensatz. Auch Pétion gab der Mulattenrepublik 2. Juni 1816 eine Verfassung (Abschaffung der Sklaverei, Preßfreiheit u. dgl.). Nach seinem Tode (27. März 1818) folgte General Boyer als Präsident. Als im September 1820 im Norden ein Aufstand ausgebrochen war und der Negerkaiser sich 8. Okt. erschossen hatte, vereinigte Boyer 26. Nov. 1820 beide Teile des französischen H. zu einer einzigen Republik, der sich 1822 auch der spanische Anteil der Insel anschloß, nachdem er sich 1821 wieder von Spanien losgesagt hatte. Die Republik wurde auch von Frankreich anerkannt, nachdem H. den ehemaligen Plantagenbesitzern 1825 eine Entschädigung zugesichert hatte. 1842 wurde H. von einem furchtbaren Erdbeben heimgesucht, das einige Städte fast vernichtete. Boyer wurde 1843 durch eine von den Mulatten Dumesle und Rivière geleitete Verschwörung gestürzt. Doch weigerte sich der Osten, die neuen Machthaber anzuerkennen. Als trotzdem Rivière das Staatsruder übernahm, brach im August 1843 im Osten ein Aufstand aus, und Santo Domingo erklärte sich für eine selbständige Republik (s. Dominikanische Republik [Geschichte]). Rivière versuchte zwar den Osten mit Gewalt wieder zu unterwerfen, doch wurde er 9. April 1844 bei Santiago geschlagen. Gleichzeitig empörten sich in H. die Neger gegen die Mulatten und verdrängten unter mehreren rasch wechselnden [636] Präsidenten auch diese fast ganz von der Insel. Erst Präsident Riché, ein fast 70jähriger Mann, aber noch von hoher Tatkraft, stellte den Frieden auf der Insel wieder her, starb aber schon 27. Febr. 1847.

Mit dem nun zum Präsidenten gewählten General Faustin Soulouque (s. d.) kam zuerst die roheste und den Weißen feindlichste Partei der Schwarzen an das Ruder. Im März 1849 machte Soulouque einen Einfall in Santo Domingo; indes in der Schlacht vom 22. April 1849 behaupteten die Dominikaner unter General Santana das Feld, und Santana würde dem westlichen Staat ein Ende bereitet haben, wenn ihn nicht ein Aufstand nach Santo Domingo zurückgerufen hätte. So konnte Soulouque unbehelligt abziehen und sich 26. Aug. 1849 zu Port-an-Prince zum Kaiser ausrufen lassen. Als Faustin I. ordnete er sein Reich ganz nach Napoleonischem Vorbild und umgab sich mit einer glänzenden Kaisergarde. Das Ausland reizte er durch Monopolisierung des Handels und hohe Steuern, die er den auswärtigen Kaufleuten auflegte. Im Innern herrschte er willkürlich und grausam. Trotz der Erfahrungen von 1849 unternahm er 1850 einen neuen Krieg gegen Santo Domingo, erlitt aber 9. Okt. wiederum eine Niederlage in den Bergen von Banica. Obwohl die Mächte die Einstellung der Feindseligkeiten erzwungen hatten, begann er Ende 1855 einen dritten Krieg und fiel mit 18,000 Mann in Santo Domingo ein, wurde aber 22. Dez. in der Savanne von San Thomé gänzlich geschlagen. Er ließ hierauf zwar mehrere Offiziere wegen angeblichen Einverständnisses mit Santo Domingo erschießen, erlitt aber 24. Jan. 1856 in der Großen Savanne (Sabana larga) eine zweite Niederlage und mußte auf Verlangen der Mächte mit Santo Domingo Waffenstillstand schließen. 1858 erhob Geffrard in Gonaïves die Fahne des Aufstandes, und Faustins Herrschaft war so verhaßt, daß Geffrard schon 15. Jan. 1859 ohne Widerstand in Port-an-Prince einziehen und die Präsidentschaft übernehmen konnte. Politische Verfolgungen vermied er, dagegen wurde die Armee verringert, der frühere liberale Zolltarif hergestellt und eine Flotte gegründet. Auch wollte er Reformen einführen, rief aber hierdurch den Widerstand der Neger alten Schlages hervor. 1867 wurde er von der Partei der sogen. LizardsEidechsen«) unter Salnave gestürzt, der nach Verkündigung einer neuen Verfassung zum Präsidenten gewählt wurde. Aber schon 1868 erhob sich die Partei der Cacos (»Papageien«, welche die Lizards fressen); ihr Führer Saget eroberte 1869 Port-au-Prince und ließ 1870 Salnave erschießen. Ihm folgte 1874 General Domingue; da dieser durch Habsucht und Erpressungen allgemeine Unzufriedenheit erregte, so kam es 1876 zu einem Aufstand, infolgedessen 19. Juli General Boisrond Canal zum Präsidenten gewählt, jedoch schon im Juli 1879 durch die Liberalen wieder gestürzt und General Salomon zum Präsidenten erhoben wurde. Dieser regierte verständig und verschaffte dem Land eine ungewohnte Zeit der Ruhe. Doch wurde auch er 1888 durch einen Aufstand in Port-an-Prince gestürzt, bei dem ein großer Teil der Stadt eingeäschert wurde. Nach längern Kämpfen zwischen mehreren Rivalen bemächtigte sich 1889 General Hyppolite der Herrschaft, aber dessen Regierung erwies sich als eine Reihe von Grausamkeiten und Bluttaten, die an Wahnsinn streiften. Nachdem wiederholt Attentate auf ihn mißglückt, mehrere Aufstände in Blut erstickt worden waren, endete Hyppolite 27. März 1896 durch Gift. Ihm folgte der General Sim-Sam, dessen Amtszeit zunächst ruhig verlief, bis zwischen ihm und dem Kongreß Differenzen über den Endpunkt seiner Präsidentschaft entstanden. Infolgedessen brach im Mai 1902 wieder ein Bürgerkrieg aus, worein selbst die fremden Schiffe im Hafen von Port-au-Prince verwickelt wurden; auch das deutsche Kanonenboot Panther mußte eingreifen. Erst im Oktober 1902 entschied sich das Kriegsglück für Boisrond Canal, der seitdem als provisorischer Präsident herrscht.

Vgl. Fortunat, Abrégé de la géographie de l'île d'H. (2. Aufl., Par. 1894); Tippenhauer, Die Insel H. (Leipz. 1892); Rouzier, Dictionnaire géographique et administratif universel d'H. (Port-au-Prince 1892); Saint-John, H. or the Black Re public (2. Aufl., Lond. 1889); Jordan, Geschichte der Insel H. (Leipz. 1846–49, 2 Bde.); Handelmann, Geschichte der Insel H. (Kiel 1856); Madiou, Histoire d'H. (Port-au-Prince 1847, 3 Bde.); Ardouin, Études sur l'histoire d'H. (Par. 1853–61, 11 Bde.); Linstant-Pradine, Recueil général des lois et actes du gouvernement d'H. (das. 1851–65, 5 Bde.); La Selve, Histoire de la littérature haïtienne (Versailles 1876); Marcelin, H., ses guerres civiles, leur causes, etc. (Par. 1893); Sundstral, Aus der Schwarzen Republik (Leipz. 1903); Bowler, Haïti (Par. 1889); Firmin, Haïti (das. 1891); Vibert, La république d'H. (das. 1895); Prichard, Where Black rules White (Westminster 1900).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 634-637.
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