Rohrpost

[61] Rohrpost (Pneumatische Post, franz. poste tubulaire; hierzu Tafel »Rohrposteinrichtungen« mit Text), Anlage zur Beförderung von Briefen, Karten und Telegrammen durch Luftdruck in unterirdischen Rohrleitungen. Mit Hilfe von maschinell angetriebenen Luftpumpen wird in großen eisernen Behältern verdichtete, bez. verdünnte Luft (Kraftlust) aufgespeichert. Durch Anschluß des Behälters mit verdünnter Luft an die sonst abgeschlossene Rohrleitung wird auch in dieser die Luft verdünnt. Als treibende Kraft für die Beförderung der die Briefe etc. enthaltenden Büchsen dient entweder der Überdruck der aus dem Behälter in die Rohrleitung einströmenden verdichteten Luft über den Druck der im Rohr befindlichen atmosphärischen Luft (Beförderung mit verdichteter Luft, Druckluft) oder der Überdruck der einströmenden atmosphärischen Luft über den Druck der im Rohr befindlichen verdünnten Luft (Beförderung mit verdünnter Luft, Saugluft). 1854 erhielt Cazalat in Frankreich und ebenso Clark in England ein Patent, in Blechbüchsen eingeschlossene kleine Pakete und Briefe bei hoher Luftverdünnung (oder auch Verdichtung) in Rohren zu befördern. Nach dem Clarkschen System wurde alsbald innerhalb des Zentraltelegraphenamts[61] in London eine in beiden Richtungen mit verdünnter Luft betriebene R. aus 19 mm weiten Bleiröhren eingerichtet. Nachdem Varley brauchbare Sende- und Empfangsapparate konstruiert hatte, wurde 1858 in London die erste unterirdische R. in Betrieb genommen. In Berlin wurde 1863 für den innern Betrieb der Zentraltelegraphenstation eine mäßigen Ansprüchen genügende R. und 1865 für den Verkehr der Zentral- mit der Börsenstation eine R. nach einem von Siemens u. Halske ausgearbeiteten System hergestellt und 1868 um 2,3 km erweitert. Bei diesem System (System mit ununterbrochen kreisendem Luftstrom) fließt in den aus einer zusammenhängenden Hin- und Rückleitung bestehen den Rohren (Kreisleitung) aus dem Behälter mit verdichteter Luft an dem einen Ende nach dem Behälter mit verdünnter Luft am andern Ende ein ununterbrochener Luftstrom. Ein verbessertes ähnliches System mit drei Stationen und 4000 m Rohrlänge ist jetzt in Frankfurt a. M. in Betrieb gesetzt; die Büchsen werden in ganz kurzen Zeitabständen (Bruchteilen einer Minute) abgesandt und bei der Ankunft automatisch ausgeworfen. Auf größere Entfernungen und für ein vielverzweigtes Netz ist dieses System nicht brauchbar. Ein andres von dem Österreicher v. Felbinger und dem Franzosen Crespin ausgebildetes System, bei dem der Luftdruck je nach der Schnelligkeit der Zugfolge nur bei größern oder geringern Zeitabständen und nur während der Zugförderung (diskontinuierliches pneumatisches System) wirkt, wurde in größerm Maßstabe zuerst 1867 in Paris, 1875 in Wien, 1876 in Berlin, 1899 in Hamburg etc. eingeführt; auch die Einrichtungen der jetzigen Londoner R. (48 von der Zentrale ausgehende Linien) beruhen auf diesem System. Zur Beförderung von Rohrpostkarten (franz. cartestélégrammes) und Rohrpostbriefen (franz. télégrammes fermés) dienen nur die Rohrposten von Paris, Wien und Berlin; in den übrigen Städten ist die R. nicht in dieser Weise dem Publikum zugänglich, vielmehr werden hauptsächlich nur aufgegebene und angekommene Telegramme mit ihr befördert. Die Laufrohre sind verhältnismäßig eng (in Berlin 6,5 cm im Lichten). In Amerika, namentlich in Philadelphia (seit 1892), in New York (seit 1898), Boston, Chicago etc., sind Rohrpostleitungen aus Rohren von 20,6 cm im Lichten nach dem System von Batcheller, der ununterbrochenen Luftstrom sowie automatische Sender und Empfänger anwendet, zur Beförderung ganzer Briefposten etc. in Betrieb gesetzt. Die Société des Chemins de fer electro-postaux in Paris hat eine unterirdische Versuchsstrecke gebaut, auf der Wagen mit 2 cbm Nutzraum verkehren, und will ihr System zur Postbeförderung zwischen größern Städten benutzen. Diese Fahrkanäle sowie die von der Illinois Tunnel Co. in Chicago gebauten unterirdischen Tunnel von 46 km Länge (1905) und 4 qm Querschnitt zur Beförderung von Postgütern etc. sind nicht mehr als R., sondern als unterirdische Tunnelbahn anzusehen (s. Elektrische Post). – Für den Betrieb von Hausrohrposten, die den Verkehr zwischen den einzelnen Betriebsräumen eines Post- oder Telegraphenamts vermitteln, auch in größerm Umfang in Banken, Zeitungsunternehmungen, auf Bahnhöfen etc. Anwendung finden, werden zum Treten eingerichtete Blasebälge, Schaufelgebläse sowie mit der Hand oder durch kleine Motoren bewegte Ventilatoren benutzt. In Apparatsälen des Haupttelegraphenamts in Berlin sowie in Hamburg, wo die Druckluft einer größern Rohrpostanlage entnommen werden kann, sind umfangreiche automatische Saalrohrposten zur Verteilung der Telegramme auf die einzelnen Apparate und Dienststellen in Betrieb. Die Büchse mit Telegrammen wird in den Sendeapparat gelegt und dieser mittels Hebels geschlossen; der übrige Vorgang, einschließlich Auswerfen der Büchse an der Bestimmungsstelle, wickelt sich automatisch ab. Innerhalb großer Fernsprechämter werden die Gesprächsanmeldezettel unverpackt und ohne Büchsen durch Rohrpostrohre von minimalem rechteckigen Querschnitt von einer Dienststelle zur andern maschinell geblasen.

Das Berliner Rohrpostnetz, dessen Einrichtung auf der beifolgenden Tafel besprochen ist, besitzt eine Anordnung nach dem Radialsystem: die Fahrrohre laufen vom Haupttelegraphenamt als dem Mittelpunkt des Rohrpostbetriebs strahlenförmig aus, bei einzelnen Unterwegsanstalten findet eine weitere strahlenförmige Verzweigung statt, vielfach liegen zwischen den Hauptstrahlen noch Querverbindungen. Das frühere Polygonalsystem, bei dem von der Zentrale über mehrere in den Ecken eines Vielecks liegende Ämter und zurück zur Zentrale stets in einer Richtung gefahren wurde, ist aufgegeben. Jetzt wird in allen Rohren abwechselnd mit verdichteter und verdünnter Luft gefahren, was die Rohre wasserfrei hält. Das 1876 mit 15 Rohrpostbetriebsstellen und 26 km Fahrrohren eröffnete Netz umfaßte Ende 1905: 69 Rohrpostbetriebsstellen mit 185 Rohrpostapparaten, 123,5 km Fahrrohre, 81,7 km Luftzuführungsrohre, 7 Maschinenstationen mit zusammen maximal 1330 Pferdekräften, 19 Lustpumpmaschinen, deren jede durchschnittlich stündlich 350 cbm Luft von 1 Atmosphäre Überdruck und ebensoviel von 0,5 Atmosphäre Unterdruck zu liefern vermag, endlich 59 Luftbehälter mit zusammen 927 cbm Fassungsvermögen. In Fahrrohren bis 1000 m Länge treibt Druckluft einen Rohrpostzug in der Sekunde 20 m weit, Saugluft 16 m; bei 3000 m Länge legt der Zug nur 12, bez. 9 m zurück. Auf den Hauptstrecken liegen zwei Fahrrohre parallel. Die Züge verkehren nach Bedarf in Zeitabständen von 3, 4, 5, 6, 71/2 und auf Nebenlinien in Abständen von 10 und 12 Minuten. Die Schnelligkeit der Zugfolge ist außer von der Fahrrohrlänge von der Zeit abhängig, die zum Ein-, Aus- und Umladen der Büchsen sowie zum Ausgleichen der Kraftlust in den Rohren mit der atmosphärischen Luft erforderlich ist. Die Benutzung der R. ist durch die Rohrpostordnung für Berlin vom 6. Aug. 1903, die als Teil der Postordnung gilt, geregelt. Die Maße für Rohrpostbriefe sind 12,5 cm: 8 cm und 20 g Meistgewicht. Wegen der Gebühren s. Porto. Die Bestellung der Rohrpostsendungen erfolgt kostenfrei durch besondere Boten. Befördert wurden 1877: 1,4 Mill.; 1905: 1,1+1+0,2+6,9 = 9,2 Mill. Rohrpostbriefe, Rohrpostkarten, Eilbriefe und Telegramme. 14,000 Briefe nach andern Orten wurden zur Erreichung des Bahnanschlusses innerhalb Berlins mit der R. befördert, wofür außer der Rohrpostgebühr das gesetzliche Porto etc. zu entrichten ist. Die Wiener R. hatte 1903: 74 km Fahrrohre mit 48 Stationen, die Prager 5 km mit 4 Stationen, beide Anstalten beförderten zusammen 6,7 Mill. Sendungen; Rohrpostbriefe für 30 Heller und -Karten für 20 Heller. Die Pariser R. befördert Briefe bis 7 g zu 50 Centimes, bis 15 g zu 1 Fr., bis 30 g zu 1 Fr. 50 Centimes und Karten zu 50 Centimes. In Nordamerika hat die von einer Privatgesellschaft hergestellte und betriebene R. in Boston 5,46, in New York 24,65, in Philadelphia 9,0, in Chicago 8,7, in[62] St. Louis 3,16 engl. Meilen Länge; die Post zahlt für die Beförderung der Briefposten und Pakete jährlich 791,800 Doll.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 17. Leipzig 1909, S. 61-63.
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