Siemens

[446] Siemens, 1) Franz Ernst, Landwirt, geb. 1780 in Lutter am Barenberg, gest. 1855 in List bei Hannover, war 1806–30 Pächter der fürstlich waldeckschen Domäne Pyrmont und führte Aräometer und Thermometer, das Sieden und Zerkleinern der Kartoffeln bei hoher Temperatur und die Anwendung des Wasserdampfes zur Destillation in die Brennerei ein. Sein patentiertes Verfahren beschrieb er 1819[446] (4. Aufl., Hamb. 1835), auch wies er zuerst die Zweckmäßigkeit der Eishäuser statt der Eiskeller nach.

2) Karl Georg, Technolog, Sohn des vorigen, geb. 4. Juni 1809 in Pyrmont, gest. 28. Sept. 1885 in Harzburg, erlernte die Landwirtschaft, errichtete 1837 die erste größere Zuckerfabrik mit Dampfeinrichtung in Braunschweig und wurde 1839 Professor der Hochschule in Hohenheim. Er förderte die landwirtschaftlichen Gewerbe durch viele Verbesserungen und schrieb: »Die Destillierapparate nebst Beschreibung des Hohenheimer Dephlegmators« (2. Aufl., Stuttg. 1853); »Anleitung zum Branntweinbrennen« (das. 1853; 2. Aufl., Ravensb. 1870); »Mitteilungen über die Neuerungen in der Brennerei, Brauerei und Stärkefabrikation« (Braunschw. 1870) und »Die Zuckerfabrikation« (2. Aufl. mit Grote, das. 1870).

3) Adolf, Artillerist, Bruder des vorigen, geb. 4. März 1811 in Pyrmont, gest. 1. Juli 1887 in Berlin, trat in die hannoversche Artillerie, verbesserte 1847 den Bormannschen Dosen- oder Ringzünder für Schrapnells und auch das Geschoß selbst durch Füllung der Zwischenräume zwischen den Kugeln mit geschmolzenem Schwefel und Bildung einer Kammer für die Sprengladung. 1867 trat er als Oberstleutnant in preußische Dienste, wurde zur Artillerieprüfungskommission kommandiert, deren Vorsitzender er später war, wirkte 1864 für die Beibehaltung der Kruppschen Geschütze bei der deutschen Marine, wurde 1872 als Generalmajor zur Disposition gestellt und war speziell im Werner Siemensschen Institut in Berlin als Erfinder tätig (elektrischer Distanzmesser, Methode zur Messung der Geschoßgeschwindigkeit im Geschützrohr etc.).

4) Werner von, Physiker und Ingenieur, Sohn des Landwirts Ferdinand S. (geb. 1787 in Wasserleben a. H., Gutspächter in Lenthe bei Hannover, dann in Menzendorf bei Lübeck, gest. daselbst 16. Jan. 1840), geb. 13. Dez. 1816 in Lenthe, gest. 6. Dez. 1892 in Charlottenburg, trat 1834 zu Magdeburg in die preußische Artillerie, besuchte seit 1835 die Artillerie- und Ingenieurschule in Berlin und kam 1838 als Artillerieoffizier nach Magdeburg. Er nahm 1841 das erste Patent auf galvanische Versilberung und Vergoldung mit Hilfe von unterschwefligsauren Salzen und legte mit Henniger in Berlin eine Fabrik zur Verwertung des Patents an. Auch vernickelte er zuerst Kupferdruckplatten mit Nickelammoniumsulfat. Er konstruierte ferner einen Differentialregulator für Dampfmaschinen und Wasserräder, der jetzt noch zum Regulieren astronomischer Instrumente benutzt wird. 1844 wurde er zur Artilleriewerkstätte in Berlin kommandiert und mit Versuchen über die Verwendbarkeit der Schießbaumwolle betraut. 1847 ward er der Kommission für Einführung der elektrischen Telegraphen in Preußen beigegeben. Er konstruierte damals einen Zeiger- und Drucktelegraphen mit Selbstunterbrechung nach dem Prinzip des Neefschen Hammers und eine Maschine zum Umpressen der Kupferdrähte mit Guttapercha. 1848 legte er im Kieler Hafen die ersten unterseeischen Minen mit elektrischer Zündung und baute als Kommandant der Festung Friedrichsort die Batterien zum Schutze des Eckernförder Hafens. Im Winter 1848–49 legte er im Auftrage der Regierung die unterirdischen Telegraphenlinien von Berlin nach Frankfurt und nach Aachen, schied dann aber aus der Armee und nach Vollendung mehrerer Telegraphenlinien aus dem Staatsdienst und widmete sich ausschließlich der 1847 mit dem Mechaniker Halske in Berlin errichteten Telegraphenbauanstalt. Aus dieser Fabrik (Siemens u. Halske, s. d.), die jetzt gegen 15,000 Arbeiter beschäftigt, sind die wichtigsten Entdeckungen und Verbesserungen hervorgegangen. S. entdeckte die Flaschenladung der submarinen Kabel und die Ausstellung der Gesetze derselben (1850 und 1857), er gab die Methode zur Bestimmung der Lage von Beschädigungen unterirdischer und submariner Leitungen und die Untersuchungsmethode isolierter Drähte an und entdeckte die Herstellung rekonstruierbarer Widerstandsmaße (1859), wodurch zuerst die Möglichkeit genauer und vergleichbarer elektrischer Messungen gegeben wurde. Er lieferte die erste Kabellegungstheorie und legte das erste gelungene Tiefseekabel (Bona-Cagliari) mit Bremse und von ihm erfundenem Kraftmesser. Ferner sind zu erwähnen das System der selbsttätigen Zeiger- und Typendrucktelegraphen, die Translation beim Morseschen Telegraphen. die elektromagnetischen Gegensprecher, die magnetoelektrischen Zeigertelegraphen, die polarisierten Morseschen Telegraphen, die mechanisch oder automatisch arbeitenden Schreibtelegraphen, der Abstimmtelegraph, der elektrische Distanzmesser, die elektrischen Magnetinduktoren, die elektrischen Wasserstandszeiger, der Alkoholmeßapparat. 1856 erfand er den Zylinderinduktor und 1867 die dynamoelektrische Maschine. 1879 erbaute er für die Berliner Gewerbeausstellung die erste elektrische Eisenbahn, und seitdem hat er an der Entwickelung des elektrischen Eisenbahnwesens den regsten Anteil genommen und zahlreiche Bahnanlagen und große Zentralstationen gebaut. Die Fabrik baute 1849 und 1850 Telegraphenanlagen in Norddeutschland, 1853 das russische Telegraphennetz und übernahm dessen Unterhaltung auf 12 Jahre. 1835 wurde in Petersburg das erite Zweiggeschäft gegründet, das lange und nach kurzer Unterbrechung bis zum Tode von Werner S. unter der Leitung von Karl S. (geb. 4. März 1829, gest. 21. März 1906) stand. Eine große Fabrik in Charlottenburg stellt Kabel für unterirdische Leitungen, für elektrische Beleuchtung und Fernsprechanlagen her. Nach dem Austritt Halskes aus dem Berliner Geschäft (1867) traten S.' Brüder Wilhelm und Karl als Kompagnons in das Gesamtgeschäft ein und übernahmen die Leitung des in London und Woolwich betriebenen Fabrikationsgeschäfts (S. Brothers). Seit dem Tode Wilhelms nahm das Geschäft die Form einer Aktiengesellschaft mit nicht übertragbaren Aktien an und steht unter der Leitung von Alexander S., einem Neffen von Wilhelm S. Das 1863 gegründete Zweiggeschäft in Tiflis stand unter der Leitung von Walter S. (geb. 11. Jan. 1832, gest. 23. Juni 1868 als preußischer Konsul) und Otto S. (geb 30. Nov. 1836, gest. 1871), war beteiligt an dem von dem Hauptgeschäft geleiteten Bau der indoeuropäischen Telegraphenlinie (London-Norddeutschland-Rußland-Teheran) und betreibt das Kupferwerk Kedabek im Kaukasus. Ein Zweiggeschäft in Wien stand seit 1879 unter Leitung von Arnold S. (geb. 13. Nov. 1853 in Berlin, Mitglied des preußischen Herrenhauses), des ältesten Sohnes von Werner S., es befaßt sich mit der Einführung elektrischer Eisenbahnen in Österreich, mit Herstellung aller für elektrische Beleuchtung und Kraftübertragung erforderlichen Artikel und mit elektrischen Weichenstell- und Signalapparaten. Werner S. wurde bei Gelegenheit des Jubiläums der Berliner Universität zum Dr. phil., 1874 zum ordentlichen Mitglied der Akademie der Wissenschaften ernannt. 1886 schenkte er dem Deutschen Reiche 500,000 Mk. zur Gründung der physikalisch-technischen Reichsanstalt. 1888 wurde[447] ihm der Adel verliehen. 1890 übertrug Werner S. die Leitung des Berliner Geschäfts Siemens u. Halske an seine Söhne Arnold und Wilhelm. Nach seinem Tode trat auch sein Bruder Karl in die Leitung ein. 1897 wurde das Geschäft in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, und 1903 gründete diese mit der Elektrizitäts-Aktiengesellschaft vormals Schuckert u. Komp. in Nürnberg eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung unter der Firma Siemens-Schuckertwerke (s. Siemens u. Halske). 1899 wurde ihm vor der Technischen Hochschule in Charlottenburg ein Denkmal (von Wandschneider) errichtet. Sein Bildnis s. Tafel »Techniker II«. Er veröffentlichte: »Positive Vorschläge zu einem Patentgesetz« (Berl. 1869); »Gesammelte Abhandlungen und Vorträge« (das. 1881), die in 2. Auflage als 1. Band der »Wissenschaftlichen und technischen Arbeiten« (das. 1889–91, 2 Bde.) erschienen, und die interessanten »Lebenserinnerungen« (das. 1892, 7. Aufl. 1901–04). Vgl. Jäger, Werner v. S. (Leipz. 1906); Ehrenberg, Die Unternehmungen der Brüder S. (Jena 1906, Bd. 1).

5) Wilhelm, Ingenieur, Bruder des vorigen, geb. 4. April 1823 in Lenthe, gest. 19. Nov. 1883 in London, studierte 1841–42 in Göttingen, trat 1842 in die gräflich Stolbergsche Maschinenfabrik ein, ging aber 1843 im Interesse seines Bruders Werner nach London und ließ sich 1851 daselbst als Zivilingenieur nieder. 1858 begründete er mit seinem Bruder Werner ein Zweiggeschäft der Berliner Fabrik in London und lieferte außer Telegraphenapparaten vorzugsweise Kabel (er legte sieben Kabel zwischen Europa und Amerika) und eiserne Tragsäulen sowie Isolatoren für oberirdische Leitungen. Er beteiligte sich an mehreren wissenschaftlichen Arbeiten seines Bruders Werner, auch wandte er die zuerst 1816 von Stirling vorgeschlagenen Regeneratoren bei Dampfmaschinen an und baute 1847 eine Regenerativdampfmaschine, in welcher der Dampf abwechselnd überhitzt und wieder gesättigt wurde. Seit 1856 beteiligte er sich mit Hans S. (geb. 1818, gest. 1867) und Werner S. an den Arbeiten von Friedrich S. über die vorteilhaftere Ausnutzung der Brennmaterialien und der Konstruktion der Regenerativöfen. 1867 gründete Wilhelm ein Stahlwerk in Birmingham und 1869 die Landore-Siemens-Steel-Works, in denen der Stahl teils nach eignem Verfahren unmittelbar aus Erzen, teils nach dem S.-Martinschen Verfahren aus Guß- und Schmiedeeisen erzeugt wird. Das Werk stellte dann Mannesmannsche Röhren dar, zu denen sich der Siemensstahl besonders eignet. Er erfand auch 1850 einen Regenerativkondensator zum Vorwärmen des Speisewassers, 1851 einen Wassermesser, 1860 ein Widerstandsthermometer und Pyrometer, 1864 ein Bathometer, 1867 eine hydraulische Bremse zur Hemmung des Rücklaufs der Geschütze, 1872 ein Dampfblaserohr und einen Tiefenmesser. 1883 wurde ihm die englische Ritterwürde verliehen. Er schrieb: »On a new regenerative condenser« (Lond. 1850); »On a regenerative steam engine« (1856); »On the conversion of heat into mechanical effect« (1853); »On the increase of electrical resistance in conductors with rise of temperature and its application to the measure on ordinary and fornace temperatures« (1871); »Über Brennstoff. Über Gewinnung von Eisen und Stahl« (Berl. 1874); »Die Eisen- und Stahlindustrie in England. Der Bathometer« (das. 1878); »Einige wissenschaftlich-technische Fragen der Gegenwart« (das. 1879–83, 2 Hefte); »Über Erhaltung der Sonnenenergie« (deutsch von Worms, das. 1885). Eine Sammlung seiner »Scientific works« gab Bamber heraus (Lond. 1889, 3 Bde.). Vgl. Obach, Sir William S. als Erfinder und Forscher (Lond. 1884); Pole, Life of Sir William S. (das. 1888; deutsch, Berl. 1890).

6) Friedrich, Bruder der vorigen. geb. 8. Dez. 1826 in Menzendorf bei Lübeck, gest. 26. Mai 1904 in Dresden, fuhr 21/2 Jahre als Schiffsjunge zur See, beschäftigte sich dann als Assistent von Werner S. mit der Telegraphie, machte als Freischärler den Feldzug gegen Dänemark mit, ging 1848 nach England und arbeitete nun mit Wilhelm, dessen Erfindungen für Motoren und Maschinentechnik er nebst eignen in Stettin und England einzuführen suchte. 1856 konstruierte er den ersten Regenerativofen, den er 1858 mit Gasfeuerung versah und seit 1859 in England einführte. 1867 übernahm er die von seinem Bruder Hans (gest. 1867) begründete Glashütte in Dresden, erhob sie zur bedeutendsten Deutschlands und gründete außerdem Glashütten in Dohlen bei Dresden und Neusattel bei Karlsbad. Er förderte die Glasindustrie durch zahlreiche Erfindungen und gab auch eine neue Methode zur Herstellung von Hartglas an, die er in einer besondern Fabrik in Dresden zur Ausführung brachte. 1888 wurden diese Glashütten in eine Aktiengesellschaft für Glasindustrie verwandelt. Er gründete ferner Fabriken in Dresden, Wien und Berlin zur Herstellung von Gasbeleuchtungs- und Heizapparaten eigner Konstruktion und technische Bureaus in Dresden und London mit Zweiggeschäften in Wien, Paris und Philadelphia zur Verwertung seiner zahlreichen Erfindungen (Regenerativlampe, Regenerativöfen, Heizverfahren mit freier Flammenentfaltung und solche mit chemischer Regeneration, Glasschmelzwannen, kontinuierliches Glasschmelz- und Arbeitsverfahren, Glashartguß, Petroleumgasöfen, Universalgaskochherde, Wasserwärmapparate, Spiritusglühlampen etc.). Nach dem Tode seines Bruders Wilhelm fiel ihm die Leitung der Geschäfte zu, in denen er bis dahin mit Wilhelm verbunden gewesen, und somit widmete er sich nun wieder der Eisenindustrie. Außerdem lieferte er wissenschaftliche Untersuchungen über Verbrennungstheorie, Wärmeübertragung und Dissoziation. Er schrieb: »Bericht über die Smoke Abatement exhibition« (Berl. 1882); »Über die Vorteile der Anwendung hoch erhitzter Luft« (das. 1883, 2. Aufl. 1887); »Heizverfahren mit freier Flammenentfaltung« (das. 1885); »Über den Verbrennungsprozeß« (das. 1887).

7) Karl Heinrich, Telegrapheningenieur, Bruder des vorigen, geb. 4. März 1829 in Menzendorf, gest. 21. März 1906 in Mentone, arbeitete seit 1849 für die Einführung der Telegraphenapparate seines Bruders in Frankreich und England, baute seit 1853 mehrere Telegraphenlinien in Rußland, leitete seit 1868 die Filiale in Tiflis und das Kupferwerk Kedabek im Kaukasus, ging aber 1869 als Teilhaber der Firma Siemens Brothers nach London und legte viele Seekabel. 1880–93 leitete er das Petersburger Werk und lebte seitdem in Berlin.

8) Johann Georg von, geb. 21. Okt. 1839 in Torgau, gest. 23. Okt. 1901 in Berlin, Enkel eines Bruders von Ferdinand S., des Vaters der Gebrüder Werner, Wilhelm, Friedrich S., widmete sich zuerst dem preußischen Justizdienst, trat aber 1870 als Direktor bei der Deutschen Bank in Berlin ein, bei deren Begründung er mit tätig war, und die unter seiner Leitung zur umfangreichsten Anstalt dieser Art in Deutschland nächst der Reichsbank herangewachsen ist und sich namentlich die Pflege der überseeischen[448] Handelsbeziehungen Deutschlands zur Aufgabe gemacht hat. S. machte große Reisen und führte die Verhandlungen über den Bau der Anatolischen Eisenbahnen und der Bagdadbahn, wofür er im Dezember 1899 vom König von Preußen geadelt wurde. Seit 1874 war S. wiederholt Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses und des deutschen Reichstags, wo er der nationalliberalen, später der freisinnigen Fraktion angehörte, seit 1880 Mitglied des Ältestenkollegiums der Berliner Kaufmannschaft und des Ausschusses des deutschen Handelstags.

9) Wilhelm, Sohn von Werner S., Ingenieur, geb. 30. Juli 1855 in Berlin, wurde 1884 Mitinhaber und Mitleiter der Firma Siemens u. Halske, gab 1883 die Theorie des elektrischen Glühlichts, machte 1886 grundlegende Versuche zur Benutzung von Wechselstrom für elektrische Bahnen, führte die bei den Schnellbahnversuchen auf der Linie Marienfelde-Zossen angewandte Hochspannungszuführung ein und konstruierte einen Schnelltypentelegraphen.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 18. Leipzig 1909, S. 446-449.
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