Schwämme [1]

[103] Schwämme (Spongiae, Porifera, Poriferen, hierzu Tafel »Schwämme I und II«), die niedersten mehrzelligen Tiere, die häufig als eine Abteilung der Cölenteraten (s. d.) betrachtet werden, aber doch so verschieden gebaut sind, daß sie besser als selbständige Gruppe aufgefaßt werden. In seiner einfachsten Form besteht ein Schwamm aus einem sehr kleinen Einzeltier, das wie ein an einem Ende offener Sack oder Schlauch gestaltet ist und mit dem geschlossenen Ende festsitzt (Tafel I, Fig. 2–4 u. 16). Seine Wand ist im Gegensatz zu dem zweischichtigen Körper der Cölenteraten aus drei Schichten zusammengesetzt, nämlich aus einer zarten und dünnen, äußern, aus platten Zellen bestehenden Epithellage, einer mittlern bindegewebsartigen Schicht und einer innern höhern Epithellage. Letztere wird von flimmernden und einen Kragen tragenden Zellen gebildet, die in dem Innern des Sackes, der voll Wasser ist und Magen oder Gastralraum genannt wird, durch das Schlagen ihrer Geißelhaare eine Strömung nach der Öffnung (osculum) des Sackes zu hervorbringen. Diese Öffnung dient nicht wie bei den Cölenteraten als Mund zur Einfuhr, sondern vielmehr zur Ausleitung des Wassers. Die äußere Wand des Sackes ist zum Eintritt des Wassers von vielen seinen verschließbaren Poren durchbohrt (daher der Name Poriferen). Diese durchsetzen bei den niedern und einfachen Schwämmen die dünne Wand direkt (Tafel I, Fig. 16), bei den kompliziertern in Form von Kanälen, die direkt in den Gastralraum münden oder sich zu den mit Kragengeißelzellen ausgekleideten Geißelkammern erweitern (Textfigur 1, 2 u. 7–9, S. 104). In der Mittelschicht bildet sich meist ein Skelett aus Kalk- oder Kieselnadeln (s. Textfigur 1–6, S. 104, und Tafel »Schwämme I«, Fig. 16), oder ein solches aus Hornfasern zur Stütze des Körpers. Die mit dem Wasser[103] durch die Porenkanäle eingeführte Nahrung wird von den Zellen der Innenschicht, vielleicht auch von denen der beiden andern Schichten, aus dem Wasser, das den Schwammkörper durchströmt, zurückbehalten und verdaut; man hat daher auch wohl den Schwamm als ein Sieb oder Filter für Wasser bezeichnet. Nerven und Sinnesorgane scheinen nicht vorhanden zu sein. Eine Art primitiver Muskeln kann sich aus den Zellen der Mittelschicht herausbilden, wodurch beschränkte Bezirke des Schwammkörpers, z. B. die Umgebung des Oskulums, beweglich werden. Der ganz festgewachsene Schwamm zeigt jedoch außer der Flimmerung im Innern keinerlei Bewegung, abgesehen von den noch zu erwähnenden Larven. Die Fortpflanzung ist teils geschlechtlich (die S. sind wahrscheinlich meist Zwitter), teils ungeschlechtlich. Bei den erstern entstehen Eier und Samenfäden in den Zellen der Mittelschicht und entwickeln sich nach der Befruchtung gewöhnlich im Innern des Schwammes weiter, so daß erst die jungen Larven den Körper verlassen.

Fig. 1. Einzelne Masche von Farrea Haeckelii, stark vergr. 2. Polyopogon amadu; Querschnitt. 3. Zapfennadel der äußern Haut von Pheronema rhaphanus. 4. Kieselstab von Hyalonema indieum. 5. Kieselstern von Regadrella phoenix. 6. Kieselstab von Stylocalyx tenera. 7–8. Schematische Darstellung des Kanalsystems der einfacher und komplizierten Formen.
Fig. 1. Einzelne Masche von Farrea Haeckelii, stark vergr. 2. Polyopogon amadu; Querschnitt. 3. Zapfennadel der äußern Haut von Pheronema rhaphanus. 4. Kieselstab von Hyalonema indieum. 5. Kieselstern von Regadrella phoenix. 6. Kieselstab von Stylocalyx tenera. 7–8. Schematische Darstellung des Kanalsystems der einfacher und komplizierten Formen.

Die ganz jungen Eier haben keine bestimmte Form und können sich wie eine Amöbe durch Ausstrecken von Fortsätzen im Muttertier bewegen. Die bewimperten Larven schwärmen eine Zeitlang im Wasser umher (s. Tafel »Entwickelungsgeschichte II«, Fig. 4), setzen sich aber dann fest und lassen durch Ausbildung der drei Körperschichten, der Geißelkammern, des Kanalsystems und des Oskulums, den jungen Schwamm entstehen. Dabei ist als sehr wichtig für die Auffassung der S. hervorzuheben, daß die drei Körperschichten des ausgebildeten Tieres (äußeres, mittleres und inneres Blatt), die gegenüber den nur aus zwei Schichten (Ekto- und Entoderm) bestehenden Cölenteraten eine höhere Stufe der Ausbildung darzustellen scheinen, entwickelungsgeschichtlich auf nur zwei Blätter zurückzuführen sind; das äußere und mittlere Blatt erweisen sich als zusammengehörig und sondern sich erst später, so daß die S. infolgedessen eigentlich wie die Cölenteraten als zweiblätterige Tiere anzusehen sind. Die ungeschlechtliche Vermehrung geschieht entweder durch besondere Keimkörper (gemmulae, Tafel I, Fig. 12), die als Zellterritorien im Schwamminnern abgesondert und mit festen Hüllen umgeben werden, oder durch Knospung; die so neu entstandenen Individuen bleiben meist als Kolonien (Stöcke) vereinigt, und so entstehen jene oft komplizierten Formen, wie z. B. Ascetta, Axinella und Aplysina (Tafel I, Fig. 2–4, 6, 8 u. 9). Auch durch Verschmelzung mehrerer dicht nebeneinander aufwachsender S. kann eine einheitliche Schwammkolonie gebildet werden (Fig. 3). Die Zahl der Oskula läßt die Anzahl der die Kolonie bildenden Individuen erkennen. Mit der infolge des Knospungsprozesses zunehmenden Individuenzahl pflegt der Schwamm größer und massiger, sein Kanalsystem komplizierter zu werden. Solche größere Exemplare sind dann von diesen das Wasser zuführenden und abführenden Kanälen durchzogen; die ursprünglichen Oskula können aber zum Teil verschmelzen oder sich ganz schließen, so daß man aus ihrer Zahl dann die der vereinigten Einzelschwämme nicht mehr ermitteln kann.

Die S. wachsen entweder frei von ihrer Unterlage (Steine, Pflanzen etc.) in die Höhe (Fig. 7, 8, 9 etc.), oder liegen ihr dicht an (Tafel I, Fig. 11, u. Tafel II, Fig. 6) und umschließen sie zuweilen von allen Seiten. So werden z. B. Schneckenschalen, in denen Einsiedlerkrebse wohnen, häufig bis auf die kleine Öffnung, die sich der Krebs durch Ausstrecken seines Vorderkörpers frei erhält, gänzlich überzogen. Einige S. stecken auch mittels stielähnlicher Vorrichtungen oder langer Nudelschöpfe im Schlamm des Meeresbodens (Tafel I, Fig. 1 u. 7). Überhaupt aber passen sich manche S. ihrer Umgebung so genau an, daß eine und dieselbe Art in mannigfachen Formen auftritt (Tafel I, Fig. 2–4) und oft nur durch die genaueste Untersuchung (namentlich des Skeletts) richtig erkannt wird. Ebenso haben auch einzelne Teile vieler S. eine große Selbständigkeit. Bei Spongilla (Süßwasserschwamm) z. B. verändert nicht nur die äußere Haut, sondern auch das Innere des Tieres seine Form, Hauptporen werden geschlossen, andre neu gebildet; auch die Nadeln werden in ihrer Lage verschoben, und so kann[104] sogar der ganze Schwamm langsam wandern, indem er von seiner Unterlage gewissermaßen wegfließt. Auch vermögen abgeschnittene Stücke weiterzuwachsen und mit andern Stücken von derselben Art zu verschmelzen.

Mit Ausnahme der Familie der Süßwasserschwämme (Spongillidae) gehören die S. dem Meer an, wo sie unter den verschiedensten Verhältnissen und in weiter Verbreitung angetroffen werden. Fossile Reste finden sich schon in den ältesten Schichten; ihre größte Entwickelung erreichen sie in der Kreideperiode (vgl. Tafel »Silurische Formation I«, Fig. 13; »Kambrische Formation«, Fig. 16; »Juraformation I«, Fig. 3; »Kreideformation I«, Fig. 1 u. 9). Alle lebenden Hauptgruppen lassen sich, soweit sie überhaupt versteinerungsfähig sind, bis in den Sil ur verfolgen und stehen unvermittelt einander gegenüber, sodaß die gemeinsamen Vorfahren in einer nach ältern Periode gelebt haben müssen. Manche heutige S. der Tiefsee sind gewissen fossilen besonders ähnlich. Merkwürdig sind die Bohrschwämme (Vioa), die sich vielleicht lediglich durch ihre harten Kieselnadeln, vielleicht aber auch mit Hilfe chemisch wirkender Absonderungen, in Molluskengehäusen, Kalksteinen und Korallen Röhren graben und durch massenhaftes Auftreten wesentlich zu der eigentümlichen Gestalt der Kalkfelsen an der Küste des Adriatischen Meeres beitragen. Die als Badeschwamm (s. d., Tafel II, Fig. 6) bekannten weichen, elastischen Hornschwämme finden technische und medizinische Verwendung. Sie werden besonders an den Küsten des Adriatischen und Mittelländischen Meeres gefischt, wo die Schwammfischerei eine Rolle spielt. Weniger seine Arten (s. unten) kommen im Westindischen Meer vor und werden von dort in den Handel gebracht.

Man teilt die S. in zwei große, scharf getrennte Gruppen: 1) Kalkschwämme (Porifera calcaria Calcispongiae). Sie weisen die drei Typen des Kanalsystems der S. auf, und je nachdem die dünne Wand nur von Poren oder die dichte Wand von geraden Kanälen (Radialtuben), bez. von Kanälen und Geißelkammern durchsetzt ist, unterscheidet man sie in Askonen, Sykonen und Leukonen (Textfigur 7–9). Es sind meist schmutzigweiße S. und Schwammstöcke, wie Ascandra (Tafel I, Fig. 10), Ascetta (Fig. 2–4), Sycandra, Sycon (Fig. 14), mit einem Skelett aus drei- und vier-, seltener zweispitzigen Kalknadeln; im allgemeinen sind sie einfach gebaut und auch nicht besonders zahlreich; sie leben nicht in großen Tiefen. 2) Nichtkalkschwämme (P. incalcaria), zumeist aber als Kieselschwämme (Silicispongien) bezeichnet, obwohl sie nicht alle ein Kieselskelett besitzen. Dieses besteht aus Kieselnadeln und Skeletteilen von sehr verschiedener Form, z. B. Sternen, Kugeln, Ankern, Keulen etc. (Textfigur 1–6). Man trennt sie jetzt in Triaxonier und Tetraxonier. Bei den erstern bilden die in der Grundform dreiachsigen Nadeln häufig äußerst zierliche Skelette. Hierher gehören die Glasschwämme (Hexaktinelliden; z. B. Hyalonema, Tafel I, Fig. 1), mit einem Gitterwerk von sechsstrahligen Kieselnadeln; sie leben meist in großen Tiefen und wurzeln mit einem Schopf spiralig zusammengedrehter Kieselnadeln im Schlamm. Wegen ihrer wundervoll gebauten Skelette, wir erwähnen nur die prachtvolle filigranartige Sclerothamnus, Farrea, Euplectella u. a. (Tafel II, Fig. 7, 9 u. 11), sind sie in Japan Handelsartikel und galten vielfach als Kunstprodukte, wie denn auch tatsächlich Teile von ihnen, wie der lange Wurzelschopf der Hyalonema, aus Glasfäden hergestellt werden. Die Tafel II zeigt eine Anzahl der höchst zierlichen Skelette verschiedener Hexaktinelliden sowie ganze Glasschwämme (Fig. 1, 2, 4, 5, 7–11). Die Tetraxonier, mit den in der Grundform vierstrahligen Nadeln, liefern das große Heer der marinen und auch die Süßwasserschwämme (Spongillidae-Gattungen Spongilla, Ephydatia, s. Tafel »Süßwasserfauna I«, Fig. 8 u. 10), welch letztere durch zweispitzige, in Zügen angeordnete Nadeln ausgezeichnet sind. Sie gehören deshalb zu den Monaktinelliden mit einachsigen Kieselkörpern; zu diesen zählen auch die marinen Gattungen Axinella (Tafel I, Fig. 6 u. 9), Tethya, die Suberiten mit der bekannten Art Poterion Neptuni (Neptunsbecher), während die Steinschwämme oder Lithistiden (Tafel II, Fig. 3, Discodermia) sich den Tetraktinelliden anschließen. Bekannte Formen sind weiter: der Lederschwamm (Chondrosia. Tafel I, Fig. 13; Stylocordyla, Fig. 7; Tragosia. Fig. 17; Tentorium, Fig. 5). Bei manchen Schwämmen werden die Kieselnadeln durch verkieselte Umhüllungsschichten zu Kieselnetzen verbunden (s. Astylospongia auf Tafel »Silurische Formation I«, Fig. 13; Coeloptychium und Siphonia auf Tafel »Kreideformation I«, Fig. 1 u. 9, und Scyphia auf Tafel »Juraformation I«, Fig. 3). Endlich sind noch diejenigen S. zu erwähnen, die sich offenbar von den Kieselschwämmen herleiten, bei denen aber die Kieselnadeln verloren gegangen sind, nämlich die sogen. Myxospongien, zu denen die Halicidae, die Gallert- oder Fleischschwämme, speziell Oscarella (Tafel I, Fig. 11) gehören. Bei andern ist das Skelett durch Hornfasern, oft mit eingelagerten Fremdkörpern, Kieselstückchen etc. repräsentiert. Das sind die Ceratospongien oder Hornschwämme, zu denen die Gattungen Aplysina (Tafel I, Fig. 8), Spongelia, Cacospongia (Tafel I, Fig. 15) und besonders Euspongia, der Badeschwamm (Tafel II, Fig. 6), gehören. Vgl. O. Schmidt, Die Spongien des Adriatischen Meers (Leipz. 1862–68, 4 Tle.) und Grundzüge einer Spongienfauna des atlantischen Gebiets (das. 1870); Haeckel, Die Kalkschwämme (Berl. 1872, 3 Bde.); Zittel, Studien über fossile Spongien (Münch. 1877–78, 3 Tle.) und Zur Stammesgeschichte der Spongien (in der Festschrift für Siebold, das. 1878); Vosmaer, Porifera (in Bronns »Klassen und Ordnungen des Tierreichs«, Leipz. 1882–87); v. Lendenfeld, A monograph of the horny sponges (Lond. 1889), sowie die Schriften von Ridley u. a. über die Ausbeute des Schiffes Challenger (das. 1884–89); Rauff, Paläospongiologie (Stuttg. 1893–95, 2 Tle.); die Schriften von F. E. Schulze; Poléjaeff, Report on the Calcarea (1883); Sollas, Tetractinellidae (Lond. 1887); Jijima, Hexactinellidae (Tokio 1901); Delage, Embryogénie des éponges (Par. 1892); O. Maas, Die Embryonalentwickelung und Metamorphose der Cornacuspongien (»Zoologische Jahrbücher«, 1894).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 18. Leipzig 1909, S. 103-105.
Lizenz:
Faksimiles:
103 | 104 | 105
Kategorien:

Buchempfehlung

Naubert, Benedikte

Die Amtmannin von Hohenweiler

Die Amtmannin von Hohenweiler

Diese Blätter, welche ich unter den geheimen Papieren meiner Frau, Jukunde Haller, gefunden habe, lege ich der Welt vor Augen; nichts davon als die Ueberschriften der Kapitel ist mein Werk, das übrige alles ist aus der Feder meiner Schwiegermutter, der Himmel tröste sie, geflossen. – Wozu doch den Weibern die Kunst zu schreiben nutzen mag? Ihre Thorheiten und die Fehler ihrer Männer zu verewigen? – Ich bedaure meinen seligen Schwiegervater, er mag in guten Händen gewesen seyn! – Mir möchte meine Jukunde mit solchen Dingen kommen. Ein jeder nehme sich das Beste aus diesem Geschreibsel, so wie auch ich gethan habe.

270 Seiten, 13.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon