Weide [2]

[470] Weide (Salix L., hierzu Tafel »Weide I u. II«), Gattung der Salikazeen, Bäume oder Sträucher, selten Halbsträucher, mit kurzgestielten, meist gesägten, lanzettlichen, linealischen oder elliptischen Blättern, meist zweihäusigen Blüten in Kätzchen, einfächerigen, zweiklappigen Kapseln und zahlreichen kleinen, mit einem Schopf seidenglänzender Haare besetzten Samen. Die etwa 160 schwer zu unterscheidenden Arten finden sich namentlich in der gemäßigten und kalten Zone der nördlichen Halbkugel und gehen außerordentlich leicht Kreuzungen ein. Die Bastarde bringen aber selten fortpflanzungsfähige Samen hervor und müssen daher, soweit sie ihres schnellern Wachstums halber[470] für die Kultur vorzuziehen sind, durch Stecklinge fortgepflanzt werden. Die fünfmännige W. (Lorbeerweide, S. pentandra L.), eine der schönsten Weiden, bis 12 m hoher Baum mit bräunlichgrünen oder rötlichen, unbereiften, sehr glänzenden Zweigen und breit-elliptischen, unbehaarten, lorbeerartigen Blättern, blüht sehr spät, wächst fast in ganz Europa und in Sibirien bis Kamtschatka. Die Bruchweide (Knackweide, S. fragilis L., Tafel I, Fig. 1 u. 2), mit gelblichgrünen oder bräunlichen, nicht bereisten Zweigen, elliptischen, später meist völlig unbehaarten Blättern, blüht von allen Weiden am spätesten, wächst in Europa, im Orient und in Sibirien. Die Silberweide (S. alba L., Tafel II, Fig. 6), bis 30 m hoher, schöner Baum mit nicht brüchigen, bräunlichgrünen, roten oder dottergelben, unbereiften Ästen und Zweigen, elliptisch-lanzettförmigen, zugespitzten, klein gesägten, besonders unterseits blaugrünen, seidenglänzend behaarten Blättern, wächst in Europa, Nordafrika, West- und Nordasien. Eine Abart ist die Dotterweide (gelbe W., S. vitellina L.). Die echte Trauerweide (S. pendula Mönch, S. babylonica L., Tafel II, Fig. 1), 3–7 m hoher Baum mit grünlichbraunen, nicht bereisten, überhängenden Ästen und Zweigen, sehr schmalen, gesägten, unterseits blaugrünen Blättern, blüht mit Entfaltung der letztern, stammt aus Japan und China, kam vor 200 Jahren nach dem Orient und von da zu uns, wächst aber nicht in Babylonien (der Garab des 137. Psalms ist eine Pappel, Populus euphratica), stand lange am Grabe Napoleons auf St. Helena (daher Napoleonsweide); wird (nur in weiblichen Exemplaren) als Trauerbaum kultiviert. Die Mandelweide (S. amygdalina L.), ein niedriger Baum oder Strauch mit unbehaarten, elliptischen, denen des Mandelbaumes ähnlichen, gesägten oder ganzrandigen Blättern und mit diesen erscheinenden Blüten, unbehaarten Fruchtknoten, wächst in ganz Europa, im Orient, Kaukasus und in Sibirien. In der nördlichen kalten Zone Amerikas, Asiens, in Nordeuropa und im europäischen Hochgebirge wachsen niedrige, auf dem Boden liegende und meist wurzelnde Weiden mit kleinen, rundlichen. ganzrandigen oder gezahnten Blättern. Hierher gehören: die Netzaderige W. (S. reticulata L., s. Tafel »Alpenpflanzen«, Fig. 6, mit Text), die Krautweide (S. herbacea L.), die Polarweide (S. polaris Wahlenberg, Tafel II, Fig. 2) und die rasenbildende Stutzweide (S. retusa L., Fig. 3) auf den Alpen. Die Blauweide (S. glauca L.), ein niedriger, sperriger Strauch mit verkehrt-eilänglichen bis lanzettlichen, graugrünen Blättern, wächst auf den Alpen, in den Gebirgen von Nordeuropa, Asien und Nordamerika. Ihr sehr ähnlich ist die Lappländische W. (S. Lapponum L.) auf dem Hochgebiege von Nord- und Mitteleuropa und in den Ebenen Nord- und Mittelrußlands. Die Zweifarbige W. (S. bicolor Ehr.), ein Strauch mit breit-elliptischen bis lanzettlichen, ganzrandigen bis gesägten, zuletzt fast lederartigen, oberseits glänzend grünen, unterseits auffällig blaugrünen Blättern, wächst in den Hochgebirgen von Europa, in Schlesien, auf dem Brocken und von Skandinavien durch Nordrußland bis zum Ural. Ein Bastard mit S. caprea, die Lorbeerweide (S. laurina Sm.), ein hoher Strauch mit dunkelbraunen, kahlen Ästen, ovallänglichen, ganzrandigen, oberseits glänzend dunkelgrünen, unterseits blaugrünen Blättern, wird kultiviert. Die Reifweide (Küstenweide, S. daphnoides Vill., S. cinerea Willd.), 8–10 m hoher Baum mit blauweißem Reif auf den Asten, länglich-lanzettlichen, zugespitzten, drüsig gesägten, kahlen Blättern, blüht lange vor den Blättern, wächst in Südfrankreich, Oberitalien, in den Alpentälern, in Deutschland, Österreich, Rußland bis zum Amurgebiet, Südschweden, an Flüssen und an der Ostseeküste. Die kaspische W. (S. acutifolia Willd., S. pruinosa Bess.), der vorigen ähnlich, aber mit schmälern, unterseits blaugrünen Blättern und schlanken, gern überhängenden Zweigen, ist aus dem südlichen Sibirien eingeführt und gehört zu den nutzbarsten Weiden, besonders geeignet, um losen Sand der Dünen zu binden. Die Korbweide (Bandweide, S. viminalis L.), ein hoher Busch mit sehr zähen Zweigen, schmalen, zugespitzten, am Rande meist zurückgerollten und ganzrandigen, unterseits weißfilzigen Blättern, blüht vor Entfaltung der letztern, in Europa und Nordasien sehr gemein. Die Zweige werden zum Binden und in der Korbflechterei benutzt. Die Salweide (Palmweide, Pfeifenholz, S. caprea L., Tafel I, Fig. 3–10; Tafel II, Fig. 4), 8–10 m hoher Baum oder Strauch mit unbehaarten Ästen, breit-elliptischen, kurz zugespitzten, schwach gezahnten, oberseits mattgrünen, unterseits grau behaarten Blättern, blüht von allen Weiden am frühesten, wächst in Mittel- und Nordeuropa und Nordasien und diente ehemals am Palmsonntag zum Kirchenschmuck (daher Palme). Ihre Blätter riechen sehr stark, bei einer transkaukasischen Form nach Moschus. Die Grauweide (S. cinerea L.), Strauch mit grauflaumigen Zweigen und Knospen und lanzettlichen, kurz zugespitzten, wellig gesägten, weichhaarigen Blättern, blüht sehr früh, wächst in allen Elb- und Oderwäldern an Wiesenrändern, in ganz Europa, dem Orient und Nordasien. Die Kriechweide (Moorweide, S. repens L.), ein 1 m hoher Strauch mit breit-ovalen bis lineallanzettlichen Blättern, wächst auf feuchten Wiesen und Torfmooren in Mitteleuropa und bis Sibirien. Die Purpurweide (S. purpurea L.), ein Strauch mit glänzenden Ästen, verkehrt-lanzettlichen, meist zugespitzten, scharf gesägten, zuletzt völlig kahlen, unterseits blaugrünen, sehr bitter schmeckenden Blättern, blüht meist mit Entfaltung der letztern, wächst an trockenen Stellen in der Ebene in Europa, im Orient, im Kaukasus und bis zum Baikalsee. Eine kleinblätterige Varietät wird als Trauerbaum kultiviert. Die echte Bachweide (S. Helix L.), ein hoher Strauch von weniger sperrigem Wuchs als die vorige, sonst ihr sehr ähnlich, aber mit weniger bitter schmeckenden Blättern, wächst in Europa und im Orient bis Persien.

Die Weidenkultur als forstwirtschaftlicher Betrieb hat große Bedeutung in Örtlichkeiten mit hohem Grundwasserspiegel, in Flußtälern und Niederungen. Anbauwürdige Weidenarten sind besonders folgende: unter den Baumweiden, die meist zu Kopfholzbetrieb benutzt werden, die Silberweide (S. alba), die Dotterweide (S. vitellina) und die Knackweide (S. fragilis, besonders an Flußufern); unter den Strauchweiden besonders die Korb- oder Bandweide (S. viminalis), die Purpurweide (S. purpurea), die Mandelweide (S. amygdalina), die Lorbeerweide (S. pentandra), die Dotterweide (S. vitellina), die kaspische W. (S. acutifolia) u. a. Die Weidenkultur erfolgt meist durch Einzelfleckung auf gelockertem Boden, indem man 2–4 junge Stecklinge, etwa 35 cm lang geschnitten, in einem Verband von 0,5–0,7 m mittels eines Weidenpflanzers einsteckt. Dieselben entwickeln sich rasch zu nutzbaren Weidenstöcken. An Flußufern legt man die Stecklinge auch[471] in Nestern zusammen; zur Erziehung von Kopfstämmen wählt man Satzstangen, 2,5 m lang, 5–6jährige Ausschläge, und pflanzt sie mittels des Pfahleisens. Bei der Kopf- und Schneidelholznutzung wird die ganze Krone oder die Seitenäste (unter Erhaltung des herrschenden Mitteltriebes) mit glattem Hieb am Stamm alle 2–4 Jahre hinweggenommen. In den Weidenhängern, wo es sich um die Gewinnung von Flechtruten oder Bandruten handelt, erfolgt der Schnitt alljährlich oder alle 2–3 Jahre. Die Ruten werden am Gewinnungsort mittels eines Weidenschälers entrindet, sofern sie in diesem Zustand in den Handel gebracht werden sollen, in Bunde gebunden und vor Regen, auch vor zu raschem Austrocknen bewahrt. Mit der Weidenkultur werden vielfach landwirtschaftliche Zwischennutzungen verbunden, indem man die Stecklinge in 2 m voneinander entfernte Rigolgräben einlegt und zwischen den Gräben Hackfrüchte baut. Man pflanzt die Weiden auch häufig zur Befestigung von Wasser- und Uferbauten, Dämmen, Dünen etc. an. Das Holz ist weiß, leicht, sehr weich, grobfaserig, leichtspaltig, meist zäh biegsam, wenig dauerhaft, wird aber (von S. alba, fragilis, auch von S. caprea) zu verschiedenen Geräten, Sparterie, Schachteln, Sieben, Schuhen, Schnitzarbeiten etc., als Blind- und Kistenholz, beim Bau von Flußkähnen und zur Erzeugung von Papiermasse benutzt. Man verkohlt es auch zur Gewinnung von Reißkohle und Pulverkohle. Die Rinden fast aller häufiger vorkommenden Weiden gehören in Europa, namentlich in Rußland, aber auch in Österreich, Deutschland, Dänemark, auf der Skandinavischen Halbinsel, in Finnland, Lappland etc., zu den wichtigsten Gerbmaterialien und werden auch in Nord- und Südamerika und in Ägypten benutzt. Die Wertunterschiede zwischen den einzelnen Weidenarten sind nicht sehr groß, in den meisten Gegenden werden auch die Weiden nicht kultiviert, sondern man nutzt nur das in Ebenen und Auen massenhaft vorkommende Material aus. In Niederösterreich, in Holland, im Neckartal etc. werden S. caspica, viminalis, purpurea, amygdalina u. a. für die Flechtindustrie rationell gezüchtet und liefern dann als Nebenprodukt Gerbrinden. Der mittlere Gerbstoffgehalt der Weidenrinden beträgt etwa 8 Proz. Früher wurden die bitter schmeckenden Rinden arzneilich benutzt; sie enthalten Salizin, das besonders aus S. Helix und purpurea dargestellt wird. Weidenbast dient zu Stricken, Matten etc. Zweige und Äste von S. viminalis, auch von S. purpurea, pruinosa, triandra, alba, daphnoides etc. benutzt man zum Binden und namentlich zum Flechten von Korbwaren, zu Faschinen etc. Manche Weiden geben den Bienen reichliches Futter, und viele werden als Zierpflanzen kultiviert. Die weiße W. (S. alba) galt im Altertum als Symbol der Keuschheit und Unfruchtbarkeit, weshalb die Frauen bei den Thesmophorien ihr Lager mit unfruchtbaren (männlichen) Zweigen bestreuten. Vgl. Hoffmann, Historia salicum (Leipz. 1785–91, 2 Bde.); Koch, De salicibus europaeis (Erlang. 1828); Wichura, Die Bastardbefruchtung im Pflanzenreich, erläutert an den Bastarden der Weiden (Bresl. 1865); Wimmer, Salices europaeae (das. 1866); Andersson, Monographia salicum (Stockh. 1867); Seemen, Salices japonicae (Leipz. 1903); über Korbweidenkultur die Schriften von Dochnahl (2. Aufl., Basel 1887), R. Schulze (Bresl. 1885), Krahe (5. Aufl., Aachen 1897), A. Schmid (2. Aufl., Stuttg. 1898), Hemmerling (Neudamm 1901), Kern (Dresd. 1904) u. a.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 470-472.
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