Tischrücken

[617] Tischrücken (engl. Table-moving, franz. Les tables tournantes), eine eigenthümliche drehende u. zuletzt gleichsam fortschreitende Bewegung, in welche ein Tisch versetzt wird, wenn mehre Personen in der Art die Hände darauf legen, daß sie eine Kette bilden. Es stammt aus den Vereinigten Staaten von Nordamerika, wo sich zuerst 1847 in Arcadia im Staate New York eine andere ähnliche[617] Tischbewegung, das sogen. Geisterklopfen (s.u. Geist S. 84), bemerklich gemacht hatte, u. wurde in Deutschland zuerst im März 1853 von Bremen aus von K. Andree bekannt gemacht. Es besteht in Folgendem: Wenn mehre Personen um einen Tisch eine Kette bilden, d.h. so Platz nehmen, daß ihre Füße u. Kleider weder sich unter einander, noch den Tisch berühren, jeder aber beide Hände lose auf den Tisch legt u. dabei seinen kleinen Finger der rechten Hand auf denlinken seines Nachbars zur Rechten ruhen läßt, so fängt der Tisch nach einiger Zeit an sich zu bewegen. Häufige Wiederholungen dieses Experiments stellten das Factum fest, daß unter dem Einflusse der auf obige od. ähnliche Weise gebildeten Kette der Tisch schwanke, sich neige, verschiebe, drehe. Daß dies ohne irgend welche körperliche, in Schieben od. Drücken sich äußernde Anstrengung erfolge, schien bes. der Umstand zu beweisen, daß in vielen Fällen auch schwache Kinder sehr schwere Tische in verhältnißmäßig rasche Bewegungen versetzten. Die Zeit, nach welcher solche Erscheinungen eintreten, schwankt zwischen einem Zeitraum von wenigen Minuten bis zu mehren Stunden u. kann durch die Mitwirkung gewisser, sich bes. dazu eignender Personen, sowie solcher, welche den Versuch schon kurz zuvor wiederholt gemacht haben, merklich verkürzt werden. Der Sinn der Drehung ist bald von links nach rechts, bald der umgekehrte. Das Material des Tisches, wie das der Unterlage, ist für das Gelingen des Versuchs gleichgültig. Um eine Erklärung dieser Erscheinung zu geben, nahmen Einige ihre Zuflucht zur Annahme elektrischer od. magnetischer, von den Personen dem Tische sich mittheilender Ströme, od. zum Od od. zum Diamagnetismus. Die Gegner dieser Erklärungsweise halten (abgesehen davon, daß die mechanischen Gesetze des an sich mehr als hypothetischen Od [s.d.] noch Allen unbekannt seien) alle auf Elektricität, Magnetismus od. Diamagnetismus basirten Erklärungsversuche für unwissenschaftlich, weil sie mit den bekannten Gesetzen der durch diese Agentien erzeugten Bewegungen in directem Widerspruche stehen. Andere behaupten, der Tisch drehe sich auf mechanische Weise durch Drücken od. Schieben, wozu nur noch ein eigenthümlicher zitternder Zustand des Körpers hinzutrete. Diese sagen: Offenbar ist es ein höchst unwahrscheinlicher Fall, daß Jemand, der beide Hände auf den Tisch legt, nach beiden Seiten hin gleich stark drücke od. schiebe; vielmehr wird, wenn nicht ein sichtbares Merkmal gegeben ist, nach welchem der Druck absichtlich nach beiden Seiten auf das Feinste regulirt u. gleichmäßig abgewogen werden kann, derselbe nach der einen Seite um ein mehr od. minder bedeutendes Quantum überwiegen; u. wenn Mehre zugleich das Nämliche thun, so wird sich eine Summe solcher einseitig ausgeübter Drucke ergeben, von welcher es wieder höchst unwahrscheinlich ist, daß sie genau gleich Null sei. Zugleich bleibt ein verticaler Druck übrig, welcher gleicher Weise auf irgend einer Seite des Tisches überwiegt. Jener einseitige horizontale Druck würde nun jeden Tisch augenblicklich zum Drehen bringen müssen, wenn nicht derselbe durch die Reibung auf der rauhen Unterlage festgehalten würde, welche nach bekannten Gesetzen gerade dem Anfange der Bewegung am wirksamsten entgegensteht, ihrem Fortgange aber weit weniger hinderlich ist. Nun bewirkt aber die lange Dauer des Versuchs, namentlich bei einer unbequemen Anordnung der Kette (welche sich jedoch nach u. nach als immer weniger wesentlich erwiesen hat), nicht allein, daß die müde, unempfindlich u. steif gewordenen Hände u. Arme, ohne daß die Experimentirenden es bemerken, stärker drücken u. schieben, sondern es geräth dabei auch der ganze Organismus, bes. bei leicht erregbaren Naturen, in ein Erzittern, welches sich auch durch mannigfache innere Empfindungen ankündigt. Indem dieses Erzittern dem Tisch sich mittheilt, hebt u. löst sich derselbe gleichsam vom Boden, der größte Theil der Reibung verschwindet u. der Tisch folgt ungehindert dem Seitendrucke der aufliegenden Kette. Dafür, daß die Erscheinung rein mechanischen Gesetzen folgt, führt man noch an: Für einen schweren Tisch ist die Reibung größer, als für einen leichten, für einen mit vier Beinen versehenen größer, als mit drei, für einen mit breiter Fläche aufstehenden größer, als für einen in wenig Punkten den Boden berührenden; demgemäß bewegt sich aber auch immer ein Tisch von einer der ersteren Eigenschaften schwerer, als von einer der letzteren. Je weiter ferner seine Platte über dem Ende der Füße hervorragt u. je näher die Hände dem Rande der Platte gebracht werden, um so schneller erfolgt die Drehung, indem dann die Kraft der Hände an einem längeren Hebelarme, also mit mehr Erfolg wirkt, als die Reibung. Ein viereckiger Tisch ist dem Drehen weit ungünstiger, als ein runder, weil für alle an einer geraden Seite hin Sitzenden der Hebelarm bedeutend kürzer ist, als für die an den Ecken befestigten Tischbeine. Wenn mehre Personen so um einen dreifüßigen Tisch geordnet sind, daß sie mehr zwischen den Beinen desselben stehen, so tritt die kippende Bewegung schneller ein, während dies von der rotirenden gilt, sobald die Personen sich vor die Beine stellen. Auch Faraday hat exact darzuthun gesucht, daß nicht ein in den Tisch übergeströmtes Fluidum zunächst diesen bewege u. der Tisch nachher erst die Hände mit sich führe, sondern daß die Hände mechanisch den ersten Anstoß geben, u. hat dazu ein besonderes Instrument (Indicator) construirt. Auch der Wille des Menschen führt unbewußt Bewegungen der Muskeln herbei, u. diesem Umstande sind manche Einzelnheiten der Erscheinung zuzuschreiben, z.B. daß der Sinn der Drehung gewöhnlich wechselt, wenn die kleinen Finger in der auf obige Weise gebildeten Kette plötzlich vertauscht werden. Daraus erklären Einige auch das Tischklopfen (s.d.). Etwas Ähnliches wurde schon von den Juden gemacht, das sogenannte Tischaufgehenlassen. Es wurde nämlich in ihren Zusammenkünften ein Tisch mit großen Lasten beladen; die Versammelten sprachen sich die Namen von Dämonen in die Ohren u. darauf hob sich der Tisch in die Höhe u. senkte sich wieder. Die Sache kam im 17. Jahrh. durch den getauften Juden Brentz zur Öffentlichkeit. Die Juden selbst erklärten den Vorgang durch die praktische Kabbala, Andere als Zauberei.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 17. Altenburg 1863, S. 617-618.
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