[975] Rhythmus; Rhythmisch. (Redende Künste, Musik, Tanz)
Die Wörter sind griechisch, von unbekannter, wenigstens sehr ungewisser Abstammung, und kommen bey den Alten in verschiedener Bedeutung vor. Die Griechen nannten Rhythmus, 1. was die Römer Numerum Oratorium nannten. 2. das, was wir das Sylbenmaaß nennen; denn sie hatten einen daktylischen, jambischen, päonischen Rhythmus u.s.f. 3. in der Musik, das was wir Takt nennen; denn was wir izt durch die Worte geraden und ungeraden Takt ausdruken, hieß bey den Griechen gleicher, oder gerader, und ungleicher, oder ungerader Rhythmus. 4. im Tanz das, was wir Pas, oder einen Tanzschritt nennen. Die Neuern haben den Begriff des Worts mehr eingeschränkt. In der Dichtkunst wird des Rhythmus selten erwähnet, weil er meistentheils unter dem Wort Sylbenmaaß betrachtet wird. In der Musik ist er fast allein auf die Abmessung der Einschnitte eingeschränkt. Wir betrachten ihn hier in der weiteren und ehemaligen Ausdähnung.
Es läßt sich aus den angeführten verschiedenen Bedeutungen abnehmen, daß das Wort überhaupt etwas wolgeordnetes, und gleichförmiges in der Folge der Töne und der Bewegung anzeige. Zwar sagt Aristides Quintilianus, einer der alten noch vorhandenen Schriftsteller über die Musik, daß auch in Dingen die auf einmal ins Auge fallen, wie in einer Statüe, ein Rhythmus statt habe. Da aber das, [975] was aus den guten Verhältnissen in Gebäuden und Formen entsteht, Eurythmie genennt worden; so läßt sich daraus abnehmen, daß die Griechen dem Ebenmaaß der Formen nicht eigentlich den Rhythmus, sondern etwas dem Rhythmus ähnliches zugeschrieben haben, und daß das Wort die Ordnung und das Abgemessene in Dingen, die auf einander folgen, ausgedrükt habe.
Indessen erkläre man das griechische Wort, wie man wolle; so nehmen wir es hier blos von der Ordnung in Ton und Bewegung, und zwar vornehmlich in so fern sie in der Musik und in dem Tanz vorkommt. Wir werden nachher die Anwendung davon auf die Dichtkunst leichte machen können. Von dem Rhythmus der prosaischen Rede, haben wir schon unter seinem lateinischen Namen Numerus gesprochen. Damit der über diese Materie noch ununterrichtete Leser auf einmal einen allgemeinen, und richtigen Begriff vom Rhythmus in der Musik bekomme, merken wir vorläufig an, daß in der Musik der Rhythmus gerade das ist, was in der Poesie die Versart.
Da nicht nur die Alten dem Rhythmus große ästhetische Kraft zuschreiben, sondern auch izt Jedermann gesteht, daß im Gesang und Tanz alles, was man eigentlich Schönheit nennt, vom Rhythmus herkommt; so gehört die Untersuchung über die eigentliche Natur und die Würkung desselben unmittelbar hieher, und ist um so viel nöthiger, da sie, so viel mir bekannt ist, von keinem Kunstrichter unternommen worden; daher die Tonsezer selbst ofte ziemlich verworrene Begriffe von dem Rhythmus haben, dessen Nothwendigkeit sie empfinden, ohne den geringsten Grund davon angeben zu können.
Ich habe gesagt, man schreibe das, was die Musik und der Tanz im eigentlichen Sinne schönes haben, dem Rhythmus zu. Hier muß ich, um die Materie meiner Untersuchung genauer zu bestimmen, nothwendig anmerken, daß Gesang und Tanz ihre ästhetische Kraft aus zwey ganz verschiedenen Quellen schöpfen. Die Töne der Musik, die Bewegungen und Gebehrden des Tanzes können eine natürliche Bedeutung haben, wobey der Rhythmus nicht in Betrachtung kommt. Man höret Töne und sieht Bewegungen die an sich fröhlich, freudig, zärtlich, traurig und schmerzhaft sind. Diese haben, ohne allen Einflus der Kunst, Kraft uns zu rühren, und man nennet oft auch diese Dinge schön. Die Schönheit, die aus dem Rhythmus entsteht, ist etwas ganz anderes; nämlich, sie liegt in Dingen, die an sich völlig gleichgültig sind; die gar keine natürliche Bedeutung, keinen Ausdruk der Freude, oder des Schmerzens haben.
Damit wir alles Fremde, von der Untersuchung über den Ursprung, die Natur und Würkung des Rhythmus ausschließen, wollen wir blos völlig gleichgültige Elemente voraussezen, dergleichen die Schläge einer Trummel oder die Töne einer Sayte sind; Töne ohne andere Kraft, als die, die sie durch den Rhythmus erhalten. Es wird hernach leicht seyn, die Theorie auch auf andere Elemente anzuwenden.
Man stelle sich also einzele Schläge einer Trummel, oder einzele Töne einer Sayte vor, und mache sich die Frage, wodurch kann eine Folge solcher Schläge angenehm werden, und einen sittlichen, oder leidenschaftlichen Charakter bekommen? so stehet man gerade auf dem Punkt, von dem die Untersuchung über den Rhythmus anfängt. Nun zur Sache.
Erstlich ist offenbar, daß solche Schläge, die ohne die geringste Ordnung, oder regelmäßige Abmessung der Zeit auf einander folgen, gar nichts an sich haben, das die Aufmerksamkeit reizen könnte; man höret sie, ohne darauf zu achten. Cicero vergleicht irgendwo den Numerus der Rede mit einen gewissen regelmäßig abgewechselten Herunterfallen der Regentropfen. Das Beyspiehl kann uns auch hier dienen. So lange man ein völlig unordentliches Geräusch der Tropfen höret, denkt man weiter an nichts, als daß es regnet. Sobald man aber unter dem Geräusche das Auffallen einzeler Tropfen unterscheidet, und wahrnihmt, daß diese immer in gleicher Zeit wiederkommen, oder daß nach gleichem Zeitraum immer zwey, drey, oder mehr Tropfen nach einer gewissen Ordnung auf einander folgen, und so etwas Periodisches bilden, wie die Hammerschläge von drey oder vier Schmieden; so wird die Aufmerksamkeit zu Beobachtung dieser Ordnung angeloket. Da entstehet nun schon etwas vom Rhythmus, nämlich eine regelmäßige Wiederkehr von einerley Schlägen.
Wenn wir uns also, um wieder auf die Schläge der Trummel zu kommen, eine Folge von gleichen Schlägen nach gleichen Zeittheilen auf einander kommend, unter dem Bilde gleichgroßer und in gleicher Entfernung von einander gesezter Punkte vorstellen; so haben wir einen Begriff von der einfachesten Ordnung [976] in Folge der Dinge, den untersten und schwächesten Grad des Rhythmus. Die Schläge sind alle einander gleich, und folgen in gleichen Zeiten. Die Würkung dieses ganz einfachen Rhythmus ist nichts, als ein sehr geringer Grad der Aufmerksamkeit. Denn da in den Tönen, die unaufhörlich an unser Gehör klopfen, insgemein keine merkliche Ordnung ist; so wird man aufmerksam, so bald sie sich irgendwo darin einfindet.
Wollte man nun hier einen Grad der Ordnung mehr hineinbringen, so müßte es dadurch geschehen, daß die Schläge nicht gleich stark wären, die stärkern und schwächern aber nach einer festen Regel abwechselten. Die einfacheste und leichteste Regel dieser Abwechslung aber wäre diese: daß von zwey auf einander folgenden Schlägen, der erste stark, der andere schwach wäre. Alsdenn würde man außer der Ordnung der gleichen Zeitfolge auch die bemerken, daß die Schläge immer paarweise, ein starker und ein schwacher folgten, wie diese Punkte Hier fängt nun schon das an, was wir in der Musik den Takt nennen. Diese taktmäßige Folge der Schläge hat schon etwas mehr, als die vorhergehende, um die Aufmerksamkeit zu reizen. Hier ist schon doppelte Einförmigkeit, und schon ein Grad der Abwechslung.
Daß Einförmigkeit mit Abwechslung und Mannigfaltigkeit verbunden Wolgefallen erweke, können wir hier als bekannt voraussetzen. Daher entstehet also das Wolgefallen an Dingen, die für sich und einzeln völlig gleichgültig sind. Und hier fangen wir an zu begreifen, wie durch den Rhythmus, oder das Wolgeordnete in der Folge gleichgültiger Dinge, Schönheit entstehen könne.
Nun ist es leicht sich vorzustellen, was für Veränderungen mit dem Takte können vorgenommen werden, wodurch die Ordnung der Schläge nicht nur mannigfaltiger wird, sondern auch einen Charakter bekömmt. Da es höchst schweerfällig und auch unnöthig wäre, sich ganz umständlich hierüber zu erklären; so will ich mich nur mit ein Paar näheren Anmerkungen hierüber begnügen. Jedermann empfindet den Unterschied im Charakter zwischen dem geraden und ungeraden Takte. Dieser Takt: oder oder dieser läßt uns ganz was anders empfinden, als dieser: oder als dieser und beyde unterscheiden sich im Charakter merklich von diesem der aus beyden Arten zusammengesetzt ist. Wer dieses fühlen will, der därf nur eine Weile hinter einander folgende Wörter mit Beobachtung der Interpunktation aussprechen. Eins, zwey: Eins, zwey: Eins, zwey: oder diese: Eins zwey drey: Eins zwey drey: Eins zwey drey: oder endlich diese: Eins zwey drey, vier fünf sechs: Eins zwey drey, vier fünf sechs: Eins zwey drey, vier fünf sechs. Man empfindet sehr deutlich den Unterschied in der Ordnung dieser dreyerley Arten der Folgen; oder die drey Arten des Rhythmus. Thut man nun noch hinzu, daß ein und eben derselbe Takt eine geschwindere, oder langsamere Bewegung haben kann, welches die Tonsezer durch Allegro, Andante, Adagio u.s.w. ausdrüken; daß bey demselben Takte, die einzeln Schläge mannigfaltige Abwechslung vertragen, wie wenn anstatt dieser diese: oder diese gesezt werden; daß sogar bisweilen einige ganz wegfallen, und durch Pausen ersezt werden; thut man endlich hinzu, daß die Schläge auch in Höhe und Tiefe verschieden; daß sie geschleift oder gestoßen, und durch mancherley andere Modificationen, die besonders die menschliche Stimme den Tönen geben kann, verschieden werden können; so begreift man leichte, daß eine einzige Taktart, eine unerschöpfliche Mannigfaltigkeit von Abwechslung geben könne. Und hieraus läßt sich schon überhaupt begreifen, wie eine Reyhe an sich unbedeutender Töne blos durch die Ordnung der Folge angenehm werden und einen gewissen Charakter bekommen könne.
Nach dieser vorläufigen Erläuterung, können wir nun schon etwas näher bestimmen, was eigentlich der Rhythmus in einer Folge von Tönen sey. Nämlich überhaupt die Eintheilung dieser Folge in gleich lange Glieder, so, daß zwey, drey, vier oder mehr Schläge ein Glied dieser Reihe ausmachen, das nicht blos willkührlich, sondern durch etwas, das man würklich empfindet, von andern unterschieden sey. Dieses ist eigentlich das, was man in der Musik den Takt und in der Poesie das Sylbenmaaß nennet, und zugleich die erste und einfacheste Art des Rhythmus. Dieser einfache Rhythmus hat schon vielerley Arten. Er ist entweder gerad, oder ungerad; hernach kann der gerade sowol, [977] als der ungerade, durch die darin herrschende Geltung, da entweder die Viertel- oder Achtel-Noten am öftersten vorkommen, wieder besondere Charaktere annehmen.
Wenn nun mehr Takte wieder unterschiedene Glieder ausmachen, deren jedes, aus zwey, drey oder mehr Takten besteht, so entsteht wieder eine andre Art des Rhythmus, den wir den zusammengesezten nennen wollen. Endlich kann man auch aus solchen schon zusammengesezten Gliedern, wieder größere Glieder (Perioden) machen. Wenn auch diese in gleichen Zeiten wieder folgen, so entstehet eine noch mehr zusammengesezte Art des Rhythmus daraus.
Wir wollen dieses noch einmal an dem schon angeführten Beyspiehl einer Reyhe von Schlägen völlig erläutern.
Man seze, daß man eine Reyhe gleicher und in gleicher Zeit hinter einander folgender Schläge würklich laut zähle: Eins, zwey, drey, vier u.s.f. so daß man jedes Wort gerade so laut und so nachdrüklich, als das andere ausspreche. Hier wär also bloße Regelmäßigkeit ohne Takt oder Rhythmus: bey der Regelmäßigkeit aber hätte geschwindere, oder langsamere Bewegung statt. Wären die Schläge vollkommen gleich, und man wollte sie nicht in einer Reyhe nach allen Zahlen fortzählen, sondern Paarweise, oder drey, vier und mehr zusammen, also: Eins zwey; Eins zwey; oder Eins zwey drey; Eins zwey drey; u.s.f. So gäbe dieses einen Schein des Taktes; in der That aber wär es noch kein würklicher Takt, wenn nicht in den Schlägen selbst etwas gefühlt würde, das zu dieser Abtheilung in Glieder von zwey, drey, oder mehr Theilen, Gelegenheit gäbe.
Hat aber dieses Abtheilen in Glieder einen würklichen Grund in dem Gefühl; wird z.B. der erste, dritte, fünfte Schlag stärker, als der zweyte, vierte und sechste, angegeben, so entsteht der Takt von zwey Theilen u.s.f., wo der Strich über die Noten den Nachdruk, oder die mehrere Stärke des Schlages, anzeiget. So würde, wenn der erste, vierte, siebende Ton stärker, als die dazwischen liegenden angeschlagen würden, der Takt aus drey Theilen entstehen. Und so andere Taktarten. Hier ist nun Regelmäßigkeit und Rhythmus.
Nun entstehen bey einerley Takt noch besondere Arten dieses Rhythmus daher, daß die Schläge eine andere Art von Glied, oder ein anderes Ganzes ausmachen. So ist z.B. in dieser Folge von Schlägen und in dieser einerley Takt, den man den Dreyvierteltakt nennt: aber jene Folge hat eine andere Art des Rhythmus, als diese, ob sie gleich als Takte einerley Namen haben. Zu dieser besondern Art des Verhältnisses der Takttheile unter einander wird blos auf die Dauer der Töne, und auf den Nachdruk gesehen, wobey die Höhe nicht nothwendig in Betrachtung kommt. Denn in folgenden zwey Takten
wär kein Unterschied des Rhythmus.
Dieses ist aber der einfache Rhythmus. Ehe wir aber zur Betrachtung des Zusammengesezten gehen, wollen wir diesen Begriff des einfachen Rhythmus auch auf Beyspiehle der Dichtkunst und des Tanzens anwenden.
Nach der lateinischen und griechischen Prosodie, auch einigermaaßen nach der Deutschen, haben das jambische und trochäische Sylbenmaaß einerley Takt; nämlich einen ungeraden Takt von drey Theilen, deren zwey in einen zusammengezogen sind; aber als Rhythmus betrachtet, sind sie verschieden. Der jambische Rhythmus ist so: der trochäische so: Eben diesen Takt würde ein Pyrrychischer Vers haben; aber als Rhythmus wär er von einer andern Art:
Im Tanz kann ein Schritt, oder Pas, aus zwey, aus drey oder aus vier Zeiten, oder kleinen Bewegungen bestehen. Die Zahl dieser Zeiten, und die Geschwindigkeit, womit der ganze Pas vollendet wird, machen den Rhythmus aus, in so fern er Takt genennt wird, aber das Verhältnis der Zeiten gegen einander macht eine Verschiedenheit im Rhythmus aus.
Wenn nun aus mehrern Takten wieder größere Glieder gebildet worden; so daß zwey, drey oder vier Takte allemal einen dem Gefühl vernehmlichen Abschnitt in der Reyhe der Töne, oder der Bewegungen machen, so entstehet der zusammengesezte Rhythmus. In der Poesie bestimmt das Sylbenmaaß den Takt und zugleich den einfachen Rhythmus; die Versart [978] aber, oder das Metrum, den Zusammengesezten. Man stelle sich folgende Versart vor so ist hier ein Takt von zwey Zeiten, in welchem zwey einfache Rhythmen, nämlich der Spondäus und der Daktylus vorkommen. Zugleich aber kommen zweyerley grössere Glieder oder Verse vor, davon einer aus einem Jambus und Daktylus, der andre aus zwey Jamben besteht; hier hat also der erste Vers einen zusammengesezten Rhythmus, der anders ist, als der zusammengesezte Rhythmus des andern Verses.
Jedermann weiß, wie unzählig viele Veränderungen durch die zusammengesezten Rhythmen entstehen können. Die unerschöpfliche Mannigfaltigkeit der Versarten dienet zum Beyspiehl, aus dem auch auf Musik und Tanz kann geschlossen werden. Ueber diesen Rhythmus ist in Ansehung der Musik zu merken, daß seine Glieder nicht nothwendig aus ganzen Takten bestehen, wie z. E. dieses sondern auch aus getheilten Takten; als so: oder so: Nämlich man kann diesen Rhythmus am Anfang, in der Mitte oder beym lezten Theil des Taktes anfangen; aber er muß, um eine Anzahl ganzer Takte zu haben, alsdenn auch wieder vor dem Takttheil aufhören, bey dem er angefangen, wie obige Beyspiehle zeigen.
Endlich giebt es auch einen doppelt und dreyfach zusammengesezten Rhyhtmus. Der doppelt zusammengesezte besteht aus Perioden von zwey, oder mehrern zusammengesezten Rhythmen. Zum Beyspiehl dienen die Versarten, wo allemal zwey, drey oder mehr Verse eine rhythmische Periode machen, die immer wiederkommt. In der elegischen Versart, in unsern Alexandrinern, die immer wechselsweise, männlich und weiblich endigen, und in andern Versarten, machen zwey Verse die Periode, oder den doppelt zusammengesezten Rhythmus aus; in andern Versarten, kommen drey, in andern vier Verse auf eine Periode, die alsdenn eine Strophe genennt wird.
Wo doppelte wiederkommende Strophen sind, da ist der Rhythmus dreyfach zusammengesezt; aus Versen, und aus zweyerley großen Perioden. So sind die meisten Tanzmelodien. Zwey, oder mehr Takte machen einen Einschnitt oder Vers; zwey, oder mehr Einschnitte eine Periode, oder einen Haupttheil; zwey Haupttheile machen die ganze Strophe, oder die ganze Melodie, die in der Folge so ofte wiederholt wird, bis der Tanz zu End ist. Dieses ist die vollkommenste rhythmische Einrichtung; weil eine noch größere Mannigfaltigkeit der Zusammensezung dem Ohr nicht mehr faßlich wäre.
Mit diesen Tanzmelodien kommen unsre alten jambischen und trochäischen Versarten mit doppelten Strophen genau überein. Man nehme z.B. Hallers Doris, die Füße sind Takte, durchaus von ähnlichem Rhythmus, nämlich Jamben. Vier solche Takte, machen einen Einschnitt, nur haben zwey Verse außer den vier Füßen eine angehängte kurze Sylbe, um den Einschnitt oder Vers fühlbarer zu machen. Diese drey Einschnitte machen die erste Periode, oder den ersten Theil der Melodie aus.
Komm Doris, komm zu jenen Buchen
Laßt uns den stillen Grund besuchen,
Wo nichts sich regt als ich und du.
Denn folgt ein ähnlicher und gleichgroßer zweyter Theil:
Nur noch der Hauch verliebter Weste
Belebt das schwanke Laub der Aeste
Und winket dir liebkosend zu.
Dieser Theil unterscheidet sich von dem ersten durch den Ton; und jeder Tonsezer von mittelmäßigen Nachdenken, würde ihn auch in einem andern Ton, z.B. in der Dominante des ersten, sezen; gerade wie man es insgemein mit den Tanzmelodien macht. Hernach wird dieselbe Strophe mit allen ihren Rhythmen so lange wiederholt, bis das Lied zu End ist.
Bey dieser Gelegenheit muß ich anmerken, daß diese Art Strophen für den Gesang die vollkommenste rhythmische Einrichtung haben. Die lyrischen Versarten der Alten schiken sich selten für unsre Musik. Allem Ansehen nach haben die Griechen ihrem Gesang keine harmonische Begleitung gegeben, folglich auch keine harmonische Cadenzen gekannt, und einen vollen Redesaz nicht wie wir thun, durch eine Cadenz geschlossen. Ihr Sylbenmaaß allein war hinreichend, die Einschnitte völlig fühlbar zu machen. Vielleicht könnten wir den Gesang der Alten wieder finden, wenn ein Tonsezer von Geschmak versuchen wollte, die Klopstokischen Oden nach griechischen Sylbenmaaßen so zu sezen, daß der Gesang einer Strophe auf alle andern gleich gut paßte. Doch dieses im Vorbeygang.
Dieses kann hinlänglich seyn jedem aufmerksamen Leser einen richtigen Begriff von dem zu geben, was in Musik und Tanz Rhythmus genennt wird. [979] Man siehet daraus, daß er im Grunde nichts anders sey, als eine periodische Eintheilung einer Reyhe gleichartiger Dinge, wodurch das Einförmige derselben mit Mannigfaltigkeit verbunden wird; so, daß eine anhaltende Empfindung die durchaus gleichartig (Homogen) gewesen wäre, durch die rhythmischen Eintheilungen, Abwechslung und Mannigfaltigkeit bekommt. Es ist aber der Mühe werth seinem Ursprung und seinen Würkungen näher nachzuforschen.
Daß der Rhythmus nichts Gekünsteltes sey, das aus Ueberlegung entstanden, sondern eine natürliche Empfindung zum Grund habe, kann daraus abgenommen werden, daß auch halb wilde Völker ihn in ihren Tänzen beobachten, und daß alle Menschen in gewisse Verrichtungen etwas rhythmisches bringen, ohne zu wissen, warum. Jeder Mensch, der mit einer gewissen Geschwindigkeit etwas zu zählen hat, wird nicht lange in ununterbrochener Gleichförmigkeit so zählen: Eins, zwey, drey, vier u. s. f. sondern gar bald die Zahlen Gliederweis, zwey, drey, oder mehr Zahlen auf ein Glied, abtheilen; nämlich so: Eins zwey; drey vier; u.s.f. oder so: Eins zwey drey; vier fünf sechs; u.s.f. Geschiehet das Zählen langsam, so, daß es nicht wol mehr angeht, mehr Zahlen zu einem Glied zu nehmen; so sieht man die zu große Einförmigkeit dadurch zu unterbrechen, daß man eine Zahl in zwey Theile theilet. Anstatt so zu zählen: Eins – zwey – drey –, so daß zwischen zwey Wörtern eine merkliche Zeit verflösse, fällt man bald darauf so zu zählen: Ei – nes; zwey – e; drey – e; u.s.f.
So bald das Ohr laute Schläge, die in gleichen Zeiten hinter einander folgen, vernihmt; so kann man sich nicht enthalten im Geiste sie zu zählen; folglich sie auf beschriebene Art einzutheilen. Machen wir diese Schläge selbst, so richten wir sie schon so ein, daß das rhythmische Zählen durch die Verschiedenheit der Schläge selbst erleichtert werde. Der Faßbinder, oder Böttger, der einen Reifen antreibet, der Kupferschmied, der einen Kessel hämmert, fällt gar bald darauf, seine Schläge nicht einzeln in völliger Gleichheit so zu thun: u.s.f. er wird bald so schlagen: u.s.f. oder so: u.s.f. und die Stärke oder den Ton der drey, oder vier auf einen Takt gehenden Schläge etwas abzuändern, damit die Eintheilung in Glieder dem Ohr merklich werde.
Eben so gewiß wird man aber auch ein Glied dem andern gleich machen. Denn wenn einer gleich den Einfall hätte so zu zählen so wird er unfehlbar aus zwey oder drey ungleichen Gliedern, wieder gleiche Einschnitte machen, also: u.s.f. denn er wird fühlen, daß ihm ohne diese Einförmigkeit das Zählen zu mühesam werden würde.
Da wir nun aus ungezweifelter Erfahrung wissen, daß dergleichen rhythmische Eintheilungen natürlich sind und im Gefühle liegen; so ist zu untersuchen, auf was für einen Grund dieses natürliche Gefühl beruhe.
Hier ist zuvoderst anzumerken, daß wir bey einer Reyhe solcher Vorstellungen, die schon an sich, oder nach ihrer materiellen Beschaffenheit Abwechslung und Mannigfaltigkeit haben, die uns dabey nöthige Würksamkeit zu unterhalten, keinen Rhythmus verlangen. Bey einer Rede, die uns blos durch Erzählung, oder durch Entwiklung der Begriffe unterrichten soll, verlangen wir nichts rhythmisches. Auch da, wo man uns rühren will, vermissen wir den Rhythmus nicht, so bald man uns einen rührenden Gegenstand so beschreibet, daß wir immer etwas neues, das die Empfindung zu reizen im Stand ist, darin gewahr werden. Der Mensch, der uns zum Mitleiden gegen sich bewegen will, därf uns nur das Elend, das ihn drükt, umständlich erzählen, so werden wir gewiß, so lange die Erzählung währet, in einer anhaltenden Rührung ihm zuhören, ohne etwas rhythmisches in seinem Vortrag nöthig zu haben, diese Empfindung zu unterhalten. Sie wird durch immer neue Umstände des Elendes, die wir währender Erzählung erfahren, genugsam unterhalten.
Eben diese Beschaffenheit hat es auch mit unsern Verrichtungen. Die dabey nöthige Anstrengung der Kräfte hat keiner fremden Unterstüzung nöthig, wenn die Arbeit selbst uns immer etwas neues hervorbringt. Kein Mahler wird den Pensel rhythmisch führen; das neue, das auf jeden Strich entstehet, hat hinlänglichen Reiz das Bestreben zu Fortsezung der Arbeit anhaltend zu machen: aber wer etwas glatt feilet, oder irgend eine Arbeit zu verrichten hat, deren Einerley durch nichts Neues gewürzt wird, [980] fällt gar bald auf rhythmische Bewegungen, welche Voß so gar bey dem Kämmen und Reiben der Bader bemerkt hat.1 Also entstehet überhaupt der natürliche Hang zum Rhythmus nur da, wo wir einige anhaltende gleichartige Empfindungen haben.
Aber warum sind denn alle Völker der Erde darauf gefallen, den Gedichten, die ja durch ihren Inhalt schon Abwechslung genug haben, einen Rhythmus zu geben, wenn er nur da natürlich ist, wo das Einerley muß unterbrochen werden? Darum; weil das Gedicht außer der Würkung die durch die Reyhe der Vorstellungen, die es enthält, oder durch seine Materie entstehet, und die es mit der Prosa gemein hat, noch eine andere durchaus gleichartige fröhliche, oder traurige, oder zärtliche Empfindung zum Zwek hat, deren Dauer ohne den Rhythmus nicht zu erhalten wäre. Man siehet dieses am deutlichsten daraus, daß ofte die schönste Ode, oder das rührendste Lied die Kraft uns in der einförmigen Empfindung zu unterhalten, durch die getreueste Uebersezung verliehret. Diese giebt uns zwar dieselbe Reyhe der Vorstellungen, aber wegen Mangel des Rhythmus hat sie die Kraft nicht mehr uns in einer anhaltenden Empfindung der Fröhlichkeit, oder Zärtlichkeit, die das Original erwekt, fortzuführen. Man ließt die Ilias, oder Aeneis noch immer mit Vergnügen in einer guten prosaischen Uebersezung: aber die anhaltende Empfindung der Feyerlichkeit und Hoheit der Handlung verschwindet darin.
Wir sind also durch gewisse Erfahrungen überzeuget, daß der Rhythmus da nothwendig sey, wo ein durchaus gleichartiges Bestreben, oder eine durchaus gleichartige Empfindung soll anhaltend seyn.
Dieses leitet uns auf die Entdekung des eigentlichen Grundes auf dem die Würkung des Rhythmus beruhet. Jeder angenehme oder unangenehme Eindruk den wir bekommen, verschwindet gar bald, wenn die Ursache, die ihn hervorgebracht hat, nicht wiederholt wird. Die Erapfindung folget den Gesezen der Bewegung. Der Kreisel, den der Knab in Bewegung gesezt hat, drähet sich eine kurze Zeit, und fällt hin: wenn seine Bewegung anhaltend seyn soll, so muß der Knabe von Zeit zu Zeit durch wiederholte Schläge ihm neue Kraft geben. Wird eine leidenschaftliche Empfindung dadurch unterhalten, daß immer neue und andre Eindrüke dieselbe erneuern, so bleibet sie nicht gleichartig; das Gemüth bleibet zwar in beständiger Bewegung, aber sie wird bald stärker, bald schwächer, bald auf andere Gegenstände gerichtet und ändert wol gar ihre Art ab. Dieses erfahren wir bey leidenschaftlichen Erzählungen eines Geschichtschreibers. Wenn gleich seine Erzählung durchaus traurig ist, so sind die Dinge, die er uns sagt, doch von so verschiedener Art, und von so sehr verschiedener Kraft, daß wir bald sanfter, bald sehr schmerzhaft gerührt werden, bald aber ziemlich gelassen ihm zuhören.
Hieraus sehen wir, daß nur die fortgesezte Wiederholung gleichartiger Eindrüke die Kraft haben, dieselbe gleichartige Empfindung eine Zeitlang zu unterhalten. Und hierin liegt der Grund der wunderbaren Würkung des Rhythmus, die wir nun näher betrachten wollen.
Wir haben gesehen, daß der Rhythmus eine Reyhe auf einander folgender einfacher Eindrüke, dergleichen die Schläge, oder Töne sind, in gleich große, periodisch wiederkommende Glieder eintheilet, und daß uns dieses in einem anhaltenden Horchen auf die wiederkommenden gleichen Schläge und Glieder, und also in einem beständigen Zählen unterhält. Hierin liegt nun das ganze Geheimniß der Kraft desselben. Damit wir aber durch allgemeine Beobachtungen nicht undeutlich werden, wollen wir die Erklärung dieser Sache gleich auf besondere Fälle anwenden.
Der einfacheste Rhythmus ist der, da durchaus gleiche Glieder beständig wiederholt werden, wie der Rhythmus des Dreschens, des Schmiedens, des Marschirens, und viel andre dieser Art. Daß er die verschiedenen Arbeiten, wobey er vorkommt, erleichtere und die Arbeiter zu anhaltender Anstrengung ihrer Kräfte ermuntere, ist eine bekannte Sache, folglich ist hier nur zu erklären, wie es mit dieser Aufmunterung zugehe. Jeder Drescher hat zu einem Gliede des Rhythmus seinen Schlag, den er genau immer auf denselben Zeitpunkt oder nach einer gewissen Anzahl andrer Schläge, zu wiederholen hat. Dieses erhält ihn in beständiger Aufmerksamkeit auf die Zeit, da er einfallen muß; in beständigem Zählen. Dieses Zählen aber wird ihm dadurch erleichtert, daß er die Zwischenschläge der andern in gleichen Zeiten nicht nur deutlich vernihmt, sondern jeden durch seinen besondern Accent, wenn ich hier dieses vornehme Wort brauchen därf, unterscheidet, [981] und daß überhaupt die Glieder kurz sind, oder aus wenigen Schlägen bestehen. Also hat er nicht einmal nöthig mit Worten zu zählen, sein Gefühl empfindet dieses Zählen auch ohne Worte. Kommt nun der Zeitpunkt seines Schlages, so fällt er mit Lust ein, weil er an dieser Ordnung ein Wolgefallen hat. Die beständige Aufmerksamkeit auf das Zählen aber, so geringe sie auch scheinet, hindert ihn auf das Ermüdende der Arbeit Achtung zu geben. Es ist damit wie mit jeder andern ermüdenden Verrichtung, die man ohne merkliche Aufmerksamkeit thun kann. Die Beschwerlichkeit des Gehens, wird dem Wanderer dadurch erleichtert, daß er unaufhörlich andre Gegenstände sieht, oder daß durch ein Gespräch mit seinen Gefehrten, das Aufmerken auf die Anstrengung der Kräfte verdunkelt wird.
Hat nun der Rhythmus außer seiner richtigen Abmessung der Zeit noch etwas charakteristisches, ist er fröhlich, zärtlich, ernsthaft; so wird auch auf jede periodische Wiederkunft desselben Gliedes, der Eindruk derselben Empfindung wiederholt. Dies ist nach einem vorher gebrauchten Bilde, immer ein neuer Schlag, den der Knabe seinem Kreisel giebt. Dadurch wird dieselbe Empfindung der Fröhlichkeit, der Zärtlichkeit, des Ernstes u. d. gl. fortdaurend unterhalten, und durch die Einförmigkeit des Zählens, das man dabey durch das bloße Gefühl verrichtet, wird das Gemüth in dieser Empfindung gleichsam eingewieget. Daher entstehet das gleich anhaltende Gefühl, womit man einem Gesang zuhöret.
Aber dieses ist noch nicht alles. Der Sänger, Spiehler, oder Tänzer, der durch Bewegung seiner Gliedmaaßen dem Rhythmus mit hervorbringen hilft, selbst der Zuhörer, der nur leise mitsingt, oder stille sitzend mit tanzt, empfindet noch eine auf jeden Takt, und jeden Einschnitt wiederholte Aufmunterung. Denn wie in dem vorher erklärten Beyspiehl der Drescher in beständiger Aufmerksamkeit ist, seinen Schlag zu rechter Zeit anzugeben, so wird auch der Spiehler, Tänzer und Zuhörer in beständiger Aufmerksamkeit erhalten durch genaue Beobachtung der Accente den Rhythmus merklicher zu machen. Daher besteht auf jeden Niederschlag des Taktes, und auf jeden Eintritt eines neuen Abschnittes, ein neues Bestreben den Nachdruk richtig anzugeben. Ehe also der vorhergehende Eindruk noch ganz erschöpft ist, kommt schon ein neuer, und dadurch geschiehet gewissermaaßen ein Aufsummen, eine Anhäufung der Empfindung und der Würksamkeit, wodurch das Gemüth immer mehr angefeuert und in der Empfindung gestärket wird. Dieses kann so weit gehen, daß endlich das ganze System der Nerven in Bewegung kommt, die, wie jede Bewegung, wo immer neue Stöße hinzukommen, ehe die vorigen erschöpft sind, immer schneller wird; so, daß ein empfindsames Gemüth zulezt ganz außer sich kommen kann.
Man siehet in der That bisweilen Personen, die mit mäßiger Lust zu singen, oder zu tanzen anfangen, allmählig aber, besonders wenn die begleitenden Instrumente den Rhythmus allmählig fühlbarer machen, immer in stärkeres Feuer kommen, und nicht aufhören, bis sie, wie ohnmächtig hinsinken; weil der Körper die Ermüdung nicht länger zu ertragen vermögend ist. Es ist nicht möglich alles, was dabey in dem Gemüthe vorgeht, so genau zu beschreiben; wer aber gewohnt ist psychologische Erscheinungen mit einiger Genauigkeit zu beobachten, der wird aus dem, was wir hier angemerkt haben, die Würkung des Rhythmus zur Erleichterung anhaltender gleichartiger Arbeit, und zur Unterhaltung, auch allmähliger Verstärkung der Empfindungen völlig begreifen.
Endlich läßt sich aus allen diesen Betrachtungen über den Rhythmus einsehen, wie vermittelst desselben eine Reyhe an sich unbedeutender Töne die Art einer sittlichen oder leidenschaftlichen Rede annehmen könne. Dieser Punkt verdiente allein umständlich ausgeführet zu werden, weil dadurch das wahre Wesen, die innerste Natur der Musik deutlich würde an den Tag gelegt werden. Aber dieses erfoderte eine weitläuftige Abhandlung, zu der wir einen der Sachen kundigen Mann aufzumuntern wünschten, weil alle, die bisher von der Musik geschrieben haben, diesen, das ganze Wesen der Kunst aufdekenden Punkt, fast gänzlich mit Stillschweigen übergehen. Wir müssen uns begnügen, die Sache durch wenige fundamental Anmerkungen blos anzudeuten.
1. Eine Reyhe Töne, in blos durchaus gleich lange und gleichartige Takte eingetheilet, wie das Dröschen, oder das Hämmern der Schmiede, hat schon die Kraft, daß sie die Arbeit des Dröschens und Schmiedens erleichtert; für den Zuhörer aber, [982] der diese Schläge als bloße Töne betrachtet, und sie als etwas der Sprach ähnliches beurtheilet, hat sie schon etwas bedeutendes. Denn so bald man sich dabey vorstellt, man höre einen Menschen in einer unbekannten Sprache reden, so erwekt diese Folge in gleiche Glieder eingetheilter Töne, den Begriff eines Menschen, den ein einziger Gegenstand in einer bestimmten Empfindung oder Würksamkeit unterhält; und von der Art dieser Empfindung mögen wir bemerken, ob sie lebhaft, oder sanft und ruhig, sey. Man wird so gar finden, daß es möglich sey, blos durch diese allereinfacheste rhythmische, den Worten nach völlig unverständliche Sprache, verschiedene Gemüthslagen auszudrüken. Dieses läßt sich leicht empfinden, ob es gleich mit wenig Worten nicht zu beschreiben ist. Wer die Materie ausführlich behandeln wollte, dürfte nur nach verschiedenen Taktarten und Bewegungen eine Folge solcher Schmiederhythmen aufsezen, und sie durch Höhe und Tiefe, durch piano und forte unterscheiden, als z.B.
so würde ihm gar nicht schweer fallen, verschiedene Folgen dieser Art zu machen, deren jede einen ziemlich genau bestimmten Charakter hätte. Und daraus würde man anfangen zu begreifen, wie blos unbedeutende Töne, schon durch die einfacheste rhythmische Eintheilung bestimmte, obgleich nur noch allgemeine Bedeutungen bekommen können.
2. Geht man nun einen Schritt weiter, und sezet aus diesen einfachen Gliedern oder Takten grössere zusammen, so, daß jedes größere Glied aus zwey, aus drey, oder aus vier Takten besteht, so bekommt man durch diese neue rhythmische Eintheilung ein Mittel mehr, dieser an sich unverständlichen Sprach, verständliche Bedeutung zu geben. Dadurch kann man diese Sprache in längere, oder kürzere Säze eintheilen, und aus mehr, oder weniger Säzen bestimmt abgesezte Perioden machen.
3. Um diese Sprache noch verständlicher zu machen, kann man mit den einzeln, aus zwey, drey, oder vier Takten bestehenden Säzen, ungemein viel Veränderungen vornehmen, deren jede etwas anderes bedeutet. So kann man, um nur etwas besonderes zum Beyspiehl anzuführen, sehr leicht durch dergleichen Veränderungen andeuten, ob die Empfindung ruhig, oder unruhig, ob sie in gleicher Art anhaltend, oder veränderlich; ob sie starken oder geringen Veränderungen unterworfen sey, ob sie im Fortgang stärker, oder schwächer werde.
Um dieses alles zu empfinden, dürfte man nur verschiedene dergleichen rhythmische Veränderungen mit ein und eben derselben Reyhe Töne vornehmen. Man stelle sich aus fast unzähligen nur folgende vor:
und gebe genau auf die bey jeder Art veränderte Empfindung Achtung; so wird man gar leicht begreifen, wie das Gefühl ruhiger, oder unruhiger, allmählig zu -oder abnehmender, eine Zeitlang anhaltender, und denn sich plözlich abändernder, und noch auf mehrere Arten abgewechselter Empfindungen, dadurch zu erweken sey.
Ich will nicht weiter gehen; denn dieses Wenige ist völlig hinlänglich zu begreifen, wie vermittelst Bewegung und Rhythmus allein, der Gesang zu einer ziemlich verständlichen Sprache der Leidenschaften werden könne. Aber sehr zu wünschen wär es, daß sich ein Meister der Kunst die Mühe gäbe, die verschiedenen Arten des Rhythmus deutlich auseinander zu sezen, den Charakter jeder Art zu bestimmen, und denn zu zeigen, was man, sowol durch einzele Arten, als durch Abwechslung und Vermischung mehrer Arten, auszudruken im Stande sey.
Dadurch würde der Grund zu einer wahren Theorie der rhythmischen Behandlung eines Tonstüks gelegt werden, die von der größten Wichtigkeit ist, und zur Kunst des Sazes noch gänzlich fehlet. Denn bis izt verläßt sich jeder Tonsezer auf sein Gefühl. [983] Nun sollten wir diesen Artikel mit den wichtigsten praktischen Regeln zur Behandlung des Rhythmus beschließen. Da aber, wie gesagt, die Theorie selbst noch fehlet, so müssen wir uns mit einigen blos allgemeinen Grundsäzen, deren Beobachtung in der Ausübung dienlich ist, behelfen.
1. Empfindungen sanfterer und ruhiger Art, die durchaus anhaltend sind, erfodern einen sehr leichten, faßlichen und sich durchaus gleichbleibenden Rhythmus. Dieses ist der Fall aller Lieder, und aller Tanzmelodien. Denn da muß. das Gemüthe durchaus in einerley und nicht heftigen Leidenschaft unterhalten werden; folglich hat da keine Abwechslung, oder Veränderung des Rhythmus statt. Daher sind solche Melodien auch kurz, bloße Strophen, die aber, so lange die Empfindung dauren soll, wiederholt werden.
Aber in den Liedern selbst ist doch dieser Unterschied zu beobachten, daß für leichte, gleichsam nur auf der Oberfläche der Seelen schwebende Empfindungen, imgleichen für tändelnde Fröhlichkeit die kürzesten und leichtesten, für etwas ernsthaftere, und tieferdringende Empfindungen, längere rhythmische Eintheilungen zu wählen seyen. Wäre die Empfindung schon ganz ernsthaft und etwas finster, so würde sie wol ganz lange Glieder, da zwey Rhythmen, jeder von drey, oder wol gar vier Takten, so in einandergeschlungen wären, daß sie nur nach sechs oder acht Takten merkliche Abschnitte machten, vertragen.
2. Mehr abwechselnd muß der Rhythmus in den Stüken seyn, die veränderte, steigende, oder fallende, oder auf andre Arten sich nicht gleichbleibende Leidenschaften ausdrüken. Da muß der Rhythmus bald aus längern, bald aus kürzern Gliedern bestehen, und die Abwechslung muß schneller oder langsamer seyn; je nachdem die Abwechslung der Empfindung es erfodert. Man kann da schon Abschnitte von einem einzigen Takt, unter größere sezen; man kann auf einem Abschnitt, dessen kleinere Glieder aus zwey Takten bestehen, einen folgen lassen, dessen Glieder drey Takte haben, u.s.w. Diese Mannigfaltigkeit der Rhythmen, muß sich nach den Abänderungen in der Empfindung richten.
3. Noch mehr kann man sich von der Regelmäßigkeit entfernen, wenn die Empfindung etwas wiedersinniges, seltsames hätte. Es ist nicht schweer zu begreifen, wie durch rhythmische Abwechslungen, Unentschlossenheit, Wankelmuth, Verwirrung und dergleichen auszudrüken seyen. Ich will nur folgendes Beyspiehl hiervon anführen, das aus Grauns Oper Rodelinde genommen ist.
Hier sind vier Säze, oder Einschnitte, deren jeder bey regelmäßiger Behandlung des Rhythmus, von zwey Takten seyn sollte. Der erste aber wird schon auf dem dritten Viertel des zweyten Takts abgebrochen, und der zweyte tritt deswegen um ein Viertel zu früh ein, hat aber, wenn man die Pause im vierten Takte mitrechnet, seine völlige Länge von acht Vierteln. Der dritte wird wieder auf dem siebenten Viertel abgebrochen, und dadurch bekommt der vierte wieder einen veränderten Anfang, nämlich mitten im Takt, da die zwey vorhergehenden auf dem lezten Viertel, der erste aber mit dem ersten Viertel des Takts angefangen.
Diese ganz unregelmäßige Behandlung des Rhythmus steht hier, wo Schreken und Verwirrung auszudruken ist, sehr gut, und ist deswegen, als ein Beyspiehl einer besondern Würkung des Rhythmus angeführt worden.
4. Bey außerordentlichen Gelegenheiten, da man in einer Stelle einen besondern Nachdruk sucht, kann durch Veränderung der Bewegung eine sehr bedeutende Veränderung des Rhythmus hervorgebracht werden. Man sehe dieses Beyspiehl:
[984] Dieses sollte nach der rhythmischen Einrichtung der Arie, woraus es genommen ist, ein Saz von vier Takten seyn, und ohne die besondere Absicht, auf das Wort Ombra eine feyerliche Traurigkeit zu legen, würden die zwey ersten Takte nur einen, nämlich
ausgemacht haben, und so hätte der Rhythmus seine Regelmäßigkeit. Weil der Tonsezer hier besonders nachdrüklich seyn wollte, hat er zwey Takte daraus gemacht, damit die beyden ersten Sylben noch einmal so langsam, und mit gleichem Accent könnten ausgesprochen werden, welches hier von großen Nachdruk ist, und der würde eine schwache Beurtheilung verrathen, der hier Graun eines Fehlers gegen den Rhythmus beschuldigte, da er einen Saz von fünf Takten, anstatt vieren, gemacht hat.
5. Ich will bey dieser Gelegenheit auch einer andern scheinbaren Unregelmäßigkeit des Rhythmus erwähnen, die ofte sehr angenehme Würkung thut. Sie besteht darin, daß ein nicht zum Rhythmus gehöriger Takt, wo etwa die Singestimme einen Takt pausirt, eingeschoben wird, da ein Instrument einen vorhergehenden Ausdruk der Singestimme wiederholt, oder nachahmet, wie in folgendem Beyspiehl.
Hier ist ein Saz von vier Takten, der aber in der Mitte einen merklichen Einschnitt hat, in dem die singende Stimme pausirt, da inzwischen die Violin, den leztvorhergehenden Takt wiederholt. Dieses ist ein sehr mahlerischer Ausdruk, um das Horchen einer durch süße Hofnung getäuschten Person, auszudrüken. Der Saz bleibt darum doch nur von vier Takten.
Wer in den Arien der größten Meister, eines Händels, Grauns, Hassens, dergleichen Irregularitäten aufsuchen will, wird daher einen schönen Vorrath von Beyspiehlen ausserordentlicher Behandlungen des Rhythmus antreffen, wodurch der Ausdruk oft auf die glüklichste Art unterstüzt wird. Besonders würde man da manchen fürtreflichen Kunstgriff antreffen, wie ein Tonsezer von Gefühl, die Fehler, die der Dichter etwa in Absicht auf den Rhythmus begangen hat, zu verdeken wisse.
1 | Er erwähnet dessen in seiner Abhandlung de poematum cantu & viribus Rhythmi. |
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