Könige

Könige

[552] Könige hießen die Oberhäupter des durch die Theilung des fränk. Reichs 843 entstandenen deutschen Reichs, das, nachdem im Laufe des 10. Jahrh. Lothringen, das Königreich Italien und die röm. Kaiserwürde damit verbunden worden war, das h. röm. Reich deutscher Nation genannt ward.

Die ital. Staaten waren jedoch keine Stände des Reichs, sondern erkannten nur dessen Oberlehnsherrlichkeit an, was auch vorübergehend von den Königen von Dänemark (948) wegen Jütland, von Polen wegen Schlesien bis 1355, von Ungarn im 11. Jahrh. geschah, sowie die Besitzungen des deutschen Ordens in Preußen von 1230–1520 und der Schwertritter in Liefland von 1205–1556 in ähnlichem Verhältnisse zum Reiche standen. Als unter Konrad II. 1033 auch das arelatische oder niederburgund. Königreich damit vereinigt worden war, ließen sich die deutschen Kaiser viermal krönen, nämlich: zu Aachen für Deutschland; in der lombard. Hauptstadt Mailand, selten in Pavia oder Monza mit der sogenannten eisernen oder lombard. Krone, welche aber nur inwendig mit einem dünnen Eisenreise versehen war; in Rom fand die röm.-kaiserliche, zu Arles die burgund. Krönung statt. Bis zu Karl's des Dicken Tode war die Würde eines Oberhaupts des deutschen Reichs in Karl's des Großen Familie erblich, nachher wurde sie durch die Wahl des unter seinen Stammhäuptern und Herzogen versammelten Volkes, endlich von den größern geistlichen und weltlichen Fürsten vergeben, welche davon Wahl- oder Kurfürsten hießen und zugleich die Erzämter des Reichs, des Erzkanzlers, Truchseß, Kämmerers, Marschalls und Schenken bekleideten, wozu später noch ein Erzschatzmeister kam. Durch die goldene Bulle (s.d.) wurde ihr Wahlrecht bestätigt und der dabei zu beobachtende Geschäftsgang fester geordnet, sowie Frankfurt am Main als Wahlort bestimmt, wohin der Kurfürst von Mainz die Kurfürsten zur Kaiserwahl einberief, bei der sie in Person oder durch Gesandte stimmen konnten. Jeder Kurfürst hielt mit zahlreichem Gefolge seinen feierlichen Einzug, und die Zahl der Fremden, welche die hier zur Schau gestellte Herrlichkeit des deutschen Reichs herbeizog, war außerordentlich. Nachdem die Kurfürsten sich über die dem neuen Reichsoberhaupte vorzulegende Capitulation (s.d.) vereinigt hatten, schritt man zur Wahl selbst, welche in einer Kapelle der Bartholomäus- oder Domkirche vor sich ging. Dorthin begaben sich am Wahltage die Kurfürsten und Gesandten der Reichsstädte, erstere in ihren alterthümlich prächtigen Fürstengewändern, die andern in reicher span. Tracht [552] zu Pferde und vom Römer oder Rathhause aus, wohin sie vorher in Staatskarossen fuhren. Nach geschehener Wahl wurde der Name des neuen Herrschers feierlich ausgerufen, der das Nähere wegen der Krönung anzuordnen hatte, die eigentlich in Aachen vor sich gehen sollte, allein meist nach der Wahl in Frankfurt erfolgte. Die dabei nöthigen, jetzt in Wien befindlichen Reichsinsignien und Kleinodien: Krone, Scepter, Reichsapfel, Schwert und Evangelienbuch Karl's des Großen, welche die Kaiser in den frühesten Zeiten stets bei sich führten, indem nur der sie Besitzende für den wirklichen Kaiser galt, wurden später in Nürnberg und Aachen verwahrt und von da jedesmal durch feierliche Gesandtschaften überbracht. Langte endlich der Neugewählte an, so begrüßten ihn die Kurfürsten, Gesandten und der Stadtmagistrat vor der Stadt in dazu errichteten Zelten und Letzterer bot ihm die Schlüssel der Stadt an, nach vollendeten Begrüßungen aber bewegte sich Alles, Kurfürsten und Wahlgesandtschaften voran, im prunkenden, unabsehbaren Zuge unter Glockenläuten und Kanonendonner nach der Stadt, von dem natürlich in ältern Zeiten so wenig die Rede sein konnte, wie von den Staatswagen des Kaisers und der Fürsten. Der Zug ging zunächst in den Dom, wo der Kaiser die Wahlcapitulation beschwören, unterschreiben und besiegeln mußte; die höchste Pracht wurde aber erst am Krönungstage selbst entfaltet, wo der Kaiser unter einem von 12 Schöffen und Rathsherren getragenen Thronhimmel, gefolgt von den Erz- und Erbämtern, in die Kirche ritt, wohin früher schon die Reichsinsignien in Staatswagen gebracht worden waren, in denen die begleitenden Gesandten den Rücksitz einnahmen. Waren endlich im Dome Salbung, Krönung, Ritterschlag, bei dem die Freiherren von Dalberg (s.d.) den Vorrang vor Allen hatten, und zahllose Ceremonien vorüber, so ging der Zug mit dem Kaiser, welcher Krone, Scepter, Reichsapfel und die Krönungsgewänder trug, zu Fuß über die mit Bretern und rothem, gelbem und weißem Tuche bedeckten Straßen nach dem Römer, wo der Kaiser in dem hier abgebildeten, mit den Bildnissen seiner sämmtlichen Vorgänger gezierten Kaisersaale speiste.

Auf dem Platze vor dem Römer befand sich in einem von Schranken und Wachen geschützten Raume eine große Breterküche, wo ein ganzer Ochse über Kohlen am Spieße gebraten wurde; ferner ein Springbrunnen, auf dem ein Doppeladler weißen und rothen Wein sprudelte, und ein gewaltiger Haferhaufe. Während nun der Kaiser auf dem Balcon des Römers sich dem Volke zeigte, stiegen die Erbämter zu Pferde und schritten zur symbolischen Ausübung ihrer Pflichten. Der Erbmarschall ritt, den kais. Marstall zu versorgen, mit einem silbernen Getreidemaß in den aufgehäuften Hafer und brachte es gefüllt in den Römer zurück; der Erbkämmerer holte ein Handbecken nebst Gießfaß und Handtuch, der Erbtruchseß ein Stück von dem gebratenen Ochsen, der Erbschenk in prächtigen Gefäßen Wein vom Brunnen. War auf diese Art die kais. Tafel bestellt, so kam der Erbschatzmeister gesprengt und warf aus zwei mit dem pfälzischen Wappen gezierten Beuteln erst Gold- und Silbermünzen, zuletzt die leeren Beutel selbst unter das Volk, dem auch der Hafer, der Brunnen mit dem Weine, die Küche mit dem Ochsen, sowie vorher schon das rothgelbweiße Tuch der Breterbrücken preisgegeben wurde.

Nach Erlaß der goldenen Bulle fand in Aachen an Ferdinand I. 1531 die letzte Krönung statt, indessen sind auch nachher einige in Regensburg und Augsburg, die meisten jedoch, sowie die letzte Franz II. am 14. Jul. 1792 in Frankfurt am Main vollzogen worden. Wählten die Kurfürsten [553] schon bei Lebzeiten eines Kaisers dessen Nachfolger, so erhielt dieser bis zur Besteigung des Thrones den Titel römischer König, mußte übrigens auch eine Wahlcapitulation unterschreiben, durfte sich aber in die Reichsregierung vor Ableben des Kaisers nicht mengen. Für den Fall der Minderjährigkeit, der langen Entfernung aus dem Reiche und der Erledigung des Thrones durch den Tod waren durch die goldene Bulle der Kurfürst von Sachsen für Ober- und Niedersachsen und Westfalen, der Kurfürst von der Pfalz im schwäb., fränk. und in beiden Rheinkreisen zu Reichsvicarien oder Verwesern bestellt und Beide übten in ihren Vicariatsbezirken fast alle kais. Rechte aus, bezogen die Einkünfte des Reichs, hatten die oberste Gerichtspflege und ordneten ein Jeder seine Vicariatsregierung an, die in seinem Bezirke die Befugnisse des Reichshofraths ausübte, welche mit dem Tode des Kaisers erloschen; das Reichskammergericht dagegen setzte seine Thätigkeit im Namen der Reichsverweser fort, welche auch neue Reichstage berufen oder angefangene fortführen konnten. Auf diesen hatten die Reichsstände oder die unmittelbaren Glieder des Reichs Sitz und Stimme und wurden zunächst in geistliche, wohin die geistlichen Kurfürsten, die Bischöfe, Prälaten, Äbte, der Hoch- und Deutschmeister und Johanniterordensmeister gehörten, und in weltliche, die übrigen Kurfürsten und Fürsten, Land-, Mark- und Burggrafen, Grafen und Reichsstädte eingetheilt, sowie seit dem westfäl. Frieden in das Corpus catholicorum und Corpus evangelicorum (s.d.). Die Reichsversammlung beschloß über Gesetzgebung, Krieg und Frieden, ordnete Gesandtschaften an und empfing welche, ging Bündnisse und Verträge ein u.s.w. und wurde seit 1663 zu Regensburg durch Gesandte eine beständige. Alle von der Entscheidung von Kaiser und Reich abhängige Angelegenheiten mußten ihren Verhandlungen unterworfen werden, die in drei Collegien, im kurfürstlichen, im fürstlichen und im reichsstädtischen stattfanden, welche ihre Beschlüsse besonders faßten und dann deren Übereinstimmung zu vermitteln suchten. War diese erlangt, so wurde der Beschluß dem Kaiser als Reichsgutachten übergeben und diese Bestätigung machte ihn zum Reichstagsbeschluß und gab ihm Gesetzeskraft; die Beschlüsse eines Reichstags zusammengenommen hießen Reichsabschied oder Reichsreceß. Diejenigen Rechte, welche die Kaiser ohne Zuziehung der Stände im Reiche ausübten, hießen die kais. Reservaten, und es gehörten dahin die Oberlehnsherrlichkeit, die Schutz- und Schirmgerechtigkeit über die röm. Kirche und den päpstlichen Stuhl, das Recht, einen Mitbewerber um die päpstliche Würde davon auszuschließen, das Recht der Standeserhöhungen, Wappenertheilungen u.s.w. Die früher sehr ansehnlichen Einkünfte der Kaiser aus den Reichsgütern und Hoheitsrechten waren im Laufe der Zeit so vermindert worden, daß sie die Einkünfte ihrer Erbstaaten zu Hülfe nehmen mußten, deren Hauptstädte nun auch ihre gewöhnlichen Residenzen waren.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 552-554.
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