[544] Kant (Immanuel), einer der berühmtesten Philosophen und scharfsinnigsten Denker, welche jemals gelebt haben, wurde am 22. Apr. 1724 zu Königsberg in Preußen geboren, wo sein Vater das Riemerhandwerk betrieb.
Nachdem K. die Schulen seiner Vaterstadt und nachher die Universität derselben besucht hatte, war er längere Zeit Hauslehrer, bis er 1755 bei der Universität zu Königsberg das Recht Vorlesungen zu halten erwarb. Er hielt nun Vorträge über Gegenstände der Philosophie, Physik und Mathematik und wurde endlich 1770 zum Professor der Metaphysik und Logik ernannt, welche Stelle er bis 1794 verwaltete. Die Beschwerlichkeiten des Alters zwangen ihn, in diesem Jahre sein Amt niederzulegen. Er lebte aber noch bis zum 12. Febr. 1804. K. war ein kleiner magerer Mann, mit hoher Stirn, edler Nase, aber unschönem Munde, ein Freund der Geselligkeit, obgleich unverehelicht, und in seinen Sitten ebenso streng wie im Denken. Er besaß ein ungemeines Gedächtniß und eine außerordentliche Belesenheit und Gelehrsamkeit, welche seinen Vorlesungen noch ein besonderes Interesse gaben neben dem tiefen Gedankeninhalte derselben und welche zur Veranschaulichung dieses von ihm benutzt wurden. Auf die Umgestaltung der Philosophie wirkte K. besonders durch seine Schriften, am meisten durch seine 1781 zuerst erschienene »Kritik der reinen Vernunft«, an welche sich 1787 seine »Kritik der praktischen Vernunft« und 1790 die »Kritik der Urtheilskraft« anschlossen. Die »Kritik der reinen Vernunft« fand ebenso lebhafte Gegner als Freunde. Unter jenen sind besonders Garve, Jacobi und Herder zu nennen. Die Ansicht, von welcher K. bei seinen scharfsinnigen Untersuchungen ausging, war, daß man nicht eher zur Aufstellung eines Systems der erkannten Wahrheit schreiten könne und dürfe, ehe nicht das menschliche Erkenntnißvermögen selbst untersucht und geprüft, kritisirt worden sei. Daher erhielt die Kant'sche Philosophie vorzugsweise den Namen der kritischen Philosophie, welcher Begriff jedoch syäter eine weitere Ausdehnung erhalten hat, insofern spätere Philosophen gleichfalls kritischer Methode sich bedient haben, ohne in den Resultaten durchaus mit der Kant'schen Philosophie übereinzustimmen. Obgleich nämlich nach der angegebenen Tendenz die Hauptaufgabe der Kant'schen Untersuchungen nur die der Entscheidung über die Frage zu sein scheint: ob es überhaupt möglich sei, eine echte, d.h. Erkenntniß der Wahrheit enthaltende Philosophie herzustellen, so enthält doch die Beantwortung dieser Frage selbst eine Erkenntniß der Wahrheit und ist nicht eine vorläufige Erörterung, sondern wahre Philosophie. Um jene Frage zu beantworten, muß der Geist erkannt werden, dessen Erkenntniß von jeher den Inhalt aller wahren Philosophie ausgemacht hat. Nur dadurch unterschied sich die Kant'sche von aller frühern Philosophie, daß, während man bisher den Geist zunächst in seinem gegenständlichen Dasein als Natur und göttlicher Geist aufgefaßt und Bestimmungen über denselben ausgesprochen hatte, jetzt auf den Geist, wie er sich subjectiv als der erkennende verhält, reflectirt und von der Erkenntniß dieses ausgegangen wurde. So wurde denn der erkennende Geist, indem er selbst sich erkannte, ihm selbst die Quelle aller Erkenntniß. K. hat so in der Geschichte der Philosophie die große Bedeutung, die Erkenntniß als Selbstbewußtsein des erkennenden Geistes gerechtfertigt zu haben. Wenn jedoch als Resultat der kritischen Philosophie [544] ausgesprochen worden ist, daß das menschliche Erkenntnißvermögen den Geist in seinem objectiven Dasein nicht zu begreifen vermöge, so drückt dieses nur den Unterschied der neuern Philosophie gegen die frühere aus, daß nämlich, eben weil alles Erkennen eine Ineinssetzung des subjectiven und objectiven Geistes enthält (der erkannte subjective Geist ist ebensosehr der objective, wie der erkannte objective Geist der subjective ist), der objective Geist nicht als ein anderer gegen den subjectiven begriffen werden könne. Seit K. hat sich nun die deutsche Philosophie in zwei Richtungen getheilt, welche sich im Allgemeinen wie folgt charakterisiren. Die eine Richtung, die der vorzugsweise sogenannten Kantianer, macht eine strenge Scheidung zwischen dem erkennbaren subjectiven und dem nicht erkennbaren objectiven Geiste, stellt entweder diesen über jenen, oder jenen über diesen, und macht daher bald die menschliche Erkenntniß zu etwas gegen die Wahrheit der Wirklichkeit Schlechtem und Zufälligem, bald dieselbe zu etwas viel Höherm und Vortrefflicherm. Die andere Richtung, welche nicht wie jene in eine Unzahl von Privatmeinungen und Ansichten, die einander schnurstracks entgegenlaufen, zerfällt, sondern seit K. durch Fichte, Schelling und Hegel sich consequent fortgebildet hat, wendet zunächst gegen die vorige Richtung ein, daß, wenn der subjective Geist wirklich erkannt wird, er sich damit selbst zur Objectivität erhebt, daß also jener sogenannte unerkannte und unverkennbare objective Geist zu einem Nichts zusammenfährt, und hat die Aufgabe gelöst: den Geist in seiner Subjectivität zu erkennen, um in ihm selbst nichts Anderes als den Geist in seinem objectiven Dasein zu begreifen. In dieser Weise ist das Werk K.'s vollendet worden, welcher die Erkenntniß des Geistes begonnen, aber obgleich auch schon angedeutet, doch noch nicht nachgewiesen hatte, daß in dem wachsenden Selbstbewußtsein des Geistes der Geist vor sich selbst als Wahrheit aller Wirklichkeit erscheine. – K. selbst hat außer den erwähnten noch mehre Schriften herausgegeben; nach seinem Tode haben ehemalige Schüler auch die von ihm gehaltenen Vorlesungen drucken und endlich hat man über sein Leben und seine Persönlichkeit sowol, als über seine Lehre eine große Anzahl von Schriften erscheinen lassen, auch seine Werke in fremde Sprachen übersetzt. In neuester Zeit erscheinen in Leipzig zwei verschiedene Gesammtausgaben von K.'s Schriften. In der königsberger Dom- und Universitätskirche, in welcher K. beerdigt ist, ist 1811 seine Marmorbüste aufgestellt worden.
Die Kant'sche Philosophie ist von sehr großem Einfluß auf alle Wissenschaften gewesen, wie dieses übrigens bei jeder bedeutenden Philosophie, welche ganz den Geist ihrer Zeit begriffen hatte, noch der Fall gewesen ist. Mit den Naturwissenschaften beschäftigte sich K. selbst angelegentlich, und von der Theilnahme, welche seine Auffassung derselben fand, zeugt schon der Umstand, daß seine 1786 zu Riga zuerst erschienenen »Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft« bis 1800 drei Auflagen erlebte. Am bedeutendsten ist in Bezug auf die gesammte menschliche Gesellschaft der Einfluß gewesen, welchen die Kant'sche Philosophie auf die Theologie und damit überhaupt auf die Auffassung der christlichen Religion ausgeübt hat. Die entgegengesetztesten Richtungen sind unter diesem Einflusse entstanden. Einerseits wendete man nämlich die Kritik gegen den dogmatischen Gehalt der christlichen Religion an und da die Kant'sche Philosophie selbst eines Princips für die Erkenntniß der absoluten Wahrheit entbehrt, so kam es bald dahin, daß von Seiten dieser sogenannten rationalistischen Theologie aller positive Inhalt der Religion wankend gemacht, ohne daß etwas Besseres an die Stelle gesetzt wurde. Da die Vernunft einen reellen Inhalt nicht zu geben vermochte, so versuchten Einige aus Gemüth und Gefühl einen solchen zu schöpfen, setzten damit aber nur an die Stelle der göttlichen Offenbarung ihre eigne schwankende, für die Dauer keine Befriedigung gewährende Ansicht und Meinung. Andererseits folgerte man dagegen aus dem vermeintlichen Resultate der Kant'schen Philosophie, daß der Mensch Gott und göttliche Dinge nicht zu erkennen vermöge, daß man sich daher der Offenbarung mit völliger Blindheit, ohne irgend eine Prüfung zuzulassen, hingeben müsse. Auf diesem Standpunkte ging dann natürlich alle Wissenschaft verloren.
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