Meer

Meer

[97] Meer (das), der Ocean oder die See wird, im Ganzen betrachtet, jene große, zusammenhängende Masse salzig-bittern Wassers genannt, welche unter vielerlei Namen 6,857,000 ! M., d.i. weit über zwei Drittheile des Flächenraums der Erde bildet und ehemals einen noch größern Raum eingenommen hat.

Bei ruhigem Wetter erscheint ihre Oberfläche oder der Meeresspiegel dem darüber emporragenden Festlande gegenüber als eine vollkommene Ebene und wird daher als die Grundlage angenommen, von der aus man die Höhe des Landes und seiner Gebirge bestimmt. An sich und im Kleinen, z.B. in einem reinen Glase geschöpft, ist das Meerwasser zwar völlig durchsichtig und farblos, allein in der Entfernung und im Ganzen nimmt es sich meist bläulichgrün (daher meergrün) aus und zwar dunkler an tiefen, lichter an seichten Stellen; indeß wird diese Farbe bei trübem Himmel graulich und in manchen Gegenden auch durch die Beschaffenheit des Bodens, der im Meere dort vorkommenden Gewächse und Thiere und die Gewässer der Flüsse verändert, welche hineinmünden. Durch letztere erhält es oft auf weite Strecken eine gelbliche Färbung und auffallend röthlich erscheint es im arab. Meerbusen, der davon auch das rothe Meer heißt und im Meerbusen von Kalifornien, welchem die Spanier deshalb eine gleiche Benennung gegeben haben; überhaupt sieht es in der heißen Zone mehr bräunlich, in den kalten schwärzlicher aus. An manchen Stellen, z.B. im Meerbusen von Mexico, besitzt es bei heiterm Wetter eine solche Durchsichtigkeit, daß man vom Schiffe aus den Boden der See genau erkennen kann, und ist dieser zufällig mit Meerpflanzen bedeckt, über einer Wiese in der Luft zu schweben meint. Eine merkwürdige und prächtige Erscheinung ist ferner das verschiedenartige Leuchten des Meers bei Nacht; zuweilen zeigt nämlich das Wasser nur um ein darüber hingleitendes Fahrzeug, vorzüglich aber in der dadurch hervorgebrachten Wasserfurche einen Lichtschimmer, oft aber leuchten alle Wellen, welche sich an festen Gegenständen brechen, und endlich erscheint mitunter das ganze Meer im Innern und an der Oberfläche wie mit funkelnden Sternen besäet, und als Ursache dieser Erscheinungen werden theils die Elektricität, theils die in zahlloser Menge das Meer bevölkernden, gallertartigen kleinen Thiere betrachtet.

Seinen Bestandtheilen nach ist der Meeresboden gleich dem Festlande verschieden und bietet ebenso eine Abwechselung von Höhen und Tiefen dar, woraus sich die ungleiche Tiefe der See erklärt, welche indessen wol nirgend eine deutsche Meile übersteigt und meist, besonders in der Nähe des Landes, viel geringer ist. Wo sich der Meeresboden bis nahe zur Oberfläche des Wassers erhebt, bildet er in der Schiffersprache Untiefen, und ist er zugleich mit Sand bedeckt, Sandbänke; ist er an solchen Stellen felsig und bilden die Felsen unter oder auch über dem Wasser Reihen, so heißt das ein Riff, welcher Ausdruck auch von den Bänken der Korallen (s.d.) gebraucht wird; ragen sie aber hoch aus der See oder befinden sie sich am Ufer, so nennt man sie Klippen. Das Ufer endlich wird Küste genannt, wenn es hoch ist, und Strand, wenn es nur flach ansteigt; sehr schmale Meeresarme, welche zwischen Inseln liegen oder Verbindungen zwischen großen Meerestheilen bilden, erhalten die Namen Meerenge, Kanal, Bosporus und Straße. Durch die Winde, den Umschwung der Erde um ihre Achse und die Anziehungskraft der Sonne und des Mondes werden verschiedene, zum Theil regelmäßige, Bewegungen des Meers hervorgebracht; dahin gehören namentlich Ebbe und Flut (s.d.). und die Strömungen oder das Fließen des Meers nach bestimmten Richtungen, welches in verschiedenen Gegenden beständig, in andern abwechselnd beobachtet wird. Im Allgemeinen erhält das Meer durch die Umdrehung der Erde von W. nach O. die Neigung, sich in der entgegengesetzten Richtung zu bewegen, was z.B. in der heißen Zone beständig geschieht, soweit der Widerstand des Landes ihr keine andere Richtung gibt. Im atlant. Meere geht sie von der Westküste Afrikas nach der Ostküste von Amerika, theilt sich, von ihrem Widerstande gebrochen, [97] in einen südl. und nördl. Arm, und der letztere zieht sich längs der Küste von Nordamerika hin, beschreibt dann nach Europa hinüber einen weiten Bogen und schließt sich dem Anfang der Strömung wieder an. Eine ähnliche Strömung findet im W. von Amerika nach Asien und Neuholland hin statt, sowie, obgleich weniger bemerkbar, aus den Polargegenden nach dem Äquator. Andere Strömungen, die zu gewissen Zeiten östl., zu andern westl. laufen, hängen von regelmäßig wehenden Winden ab; auch gibt es in Meerengen doppelte, nämlich obere und untere Strömungen, welche in entgegengesetzter Richtung fließen, wie z.B. bei Gibraltar die obere nach O., die untere nach W. geht. Wo sich zwei entgegengesetzte Strömungen begegnen oder eine Strömung durch Inseln oder Felsen gebrochen wird, entsteht eine drehende Bewegung des Wassers oder ein Wirbel und Strudel, davon der Maalstrom an der Küste von Norwegen jetzt der berühmteste ist, während die Alten den Strudel der Charybdis (s.d.) in der Meerenge von Sicilien am meisten fürchteten. Die Wellenbewegung des Meers entsteht durch den Druck des Windes auf einzelne Theile der Wasserfläche, deren Gleichgewicht dadurch gestört wird; ein Theil derselben wird über den angrenzenden emporgetrieben, drängt diesen ebenfalls aus seiner Lage, wodurch eine neue Erhöhung entsteht, während die erste zusammensinkt, was sich während eines Sturmes, nur in größerm Maßstabe, überall wiederholt und nach dem Aufhören desselben fortdauert, bis das Wasser wieder sein Gleichgewicht erlangt hat. Die einfachen Wellen des Meeres erheben sich selten über 6 F., aber bei sehr heftigen Windstößen und sich durchkreuzenden Winden werden oft mehre Wellen gegeneinander getrieben und bilden dann Wellenberge von oft mehr als 24 F. Höhe über den Grund der daneben vom Sturme gewühlten Vertiefung. Die schwankende Bewegung der Meeresfläche theilt sich natürlich auch den tiefern Wasserschichten mit, doch nimmt man an, daß sie auch beim stärksten Sturme nicht über 90 F. hinabreiche. Wo die Wellen von Felsen oder steilen Küsten zurückgeworfen werden, entsteht eine Brandung (s.d.).

Das Meerwasser besitzt einen eigenthümlichen, salzig bittern und widerlichen Geschmack, der zum Theil von der Menge der beständig darin faulenden Stoffe des Thier- und Pflanzenreichs herrührt und es ungenießbar und ungesund macht. Es befördert die Fäulniß thierischer Stoffe, denen es zugesetzt wird, und sein Gehalt an Salz, welcher sehr verschieden ist und 1/2 bis vier Loth auf das Pfund beträgt, schützt es nicht gegen Fäulniß, der es vielmehr leicht unterliegt und dann einen abscheulichen Geruch verbreitet. Der Salzgehalt verleiht ihm aber eine größere Dichtigkeit (s.d.), als das süße Wasser besitzt, daher Körper darin schwimmen, welche im letztern versinken, und Seeschiffe verhältnißmäßig weit größere Lasten tragen als Flußschiffe. An vielen Orten wird aus dem Seewasser Salz bereitet, welches Boysalz heißt und zwar schärfer, aber nie so weiß wie gewöhnliches Kochsalz (s.d.) ist. Bei der Ungenießbarkeit des Seewassers sind alle Schiffe gezwungen, auf weite Seereisen große Vorräthe von süßem Wasser mitzunehmen, daher von jeher viele Versuche angestellt worden sind, das Seewasser auf leichte Art im Großen trinkbar zu machen; dies wird mit kleinen Mengen durch mühsames Destilliren und durch Gefrieren erlangt, was aber auf Schiffen selten anwendbar und zureichend ist. Von den Pflanzen und Thieren, an welchen das Meer überaus reich ist, sind uns gewiß viele noch ganz unbekannt, weil sie nur in bisher unzugänglicher Tiefe leben. Man erhält aber eine Vorstellung von der ungeheuren Bevölkerung des Meeres, wenn man bedenkt, wie viele Arten großer und kleiner Fische (s.d.), von denen manche jährlich in unzählbarer Menge erscheinen, wie z.B. Heringe, Kabliau, Lachse, und welche Menge von Weichthieren, Medusen (s.d.) und andern gallertartigen Thieren das Meer erfüllen. Furcht und Aberglaube haben es auch noch mit fabelhaften Wesen bevölkert und ältere Seefahrer erzählen namentlich von sogenannten Meermännern und Meerweibchen, welche ihnen an abgelegenen Inseln und Küsten erschienen sein und einen menschlichen Oberkörper, grüne Haare, unten aber einen Fischleib besitzen sollen. Vor wenigen Jahren war sogar in England ein ausgestopftes Meerweibchen in einem Glaskasten zu sehen, welches der vorstehenden Abbildung glich, allein bei näherer Untersuchung ergab sich, daß es aus dem Oberkörper eines großen Affen und einem großen Seefisch zusammengesetzt sei und in Ostindien malaiischen Seeräubern abgenommen worden war, welche wahrscheinlich einen Götzen unter diesem Bilde verehrten.

Bei den Alten erhielt das Meer mehre sinnbildliche Namen, wie Pontus, Okeanos, Nereus, an deren Stelle zuletzt Poseidon oder Neptun (s.d.) trat, und die von den Meergöttern hergenommen waren, mit denen die Einbildungskraft der Griechen das Meer bevölkerte. Die vorzüglichsten waren: der Beherrscher des äußern Meeres, Okeanos, und dessen weibliche Nachkommen, die Okeaniden oder Meernymphen und seine Gattin Tethys; Pontus, Beherrscher des innern Meers, und dessen Sohn Nereus mit seiner Gattin, der Okeanide Doris und ihren 50 Töchtern, den weissagenden Nereiden, unter denen wieder Thetis, Mutter des Achilles, und Amphitrite, Gemahlin Neptun's, vorzüglich wichtig sind. Ferner der Sohn Neptun's, Triton und die Tritonen, die Meergötter Proteus, Glaukos, Leukothea, Palämon, das Ungeheuer Scylla (s. Charybdis), die Sirenen (s.d.), die Stromgötter, von denen jeder einen Fluß bewohnen sollte und die ruhend auf Urnen dargestellt werden, aus denen Wasser fließt u.s.w. Abgebildet werden die Meergötter mit vielerlei auf das Wasser hinweisenden Abzeichen, mit Fischleibern, Schilfkränzen, meergrünem Haar, auf Seethieren sitzend, die Tritonen auf Seemuscheln blasend u.s.w.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 97-98.
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