Pisa

Pisa

[503] Pisa, eine der ältesten und merkwürdigsten Städte von Italien, liegt im Großherzogthum Toscana in einer ebenen Gegend an beiden Ufern des Arno, welcher sich zwei Stunden davon ins tyrrhenische Meer ergießt.

Die schönste Gegend der einst von 150,000, jetzt kaum 20,000 Menschen bewohnten, darum verödeten und einsamen Stadt sind die von herrlichen Schalungen nach dem Flusse zu eingefaßten beiden Uferstraßen oder Kais am Arno, welche Lungarno heißen und einen beliebten Spaziergang abgeben. Hier befinden sich viele Gebäude im edelsten Style, von denen manche durch ihr wehrhaftes Ansehen noch an die unruhigen Zeiten des Mittelalters erinnern, darunter auch ein großherzoglicher Palast. Überhaupt sind die Straßen meist breit und gerade und trefflich mit Quadern gepflastert, zwischen denen aber häufig Gras wächst; auch befinden sich innerhalb der Stadt viele Gärten. Von mehren großen Plätzen ist der Marktplatz mit einer Bildsäule der Göttin des Überflusses geziert, die größten Merkwürdigkeiten von P. vereinigt aber der Domplatz. Hier erhebt sich nämlich der im 11. Jahrh. von einem griech. Baumeister aufgeführte Dom in Form eines ungeheuren lat. Kreuzes, mit vielen Porphyr- und Granitsäulen, Bildhauerarbeiten und Gemälden, in dem sich auch das Grabmal des 1313 in Italien gestorbenen Kaisers Heinrich VII. befindet. Gegenüber erhebt sich die runde, im 12. Jahrh. erbaute Täuferskirche oder das Baptisterium, dessen Kuppel von herrlichen Säulen getragen wird und wo sich unter andern Kunstwerken eine von Nichola von Pisa 1260 mit erhabener Arbeit verzierte Kanzel befindet, welche von den alten Pisanern so werth gehalten wurde, daß man sie besonders bewachen ließ. Hinter dem Dome erhebt sich der berühmte, von dem deutschen Meister Wilhelm (wahrscheinlich aus Innsbruck) und Buono Buonanni im 12. Jahrh. aufgeführte schlese Glockenthurm, der bei 168 F. Höhe oben 13 F. in der Richtung nach dem Meere überhängt. Er ist ganz von Marmor, überaus massiv, von runder Form und äußerlich von 207 in acht Galerien übereinander gestellte Säulen umgeben, aber schwerlich mit Absicht schief gebaut, sondern durch Senkung des Bodens gleich mehren Gebäuden in P. in diese Richtung gekommen, bei der ungemein dauerhaften Verbindung des Baumaterials aber von Rissen frei geblieben. Zwischen dem Dom und der Täuferskirche liegt das Camposanto, ein länglich viereckiger Begräbnißplatz, der seit 1228 zum Andenken eines großen Seesieges über die Sarazenen angelegt wurde. In 50 Galeeren wurde Erde aus dem heiligen Lande für diesen Friedhof geholt, welchen hohe gothische Hallen umgeben, deren innere Wände mit Frescomalereien von Giotto, Buffalmaco, Orgagna, Benozzo Gozzoli, Simon Memmi und andern alten Meistern geschmückt sind, die aber durch Zeit und Vernachlässigung sehr gelitten haben und zum Theil verloren sind. Diese und die große Menge antiker Urnen und Sarkophage, sowie die Bildhauerarbeiten der ersten Meister der neuern Zeit, welche im Campo santo als Denkmale dort Beerdigter vereinigt sind, machen dasselbe zu einem der künstlerisch merkwürdigsten Orte Italiens. Auf dem Stephansplatze stand sonst der berüchtigte Hungerthurm, in welchem man den Grafen Ugolino Gherardesca mit seinen Söhnen, weil er P. angeblich an die Guelfen hatte verrathen wollen, im J. 1288 auf Betrieb des Erzbischofs Ruggieri verhungern ließ. Die im modernen Geschmack gebaute Stephanskirche gehörte ehemals nebst dem angrenzenden Palaste dem hier residirenden Ritterorden vom h. Stephan; die Kirche der Madonna della Spina zeichnet sich durch ihre zierliche gothische Bauart aus. P. ist der Sitz einer 1339 gestifteten und noch zu den vorzüglichsten in Italien gehörenden Universität, mit der mehre andere Bildungsanstalten, wissenschaftliche Vereine und Kunst- und wissenschaftliche Sammlungen und Anstalten in Verbindung stehen. Das mangelnde Trinkwasser wird der Stadt mittels einer zu Ende des 16. Jahrh. angelegten, aus 1000 Bogen bestehenden Wasserleitung reichlich zugeführt. Zwei St. nördl. von P. liegen am Fuße des kahlen Berges St.-Giuliano die berühmten heißen pisan. Bäder und in der Richtung nach dem Meere befindet sich eine Stunde von der Stadt die große, von den Medici angelegte Meierei San-Rossore, mit großen Heerden von Rindern, halbwilden Pferden und einem Kameelgestüt. Handel und Gewerbfleiß von P. sind zum gewöhnlichsten herabgesunken; in der Umgegend wird viel und sehr gutes Olivenöl gewonnen. Der Aufenthalt in P. ist im Ganzen der Gesundheit zuträglich und namentlich die Milde des Winters zieht immer viele Fremde hierher. – Zuerst soll eine Colonie aus Pisä im Lande Elis des Peloponnes an der Stelle von P. eine Niederlassung angelegt haben, das zur Römerzeit [503] Pisä hieß und röm. Bürgerrechte besaß. Aus den mancherlei Umwälzungen, welche Italien nach dem Untergange des röm. Reichs erlitt, erhob sich P. durch den Unternehmungsgeist und die Tapferkeit seiner Bewohner, im Mittelalter [504] zu einer blühenden und mächtigen Republik, welche am tyrrhenischen Meere im 12. Jahrh. die damals angebaute und fruchtbare Maremma von Lerici bis Piombino besaß, Sardinien, die balearischen Inseln und Corsica erobert hatte und im Handel nach der Levante und in der Herrschaft zur See mit Genua und Venedig wetteiferte. Im 13. Jahrh. begann von hier aus durch die Baumeister und Bildhauer Nikolaus Pisano oder Nichola von Pisa und dessen ihn überragenden Sohn Giovanni Pisano, gest. 1320, den Baumeister des Campo santo, die Wiederherstellung der antiken Schönheit in der Kunst. Bei den langen Kämpfen der Guelfen und Ghibellinen hielt sich P. zu letztern und zum Kaiser und war daher mit den guelfischen Nachbarstädten Siena, Lucca und Florenz in fortwährendem Kriegszustande. Endlich mußte es sich aber unter Mailands Schutz begeben und ward 1406 an Florenz, seine geschworene Feindin, abgetreten. Die wirkliche Übergabe wurde durch Hunger erzwungen und P. nach Auswanderung zahlreicher Bürger mit Gewalt in Gehorsam erhalten, bis es nach 88 Jahren das verhaßte Joch abwarf, 15 Jahre lang einen verzweifelten Kampf um seine Freiheit focht, nach Abwehr mehrer Belagerungen aber 1509 abermals durch Hungersnoth den Florentinern sich ergeben mußte und seitdem bei Toscana blieb.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 503-505.
Lizenz:
Faksimiles:
503 | 504 | 505
Kategorien: