Rousseau

[756] Rousseau (Jean Jacques), geb. am 28. Jun. 1712 zu Genf, gehört zu den einflußreichsten franz. Schriftstellern des vorigen Jahrh., war der Sohn eines armen, jedoch nicht ungebildeten Uhrmachers und hatte die Mutter bei seiner Geburt verloren. Schon seit dem siebenten Jahre las er eine Menge von Romanen und Geschichtswerken und eignete sich aus erstern romanhafte Ansichten vom Leben an, deren er sich nie wieder völlig entschlagen konnte, unter den letztern aber entwickelten namentlich die Werke des Plutarch (s.d.) R.'s republikanische Gesinnung. Die Verhältnisse trennten R. von seinem Vater und nachdem er in einer Pension, dann bei einem Oheim, endlich bei einem Justizbeamten als Schreiber manche harte und ungerechte Behandlung erduldet und sich mit seinen Neigungen zuwiderlaufenden Geschäften eine Zeit lang gequält hatte, wollte er die Gravirkunst erlernen. Auch jetzt noch las er fortwährend, aber freilich ohne besondere Auswahl, entlief aber endlich im Alter von 15 Jahren seinem harten Lehrherrn, trieb sich eine Zeit lang in Savoyen herum, bis er von einem katholischen Geistlichen an eine Frau von Warens empfohlen wurde, welche in Annecy lebte. Von dieser nach Turin geschickt, trat R. hier aus Mangel an Einsicht und bedrängt von mislichen Umständen zur katholischen Kirche über, fand zwar nachher ein Unterkommen in einem vornehmen Hause (1728–30), blieb aber in untergeordneter Stellung und ging am Ende mit einem genfer Abenteurer wieder auf gut Glück davon. Nachdem R. ein Jahr umhergeirrt war, kehrte er zur Frau von Warens zurück, wo er planmäßigere Studien zu treiben anfing, ein Seminar besuchte, auch viel mit Musik sich beschäftigte, aber fortwährend für einen beschränkten Kopf galt. Seine Gönnerin war übrigens eine in sittlicher Beziehung wenig strenge Frau und machte am Ende auch aus ihrem Schützlinge ihren Liebhaber. Während zeitweiser Trennung von ihr lebte R. an mehren Orten in Savoyen, der Schweiz und Frankreich als Musiklehrer und kam als Führer eines sehr jung als Obrist in franz. Dienste getretenen Herrn von Godard sogar nach Paris, von wo er jedoch bald nach Chambery zurückkehrte und hier durch Frau von Warens eine Anstellung als Secretair beim Abgabenwesen erhielt. Weil er aber dabei nicht Zeit genug für die Musik erübrigen konnte, gab er dieselbe 1736 wieder auf, lebte abwechselnd bei seiner Gönnerin, ward 1740 Erzieher in Lyon und ging, weil er sich diesem Geschäft nicht gewachsen hielt, 1741 nach Paris. Hier half er sich hauptsächlich durch seine musikalischen Kenntnisse und Fertigkeiten fort, denen die Franzosen einige ihrer ausdrucksvollsten Compositionen verdanken, nahm aber 1743 eine Stelle als Gesandtschaftssecretair beim franz. Gesandten in Venedig an. Obgleich er sich allgemeine Achtung in diesem Verhältnisse erwarb, kehrte er doch nach 11/2 Jahren nach Paris zurück, wo er sich kärglich behelfen mußte. Er fuhr indeß eifrig in seinen wissenschaftlichen Studien fort und trat in Verbindung mit den Encyklopädisten (s. Encyklopädie); auch kamen einige Opern von ihm zur Aufführung. Allein erst im J. 1750 erlangte er durch sein erstes philosophisches Werk einigen Ruf, welches die von der Akademie zu Dijon gestellte Preisfrage: ob die Wiederherstellung der Wissenschaften und Künste zur Verbesserung der Sitten beigetragen habe, verneinte und das Gegentheil mit einem Scharfsinn und einer Beredtsamkeit zu beweisen suchte, welcher der Preis ertheilt ward. Eine Menge Gegner traten mit sehr ernsthaften Widerlegungen dieser Schrift auf, die ihre Richtung durch Diderot's Bemerkung erhalten haben soll, daß R. mittels bejahender Bearbeitung jener Preisfrage kein Aufsehen machen werde. Das letztere erregte sie allerdings in hohem Grade und in Spanien ward sie sogar Gegenstand der Aufmerksamkeit des Hofes und der Inquisition. Der Ruhm R.'s vergrößerte sich in Folge seiner fernern Leistungen auf philosophischem Gebiete, in der Dichtkunst, Musik und Botanik, doch fand er auch so viel Neider und Feinde, daß er sogar Paris 1754 auf einige Zeit verließ. Während einer Reise nach Genf trat er damals zur reformirten Kirche zurück, nannte sich auch seitdem immer einen Bürger von Genf und lebte hauptsächlich auf dem Lande bei Paris. Dort verfaßte er 1757–59 seine »Neue Heloise« (4 Bde., in mehren deutschen Übersetzungen), jenen berühmten Roman, welcher mit unübertroffen Schönem eine Menge Schwächen und grobe Mängel verbindet, die zum Theil Folge des damaligen Zustandes der Gesellschaft sind, die Frauen aber so für den Verfasser begeisterte, daß sein Bild in Armbändern und am Herzen getragen wurde. Auch eins seiner wichtigsten philosophischen Werke: »Vom gesellschaftlichen Vertrage oder Grundsätze des bürgerlichen Rechts«, entstand hier, worin er das Staatsrecht aus der an sich nicht unrichtigen, aber gar zu oft misverstandenen Idee eines gesellschaftlichen Vertrags ableitet, sowie sein »Emil oder von der Erziehung«, durch welches Buch R. ein von ihm gegen die Natur begangenes Verbrechen sühnen wollte und das eine Umwälzung in der Erziehung in der gesammten europ. gebildeten Welt bewirkte. Er hatte nämlich die ihm von seiner Haushälterin (seit 1745) und spätern Gattin, Therese Levasseur, einem geist- und gemütharmen Frauenzimmer, das R. zu seinem Unglück liebgewonnen hatte, geborenen fünf Kinder dem Findelhause übergeben und konnte nie wieder etwas von ihnen erfahren. Allein nicht blos die von R. darin empfohlene naturgemäße Erziehung, sondern mehr noch die in Form eines Glaubensbekenntnisses einem savoyischen Geistlichen in den Mund gelegten religiösen Ansichten zogen R. Verfolgungen von Seiten des pariser Parlaments und Erzbischofs zu und der »Emil« ward vom Henker öffentlich zerrissen und verbrannt. Dasselbe geschah bald darauf in Genf und R. fand erst in einem [756] Dorfe des Cantons Neufchatel einen Zufluchtsort, wo ihm König Friedrich II. Beweise der zartesten Theilnahme geben ließ. Aber 1765 ward er auch von da durch die von Geistlichen aufgehetzten Bauern vertrieben, wendete sich nach Strasburg und ging endlich mit Hume (s.d.) nach England, um es mit dem ihm von Letzterm als so höchst angenehm geschilderten Leben in England zu versuchen. Aber in sehr kurzer Zeit entzweite er sich mit Hume, verließ England, wo er ein königl. Jahrgeld ebenso wie früher in Frankreich zurückgewiesen hatte, und kehrte 1770 nach Paris zurück. Hier beendigte er seine »Selbstbekenntnisse«, aus denen man die geheimsten Triebfedern seiner Handlungen kennen lernt, und starb endlich nach vielen Leiden, wie Manche behaupten, eines freiwilligen Todes, am 3. Jul. 1778 zu Ermenonville bei Paris, wo er auf der Pappelinsel in einem kleinen See beerdigt wurde. Im J. 1794 ward ihm ein Platz im Pantheon eingeräumt und 1815 ward seinem Gedächtnisse zu Ehren Ermenonville durch die Verbündeten von allen Kriegslasten verschont. R.'s Schriften sind in zahllosen franz. Ausgaben (die ältere 17 Bde., Genf 1782–90,4. oder 35 Bde. 8.; 18 Bde., Paris 1793–1800, 4.) herausgekommen, einzeln und gesammelt mehrfach ins Deutsche übersetzt worden und auf die gesammte europ. Bildung vom größten Einflusse gewesen.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 756-757.
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