Sulla

[329] Sulla (Lucius Cornelius) oder Sylla, der als Feldherr und Staatsmann ausgezeichnete und durch unerhörte Grausamkeit berüchtigte röm. Dictator, stammte aus dem alten edeln, aber wenig angesehenen Geschlechte der Cornelier, [329] geb. zu Rom 146 v. Chr. Er hatte eine edle Bildung erhalten, liebte als Jüngling Vergnügen und Ausschweifungen, und gewann durch ein Vermächtniß von einem öffentlichen Frauenzimmer und durch Heirath die großen Reichthümer, die er später zur Erreichung seiner ehrgeizigen Absichten gebrauchte. Seine öffentliche Laufbahn begann er als Quästor im Jugurthinischen Kriege, in welchem er dem Marius nach Afrika folgte. Schon damals erregte er die Eifersucht des Marius, indem durch sein kluges und tapferes Benehmen der Krieg schnell beendigt und der Sieg über Jugurtha auf den öffentlichen Denkmälern ihm zugeschrieben wurde. Dessenungeachtet machte ihn Marius im cimbrischen Kriege zu seinem Legaten oder Unterfeldherrn, doch trennte er sich von ihm im folgenden Jahre und vereinigte sich mit dem Heere des zweiten Consuls, Catulus, mit welchem er nebst Marius den Ruhm des Siegs über die Cimbern bei Vercelli theilte. Im I. 92 erlangte er durch Bestechung des Volks die Prätur, und leistete darauf in einem Feldzuge nach Asien, wo er den König Ariobarzanes wieder in sein Reich einsetzte und mit dem König der Parther ein Bündniß schloß, der röm. Republik die wichtigsten Dienste. Noch glänzender entwickelte er sein Feldherrntalent im Kriege mit den ital. Bundesgenossen, in welchem er, wie Marius, einzelne Heere befehligte, den er aber fast allein beendigte und dadurch den Ruhm des Marius verdunkelte. Im I. 88 erhielt S. zur Belohnung das Consulat, und bei der Verloosung der Provinzen Asien, wo der König Mithridates im ersten pontischen Kriege dem röm. Volke die größte Gefahr drohte und bereits einen großen Theil Griechenlands unter seine Gewalt gebracht hatte. S. war zur Führung dieses Kriegs bestimmt. Aber der unersättliche Ehrgeiz des 70jährigen Marius bewog Letztern, durch den Volkstribun Sulpicius antragen zu lassen, daß die Ernennung des S. widerrufen und Marius als Commandirender ernannt werden möchte. Es wurde sogar ein Eidam des S. ermordet. Auf diese Nachrichten erhob S. sein vor Nola liegendes Heer. Zum ersten Mal zog die Armee eines röm. Bürgers feindselig nach Rom. Kaltblütig foderte S. Fackeln zur Anzündung der Stadt. Marius flüchtete und wurde vom Senat im Schrecken vor S. für einen Feind des röm. Volks erklärt. Auf den Kopf des Volkstribuns Sulpicius wurde ein Preis gesetzt; einer seiner Sklaven tödtete ihn, bekam den Preis und wurde zugleich als Verräther seines Herrn vom tarpejischen Felsen gestürzt. Nach diesem begann S. den Krieg mit Mithridates. In einer hartnäckigen Belagerung eroberte er Athen, verzieh aber den Athenern um ihrer Väter willen. Als es hierauf zwischen ihm und dem Mithridatischen Feldherrn in den Ebenen Böotiens zur entscheidenden Schlacht kam und die röm. Legionen schon zum Weichen gebracht waren, errang er noch durch seine Todesverachtung den Sieg. Ohne großen Widerstand wurde der Krieg in Asien ausgekämpft und Mithridates zu einem Frieden gezwungen, in welchem er Kappadocien, Bithynien, Asien, einen Theil seiner Flotte und eine große Summe Geldes den Römern übergeben mußte. Unterdessen hatte die Marianische Partei in Rom wieder die Oberhand erlangt und an den Anhängern des S. grausame Rache genommen. S. zog so ruhig nach Italien zurück, als ob er im tiefen Frieden käme, einen Triumph zu halten. Mit einem 40,000 M. starken Heere brach er von Apulien, wo er gelandet, nach Rom auf. Drei feindliche, dem seinen weit überlegenen Heere wurden von ihm durch Tapferkeit, noch mehr durch List und Ränke besiegt, zuletzt Pontius Telesinus, ein Samniter von des Marius Partei, vor den Thoren der Stadt nach verzweifelter Gegenwehr geschlagen. Der Tag seines Einzugs in Rom war für den ganzen Marianischen Anhang, für Alle, die S. selber, die einer seiner Freunde oder Soldaten haßte oder beneidete, Signal des Todes. 8000 M., die sich dem Sieger ergeben hatten, wurden zusammen im Circus zu Rom umgebracht, obschon ihnen S. das Leben versprochen hatte. Nun entwarf S. die berüchtigten Proscriptionslisten, worin die Ermordung anfangs 80, nachmals 500 angesehener Männer befohlen, den Mördern das ganze Vermögen derselben zuerkannt und ihre Kinder von allem Zutritt bürgerlicher Ämter lebenslänglich ausgeschlossen wurden. Rom und ganz Italien wurden von den gräßlichsten Mordscenen erfüllt; Präneste, der letzte Zufluchtsort der Marianer, wurde zerstört und die ganze Bürgerschaft niedergemacht; viele Städte Italiens, die früher S. feindlich gesinnt waren, erfuhren ein ähnliches Beispiel. Der Schrecken vor S. und den von ihm ausgesanden Mördern, unter welchen sich vor Allen Catilina durch Grausamkeit auszeichnete, löste so alle Ordnung auf, daß man Männer sah, denen, weil sie proscribirt waren, ihre Weiber die Thüre verschlossen, und die sich vor ihren Häusern tödteten; Söhne tödteten ihre Väter. Die Menschen flohen in Gräber, in einsame Thäler. 33 ehemalige Consuln, 7 Prätoren, 60 Ädilen, 200 Senatoren, 150,000 röm. Bürger waren die Opfer des zwischen Marius und S. geführten Kriegs. Nachdem so S. seine Herrschaft auf das blutigste befestigt hatte, erneuerte er die seit 120 Jahren nie erschienene Dictatur, nahm den Beinamen des Glücklichen (Felix) an, vertheilte unter seine 47 Legionen die Güter der Proscribirten und Hingerichteten, tilgte das Recht, welches die Volkstribunen übten, Gesetze vorzutragen, ergänzte aus dem Ritterstande den geschwächten Senat, schenkte 1060 Sklaven der Geächteten, die sich nach ihm Cornelier nennen mußten, das Bürgerrecht, und gab dem Volke zur Erinnerung seiner Siege die berühmten circensischen Spiele, über welchen es nachmals die Freiheit vergaß. Nach einigen Jahren legte S., zum Erstaunen Aller, 79 v. Chr., die Dictatur wieder nieder, wobei er sich erbot, von allen seinen Handlungen Rechenschaft abzulegen, und zog sich auf sein Landgut Puteoli in das Privatleben zurück. Hier lebte er in der Gesellschaft von Buhldirnen, Schauspielern, Possenreißern und Wahrsagern, genoß die Freuden der Tafel und jedes sinnliche Vergnügen, beschäftigte sich mit der Beschreibung seiner Geschichte, die er bis zum 22. Buche vollendete, und starb, eine Folge seines ausschweifenden Lebens, an einer ekelhaften Krankheit, der Läusesucht, 78 v. Chr. S. vereinigte in sich die Eigenschaften eines ebenso großen Feldherrn als Staatsmanns. Aber wie er in der Wollust niemals die Herrschaft über sich selbst verlor und sinnliche Luft dem Ruhme zu herrschen nachsetzte, wie er um dieses Ruhms willen ein vollendeter Meister in der Kunst sich zu verstellen wurde, so war er auch wieder Unmensch genug, diesem Ruhme das Leben und das Glück von Tausenden seiner Mitmenschen aufzuopfern, und daß er auf diese Weise eine Geißel der Menschheit wurde, verdankte er nach seinem eignen Geständniß mehr noch als seiner Tapferkeit und Klugheit, dem [330] Glücke, das ihn in allen seinen Unternehmungen begünstigte. Sterbend befahl er auf sein Grab zu schreiben: daß niemals Jemand ihm in dem Guten, was er seinen Freunden, und in dem Bösen, was er seinen Feinden erwiesen, geglichen habe.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 329-331.
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