Vatican

[560] Vatican (der) oder vaticanische Palast, die berühmte ehemalige Wohnung der Päpste, liegt auf dem vaticanischen Hügel in dem der Borgo genannten Theile von Rom und steht von der einen Seite mit der Peterskirche, von der andern mit der Engelsburg in Verbindung. Er ist der größte Palast des heutigen Roms, soll nach der gewöhnlichen Annahme 11,000 Zimmer, Säle, Kapellen und andere Räume und 22 Höfe enthalten, und hat eine Länge von 1080, eine Breite von 720 F. Die Nähe der Peterskirche mit ihren Colonnaden beinträchtigt jedoch die Wirkung des von keinem Standpunkte völlig zu übersehenden Gebäudes, welchem ohnedies der Charakter eines architektonischen Ganzen mangelt und das keine Façade hat. Eine völlig unbegründete Sage läßt schon Karl den Großen einen Palast hier erbauen und bewohnen; allein erst gegen Ausgang des 12. Jahrh. geschah dies von den damals lebenden Päpsten und die Nachfolger derselben veränderten und erweiterten das anfänglich gewiß sehr bescheidene Gebäude der Art, daß es unter Sixtus V., gest. 1590, nachdem bis dahin die meisten berühmten Baumeister Italiens daran thätig gewesen waren, endlich in seiner außerordentlichen Größe vollendet wurde. Wegen der im Alterthum schon verrufenen, ungesunden Luft dieser Gegend wird der Vatican nur noch mitunter im Winter von den Päpsten bewohnt, und blos zum Conclave und bei besondern Feierlichkeiten benutzt; dagegen dient er als Aufbewahrungsort von unermeßlichen Schätzen alter und neuer Kunst und Wissenschaft. Das hier vorhandene Museum von Antiken ist hinsichtlich der Zahl und des hohen Werthes der darin vereinigten Gegenstände das erste in der Welt und wird nur in einzelnen Fächern von andern Sammlungen übertroffen. Das eigentliche Museum wurde vom Papst Clemens XIV. begonnen und von seinem Nachfolger Pius XI. großartig ausgeführt (daher Museo Pio-Clementino), Pius VII. aber erweiterte es noch durch das Museo Chiaramonti und einen neuen, prächtigen Anbau, den Braccio nuovo. Über alle Beschreibung erhaben sind die Räume dieser Museen; der Corridor der Inschriften ist über 500 Schritte lang und die Säle und Gemächer, zu denen er führt und deren Fußboden zum Theil aus der herrlichsten antiken Mosaik besteht, enthalten einen unvergleichlichen Reichthum von Statuen, Bronzen, Vasen, Geräthen der mannichfachsten Art, und den prachtvollsten Marmor- und Granitsäulen. Unter dem Museum befindet sich in ebenfalls herrlichen Räumen die kostbare Vaticanische Bibliothek, die an alten Handschriften (24,000) ungemein reich ist, allein wegen der noch zum großen Theil mangelnden Verzeichnisse und den Gebrauch sehr beschränkenden alten Gesetze nur mit einiger Schwierigkeit zu benutzen ist. – Den Hauptzugang des Vatican bildet neben der Peterskirche die Scala regia, eine prächtige Marmortreppe, welche zu dem eigentlichen Prunksale (Sala regia) führt, der aber jetzt nur als Durchgang benutzt wird und an dessen einer Seite die 1473 von Sixtus IV. erbaute und nach ihm benannte Sixtinische Capelle, an der andern die Paulinische Capelle liegt. In jener, ausgezeichnet durch einfach schöne Bauart, sind die Wände mit Gemälden mehrer guter Meister, die Decke aber und die Altarwand mit Werken von Michel Angelo Buonarotti geziert und die letztere trägt namentlich dessen berühmtes jüngstes Gericht, welches bei 60 F. Höhe 30 F. breit ist. Die Decke enthält in mehren Abtheilungen Vorstellungen aus der Schöpfungsgeschichte, der ersten Menschen, der Sündflut und der Israeliten, mit den Gestalten von Propheten und Sibyllen. In dieser Capelle werden am grünen Donnerstage und Charfreitage berühmte Musiken, an ersterm bei verlöschten Kerzen in der Dämmerung das Miserere (s.d.), am Charfreitage während der Messe die Passion nach den Worten Johannis, blos von Sängern aufgeführt. Der vorigen nach steht die Paulinische Kapelle, obgleich auch sie zwei große Wandgemälde von Buonarotti, nämlich Pauli [560] Bekehrung und die Kreuzigung Petri enthält. Endlich gehören noch zu dem Herrlichsten im Vatican die den Hof von S.-Damaso (so genannt von einem 1649 darin errichteten Brunnen, aus welchem sich ein vom h. Damasus 367 entdeckter Quell ergießt) umgebenden, nach Rafael's Angabe gemalten Loggien und die von ihm selbst und unter seiner Leitung durch Schüler von ihm gemalten Zimmer oder Stanzen. (S. Rafael Sanzio.) In einigen an diese anstoßenden Zimmern ist in den letzten Jahren auch eine kleine Gemäldegalerie aufgestellt worden, die aber durch den großen Werth mehrer darin befindlicher Stücke Das ersetzt, was ihr der Zahl nach etwa abgeht. Hinter dem Vatican liegt ein wenig besuchter Garten und mit der Engelsburg ist der Palast durch einen vom Papste Alexander VI. angelegten bedeckten Gang in Verbindung gesetzt. – Als ehemalige Residenz und Sitz der Regierung der Päpste wird Vatican auch gleichbedeutend damit gebraucht und den päpstlichen Bannstrahlen die bildliche Benennung von Blitzen des Vaticans gegeben.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 560-561.
Lizenz:
Faksimiles:
560 | 561
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika