Alchimie

[282] Alchimie (Alchymie, Alchemie), ein aus dem arab. Artikel al und dem Worte Chemie (s. o.) zusammengesetztes Wort, heißt also nur »die Chemie«; man bezeichnet aber seit Begründung der wissenschaftlichen Chemie als A. die chemischen Bestrebungen der frühern Zeit, und zwar vorzugsweise die auf die Verwandlung der Metalle, auf das Goldmachen, gerichteten Arbeiten. Die Geschichte der A. ist mithin ein Teil der Geschichte der Chemie bis dahin, wo Aberglaube und Betrügerei eine Afterwissenschaft schufen, mit der die Chemie nichts mehr zu tun hatte.

Viele Sagen versetzen die ersten Anfänge der A. in die ältesten Zeiten unsrer Geschichte: Moses, seine Schwester Mirjam, Hiob, auch Kleopatra und Johannes der Täufer werden von den Alchimisten den Adepten (s. d.) zugezählt, und die Entstehung des ältesten schriftlichen Zeugnisses der Goldmacherkunst, der »Tabula smaragdina«, wird in das 3. Jahrtausend vor Christi Geburt zurückdatiert. Der Verfasser dieses genauen Rezepts zum Goldmachen, das freilich absolut unverständlich ist, Hermes Trismegistos (daher auch Hermetische Kunst soviel wie A.), war indes höchstwahrscheinlich der Priester Hermon, der 100 n. Chr. in Ägypten lebte; dennoch ist die Entstehung der A. wohl in die Zeit zurückzudatieren, als bei den Phönikern die Metallbearbeitung in Blüte stand. Die Gewinnung der Metalle aus Erzen, deren Bestandteile man nicht genau zu erforschen vermochte, und die allgemeine Ähnlichkeit der Metalle untereinander führten die unter dem Einfluf; der Lehren des Aristoteles (s. Chemie) stehenden Forscher, welche die Gewinnung der Metalle nicht als eine Abscheidung aus den Erzen, sondern als eine Umwandlung der letztern in Metalle betrachteten, auf den Gedanken, auch das Gold durch Umwandlung irgend eines Körpers zu erzeugen. Zufällige, falsch gedeutete Beobachtungen ließen die Darstellung des Goldes als möglich erscheinen: ja, vielleicht glaubten[282] einige Forscher, wenn sie ein hellgelbes, goldähnliches Produkt erhielten, das gesuchte Geheimnis gefunden zu haben, und das Gerücht eines einzigen gelungenen Versuches mußte stets die Zahl derer, die sich mit der Sache beschäftigten, erheblich vermehren. Diese erste Periode der A. schließt mit der Vernichtung der alexandrinischen Bibliothek ab, und als man 100 Jahre später wieder zu den chemischen Arbeiten zurückkehrte, waren nur noch Einzelheiten über die Arbeiten der vorarabischen Zeit bekannt, die, phantastisch ausgeschmückt, Wünsche als Tatsachen hinstellten und so die Versuche, dasselbe Ziel zu erreichen, gerechtfertigt erscheinen ließen. Hierin und in der fortdauernden Herrschaft der Aristotelischen Lehren haben wir den einfachen Schlüssel zu der auffallenden Tatsache, daß sich mehrere Jahrhunderte hindurch die erleuchtetsten Geister sämtlicher Nationen mit der Aufgabe, Gold zu machen, beschäftigen konnten.

Die unwissenschaftliche Richtung kam zuerst in die A. durch die Anschauung, es gebe einen Stoff, der alle Körper in Gold verwandle. Diesen Stoff nannten die Alchimisten Magisterium (Stein der Weisen, Roter Löwe, Großes Elixir, Rote Tinktur), während Geber, der größte Chemiker seiner Zeit, einen Stoff, der alle Krankheiten heilen sollte, ebenfalls Magisterium nannte. Diese Übereinstimmung des Namens führte zu der Annahme, daß ein Stoff beide Eigenschaften vereinige, daß er alle Körper in Gold verwandle, und daß er alle Krankheiten heile. Wie der Stoff, den jene Alchimisten suchten, beschaffen sei. darüber waren die Meinungen sehr geteilt, er sollte, auf geschmolzenes Metall geworfen, dasselbe in Gold verwandeln, und zwar sein 10-, sein 100-, ja sein 1000faches Gewicht. Geber war der Repräsentant der A., wie sie sich unter den Arabern bis zum 9. Jahrh. ausgebildet hatte; von jener Zeit an verbreitete sich das Studium der A. über alle Länder, und die Geschichte nennt viele Namen, die für die Entwickelung der Chemie von Bedeutung waren, aber sämtlich unter dem Banne der alchimistischen Anschauungen standen. Zu ihnen gehört Raimundus Lullus, der nur deshalb Gold machen wollte, um es zu einem Kreuzzuge gegen die Ungläubigen zu verwenden, und die wunderbarsten Resultate erhalten haben wollte, dann der Bischof Albert von Vollstädt, genannt Albertus Magnus, der in seinem Werk über A. deutlich sagt, er habe gefunden, daß die Verwandlung in Gold und Silber möglich sei, und gleichzeitig mit ihm Arnold Bachuone, genannt Arnoldus Villanovus, und Roger Baco. An die Genannten reiht sich im 15. Jahrh. Basilius Valentinus, ein verdienstvoller Chemiker, der behauptete, der Stein der Weisen könne 10–30 Teile unedlen Metalls in Gold verwandeln. Seit dem 15. Jahrh. sing die Betrügerei an, in der A. eine hervorragende Rolle zu spielen. Der Franzose Le Cor, der als Goldmacher vom König Karl VII. von Frankreich zum Finanzminister und Münzmeister erwählt war, betrieb seine Goldmacherei in der Weise, daß er mit dem Stempel des Königs falsche Münzen schlug und in Umlauf setzte. Dann kommt die Kaiserin Barbara, Witwe des Kaisers Siegmund, die Kupfer und Arsenik zusammenschmolz und die so erhaltene weiße Legierung als Silber verkaufte; später in England eine Reihe von Personen, die sich auf den Wunsch des Königs Heinrich VI. mit der A. beschäftigten und das Land mit falschem Gold überschwemmten. Kaiser Rudolf II. war Mäcen der fahrenden Alchimisten, und seinem Beispiel folgte Kurfürst August von Sachsen mit seiner Gemahlin Anna von Dänemark. In Berlin trieb Thurnheysser unter Kurfürst Johann Georg sein Unwesen. Brandt in Hamburg entdeckte bei seinen Arbeiten die Darstellung des Phosphors, Böttger fand als Gefangener in Sachsen die Darstellung des Porzellans. Im 17. Jahrh. nahm das Treiben der Alchimisten allmählich ab; Spuren finden sich noch vereinzelt, so im Anfang des 18. Jahrh. die Gesellschaft der Buccinatoren, die ihren Zentralpunkt in Nürnberg hatte, und am Ende desselben Jahrhunderts die Hermetische Gesellschaft, an deren Spitze Kortum in Bochum, der Verfasser der »Jobsiade«, stand (vgl. E. Schultze: »Das letzte Aufflackern der A. in Deutschland vor 100 Jahren. Die Hermetische Gesellschaft von 1796–1820«, Leipz. 1897). Gegenwärtig hat die A. allen Boden verloren, und solange nicht nachgewiesen ist, daß die chemischen Elemente keine einfachen Stoffe, sondern Verbindungen uns bis jetzt noch nicht bekannter Körper sind, kann von künstlicher Erzeugung von Gold keine Rede sein. Vgl. Kopp, Die A. in älterer und neuerer Zeit (Heidelb. 1886, 2 Bde.); Schmieder, Geschichte der A. (Halle 1832); Bauer, Chemie und A. in Österreich bis zum beginnenden 19. Jahrhundert (Wien 1883); Berthelot, Les origines de l'alchimie (Par. 1885); Schäfer, Die A., ihr ägyptisch-griechischer Ursprung (Berl. 1887).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 282-283.
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