Alkaloīde

[334] Alkaloīde (Pflanzenbasen), in mancher Hinsicht den Alkalien ähnliche (daher der Name), oft durch starke Wirkungen auf den tierischen Organismus ausgezeichnete Pflanzenstoffe, die aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Stickstoff bestehen und meist auch Sauerstoff enthalten. Sie sind weitverbreitet im Pflanzenreich, aber sehr ungleichmäßig verteilt. Bei den Kryptogamen fehlen sie ganz, unter den Monokotyledonen finden sich A. eigentlich nur bei den Kolchikazeen (Colchicin, Veratrin, Jervin), besonders reich an Alkaloiden sind die Papaverazeen, Solanazeen, Ranunkulazeen, Strychnazeen und die Rubiazeengattung Cinchona. A. finden sich auch bei Leguminosen und Umbelliferen, selten bei Kompositen und Labiaten. Pflanzen der gleichen Familie enthalten oft dieselben oder einander ähnliche A., während dieselbe Base nur selten in mehreren Pflanzenfamilien auftritt (Berberin). In einer Pflanze finden sich bisweilen mehrere A., die dann unter sich isomer sind oder nur geringe Differenzen in ihrer Zusammensetzung zeigen. Am häufigsten finden sich A. in Früchten, Samen und Rinden, und zwar an Apfelsäure, Gerbsäure etc. oder an den betreffenden Pflanzen eigentümliche Säuren (Chinasäure, Mekonsäure) gebunden. Wenige A. sind flüchtige, wasserhelle, intensiv riechende, in Alkohol, Äther und Chloroform, meist auch in Wasser lösliche Flüssigkeiten; die meisten sind fest, farb- und geruchlos, schmecken bitter, sind nicht oder nur in sehr kleinen Mengen unzersetzt sublimierbar, kristallisieren, sind in Wasser schwer oder gar nicht, in Alkohol, viele auch in Äther, Benzin, Amylalkohol, Chloroform leicht löslich. Die meisten A. sind tertiäre Basen, einige sind sekundäre Amine oder Ammoniumbasen, sie reagieren stark alkalisch und geben mit Säuren feste, geruchlose, in Alkohol leichter als in Wasser und Äther lösliche Salze. Alkalien, alkalische Erden und Ammoniak fällen die A. aus ihren Salzen, ebenso werden sie durch Gerbsäure, Phosphormolybdänsäure, Kaliumquecksilberjodid, Kaliumkadmiumjodid und Kaliumwismutjodid gefällt; konzentrierte Säuren färben manche eigentümlich und oft sehr schön. Die meisten A. sind Abkömmlinge des Pyridins, Chinolins und Isochinolins. Einige, wie Hygrin, sind Pyrrolidinabkömmlinge, und auch die Oxazine scheinen unter den Alkaloiden vertreten zu sein (Morphin, Kodeïn). Endlich kennt man auch Purinabkömmlinge (Kaffeïn und Theobromin) und aliphatische Aminoverbindungen (Asparagin, Betain). Seitdem die Konstitution der A. erkannt ist, gelang auch die Synthese einiger A. (Coniin 1886, Trigonellin, Arecolin etc.). – Zur Darstellung der flüchtigen A. destilliert man die Vegetabilien mit Kalk- oder Natronhydrat im Dampfstrom, wobei das in den Pflanzen enthaltene Alkaloidsalz zersetzt wird und das Alkaloid selbst sich mit den Wasserdämpfen verflüchtigt, neutralisiert das Destillat mit Schwefelsäure und extrahiert aus dem Verdampfungsrückstand desselben das Alkaloidsalz mit Ätherweingeist. Die nicht flüchtigen A. werden mit angesäuertem Alkohol den Pflanzen entzogen, mit Alkali aus dem filtrierten Auszuge gefällt und dann gereinigt. Welche Rolle die A. im Leben der Pflanzen spielen, ist nicht bekannt, man hat sie als Assimilationsprodukte betrachtet, sie sind aber vielleicht auch Zerfallsprodukte von Eiweißkörpern. Der Chinarindenbaum gedeiht in unsern Gewächshäusern, erzeugt aber ohne zu kränkeln kein Chinin, auch ist Schierling in Schottland frei von Coniin.

Die meisten A. bilden den wirksamen Bestandteil von Arzneimitteln (Chinin in der Chinarinde, Atropin in der Belladonna etc.), finden sich darin aber in sehr geringen und oft schwankenden Mengen, so daß die Wirkung des Vegetabils selbst eine viel weniger sichere ist als die des reinen Alkaloids. Manche Pflanzen enthalten auch Substanzen, die störende Nebenwirkungen hervorbringen, und deshalb ist die Benutzung der reinen A. als Arzneimittel sehr allgemein. Ihre Wirkung ist hauptsächlich auf das Nervensystem gerichtet, einige wirken stark narkotisch, Kokain bewirkt lokale Anästhesierung, während Curarin die motorischen Nerven lähmt, Strychnin tetanische Kontraktionen erzeugt und Chinin antipyretisch wirkt. Strychnin, Akonitin, Coniin, Curarin u.a. gehören zu den stärksten Pflanzengiften. Auffallend ist der Gegensatz in der Wirkung mancher A. (Antagonismus). So hebt Atropin die giftigen Wirkungen des Morphins auf und umgekehrt, aber das Atropin hindert nicht die schmerzstillende Wirkung des Morphins. Vergiftungen mit-Alkaloiden erfordern schleunigste ärztliche Hilfe, Überführung des Giftes in unlösliche Form durch Darreichung von Taunin und Entfernung desselben aus dem Körper. Die Nachweisung der A. bei Giftmorden gelingt in den meisten Fällen. 1803 gewann Derosne aus Opium ein »Opiumsalz«, das wohl unreines Morphium war, 1805 stellte Sertürner reines Morphium dar, aber erst 1817 erkannte er dessen basische Eigenschaften. Bald darauf entdeckten Pelletier und Caventou Strychnin und Brucin, Cinchonin und Chinin, und 1835 waren schon etwa 30 A. bekannt. Vgl. Pietet, Die Pflanzenalkaloide (deutsch, 2. Aufl., Berl. 1900). Dupuy, Alcaloïdes (Brüssel 1887–89, 2 Bde.). Guareschi, Einführung in das Studium der A. (deutsch, Berl. 1896–97); Brühl, Die Pflanzenalkaloide (mit Hjelt und Aschan, Braunschw. 1900); Springer, Der Alkaloid-Nachweis (Bresl. 1902).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 334.
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