[590] Elastizität (neulat., abzuleiten v. griech. elaúnein, »antreiben, in Bewegung setzen«; Schnellkraft, Federkraft) ist das Bestreben der festen Körper, nach erlittener Änderung ihrer Gestalt (Deformation) die ursprüngliche Form wieder anzunehmen. Im einfachsten Fall (Scherung, Schiebung) sucht die deformierende Kraft einen Teil des Körpers von dem andern abzuscheren (z. B. in einer Drahtschere), ist aber nur so groß, daß beim Nachlassen die eingetretene Verschiebung der beiden Teile wieder vollkommen rückgängig wird.
Die hierbei als Widerstand sich geltend machende E. nennt man Schub- oder Verschiebungselastizität. Sucht man z. B. bei einem Würfel aus Kautschuk od. Gallerte die obere Fläche gegen die untere zu verschieben (parallel einer Kante), bis sie um das Stück α (s. Figur) vorragt, d.h. das eine Paar Seitenflächen sich um den Winkel δ gedreht hat, dann ist, wenn h den Abstand der untern und obern Fläche bedeutet und q deren Inhalt, die Größe der erforderlichen Kraft K = F.q.α/h kg, wenn F den sogen. Schub- oder Gleitmodul (auch Torsions- oder zweiter Elastizitätsmodul, Gestalt- oder Deformationsmodul, Tangentialdruckkapazität) bezeichnet. Da der Winkel δ im Bogenmaß annähernd = α/h, so kann auch geschrieben werden K/q = F.δ, d.h. die Schubkraft für 1 qmm ist der Schubmodul, wenn δ = 1mm/mm. Wird eine Röhre aus einer weniger als Kautschuk dehnbaren Substanz tordiert, und denkt man sich die Röhre durch senkrechte u. durch die Achse gehende Ebenen in kleine Würfelchen zerteilt, so erleidet bei der Torsion jedes Würfelchen eine Schiebung wie angegeben, und der Widerstand gegen die Verdrillung wird gleich der Summe aller Einzelkräfte. Man kann sich auch den Hohlraum der Röhre durch andre Röhren ausgefüllt denken, d.h. die Substanz in Form eines zylindrischen Stabes oder Drahtes benutzen. Wird z. B. ein Draht von l mm Länge und r mm Querschnittradius an einem Ende eingeklemmt, am andern gedreht durch eine Kraft von p kg, die am Hebelarm a mm wirkt, so wird er um b° gedrillt nach der Gleichung b = 1/F.(2l.a.p.57,3)/(π.r4). Der Torsionsmodul F beträgt in kg/mm für Kupfer 36004600, Messing 3600, Gußstahl 7458, Silber 26003800. Auf der Anwendung dieses Gesetzes beruht z. B. die Drehwage.
Man nennt die Verschiebungselastizität auch Gestaltelastizität, weil sich im allgemeinen die äußere Gestalt des Körpers ändert, die E. bei der Drillung Drehungs- oder Torsionselastizität. Bei dieser ist von einer Gestaltänderung wenig zu bemerken, noch weniger, wenn etwa im Innern einer ausgedehnten gallertartigen Masse zwei hinter- oder nebeneinander befindliche gleichgroße runde Scheiben sich durch eine zwischen ihnen wirkende Kraft gegeneinander verdrehen. Es ändert sich wohl die innere Struktur, nicht aber die äußere Gestalt der Masse. Die Volumelastizität macht sich geltend bei Änderung des Volumens durch allseitig gleichen Druck oder Zug. Sie kommt auch den flüssigen und gasförmigen Körpern zu, wird aber zweckmäßiger nicht E., sondern, wie es auch häufig geschieht, Kompressibilität genannt. Das Verhältnis der Volumabnahme w zu dem ursprünglichen Volumen v heißt Kompression oder räumliche Kontraktion; es ist dem Druck p proportional, also w/v = P/C. Die Konstante C heißt Kompressionsmodul, Modul der Volumelastizität Kontraktionsmodul oder Normaldruckkapazität, der reziproke Wert Koeffizient der kubischen Kompressibilität. Das Millionenfache des letztern beträgt, wenn p in Atmosphären gemessen wird, für Glas 1,62,9, Messing 1,07, Stahl 0,68, Steinsalz 4,2.
Die am häufigsten zu beobachtenden elastischen Wirkungen sind Kombinationen von Verschiebungs- und Volumelastizität, so z. B. die einfache Dehnung eines Drahtes. Wird ein Silberdraht von 1 m Länge und 1 qmm Querschnitt an einem Ende aufgehängt und am untern Ende mit einem Gewicht von 1 kg beschwert, so verlängert er sich um 0,14 nun; das doppelte Gewicht bringt die doppelte, das dreifache Gewicht eine dreimal so große Verlängerung hervor etc., die Verlängerung nimmt in demselben Verhältnis zu wie die ziehende Kraft. Ein Draht von 2 m ergibt schon bei Belastung mit 1 kg eine Verlängerung von 0,28 mm; da nämlich jedes Meter sich um 0,14 mm ausdehnt, so muß die gesamte Verlängerung jetzt doppelt so groß ausfallen wie vorhin, oder die Verlängerung ist der Länge des Drahtes proportional. Dies trifft aber nicht bei allen Körpern zu, z. B. nicht beim Gußeisen, und findet im übrigen nur innerhalb einer gewissen Grenze (Proportionalitätsgrenze) statt. Ein Silberdraht von 1 m Länge und 2 qmm Querschnitt wird durch 1 kg nur um 0,07 mm verlängert; der Draht von 2 qmm Querschnitt kann nämlich wie eine Vereinigung zweier Drähte von je 1 qmm Querschnitt angesehen werden; die ziehende Kraft verteilt sich alsdann zu gleichen Hälften gleichsam auf zwei Drähte, deren jeder nun bei 1 qmm Querschnitt nur von 1/2 kg gezogen wird und sich daher nur um die Hälfte von 0,14 mm, d.h. um 0,07 mm, verlängert. Die durch die nämliche Kraft hervorgebrachte Verlängerung steht zum Querschnitt im umgekehrten Verhältnis. Nach obigen Gesetzen ist das elastische Verhalten eines Körpers innerhalb der Proportionalitätsgrenze gegenüber einer ziehenden Kraft vollständig bekannt, sobald man weiß, um welchen Bruchteil seiner Länge ein Draht oder Stab von 1 qmm Querschnitt durch eine Zugkraft von 1 kg verlängert wird; man nennt diesen Bruchteil Elastizitätskoeffizient (auch Dehnungskoeffizient); der Elastizitätskoeffizient des Silbers ist demnach 0,00014 oder genauer 1/7300. Er ist für: Gold 1/8000, Platin 1/17000, Kupfer 1/12000, Eisen 1/21000, Stahl [590] 1/19000, Messing 1/9000, Neusilber 1/12000, Glas 1/7917, Eis 1/670, Sandstein 1/630, Tannenholz (achsial) 1/1113. Unter Elastizitätsmodulus (auch Dehnungsmodul oder erster Modul genannt) versteht man den umgekehrten Wert des Elastizitätskoeffizienten; derjenige des Silbers ist z. B. 7300. Der Elastizitätsmodulus gibt an, wieviel Kilogramm nötig wären, um einen Stab der betreffenden Substanz von 1 qmm Querschnitt auf seine doppelte Länge auszudehnen, ganz abgesehen davon, ob sich der Körper auch wirklich, ohne zu reißen und innerhalb der Proportionalitätsgrenze, so weit ausdehnen läßt. Ein Körper, der im wissenschaftlichen Sinn große E. (Steifigkeit) besitzt, d.h. großen Elastizitätsmodul, ist nicht ein Körper von großer E. im gewöhnlichen Sprachgebrauch, sondern gerade umgekehrt. Man spricht deshalb von populärer E., die um so größer ist, je kleiner der Elastizitätsmodul ist. So gilt als sehr elastischer Körper der Kautschuk, dessen Elastizitätsmodul für kleine Belastungen nur 0,070,1 beträgt, für große 300350.
Läßt man auf einen Stab in der Richtung seiner Länge einen Druck wirken, so wird er genau um ebensoviel verkürzt, wie er durch eine Zugkraft von derselben Größe verlängert wird (Druckelastizität). Meist besteht die Formänderung in einer Biegung der angewendeten elastischen Metallstreifen oder Drähte. Durch genügende Querschnittsverminderung können auch steife Körper sehr biegsam werden. Das äußerst spröde Glas z. B. läßt sich bei hoher Temperatur zu sehr seinen Fäden ausziehen, deren Biegsamkeit derjenigen von Gespinstfasern ähnlich ist.
Daß die Dehnung eines Stabes mit einer Volumänderung verbunden ist, zeigen genaue Messungen der Querschnittsänderungen. Verkürzt sich bei Dehnung eines Stabes von der Länge l um λ der Querschnittdurchmesser d um δ, so besteht die Gleichung δ/d : λ/l = μ. μ heißt Elastizitätszahl oder Querkontraktion. Sie steht mit den beiden Elastizitätsmoduln E (der Dehnung) und F (der Torsion) in der Beziehung μ = 1/2.E/F-1. Die Werte von μ liegen z. B. für Glaszwischen 1/5 und 1/3, für Kautschuk 0,40,5, Messing 0,220,42, Stahl 0,250,33 etc. Für μ = 0,5 wäre die Volumänderung = 0, wären die Moleküle Kugeln, so müßte nach der Molekulartheorie μ = 0,25 sein. Da dies nicht der Fall ist, schließt man, daß die Moleküle nicht kugelförmig sind. Denkt man sich um einen Punkt im Innern eines elastischen Körpers eine kleine Kugel beschrieben, so geht diese während der Deformation in ein Ellipsoid (Dilatationsellipsoid) über. Die Dehnungen (Dilatationen) in der Richtung seiner Achsen heißen Hauptdilatationen. Zieht man durch den Punkt irgend ein kleines ebenes Flächenelement, so steht der auf dasselbe wirkende Druck oder Zug (gewöhnlich als negativer Druck bezeichnet) gewöhnlich schief zu dem Flächenelement; es existieren aber stets drei auseinander senkrechte Flächenelemente, die senkrechte Drucke erfahren. Diese Drucke heißen Hauptdrucke und ihre Richtungen Hauptdruckachsen. Sie bilden die Achsen des sogen. Druckellipsoids, dessen Radien die Größe der Drucke nach den übrigen Richtungen darstellen. Zerschneidet man den Körper in Gedanken in Prismen, deren Kanten durch die Hauptdrucke gebildet werden, so haben diese Prismen nirgendwo das Bestreben, aneinander zu gleiten; längs ihrer Berührungsflächen findet nirgendwo eine Scherung statt. Wären nur positive Drucke vorhanden, so könnte man diese Zerschneidung, unbeschadet des Zusammenhanges, ausführen oder den Körper aus solchen Stäbchen zusammensetzen. Die Struktur der Knochen z. B. entspricht dem Verlauf dieser Hauptdrucklinien.
Bei Kristallen ist der Elastizitätsmodul im allgemeinen nach verschiedenen Richtungen verschieden. Auch bei Holz und andern Körpern mit regelmäßiger innerer Struktur (anisotrope, heterotrope, äolotrope Körper) zeigen sich Verschiedenheiten der E. mit der Richtung, weshalb man aus den elastischen Eigenschaften Schlüsse auf die molekulare Struktur der Kristalle ziehen kann. Für Tannenholz z. B. ist der Elastizitätsmodul achsial = 1113, radial 95, tangential 34; für Buche sind dieselben Werte: 980, 270, 159; für Eiche: 921, 189, 130.
Wächst die deformierende Kraft über die Proportionalitätsgrenze hinaus, so wird schließlich die Elastizitätsgrenze (Grenzzwang, Dehnungsgrenze, Fließ-, Streckgrenze) erreicht, die dadurch bestimmt ist, daß nach Aufhören der Kraft auch nach sehr langer Zeit (s. Elastische Nachwirkung) der Körper nicht wieder seine ursprüngliche Gestalt, bez. Struktur, annimmt. Unterhalb der Elastizitätsgrenze ist die E. eine vollkommene, darüber eine unvollkommene. Bei Silber z. B. wird mit einer Belastung von etwa 10 kg auf 1 qmm die Elastizitätsgrenze erreicht. Stärker darf der Draht nicht angestrengt werden, wenn keine merkliche Verlängerung zurückbleiben soll. Da sich sehr kleine Dehnungen nicht mehr genau feststellen lassen, wird in der Technik gewöhnlich eine Dehnung von 0,5 mm auf 1 m als äußerste noch zu berücksichtigende betrachtet. Dies ist um so mehr zulässig, als durch Belastung über die Elastizitätsgrenze diese im allgemeinen erhöht wird. Davon macht man z. B. zur Herstellung von messingenen Federn mit Vorteil Gebrauch, indem man den dazu bestimmten Draht durch ein Zieheisen zieht oder, falls sie aus Blech hergestellt werden, dasselbe stark überhämmert. Durch dieses Verhalten der Körper wird eine genaue Bestimmung der Elastizitätsgrenze sehr erschwert. Sie wird meist zu hoch genommen, so daß kleinere Gewichte, wenn sie nur lange genug einwirken, doch noch bleibende Deformationen hervorbringen. Man hat sogar bezweifelt, ob es überhaupt vollkommen elastische Körper gibt, und sucht dies durch Versuche, die sich über Jahrhunderte erstrecken (säkulare Versuche), zu entscheiden. Die Untersuchungen über fließende und flüssige Kristalle stellen aber die Existenz einer Elastizitätsgrenze außer Zweifel. Die mechanische Arbeit, die zur Erzeugung einer elastischen Deformation nötig ist, die Deformationsarbeit, ist in dem Körper gewissermaßen aufgespeichert als Energie elastischer Spannung (s. Energie). Ihre Kenntnis ist erforderlich zur Berechnung der Spannungen eines im Gleichgewicht befindlichen elastischen Systems, z. B. der Drucke, welche die vier Füße eines Tisches auf den Boden ausüben. Bei einem dreifüßigen Tisch sind sie einfach nach dem Hebelgesetz zu finden, bei einem vierfüßigen ist aber zu berücksichtigen, daß sich der Tisch elastisch deformiert, da ohne weiteres nur drei Füße aufstehen, und zwar so, daß die Summe der Deformationsarbeiten ein Minimum wird. Vgl. Lamé, Leçons sur la théorie de l'élasticité (2. Aufl., Par. 1866); Clebsch, Theorie der E. fester Körper (Leipz. 1862); Winkler, Lehre von der E. und Festigkeit (Prag 1868); Beer, Einleitung in die Theorie der E und Kapillarität (Leipz. 1869); Klein, Theorie der E., Akustik und [591] Optik (Leipz. 1877); Grashof, Theorie der E. (2. Aufl., Berl. 1878); Neumann, Vorlesungen über die Theorie der E. fester Körper und des Lichtäthers (hrsg. von Meyer, Leipz. 1885); Bach, E. und Festigkeit (4. Aufl., Berl. 1902); Voigt, Kompendium der theoretischen Physik, Bd. 1 (Leipz. 1895); Helmholtz, Vorlesungen über theoretische Physik, Bd. 2 (das. 1902); Todhunter, History of the theory of elasticity (Cambr. 188693, 2 Bde.).
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