Gleim

[24] Gleim, Johann Wilhelm Ludwig, deutscher Dichter, geb. 2. April 1719 zu Ermsleben im Halberstädtischen, gest. 18. Febr. 1803 in Halberstadt, bezog 1739 die Universität Halle, um sich dem Studium der Rechte zu widmen. Mit den Studenten Uz, Götz und Rudnick vereinigte er sich zu einem literarischen Freundschaftsbund, in dem die sogen. Anakreontik, eine neue Gattung reimloser Gedichte, unter Anlehnung an Hagedorn, die petite poésie der Franzosen und die Anakreonteen des griechischen Altertums begründet und gepflegt wurde. So entstanden allmählich die Gedichte, die G. in seinem »Versuch in scherzhaften Liedern« (Bd. 1 u. 2, Berl. 1744–45; Bd. 3, 1753) vereinigt hat (vgl. G. Koch, Gleims scherzhafte Lieder und die sogen. Anakreonteen, Jena 1894). Nach vollendeten Studien wurde G. Hauslehrer in Potsdam und dadurch dem Prinzen Wilhelm von Brandenburg-Schwedt bekannt, der ihn als Sekretär in seine Dienste nahm. 1744 begleitete G. den Prinzen in den zweiten Schlesischen Krieg, verlor aber diesen seinen Gönner bei der Belagerung von Prag. Im folgenden Jahre wurde er Sekretär des Alten Dessauers, doch verleidete ihm des Fürsten rücksichtslose Strenge bald das Amt. Er lebte hierauf einige Jahre in Berlin, bis er 1747 als Domsekretär nach Halberstadt berufen wurde; später ward er noch Kanonikus des Stiftes Walbeck. Von Halberstadt aus knüpfte er mit allen Männern, die irgend von literarischer Bedeutung waren, Verbindungen an, und enthusiastisch und uneigennützig, wie er war, schwang er sich zu einer Art Protektor der deutschen Dichterjugend (»Vater G.«) empor. Die Briefe an seine Freunde, namentlich an J. G. Jacobi, waren mit fast weiblicher Zärtlichkeit geschrieben; er ließ die Bildnisse aller auf seine Kosten malen und stellte sie in einem besondern Zimmer auf, das er seinen »Musen- und Freundschaftstempel« nannte. Jeden Keim des Guten oder dessen, was er dafür hielt, pflegte er mit Eifer. Er setzte seinen Ehrgeiz darein, als ein literarischer Werber junge Kräfte für die Dichtkunst zu gewinnen, unterstützte zahlreiche arme junge Dichter aus seinen-Mitteln, war unermüdlich, ihnen Protektionen, Ämter, Gehalte, Geschenke, einträgliche Arbeiten zu verschaffen und suchte Halberstadt durch Heranziehung hervorragender Schriftsteller zu einem deutschen Athen zu erheben. In der Zeit von 1769–72 glaubte er diesem Ziele nahe gekommen zu sein; damals hielten sich Göckingk, J. G. Jacobi, Heinse u.a. in Halberstadt auf. Sanguinisch, weichherzig, immer zum besten redend, erstrebte G. das beste der deutschen Literatur. Was ihr eigentlich fehlte, begriff er jedoch nicht; Lessings energische Männlichkeit und kritische Strenge erschreckten ihn in seiner Jugend so sehr wie im Alter die Schiller-Goetheschen Xenien. Seine unermüdliche Produktivität war durchaus eklektischer Natur und vielfach seicht. Den größten Aufschwung nahm er im Beginn des Siebenjährigen Krieges, wo er mit den »Liedern eines preußischen Grenadiers« (Berl. 1758, Neudruck Heilbr. 1882) der Begeisterung für Friedrich II. schlagenden Ausdruck gab. Weiterhin dichtete G. im buntesten Wechsel »Fabeln« (Berl. 1756–57), »Petrarchische Gedichte« (das. 1767), »Lieder nach dem Anakreon« (Berl. u. Braunschw. 1766), »Sinngedichte« (Berl. 1769), »Oden nach dem Horaz« (das. 1769),[24] sogen. »Lieder für das Volk« (Halberst. 1772) und »Gedichte nach den Minnesängern« (Berl. 1773). Von einer gewissen historischen Bedeutung sind seine »Romanzen« (Berl. u. Leipz. 1756), die zwar mit ihrem dem spanischen Dichter Gongora y Argote und dem Franzosen Moncrif nachgebildeten parodistischen Bänkelsängerton ästhetisch wertlos sind, aber die Pflege der deutschen Kunstballade mittelbar einleiteten. Seinen schon in der Kindheit gehegten Gedanken, ein Buch wie die Bibel zu schreiben, suchte G. noch im späten Alter auszuführen in seinem »Halladat, oder das rote Buch« (Halberst. 1774, 4. Aufl. 1812). Der Anakreontiker und Grenadier bewegt sich hier in erhabenen Sphären, redet von Gott oder erzählt orientalische Parabeln, im Klang fremdartiger Namen schwelgend. Obwohl seine Freunde das Werk priesen, blieb es doch ohne nachhaltige Wirkung, ebenso wie seine »Goldenen Sprüche des Pythagoras« (Halberst. 1786), von denen er selbst meinte, sie seien ihm unter den Händen zu silbernen geworden. Wiewohl seit 1801 erblindet, bewahrte er sich doch die stille Heiterkeit des Geistes bis an seinen Tod. Seiner Anordnung gemäß wurde er in seinem Garten bei Halberstadt begraben. Klopstocks Ode, die seinen Namen trägt, hat ihn seiner Persönlichkeit nach treu gezeichnet. G. war nie verheiratet, sein Herz hatte nur für die Freundschaft Raum. Seine Nichte, die unter dem Namen Gleminde gefeierte Sophie Dorothea G., besorgte sein einfaches Hauswesen. Gleims »Sämtliche Werke« (Halberstadt 1811–13, 7 Bde.), zu denen die »Zeitgedichte von 1789–1803« als Ergänzungsband (Leipz. 1841) kamen, sowie seine »Fabeln und Erzählungen, goldene Sprüche und Lieder für Kinder« (Halberst. 1810) gab Körte heraus, der auch »Gleims Leben« (das. 1811) schrieb und »Briefe zwischen G., Wilh. Heinse und Johannes von Müller« (Zürich 1806) herausgab. Gleims Briefe an Lessing wurden am vollständigsten von Redlich in Bd. 20, 2. Abt., der Hempelschen Lessing-Ausgabe (Berl. o. J.) mitgeteilt. Der »Briefwechsel zwischen G. und Heinse« wurde neuerdings vermehrt und verbessert von K. Schüddekopf herausgegeben (Berl. 1894–96, 2 Bde.), der auch den »Briefwechsel zwischen G. und Uz« (Stuttg., Literarischer Verein, 1899) veröffentlichte. Aus Gleims handschriftlichem Nachlaß schöpfte Pröhle für das Buch »Lessing, Wieland, Heinse« (Berl. 1876).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 24-25.
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