[463] Höhlentempel, indische, unterirdische Bauwerke, die in manchen Teilen Indiens ebenso häufig sind wie die Kirchen in christlichen Ländern. Die Inschriften, die darin gefunden wurden, beginnen mit dem 3. Jahrh. v. Chr. und reichen bis tief in das Mittelalter hinab. Die meisten und ältesten H. sind von den Buddhisten ausgehauen. Schon Buddha pflegte sich mit seinem Jünger Anenda zu frommer Sammlung in eine Höhle zurückzuziehen. Solche Höhlen wurden von den buddhistischen Mönchen noch mehrere Jahrhunderte nach dem Tode Buddhas häufig bewohnt. Es gab zwar auch Tempel, aber keine steinernen, sondern nur Holzbauten. Hieraus erklärt es sich auch, daß die ältesten, aus den Felsen ausgehauenen Tempel den Einfluß der Holzstruktur in den Decken und in den Ornamenten deutlich verraten. Auch kam Holz selbst zur Verwendung, und mehrfach, z. B. indem H. von Karli (s. Tafel »Indische Kunst II«, Fig. 3), hat sich das zum Schmuck und zur Verkleidung dienende Holzwerk noch erhalten. Einen großen Aufschwung nahm die Anlage von Höhlentempeln im 3. Jahrh. v. Chr., und es ist wahrscheinlich, daß die Bekanntschaft mit griechischer Kunst, die der Alexanderzug vermittelte, einen Einfluß auf diese Tätigkeit geübt hat. Die große Mehrzahl der H., über 1000, hat sich im westlichen Indien vorgefunden. Daher liegt es nahe, die Ausgrabung dieser H. mit der Beschaffenheit des dortigen Gesteins in Verbindung zu bringen. Die Lagerung der Felsenschichten ist dort durchgehend horizontal und außerordentlich regelmäßig. Schichten von hartem und weicherm Gestein wechseln miteinander ab, so daß man die Grotten mit besonderer Leichtigkeit dazwischen einschieben kann. Auch lassen diese Felsen nirgends Feuchtigkeit durch. Unter diesen Umständen war das Ausgraben der H. wahrscheinlich billiger und weniger mühsam als die Errichtung von Bauten gleichen Umfanges aus dem nämlichen Gestein, und die Unzerstörbarkeit der Höhlenbauten gewährte einen so großen Vorteil, daß man sie den in andern Ländern üblichen Steintempeln vorzog. Ungefähr drei Viertel der H. im westlichen Indien rühren von den Buddhisten her. Man teilt sie in zwei Hauptklassen ein: Tschaityas und Vihâras. Die Tschaityas (Chaityas) haben ihren Namen von dem darin enthaltenen Tschaitya oder Stupa, einem aus dem Felsen gehauenen Steinunterbau, der oben in eine Kuppel ausläuft, auf der sich ein viereckiger Säulenhals, darüber ein Kapitell und an der Decke ein Steinschirm befindet. Unter dem Schirm, dem Zeichen der Herrschaft[463] und Verehrung, pflegten die Reliquien ausgebreitet zu werden, die man der gläubigen Menge zeigte. Der vordere Teil dieser Tschaityatempel ist eine längliche, oft mit Säulen geschmückte Halle. Die Vihâras (Klöster) bestehen aus einer Anzahl Zellen für die buddhistischen Mönche und einer davor befindlichen Veranda, wozu in späterer Zeit noch eine Versammlungshalle kam. Der bekannteste und architektonisch großartigste Tempel dieser Klasse ist der H. von Karli (s. d. und Tafel »Indische Kunst II«, Fig. 3 u. 10), der schon in einer alten Inschrift über dem Eingang, die aus dem 1. Jahrh. v. Chr. herrührt, als »unvergleichlich« bezeichnet wird. Zu den interessantesten Aushöhlungen der ältern Epoche gehört auch ein Teil der H. von Ajanta, nordöstlich von dem vorigen, in den Bergen, die das Tafelland von Dekhan von dem Tal des Tapti scheiden. Hier ist auch eine große Anzahl sehr gut erhaltener Gemälde entdeckt worden, die Wundergeschichten aus dem Leben des Buddha und aus den alten buddhistischen Märchensammlungen darstellen und eine Anschauung von dem sozialen Leben der Hindu in der ältern Periode des Buddhismus gewähren. Die H. von Ajanta sind sehr zahlreich und gehören verschiedenen Jahrhunderten an. Die 109 H. von Kanheri, auf der Insel Salsette, nördlich von Bombay (s. Tafel »Indische Kunst I«, Fig. 3), scheinen zum größten Teil dem spätern Buddhismus anzugehören. Die wichtigste und mannigfaltigste Gruppe von Höhlentempeln hat Ellora (s. d. und Tafel »Indische Kunst« I, Fig. 6, und II, Fig. 5 u. 6) aufzuweisen. Ein Teil der H. von Ellora reicht noch in die buddhistische Epoche zurück, aber die bedeutendsten rühren von brahmanistischen Sekten her. Ihre Bauart schloß sich an die Vihâras der Buddhisten an. Doch entwickelte sich bald ein selbständiger brahmanistischer Stil, der seinen Gipfelpunkt in dem berühmten Kailâsatempel zu Ellora erreichte. Dieser merkwürdige Tempel kam nicht durch Ausgrabung einer Höhle an der Seite eines Hügels zustande, sondern es wurden drei gewaltige Schnitte in den Felsen geführt. Die Skulpturen stellen siwaitische Gottheiten und Szenen aus den beiden indischen Nationalepen, dem »Mahâbhârata« und »Râmâyana«, dar. In etwas spätere Zeit als der Kailâsatempel in Ellora, wahrscheinlich in das 8. oder 9. Jahrh., fällt der H. von Elephanta, einer Insel bei Bombay. Auch dieser H. ist von Siwaiten ausgehöhlt und voll von mythologischen Darstellungen. Noch später als die brahmanistischen H. sind die der Dschaina, aus dem 7.15. Jahrh. n. Chr. Über das Künstlerische der H. vgl. Artikel »Indische Kunst« sowie Fergusson und Burgeß, The cave temples of India (Lond. 1880); »Archaeological Survey of Western India« (Bd. 4 u. 5, das. 1882 u. 1883); Schlagintweit, Indien in Wort und Bild (2. Aufl., Leipz. 1890).