Indische Sprachen

[805] Indische Sprachen, die Indien (Ostindien) eigentümlichen Sprachen sind, mit Ausnahme der im Dekhan von etwa 35 Mill. Menschen gesprochenen Drawidíschen (s. Drawida) und der Kolarischen Sprachen (s. d.), indogermanischen (arischen) Ursprungs; diese indogermanischen Sprachen Indiens werden daher im engern Sinn als i. S. oder indische Sprachfamilie bezeichnet. An ihrer Spitze steht das alte oder vedische Sanskrit (s. d.), aus dem durch allmähliche Abschleifung, teilweise auch unter Einwirkung autochthoner Elemente sämtliche jüngern indogermanischen Volkssprachen Indiens entstanden sind, während das ebenfalls auf ihm beruhen de klassische Sanskrit als eine Kunstform mehr abseits steht. Wie früh jenes aufhörte, Volkssprache zu sein, läßt sich nicht näher bestimmen; doch finden wir schon im 3. Jahrh. v. Chr. auf den Felseninschriften des buddhistischen Königs Açoka von Magadha einen Dialekt, der von ihm ebenso stark abweicht wie das Italienische vom Latein. Ebenfalls wesentlich vom alten Sanskrit verschieden u. viel ärmer und abgeschliffener ist das Pâli (s. d.), die heilige Sprache des Buddhismus in Ceylon und Hinterindien; noch jünger endlich sind die besonders aus den indischen Dramen bekannten Prâkritsprachen, in denen sich eine östliche und eine westliche Gruppe unterscheiden läßt, jede mit mehreren Mundarten. Aus diesen sind endlich durch mehr oder minder starke Dekomposition und Lehnwörteraufnahme die nachstehenden modernen Sprachen hervorgegangen, die hier von O. nach W. aufgezählt werden sollen. Zur östlichen Gruppe gehören: das Assâmi in Assam, bei den höhern Klassen teilweise durch das Bengâli verdrängt; das Bengâli in Bengalen; das Oriya (Uriya) in Orissa; das Marâthi im Mahratihenland, an der Küste in das Konkâni übergehend; das Osthindi oder Bihâri in Bihar, westlich vom Bengâli; zur westlichen Gruppe: das Westhindi, in einer Nebenform Hindostâni oder Urdu genannt (s. Hindi), im ganzen mittlern Teil von Nordindien, ungefähr vom 72.–80.° östl. L. und vom 22.–32.° nördl. Br., zugleich die Verkehrssprache[805] der Gebildeten in ganz Indien; das Gudscharâti am untern Laufe der Narbuda und auf der Halbinsel Gudscharat; das Katschi auf der Halbinsel Katsch; das K onkâni von Goa; das Sindhi in Sind, d. h. am Unterlauf des Indus; das Pandschâbi im Pandschab; das Naipâli inNepal. Weiter nach NW. vorgeschobene Vorposten der indischen Sprachfamilie sind: das Kaschmîri, nordöstlich vom Pandschâbi, in Kaschmir; das Paschtu oder Afghanische in Afghanistan; die Sprache der Kafir (Sijaposch) im Hindukusch, dann die Sprachen von Dardistan im westlichen Himalaja, das Gilgiti. Astori, Arnjia u. a. Endlich gehört auch die Sprache der Zigeuner zu der indischen Klasse, denn sie ist ihrem Grundstock nach indisch und scheint (nach Miklosich) am genauesten mit den nordwestlichen Sprachen der indischen Familie zusammenzuhängen. Die höchst mannigfaltigen indischen Alphabete sind semitischen Ursprungs. Die wahrscheinlichste Ansicht darüber ist die, daß die Inder ihre Schrift aus dem in Babylonien und Persien nachweisbar schon im 8. Jahrh. neben der Keilschrift üblichen aramäischen Alphabet entwickelt haben. Die ältesten Überreste der indischen Schrift liegen in den Inschriften des Königs Açoka vor, die teils rechts-, teils linksläufig wie die semitischen Alphabete geschrieben sind. Von den rechtsläufigen stammen alle spätern indischen Alphabete ab: das Dêvanâgarî (s. d.), die Alphabete der modernen Sprachen, wie Bengâli, Hindi etc., die sich in zahlreiche Unterabteilungen spalten, ferner die Alphabete der drawidischen Sprachen, wie des Tamil, Telugu etc. Außer zu diesen letztern hat der Buddhismus Ableitungen der südlichen Form des indischen Alphabets schon früh nach Ceylon und Hinterindien (Pali-, birmanisches und siamesisches Alphabet, die Alphabete von Sumatra, Celebes und den Philippinen etc.), eine solche der nördlichen Form im 7. Jahrh. n. Chr. auch nach Tibet getragen, von wo die Mongolen ihre ältere Schrift (Pannepa) entlehnten. Übrigens hat der Islam auch die persisch-arabische Schrift nach Indien und Hinterindien gebracht, die namentlich für das Hindustâni, Pandschâbi und Sindhi und für das eigentliche Malaiisch in regelmäßigem Gebrauch ist. Vgl. Beames, Comparative grammar of the modern Aryan languages of India (Lond. 1872–79, 3 Bde.); E. Schlagintweit, Geographische Verbreitung der Volkssprachen Ostindiens (in den »Sitzungsberichten« der Münchener Akademie der Wissenschaften, 1875); Cust, The modern languages of the East Indies (Lond. 1878); Hörnle, Grammar of the Gaudian languages (das. 1880). Über die Schriften vgl. Haas in den »Publications of the Palaeogr. Society, Orient. Series IV, Tafel 44«; Bühler, Indische Paläographie (im »Grundriß der indoarischen Philologie und Altertumskunde«, Bd. 2, Heft 11) und die »Sprachenkarte«.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 805-806.
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