[123] Orissa (sanskrit. Ordra), Division der britisch-ind. Provinz Bengalen (s. Karte »Ostindien«), begrenzt von Tschutia Nagpur, dem eigentlichen Bengalen, dem Bengalischen Meerbusen, der Präsidentschaft Madras und den Zentralprovinzen, 23,446 qkm mit (1901) 4,343,150 Einw., wozu noch 17 Tributärstaaten mit 39,333 qkm und 1,947,802 Einw. kommen. Das unmittelbar britische Gebiet ist ein fruchtbares Alluvialland der Flüsse Mahanadi, Brahmani und Vaitarani, die vereint ein großes Delta bilden, und den kleinern Salandi und Subanarekha; die Tributärstaaten sind ein Bergland mit durchschnittlich 900 m hohen granitischen Gipfeln (Meghasani im N. 1166, Malayagiri im W. 1187 m) und großen, 960 km weit bis in die Gangesebene ausgedehnten Waldungen und schönen Tälern. Die Flüsse, die sich in ihrem Oberlauf während des Sommers in stehende Wasserbecken auflösen, schwellen während der Regenzeit gewaltig an, bis über die Talränder hinaus, und bilden Sümpfe, deren Pesthauch die Luft vergiftet. Einer der Mündungsarme des Mahanadi ergießt sich in den Tschilkasee, der bei hohem Wasserstand frisch, bei niederm so salzig ist, daß an seinen Ufern wie auch anderwärts in O. erhebliche Mengen Salz gewonnen werden. Von Mineralien hat man Kohle und Eisen gefunden, am mittlern Mahanadi Gold, Diamanten und Rubinen. Das Klima ist heiß (Maximum über 43°, Minimum 10°); der Regenfall beträgt im Mittel 1600 mm. Die Cholera erscheint jährlich mit den Pilgern, Pocken sind eine große Plage. Im untern Mahanadi sind Krokodile, in den Wäldern Tiger und große Schlangen häufig. Von der Bevölkerung waren der Religion nach in Britisch-O. 4,183,456 Hindu, 103,350 Mohammedaner, 5037 Christen; in den Tributärstaaten 1,778,921 Hindu, 7880 Mohammedaner, 950 Christen und 159,321 Naturanbeter (Kandh, Gond, Sawar, Pan, Kol u.a.), die vornehmlich die Walddickichte bewohnen. Von den Hindu sprechen drei Vierteile das Oriya oder Uriya, eine Tochtersprache des Sanskrits (s. Indische Sprachen) mit eigner Schrift und Literatur (vgl. Sutton, Grammar ot the Oriya language, Kalk. 1831). O. ist das mit Tempeln (s. Tafel »Indische Kunst I«, Fig. 2) besäte heilige Land der Hindu. wohin Pilger aus allen Teilen Indiens, namentlich nach Puri Dschagannath (s. d.), wallfahrten. Gebaut wird Reis, außerdem Weizen, Ölsaaten, Tabak, Baumwolle, Betel, Zuckerrohr u.a. Doch sind Hungersnöte nicht selten, durch die O. 1866 ein Viertel seiner Bevölkerung verlor. Auch richten Zyklone und Flutwellen an der Küste öfters gewaltige Verheerungen an. Die Kanäle des Mahanadi dienen mehr der Bewässerung als der Schiffahrt. Die Häfen (Balasor, False Point, Puri, Manikpatam) sind bei schlechtem Wetter schwer zugänglich; Dampfer verkehren regelmäßig zwischen Balasor, Kattak und Kalkutta. Für Verwaltungszwecke ist das unmittelbare Gebiet in vier Distrikte (Kattak, Puri, Balasor, Augul nebst Kandh Mahals) geteilt; Sitz der Verwaltung ist Kattak (s. d.). Haupthafen ist Balasor (s. d.). Die Tributärstaaten zahlen einen Jahrestribut (zusammen 3322 Pfd. Sterl.) an die britische Regierung. Als das Brahmanentum in Indien die Höhe seiner Macht erreichte, erstreckte sich der arische Völkerstrom östlich bis nach O.; weiter südlich dehnte sich bis zur Kistna das alte drawidische Kalingareich. Die erste buddhistische Dynastie wurde 474 v. Chr. durch eine brahmanische vertrieben; doch das Magadhareich Açokas (s. d.) erstreckte sich im 3. vorchristl. Jahrhundert von Kathiawad wieder bis nach O. Um 950 wurde Kattak als Hauptstadt gegründet; gegen 1300 erlosch der Buddhismus auch in O. Ende des 16. Jahrh. kam O. in die Gewalt der Mohammedaner, von denen es sich Anfang des 18. Jahrh. unter dem kouvertierten Brahmanen Murshid Kuli Chan löste und mit Bengalen und Bihar verband. Nachdem es 1751 in die Hand der Mahratthen geraten war, wurde es 1803 von den Engländern erobert, die es bereits seit 1764 bevormundet hatten. Vgl. Hunter, Orissa (Lond. 1872, 2 Bde.); Rajendralala Mitra, The antiquities of O. (Kalkutta 187580, 2 Bde., Prachtwerk).