Sanskrit

[578] Sanskrit (eigentlich sąskṛta, wobei das a als Nasalvokal wie franz. an zu sprechen ist, »zurechtgemacht«, d.h. richtig gebildet), die alte Sprache Indiens, die jetzt in der Regel, ähnlich wie früher in Europa das Latein, nur noch von den Gelehrten in ganz Ostindien gesprochen und geschrieben wird, wenn auch hier und da gelehrte Radschas bestrebt sind, sie wieder in den täglichen Gebrauch einzuführen. So erzählt der Sanskritist M. Williams in seinem Reisewerk über Indien, daß der Maharadscha von Kaschmir ihm das Schauspiel eines Manövers seiner Soldaten bereitete, wobei alle Kommandos in S. gegeben wurden, und erst neuerdings wurde in dem Staat Udaypur durch eine Verordnung das S. als offizielle Amtssprache eingeführt. Eigentlich kommt nur dieser, seit zweitausend und mehr Jahren toten, durch die Tätigkeit einheimischer Gelehrten, besonders des Pânini (s. unten, S. 581), geregelten Kunstsprache der Name S. zu. Aus welchem der ältern Dialekte und zu welcher Zeit sich[578] das S. bildete, ist eine noch ungelöste Frage. (Vgl. O. Franke, Was ist S.? in Bezzenbergers »Beiträgen zur Kunde der indogermanischen Sprachen«, Bd. 17, S. 54 ff., Götting. 1891; E. Windisch in den »Actes du XIV. Congrès International des Orientalistes«, Bd. 1, S. 251 ff., Par. 1906.) Ebensowenig ist bis jetzt zu sagen, bis zu welchem Grade die Künstlichkeit der Sprache geht, da auch die abendländische Sanskritgrammatik bis jetzt wesentlich unter dem Einfluß von Pâninis Werk gestanden hat und man erst in neuerer Zeit anfängt, die Sprache aus sich selbst heraus zu beurteilen. Jedenfalls ist die ganze sogen. klassische Sanskritliteratur in dieser Kunstsprache geschrieben, in einer phonetischen Gestalt, die so nie volkstümlich gewesen sein kann, in fast ganz metrischer Form, und sie zeigt keine Sprach-, sondern nur Stilentwickelung, ein immer mehr zunehmendes Einschrumpfen des Satzbaues, an dessen Stelle ungeheuerliche Wortzusammensetzungen treten, Ersetzung des Verbum finitum durch Partizipialkonstruktionen u. dgl. Eine ältere Stufe des S., die wirklich den Charakter einer Volkssprache hat, liegt uns in dem Teile der indischen Literatur vor, den man unter dem Namen Veda (s. d.) zusammenfaßt. Größerer Reichtum an Formen und lebendigere Beweglichkeit des Satzbaues charakterisieren die vedische Sprache im Verhältnis zum klassischen S. An sie oder wenigstens an nahe mit ihr verwandte ältere Dialekte knüpfen die Volksmundarten des indischen Mittelalters (s. Prâkrit), das Pâli (s. d.) und die modernen indischen Volkssprachen arischer Herkunft (s. Indische Sprachen), an. Die hohe Bedeutung des S. liegt nicht nur darin, daß die reiche und wichtige Literatur eines hervorragenden Kulturvolkes in ihm geschrieben ist, sondern auch in seinem Verhältnis zu der vergleichenden Erforschung der indogermanischen Sprachen, von denen es einen Zweig bildet, dessen literarische Denkmäler die ältesten des ganzen Sprachstammes sind. Vornehmlich das Bekanntwerden des S. in Europa am Ende des 18. Jahrh. hat hier die wissenschaftliche Sprachforschung ins Leben gerufen, und wenn man jetzt auch viele angeblichen Altertümlichkeiten des S., z. B. das Überwiegen des a-Lautes und das Fehlen von ě und ŏ, als verhältnismäßig junge Entwickelung erkannt hat, und die Anschauung völlig verkehrt ist, das S. sei die Mutter der übrigen indogermanischen Sprachen, so sichern ihm doch der Reichtum und die grammatische Durchsichtigkeit seiner Formen immer noch einen hervorragenden Platz unter diesen Sprachen. Die aus einem semitischen Alphabet entsprungene, aber sehr eigentümlich entwickelte Schrift, mit der das S. gewöhnlich auch in Europa immer geschrieben und gedruckt wird, heißt Devânâgarî (s. d.); vgl. die Schrifttafel bei Artikel »Schrift«. Die sehr zahlreichen europäischen Grammatiken des S. lassen sich in zwei Klassen einteilen, je nachdem sie sich genau an das System und die Regeln der indischen Grammatiker anschließen oder eine mehr den europäischen Anschauungen entsprechende Methode zur Anwendung bringen. Zu der ersten Klasse gehören namentlich die Grammatiken von Colebrooke (Kalkutta 1805), Benfey (»Vollständige Grammatik der Sanskritsprache«, Leipz. 1852), Max Müller (deutsch von Kielhorn und Oppert, Kiel 1868), Kielhorn (deutsch, Berl. 1888); zu der letztern unter andern die Grammatik von Bopp (4. Aufl., das. 1868), das ausführliche Werk von Whitney (engl., 3. Aufl. 1896; deutsch von Zimmer, Leipz. 1879), Bühlers »Leitfaden für den Elementarkursus des S.« (Wien 1883) und Thumbs »Handbuch des S.« (1. Teil: »Grammatik«, Heidelb. 1905). Die erste den heutigen Anforderungen der Wissenschaft allseitig entsprechende Grammatik des S. ist Jak. Wackernagels »Altindische Grammatik« (I. Lautlehre, Götting. 1896; II., 1. Einleitung zur Wortlehre Nominalkomposition, 1905). Sehr beliebt zur ersten Einführung ins S. ist auch das eine Chrestomathie mit Glossar enthaltende »Elementarbuch der Sanskritsprache« von Stenzler (7. Aufl., Münch. 1902). Ein meisterhaftes ausführliches Wörterbuch lieferten Böhtlingk und Roth (Petersb. 1853–1875, 7 Bde.), ein kürzeres Böhtlingk (das. 1879–1889) und Cappeller (Straßb. 1887), ein »Wörterbuch zum Rigweda« Graßmann (Leipz. 1873). Für die Etymologie ist zu nennen: Uhlenbeck, Kurzgefaßtes etymologisches Wörterbuch der altindischen Sprache (Amsterd. 1898–99, 2 Bde.). Anthologien lieferten namentlich Lassen (3. Aufl., Bonn 1868), Benfey (Leipz. 1853–54, 2 Bde.), Häberlin (Kalkutta 1847), Böhtlingk (2. Aufl., Petersb. 1877) und Lanman (Boston 1884–89); für die vedische Sprache Delbrück (»Vedische Chrestomathie«, Halle 1874) und Bergaigne und HenryManuel pour étudier le sanscrit védique«, Par. 1890).

Die Sanskritliteratur.

Die Sanskritliteratur zerfällt in zwei der Zeit und dem Wesen nach, freilich nicht mit voller Schärfe, geschiedene Epochen: die Periode des Veda und die des klassischen S. Genaue chronologische Daten für die Abgrenzung der beiden Perioden lassen sich bei der großen Unsicherheit der indischen Chronologie nicht geben; dazu kommt, daß wir von der zweiten Periode aus allen Literaturzweigen im ganzen nur die Werke übrighaben, die den Höhepunkt jeder Gattung bezeichnen, so daß wir in deren Entwickelung nur spärliche Blicke tun können. In der ersten Periode werden alle Gegenstände nur in ihrer Beziehung auf die gottesdienstlichen Riten behandelt; erst in der zweiten treten wissenschaftliche und künstlerische Gesichtspunkte stärker hervor. Über die erste Periode s. Veda. Die Anfänge der zweiten Periode dürften etwa um das 6. Jahrh. v. Chr. anzusetzen sein, als die Volksdialekte sich immer selbständiger zu entwickeln begannen und die Sprache, in der die Brâhmana und Sûtra der vedischen Periode abgefaßt waren, immer mehr ausschließliches Eigentum der Gebildeten, eine Kunstsprache wurde, die noch heute in Indien zu literarischen Zwecken gebraucht wird. Besonders charakteristisch für die Sanskritliteratur ist das Zurücktreten wirklicher Prosa, indem selbst wissenschaftliche Werke großenteils in metrischer Form abgefaßt sind. Die Anfänge der Prosa, wie sie in den Brâhmana der ersten Periode vorliegen, sind überaus schwerfällig, und wiederum gibt es kaum etwas Gekünstelteres als die Prosa der spätern indischen Romane und Kommentare. Die gebräuchlichste metrische Form ist der epische Vers (Çloka), eine Doppelzeile, aus je 16 Silben bestehend, die am Schluß jeder Zeile iambischen Rhythmus hervortreten läßt.

Die epische Poesie, ausgehend von alten Erzählungen, die aus Prosa und Versen gemischt waren, zerfällt in zwei Gruppen, die Itihâsa-Purâna und die Kâvya. Zur ersten Gruppe, legendarisch-epischen, auch von vielerlei rituellem u. dgl. Stoff erfüllten Sammelwerken, die in ihrem Grundstock in die vedische Periode hinausreichen, gehören das »Mahâbhârata« (s. d.) und die »Purâna« (s. d.). Unter den Kâvya, d.h. Kunstdichtungen, die bestimmten Kunstdichtern (Kavi) zugeschrieben werden, nimmt den[579] ersten Platz ein das »Râmâyana« (s. Râmâjana) des Vâlmiki. Von den spätern sind die hervorragendsten die beiden von Kâlidâsa (s. d.) verfaßten Gedichte »Raghuvamça« und »Kumârasambhava«; die übrigen lehnen sich größtenteils im Inhalt an das »Mahâbhârata« und »Râmâyana« an und verfallen in der Form immer mehr einem armseligen Spiel mit Wort und Vers.

Das Drama (nâtaka, von nata, »Schauspieler«, ursprünglich »Tänzer«) scheint in Indien, wie bei andern Völkern, aus religiösen Festlichkeiten und Aufzügen mit Gesang und Tanz hervorgegangen zu sein; die Entwickelung zu der Vollkommenheit, in der es uns entgegentritt, hat man (besonders Windisch in den »Verhandlungen des fünften Orientalistenkongresses«, 1881; auch auf H. Reichs »Mimus«, Bd. 1, S. 694, ist zu verweisen) mit sehr zweifelhaftem Rechte dem Einfluß griechischer Dramen, wie sie an den Höfen der griechischen Könige in Baktrien, im Pandschab und in Gudscharat ausgeführt wurden, oder den Einwirkungen des griechischen Mimus zugeschrieben. Die Stoffe sind teils heroisch, teils dem höfischen oder bürgerlichen Leben angehörig, vielfach der Novellenliteratur entnommen. Auch das allegorisch-philosophische Drama und die burleske Posse ist vorhanden. Die einheimische Theorie unterscheidet zahlreiche Gattungen (nach einer Zählung 28). Hauptmotiv ist meistens die Liebe; ein tragischer Ausgang kommt nie vor. Die Form wechselt zwischen Prosa und Versen; Götter, Könige und hochgestellte Persönlichkeiten reden S., Frauen (mit gewissen Ausnahmen) und niedrigere Personen verschiedene Prâkritdialekte. Die Zahl der Akte ist in der Regel nicht über zehn. Den Höhepunkt der indischen Dramatik bezeichnen die dem König Çûdraka zugeschriebene »Mrittschhakatikâ«, die drei Stücke des Kâlidâsa (s. d.) und die des Bhavabhûti (s. d.). Die »Mrittschhakatikâ« (»Das Tonwägelchen«) ist wegen der farbenreichen Schilderung des indischen Volkslebens aus den verschiedensten Kreisen, von dessen Hintergrund sich die Liebe des Brahmanen Tschârudatta und der Hetäre Vasantasena abhebt, das interessanteste indische Drama und reich an großen poetischen Schönheiten (hrsg. von Stenzler, Bonn 1847 und mehrfach in Indien; übersetzt von Böhtlingk, Petersb. 1877, von L. Fritze, Chemn. 1879, von M. Haberlandt, Leipz. 1893; englisch von Ryder, Cambridge, Mass., 1905; für die deutsche Bühne bearbeitet [u. d. T.: »Vasantasena«] von E. Pohl, Stuttg. 1893). Aus dem 7. Jahrh. stammen die dem Könige Erîharscha zugeschriebenen Dramen »Ratnâvalî« (»Die Perlenschnur«), ein Intrigenstück (hrsg. von Cappeller in Böhtlingks Chrestomathie, 2. Aufl., Petersb. 1877, u. Bombay 1895; übersetzt von Fritze, Chemn. 1878); »Nâgânanda«, ein Sensationsstück mit buddhistischer Färbung (engl. von Boyd, Lond. 1872; franz. von Bergaigne, Par. 1879), und »Priyadarçikâ«. Unter den zahlreichen übrigen Dramen ist zu erwähnen das politische Intrigenstück »Mudrârâkschasa« (»Das Siegel des Ministers Râkschasa«) von Viçâkhadatta (7. od. 8. Jahrh.?, hrsg. Bombay 1893; deutsch von Fritze, Leipz. 1886) und das allegorisch-philosophische Schauspiel »Prabodhatschandrodaya« (»Ausgang des Mondes der Erkenntnis«) von Krischnamiçra, in dem Begriffe und Systeme als handelnde Personen auftreten (hrsg. von H. Brockhaus, Leipz. 1835–45; deutsch von Goldstücker, Königsb. 1842, von Hirzel, Zürich 1846; engl. von Taylor, Bombay 1886). Vgl. im allgemeinen Wilson, Select specimens of the theatre of the Hindoos (3. Aufl. 1871); Klein, Geschichte des Dramas, Bd. 3 (Leipz. 1866); Sylvain Lévi, Le théatre indien (Par. 1890); R. Pischel, Die Heimat des Puppenspiels (Halle 1900). Die indische Theorie des Dramas ist niedergelegt bei Bharata (s. d.), in Dhanandschajas »Daçarûpa« (hrsg. von F. E. Hall, Kalkutta 1865) und der sonstigen rhetorischen Literatur (s. unten).

Die indische Lyrik ist fast durchweg erotischen Inhalts und reich an Stellen von innigstem und zartestem Gefühl, anderseits freilich oft voll üppigster, ja lasziver Sinnlichkeit. Neben den hierhergehörigen Werken des Kâlidâsa (s. d.) und denen des Bhartrihari (s. d.) und Bilhana (s. d.) sei noch erwähnt das kurze, künstliche »Ghatakarpara« (»Der zerbrochene Krug«, hrsg. von Brockhaus, Leipz. 1841; übersetzt von Höfer, »Indische Gedichte«, Bd. 2, S. 129 ff.), ferner die jedesmal eine einzelne Situation mit seiner Beobachtung und tiefer Empfindung schildernden Epigramme des Amaru (hrsg. von Simon, Kiel 1893; im Auszug übersetzt von Rückert im »Musenalmanach für 1831«). Die ausschweifendste Üppigkeit der Phantasie zeigt der auf der Grenze von Lyrik und Drama stehende »Gîtagovinda« des Dschajadeva (s. d.). Eine umfassende Sammlung und Übersetzung der in dischen Spruchpoesie, in die unter anderm Bhartrihari und Amaru vollständig aufgenommen sind, gibt Böhtlingk in den »Indischen Sprüchen« (2. Aufl., Petersb. 1870–73; in Auswahl übersetzt von Fritze, Leipz. 1880). Eine Anthologie kleiner lyrischer Gedichte im Prâkritdialekt liegt im »Saptaçatakam« des Hâla vor (hrsg. von Weber, Leipz. 1881). Vgl. Brunnhofer, Über den Geist der indischen Lyrik (Leipz. 1882); G. Meyer, Indische Vierzeilen, in seinen »Essays und Studien«, Bd. 1, S. 289 ff. (Berl. 1885); Pavolini, Poeti d'amore nell' India (Flor. 1900).

Hohe Bedeutung hat in der indischen Literatur die Novellenliteratur und die Tierfabel wegen ihres engen Zusammenhanges mit dem Abendland; freilich ist die Frage über die Art des geschichtlichen Zusammenhanges der griechischen und der indischen Tierfabel noch nicht endgültig entschieden (vgl. A. Weber, Indische Studien, Bd. 3; Benfey, Einleitung zur Übersetzung des Pantschatantra; O. Keller, Untersuchungen über die Geschichte der griechischen Fabel, Leipz. 1862). Über die buddhistischen Dschâtakas s. Buddhismus. Über die Fabelwerke »Pantschatantra« und »Hitopadeça« s. d. Charakteristisch für die indischen Fabel- und Erzählungssammlungen ist die Form, indem eine Haupterzählung den Rahmen der verschiedenen Erzählungen bildet. Diese Form, die vereinzelt schon in den Dschatakas auftritt, erscheint ausgebildet in indischen Märchen- und Erzählungswerken, der Quelle zahlreicher arabischer, persischer und abendländischer Erzählungen. Die umfassendste Sammlung ist Somadevas »Kathâsaritsâgara« (»Ozean der Ströme der Erzählungen«, hrsg. von H. Brockhaus, Leipz. 1839–66, 3 Bde.; auch Bombay 1889; deutsch [unvollendet] von Brockhaus, Leipz. 1843, 2 Bde.; engl. von Tawney, Kalkutta 1880–87). Dem Werke des Somadeva (um 1070) sowie einem ähnlichen des Kschemendra liegt eine große, in einem Prâkritdialekt geschriebene Sammlung von Erzählungen aus dem 1. oder 2. (?) Jahrh. n. Chr., die »Brihatkathâ« des Gimâdhja, zugrunde. Außerdem sind in Indien noch drei Sammlungen verbreitet unter den Titeln: »Vetâlapantschavimçati« (hrsg. von Uhle, Leipz. 1881; übersetzt von Österley, das 1873, nach einem Text in Hindi; als[580] »Siddikür« bei den Mongolen verbreitet, hrsg. und übersetzt von Jülg, Leipz. 1866 u. Innsbr. 1868), »Simhâsanad vâtrimçati« (im Mongolischen als Ardschi-Bordschi bekannt; deutsch von Jülg, 1868) und »Çukasaptati«. Letztere ist das Original des persisch-türkischen »Tûti-Nâme« (»Papageienbuch«), dessen persische Bearbeitung von Iken (Stuttg. 1822), die türkische von Rosen (Leipz. 1858) übersetzt wurde. Der indische Text ist in seiner kürzern Form herausgegeben von R. Schmidt in den »Abhandlungen für die Kunde des Morgenlandes«, Bd. 10, Nr. 1, und übersetzt, Kiel 1894; es existiert auch eine ausführlichere RezensionÇukasaptati, textus ornatior«, deutsch von R. Schmidt, Stuttg. 1899). Endlich gehört hierher das zu vermutende Original des sogen. Sindabad-Kreises (s. Sieben weise Meister). Vgl. F. v. d. Leyen in den »Preußischen Jahrbüchern«, Bd. 99, S. 62 ff. (Berl. 1900). – Über den indischen Roman s. Bâna.

[Wissenschaftliche Literatur.] In der wissenschaftlichen Literatur der Inder nimmt den bedeutendsten Platz die Grammatik ein (vgl. Benfey, Geschichte der Sprachwissenschaft und orientalischen Philologie, Münch. 1869). Sie ist herangewachsen zunächst am Studium der vedischen Texte, und die »Padapâtha« und »Prátiçâkhya« sowie die »Nighantavas« (Glossensammlungen) samt Jâskas Kommentar dazu (»Nirukta«) sind wertvolle Überreste dieser ältern Periode (s. Veda). Dagegen kennen wir nicht die Vorläufer von dem bedeutenden Werk des Pânini, das bei seinem Bekanntwerden die gerechtfertigtste Bewunderung im Abendland hervorrief und sehr viel zum Fortschritt der grammatischen Forschung im 19. Jahrhundert beigetragen hat. Es ist ausgezeichnet durch eine überaus scharfsinnige Erforschung der Wurzeln und der Wortbildung wie durch die schärfste Präzision des Ausdrucks und die Durchführung einer überkünstlichen, äußerste Kürze ermöglichenden Terminologie. Gelebt hat Pânini nach freilich nicht sicherer Annahme im 4. Jahrh. v. Chr. (Ausg. von Böhtlingk, Bonn 1839–40, 2 Bde., und mit Übersetzung, Leipz. 1887). Vgl. Goldstücker, Pânini. His place in Sanscrit literature (Lond. 1861); Kielhorn, Der Grammatiker Pânini (in den »Nachrichten der Gesellschaft der Wissenschaften in Göttingen«, 1885, Nr. 5); B. Liebich, Pânini. Ein Beitrag zur Kenntnis der indischen Literatur und Grammatik (Leipz. 1891). Seiner vielfachen Dunkelheit wegen ist das Werk früh kommentiert worden; erhalten sind uns die »Paribhâschâ«, Erläuterungen einzelner Regeln von unbekannten Verfassern (die wichtigsten sind gesammelt von Nâgoji, hrsg. von Kielhorn, Bombay 1868–74, 2 Bde.), die »Vârttika« des Kâtjâjana und das »Mahâbhâschya« des Patandschali (Ausg. von Kielhorn, Bombay 1878–85, 3 Bde.; Bd. 1 u. 2 in 2. Aufl. 1892–1906). Weitere grammatische Werke schließen sich zum Teil an Pânini an, zum Teil gehen sie eigne Wege, wie das »Kâtantra« (hrsg. von Eggeling, Kalkutta 1874 ff.). Vgl. Burnell, On the Aindra school of Sanscrit grammarians (Mangalore 1875). Die Grammatik der Prâkritdialekte behandelten Vararutschi (hrsg. von Cowell, 2. Aufl., Lond. 1868) und Hematschandra (hrsg. von Pischel, Halle 1877–80). Vgl. Pischel, Grammatik der Prâkritsprachen, S. 32 ff. (Straßb. 1900). Das lexikalische Werk des Amarasinha, der sogen. »Amarakoça«, vielleicht aus dem 6. Jahrh., ist herausgegeben von Kielhorn (2. Ausg., Bombay 1882) und mit andern indischen Wörterbüchern im »Abhidhâna Sangraha« (das. 1889 ff.). Quellenwerke der indischen Lexikographie werden seit 1893 von der Akademie der Wissenschaften in Wien herausgegeben. Vgl. Zachariae, Die indischen Wörterbücher (in Bühlers »Grundriß der indoarischen Philologie«, Straßb. 1897). Lehrbücher der Poetik und Rhetorik, mit seinen, oft sehr spitzfindigen Distinktionen, sind uns mehrfach erhalten, so der »Kâvyâdarça« des Dandin, wohl aus dem 6. Jahrh. (hrsg. und übersetzt von Böhtlingk, Leipz. 1890), das »Haçarûpa« (s. oben, S. 580), die Poetik des Vâmana (hrsg. von Cappeller, Jena 1875). Vgl. Regnaud, La rhétorique sanscrite (Par. 1884).

Die historischen Schriften sind alle so sehr mit Dichtung untermischt, daß sie kaum als wissenschaftliche Werke gelten können. Dies gilt auch von dem Hauptwerk der Gattung, der »Râdschataranginî« des Kalhana, einer Geschichte von Kaschmir (hrsg. von Stein, Bombay 1892; hrsg. und ins Französische übersetzt von Troyer, Par. 1840–52, 3 Bde., ins Englische von Stein, Westminster 1900, 2 Bde.). Daneben verdienen Erwähnung die halb historischen, halb poetischen »Tscharita«, die romanhaft ausgeschmückten Geschichten einzelner Könige oder sonstiger hervorragender Personen und ihrer Familien; s. Bâna, Bilhana. Hier ist auch auf die im Pâlidialekt verfaßten, historisch teilweise recht wichtigen buddhistischen Chroniken hinzuweisen, die sich auf Ceylon erhalten haben (Dipavamsa, hrsg. u. engl. übersetzt von Oldenberg, Lond. 1879; Mahâvamsa, hrsg. u. engl. übersetzt von Turnour, Ceylon 1837). Vgl. Oldenberg, Geschichtschreibung im alten IndienDeutsche Rundschau«, Bd. 130, S. 362 ff., Berl. 1907). – Über die Philosophie s. den Artikel »Indische Philosophie«.

Die Astronomie wurde bereits in der vedischen Zeit gepflegt, freilich in recht primitiver Weise. Man beobachtete die 27 oder 28 »Nakschatra«, d.h. Stationen des Mondumlaufs, und versuchte auf Grund wenig genauer Voraussetzungen Sonnenlauf und Mondlauf in einem fünfjährigen Zyklus auszugleichen. Vgl. Weber, Die vedischen Nachrichten von den Naxatra (in den Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften in Berlin, 1860–61) und Über den Vedakalender namens Iyotisham (das. 1862). Die Fortschritte der Folgezeit waren zuerst nicht erheblich; auf eine sehr viel höhere Stufe hob sich die Astronomie erst unter dem Einfluß der Javana (Griechen), die von den indischen Astronomen selbst als ihre Lehrer genannt werden: eine Angabe, die durch mehrere aus dem Griechischen entlehnte astronomische Ausdrücke bestätigt wird. In diesem Zeitalter versteht man für die siderischen Umläufe von Sonne, Mond, Planeten annähernd genaue Bestimmungen zu geben; man kennt das Vorrücken der Äquinoktien etc. Im 8. und 9. Jahrh. wurden die Araber Schüler der Inder in der Astronomie. Das vielleicht älteste Werk der neuen Periode, uns allerdings nicht in seiner ursprünglichen Form vorliegend, ist der »Sûrya Siddhânta« (engl. von Burgeß und Whitney, im »Journal of the American Oriental Society«, Bd. 6, New Haven 1860); neben ihm stehen andre weniger wichtige »Siddhânta«, d.h. Systeme der Astronomie. Weiter sind zu. nennen die Astronomen Ârjabhata, Verfasser des »Ârjabhatîja« (hrsg. von Kern, Leiden 1874), Varâhamihira, Verfasser der »Pantschasiddhântikâ« (hrsg. und übersetzt von Thibaut, Benares 1889) und der astrologischen »Brihat Samhitâ« (hrsg. von Kern, Kalkutta 1865), beide nicht weit von 500; sodann Brahmagupta und Bhâskara,[581] von denen unten als Mathematikern die Rede sein muß. Vgl. G. Thibaut, Astronomie, Astrologie und Mathematik (in Bühlers »Grundriß der indoarischen Philologie«, Straßb. 1899).

Groß ist die Zahl der medizinischen Werke (»Âjurveda«), teils systematisch die ganze Wissenschaft zusammenfassender Schriften, teils Einzeluntersuchungen. In besonderer Blüte stand die Chirurgie: die Rhinoplastik hat Europa von den Indern kennen gelernt; auch der apothekarische Teil ist mit großer Vorliebe behandelt worden. Anfänge der Medizin liegen im »Atharva Veda« (s. Veda) und in der heiligen Literatur der Buddhisten vor; einiges Medizinische enthält eine alte Handschrift auf Birkenbast aus dem 5. Jahrh., das »Bower Manuscript« (hrsg. von R. Hörnle, Kalkutta 1893–97). Hauptwerke sind das des Suçruta, jedenfalls aus nachchristlicher Zeit (Kalkutta 1889; ins Englische übersetzt von Dutt, das. 1883 ff., und von Hoernle, Heft 1, das. 1897–1898) und das Werk des Tscharaka (Ausgabe das. 1896). Vgl. Wife, Commentary on the Hindu system of medicine (Kalkutta 1845; 2. Aufl., Lond. 1860); Trendelenburg, De veterum Indorum chirurgia (Berl. 1866); Haas, Über die Ursprünge der indischen Medizin (in der »Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft«, Bd. 30, Leipz. 1876) und Über Hippokrates und die indische Medizin des Mittelalters (ebenda, Bd. 31); A. Müller, Arabische Quellen zur Geschichte der indischen Medizin (ebenda, Bd. 34); Heßler, Über die Materia medica des Tscharaka (Münchener. akademische Sitzungsberichte, 1883); Cordier, Etudes sur la Médecine Hindoue (Par. 1894).

Die Literatur der Mathematik hebt in vedischer Zeit mit den »Çulvasûtra« an, die von der Ausmessung des Opferplatzes handeln und nicht unerhebliche geometrische Kenntnisse voraussetzen (vgl. Thibaut im »Journal of the Asiatic Society of Bengal«, Bd. 44, Kalkutta 1875; Bürk in der »Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft«, Bd. 55 u. 56, Leipz. 1901–02). Eine Leistung ersten Ranges war die Erfindung des heute allgemein angewandten Ziffernsystems; der Gebrauch der Null ist bereits für 500 n. Chr. bezeugt. Hervorragendes leisteten die Inder in der Algebra, vor allem auf dem Gebiete der unbestimmten Gleichungen. Die bedeutendsten mathematischen Autoren sind Brahmagupta (7. Jahrh.) und Bhâskara (12. Jahrh.), vgl. Colebrooke, Algebra with arithmetic and mensuration from the Sanscrit of Brahmegupta and Bhascara (Lond. 1817). Ob griechischer Einfluß auf die indische Mathematik anzunehmen ist, ist fraglich; unbestreitbar ist, daß in der Algebra die Inder die Leistungen der Griechen vielfach weit überboten haben. Vgl. L. v. Schröder, Pythagoras und die Inder (Leipz. 1884); Cantor, Vorlesungen über Geschichte der Mathematik, Bd. 1 (3. Aufl., das. 1907); Jolly (s. oben bei Astronomie).

Die Literatur über Recht und Sitte, zusammengefaßt unter dem Namen Dharma, wurzelt in den zahlreichen Dharmasûtra der vedischen Zeit (s. Veda) und beginnt in der nachvedischen Periode mit dem in Çlokas verfaßten »Dharmaçâstra«, das den Namen des Mann trägt. Die, verglichen mit den Dharmasûtra fortgeschrittene, aber immer noch recht primitive Darstellung des eigentlich rechtlichen Stoffes ist beständig von theologischen und philosophischen Erörterungen unterbrochen. Das Werk kann nicht jünger als das 2. oder 3. Jahrh. n. Chr. sein, ist aber vielleicht wesentlich älter (hrsg. von Haughton mit engl. Übersetzung, Lond. 1825, 2 Bde.; von Deslongchamps mit franz. Übersetzung, Par. 1830–33, 2 Bde.; von Jolly, Lond. 1887, engl.; von Bühler als Bd. 25 der »Sacred books of the East«). Vgl. Johäntgen, Über das Gesetzbuch des Mann (Berl. 1863). Später als das Gesetzbuch des Mann ist das des Jâdschnavalkja (hrsg. und übersetzt von Stenzler, Berl. 1849), um das 4. (?) Jahrh. n. Chr. entstanden; hierzu der berühmte und einflußreiche Kommentar »Mitâkscharâ« (um 1100). Vgl. West und Bühler, Digest ot Hindu law (3. Ausg., Bombay 1884); A. Mayr, Das indische Erbrecht (Wien 1873); Jolly, Outlines of an history of the Hindu law of partition, inheritance and adoption (Kalkutta 1885); Kohler, Altindisches Prozeßrecht (Stuttg. 1891); Jolly, Recht und Sitte, in Bühlers »Grundriß der indoarischen Philologie« (Straßb. 1896).

Vgl. Lassen, Indische Altertumskunde (Bonn 1844–61, 4 Bde.; Bd. 1 u. 2 in 2. Aufl., Leipz. 1867 u. 1873); Benfey, Indien (in Ersch und Grubers Enzyklopädie); Weber, Vorlesungen über indische Literaturgeschichte (2. Aufl., Berl. 1876; Nachtrag 1878); L. v. Schröder, Indiens Literatur und Kultur (Leipz. 1887); M. Müller, Indien in seiner weltgeschichtlichen Bedeutung (das. 1884); A. Macdonell, History of Sanskrit literature (Lond. 1900); Oldenberg, Die Literatur des alten Indien (Stuttg. 1903); Winternitz, Geschichte der indischen Literatur (Leipz. 1905); Pischel, Die indische Literatur (in der »Kultur der Gegenwart«, Teil 1, Abt. 7, Berl. 1906); Aufrecht, Catalogus Catalogorum. An alphabetical Register of Sanscrit works and authors (Leipz. 1891–1903, 3 Bde.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 17. Leipzig 1909, S. 578-582.
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