Intĕrim

[885] Intĕrim (lat., »einstweilen«), Bezeichnung für die einstweilige Regelung irgend welcher Zustände. Insbesondere versteht man darunter drei Versuche einer einstweiligen Ausgleichung in Religionssachen, die unter Kaiser Karl V. in Deutschland zwischen Katholiken und Protestanten bis zum Entscheid einer allgemeinen Kirchenversammlung gemacht wurden. Der erste dieser Versuche war das Regensburger I. von 1541: der wahrscheinlich von Bucer lateinisch abgefaßte Entwurf einer Vereinbarung über die kirchlichen Streitfragen, der dem Regensburger Religionsgespräch und auch dem Reichsabschied zugrunde lag, bestimmte, daß die Evangelischen bis zum Zusammentritt des Konzils nicht über die verglichenen Artikel hinausgehen sollten; die wesentlichsten Punkte der Reformation waren in den Artikeln zugestanden. Durch das zweite, das Augsburger I. von 1548, suchte Karl V. die damals im Schmalkaldischen Kriege besiegten Protestanten zur Unterwerfung unter die alte Kirche zu bewegen; eine Glaubensnorm, nach der sie einstweilen sich zu richten hätten, mit einigen Konzessionen an ihre kirchliche Einrichtung sollte ihnen die Rückkehr zur katholischen Kirche erleichtern. Zur Formulierung dieser einstweiligen Norm berief Kaiser Karl V. den Naumburger Bischof Johann v. Pflugk, den Mainzer Weihbischof Michael Helding (Sidonius) und den Brandenburger Hofprediger Johann Agricola, die in 26 Artikeln das zweite I. verfaßten. Im wesentlichen enthielt es die katholische Lehre und berücksichtigte die Forderung der Protestanten nur insofern, als es einige Feiertage abschaffte, die Einziehung der Kirchengüter stillschweigend gestattete, die Ehe den Geistlichen bis zur Entscheidung durch ein allgemeines Konzil erlaubte und den Genuß des Abendmahls in beiderlei Gestalt unter der Bedingung zugestand, daß der Genuß des Abendmahls unter Einer Gestalt weder Tadel noch Mißbilligung erlitt (vgl. Beutel, Über den Ursprung des Augsburger Interims, Dresd. 1888). Zwar wurde es 15. Mai 1548 als Reichsgesetz verkündigt, aber die Mehrzahl der katholischen Stände wollte von Zugeständnissen nichts wissen, und in den evangelischen Landen mißachtete man, wo man nur konnte, seine Vorschriften. Die Annahme des Interims verweigerten rund der gefangene Kurfürst Johann Friedrich, der junge hessische Landgraf, die protestantischen Stände und Städte Niedersachsens, Pfalz-Zweibrücken, das Herzogtum Preußen und Markgraf Hans von Brandenburg-Küstrin. Ja, selbst der dem Kaiser gegenüber so willfährige Kurfürst Joachim II. konnte die Anerkennung des Interims in seinem Lande nicht durchführen. Nur Württemberg und die Kurpfalz fügten sich dem Kaiser; die widerspenstigen Geistlichen wurden ihrer Stellen entsetzt und verfolgt, einige sogar getötet, sowie zu nachsichtige Magistrate abgesetzt. Zwar verbot der Kaiser, etwas gegen das I. zu schreiben, zu predigen oder zu drucken; allein bald erschienen Flugschriften dagegen in Menge. Magdeburg war der Sammelplatz der wegen des Interims Vertriebenen und die Schmiede der Flugschriften und hieß spottweise die »Kanzel Gottes«, während die Gegner des Interims letzteres die »Sphinx Augustana«, »des Papstes Unterhemd« etc. titulierten. Auch Spottlieder darauf zirkulierten in Menge. Eine Modifikation erfuhr das I. in Sachsen. Kurfürst Moritz hatte zwar für seine Person dasselbe angenommen, wagte aber nicht, es dem Lande unverändert aufzudrängen, und ließ mit Hilfe Melanchthons auf einer Reihe von Konferenzen und Religionsgesprächen in gewundenen, vieldeutigen und unbestimmten Worten eine Kirchenagende ausarbeiten, die das kleine I. zum Unterschied von dem großen genannt wurde und 22. Dez. 1548 bei den Landstädten Sachsens Annahme fand; da die Beratung zu Leipzig erfolgt war, kam dafür auch der Name Leipziger I. auf. Von seiten der Regierung im Juli 1549 als Landesgesetz eingeführt, erklärte es die äußerlichen Dinge, die Formen des Kultus, für Adiaphora und wahrte bloß hinsichtlich des Glaubens im ganzen den evangelischen Standpunkt. Dennoch bekämpften und schmähten nicht wenige Theologen den Urheber und die Anhänger desselben als Interimisten oder Adiaphoristen. Das Haupt jener Theologen war Matthias Flacius (s. d.), der, als er von den Leipziger Versammlungen und Beratungen hörte, sogleich seine Professur zu Wittenberg niederlegte und aus der Oppositionsstadt Magdeburg eine Unzahl von Schmähschriften gegen das I. und seine Anhänger veröffentlichte. Das Leipziger I. verlor seine Geltung schon 1552, als Kurfürst Moritz sich gegen den Kaiser erhob und dem Protestantismus in Sachsen wieder freie Bahn ließ (vgl. Herrmann, Das I. in Hessen, Marburg 1901). – Über das am 30. Sept. 1849 mit Geltung bis 1. Nov. 1850 zwischen Preußen und Österreich vereinbarte I. s. Deutschland, S. 823.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 885.
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