Mode

[11] Mode (franz., v. lat. modus, engl. Fashion), die Lebensformen, sofern sie weder durch nationale Überlieferung noch durch zwingende Erwägungen, sondern durch wechselnde Tageslaunen bestimmt werden. Das Gebiet, auf dem die M. am unbestrittensten herrscht, ist die Kleidung; doch gibt es kein Gebiet des menschlichen Gemeinlebens, das sich dem Einfluß der M. ganz zu entziehen vermöchte. Die Zubereitung und Aufeinanderfolge der Speisen, die Ausstattung der Wohnungen mit Hausrat, die Anordnungen von Festlichkeiten, die Form von Briefen, die Zucht und das Binden von Blumen: alles ist der M. unterworfen (vgl. Chic). Man spricht sogar von Modephilosophen und Modedichtern. Doch hat jede Anwendung des Begriffs der M. auf das Gebiet von Wissenschaft und Kunst etwas Tadelndes, denn hier soll die richtende Vernunft und das ästhetische Gesetz ausschließlich herrschen; dagegen gibt es Gebiete, in denen die Willkür ihr Spiel treiben darf, weil die Vernunft sich jedes Rechts der Einsprache begibt. Ein solches Gebiet ist die Kleidung. Ohne Rücksicht auf die Gebote des Anstandes, der Gesundheit und der Bequemlichkeit herrscht hier ein beständiger Wechsel in Stoffen, Formen und Farben. Was gegen die Gebote des Anstandes, des guten Geschmacks und der Gesundheitspflege verstößt, geißelt man als Ausartungen der M., als Modetorheiten. Von diesen abgesehen, haben die Launen der M. einen weiten Spielraum, innerhalb dessen sie berechtigt sind und volkswirtschaftlichen Nutzen haben. Bei Völkern mit gering entwickelter Kultur äußert sich die M. meist nur in dem Putz der Frauen. Auch hat die M. nur wenig Einfluß auf die Gesellschaftsklassen, die an eine streng begrenzte Sitte oder Lebensvorschrift gefesselt sind. Nationaltrachten (Volkstrachten, s. d.) sind nicht der M. unterworfen. Doch dringt die M. immer weiter vor, so daß die Nationaltrachten mehr und mehr verschwinden oder an ihrem Charakter verlieren. Die Launen der M. gingen ursprünglich aus dem Streben nach Fortschritt hervor. Jedes Kleidungsstück, jeder Kleidungsteil, der Hut, der Strumpf, die Halsbinde, der Hosenträger, der Knopf, ist fortdauernd der Vervollkommnung fähig; aber wie sich der Fortschritt des Menschengeschlechts nirgends in gerader Linie bewegt, sondern Schlangenwindungen beschreibt, so ist dies auf dem Gebiete der Kleidertrachten in besonders hohem Grade der Fall. Nicht selten bricht sich die Lust am Kostbaren, am Bizarren, ja am Unnatürlichen Bahn und führt statt des Fortschritts einen Rückschritt herbei. Die M. ist einer der Faktoren, die auf die Nachfrage und dadurch auf den Preis in hohem Grade bestimmend einwirken. Ein Wechsel der M. entwertet bedeutende Vorräte; er drückt die Preise von Waren herab, deren Brauchbarkeit für den, der sich der M. nicht unterwirft, unverändert bleibt. Unter diesem Gesichtspunkte hat man die M. als ein wirtschaftsschädliches Element bezeichnet; anderseits aber hebt sie die Produktion und befördert die Konkurrenz, so daß der durch den Wechsel herbeigeführte Schade wieder ausgeglichen wird. Früher legte man größern Wert auf die Kostbarkeit von Kleidern und Geräten; die M. hat für eine Gleichstellung der Stände gewirkt. Alles in allem gerechnet, nimmt trotz des Wechsels der M. das Kleidungsbedürfnis einen geringern Teil des Jahreseinkommens in Anspruch als in frühern Zeiten.

Die Reformbewegung auf dem Gebiete der Kunstindustrie ist zum Teil ein Kampf gegen die M., deren Willkür an den Stilgesetzen feste Schranken finden soll, ohne daß diese die Phantasie der erfindenden Künstler in der freien Bewegung hemmen. Durch ihren Einfluß auf die Fabrikation des Schmuckes, auf Muster und Farbenzusammenstellung der Gewebe etc. greift die stilistische Richtung auch auf die eigentlichste Domäne der M., die Tracht, hinüber, wenn sie auch keinen nachhaltigen Erfolg zu erzielen und das Vernunftgemäße zum Siege zu bringen vermag. Seit Ludwig[11] XIV. gab Frankreich den Ton für die Kleidermode an, nicht ohne gelegentliche Opposition gegen diese Diktatur hervorzurufen oder sich selbst von außen her beeinflussen zu lassen, wie vor der Revolution durch die Quäkertracht Franklins und die englischen Moden. Seit dem Sturz des zweiten französischen Kaiserreichs ist man in Deutschland bemüht, sich von der Herrschaft der französischen M. zu befreien. Doch haben diese Bemühungen bisher nur in bezug auf die männliche Tracht Erfolg gehabt. So werden z. B. die Hutmoden alljährlich von Leipzig aus bestimmt. Die Bemühungen, eine Nationaltracht zu schaffen oder wieder zu beleben (Gustav III. von Schweden, die deutschen Burschenschaften, die Magyaren u.a.), hatten stets nur vorübergehenden Erfolg; dagegen besteht seit 1848 fast völlige Zwanglosigkeit in der Tracht der Männer, innerhalb deren sich nur der Frack als allgemein anerkanntes Staatskleid behauptet. Die Geschichte der M. im ganzen bildet einen nicht unwesentlichen Teil der Kultur- und Sittengeschichte, namentlich der des modernen Europa, indem sich die ganze Sinnes- und Denkweise eines Zeitalters oft sehr charakteristisch in den äußern Lebensformen ausspricht. Die steife spanische M., die flotte Kleidung zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, die pomphafte Ludwigs XIV., die zierlich-frivole Ludwigs XV., die bürgerlich-schlichte um die Zeit des amerikanischen Befreiungskriegs sind zugleich die äußere Versinnlichung der geistigen Strömungen, welche die einzelnen Perioden beherrschten (vgl. Geck). Näheres über die geschichtliche Entwickelung der Tracht s. Kostüm (mit 3 Tafeln). Die Beziehungen zwischen Tracht und bildender Kunst werden in den Ausdrücken: Perückenstil, Zopfstil angedeutet. – Die Modenzeitungen sind wahrscheinlich aus den Kostümbüchern des 16. u. 17. Jahrhunderts (O. Weigel, Jost Ammon u.a.) entstanden; als erste wirkliche Modenzeitung kann der Pariser »Mercure galant« (1672, später als »Mercure de France« bis 1820) gelten; die älteste deutsche war die »Mode- und Galanteriezeitung« (Erfurt 1758), länger behauptete sich das »Journal des Luxus und der Moden« von Berluch und Kraus (Weim. 1786–1823) und die Leipziger »Allgemeine Modenzeitung« (1798–1903). Die verbreitetsten deutschen Modenzeitungen der Gegenwart, von denen die größern in mehreren Sprachen erscheinen und meist auch belletristischen Inhalt haben, sind: Der »Bazar« (begründet 1855), »Die Modenwelt« (begründet 1865 von Franz Lipperheide), die »Große Modenwelt«, die »Große Modenzeitung«, »Mode und Haus« (sämtlich in Berlin erscheinend), »Wiener Mode« (seit 1888). Von ausländischen Modenzeitungen sind zu nennen in Frankreich: »Le Journal des Dames et des Demoiselles« (seit 1840), »Le Moniteur de la Mode« (seit 1843), »Printemps« (seit 1866), »Mode illustrée«, »Le Salon de la Mode«, »L'Art et la Mode«, »Le Figaro-Modes«; in England: »Ladies' Gazette of Fashion«, »Myra's Journal«, »Lady's Pictorial«, »Queen« u.a. Für Herrenmoden: die von Heinrich Klemm (s. d. 2) begründete »Europäische Modenzeitung« (Dresd.), das »Journal des Marchands-Tailleurs«, »Journal des Tailleurs« (Par.), »Minister's Gazette of fashion«, »Tailor and Cutter« (Lond.) u.a. Vgl. H. Hauff, Moden und Trachten, Fragmente zur Geschichte des Kostüms (Stuttg. 1840); Louandre, Les arts somptuaires, histoire du costume et de l'ameublement (Par. 1857–58, 2 Bde. Text u. 2 Bde. Tafeln); I. Falke, Geschichte des modernen Geschmacks (2. Aufl., Leipz. 1880); R. Schultze, Die Modenarrheiten (Berl. 1868); Kleinwächter, Zur Philosophie der M. (das. 1880); Jul. Lessing, Der Modeteufel (das. 1884); Geszler, Die Moden des 19. Jahrhunderts (Wien 1895–97, 100 Tafeln); Uzanne, Les modes de Paris, 1797–1897 (Par. 1897), sowie die Literatur bei Artikel »Kostüm«.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 11-12.
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