[682] Nießbrauch (Nutznießung, Fruchtnießung, lat. Ususfructus), das dingliche Recht an einer fremden, beweglichen oder unbeweglichen Sache, kraft dessen der Berechtigte befugt ist, die Nutzungen der Sache ganz oder teilweise zu ziehen (§ 1030 des Bürgerlichen Gesetzbuches). Ursprünglich war nur das Grundeigentum Gegenstand des Nießbrauchs, allmählich aber dehnte es sich auf alles bewegliche Gut und schließlich sogar auf Rechte aus. Das Bürgerliche Gesetzbuch kennt drei Arten des Nießbrauchs: 1) den N. an Sachen, 2) den N. an Rechten, 3) den N. an einem Vermögen. Erworben wird der N. durch Vertrag, durch Gesetz oder kraft des Gesetzes; letztere Erwerbungsart besteht für den Ehemann hinsichtlich des eingebrachten Gutes der Frau (§ 1383), für den[682] Vater, bez. die Mutter kraft der elterlichen Gewalt an dem Vermögen der Kinder (§ 1649, 1652, bez. 1685°, 1686). Der N. an einer beweglichen Sache wird erworben: 1) indem der Eigentümer die Sache dem Erwerber übergibt und beide darüber einig sind, daß dem Erwerber der N. zustehen soll, 2) durch zehn jährige Ersitzung nach den für den Erwerb des Eigentums durch Ersitzung (s. d.) geltenden Vorschriften (§ 1032 u. 1033). Der N. an einer unbeweglichen Sache (Grundstück) wird begründet: 1) durch Einigung der Parteien und Eintragung der Einigung im Grundbuch (§ 873), 2) durch Tabularersitzung (s. d.). Erstreckt sich die Einigung der Parteien auch darauf, daß der N. auch das Zubehör umfassen soll, so erlangt der Nießbraucher auch den N. an den zur Zeit des Nießbraucherwerbs vorhandenen Zubehörstücken, im Zweifel ist dies jedesmal anzunehmen (§ 1031 u. 926). Der Nießbraucher ist zum Besitze der Sache berechtigt, darf sie nach den Regeln einer ordnungsmäßigen Wirtschaft benutzen, wobei er die bisherige wirtschaftliche Bestimmung der Sache aufrecht zu erhalten hat (er darf also aus einem Wald kein Ackerland, aus einem Park keine Wiese etc. machen) und die Sache nicht umgestalten oder wesentlich verändern darf (§ 1036, 1037). Die ordnungsgemäß abfallen den Früchte gehören ihm, sobald sie von der Hauptsache getrennt sind, dagegen hat er dem Eigentümer den Wert der Früchte zu ersetzen, die er gegen die Regeln einer ordnungsmäßigen Wirtschaft oder infolge eines zufälligen Umstandes (z. B. Windbruch) gezogen hat (§ 1039). Wohl aber sind ihm Anlagen jeder Art, aus denen er Nutzen zieht, wie Anlagen zur Gewinnung von Steinen, Kies, Sand, Lehm, Ton, Mergel, Torf, Basalt, Schiefer etc., erlaubt, so weit dadurch die wirtschaftliche Bestimmung des Grundstücks nicht wesentlich verändert wird (§ 1037). Findet sich ein Schatz in der Sache, so gehört ihm jedoch nicht die Hälfte, er fällt vielmehr dem Eigentümer der Sache zu (§ 1040). Zum Schutz gegen Dritte, die ihn in seinem Rechte beeinträchtigen, stehen ihm die gleichen zivilrechtlichen Klagen wie dem Eigentümer zu (vgl. Eigentum, S. 444). Strafrechtlichen Schutz hat er durch § 289 des Reichsstrafgesetzbuchs, wonach derjenige, der seine eigne oder eine fremde bewegliche Sache zugunsten des Eigentümers dem Nießbraucher in rechtswidriger Absicht wegnimmt, mit Gefängnis bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bis zu 900 Mk. bestraft wird. Diesen umfassenden Rechten steht die Pflicht des Nießbrauchers gegenüber, die Sache in ihrem wirtschaftlichen Bestande zu erhalten, also die notwendigen gewöhnlichen Reparaturen, Nachpflanzungen, Düngungen, Ausbesserungen und Erneuerungen, soweit sie zu der gewöhnlichen Unterhaltung der Sache gehören, vorzunehmen (§ 1041). Nicht dagegen muß er für Veränderungen oder Verschlechterungen ein treten, die durch ordnungsmäßige Ausübung des Nießbrauchs herbeigeführt werden (§ 1050). Von allen außergewöhnlichen Vorkommnissen an der Sache, wie von deren Zerstörung hat er dem Eigentümer sofort Mitteilung zu machen (§ 1042). Soweit es bei Sachen der betreffenden Art üblich, hat der Nutznießer für die Versicherung (z. B. Brandversicherung) zu sorgen und die Prämien zu zahlen, ebenso treffen ihn die auf der Sache ruhen den öffentlichen Lasten mit Ausschluß der auf dem Stammwert der Sache ruhen den außerordentlichen Lasten sowie diejenigen privatrechtlichen Lasten, die schon bei Bestellung des Nießbrauchs auf der Sache ruhten. Es treffen ihn also insbes. die Grundsteuern, die Gemeindeumlagen, Distriktsumlagen, Reallasten, Einquartierungslasten, Hypotheken- und Grundschuldzinsen (§ 1046, 1047). Mißbraucht er sein Recht, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen, und verletzt er die Rechte des Eigentümers in erheblichem Maße, so kann dieser die Anordnung einer gerichtlichen Verwaltung verlangen (§ 1053, 1054). Ja, schon wenn die Besorgnis einer erheblichen Verletzung der Rechte des Eigentümers begründet ist, kann er Sicherheitsleistung verlangen, und falls diese nicht geleistet wird, Anordnung der gerichtlichen Verwaltung verlangen (§ 1051, 1052). Alle Ansprüche, die Eigentümer und Nießbraucher aus dem Nießbrauchverhältnis gegeneinander haben, verjähren in sechs Monaten, nach Beendigung des Nießbrauchs oder Rückgabe der Sachen (§ 1057). Das Nießbrauchrecht ist als solches weder übertragbar noch pfändbar, wohl aber kann die Ausübung desselben überlassen werden. An dem Verhältnis zwischen Eigentümer und Nießbraucher wird dadurch aber nichts geändert (§ 1059, 1056). An beweglichen Sachen erlischt der N. 1) durch Eintritt des Endtermins, bis zu dem er bestellt ist, 2) durch Untergang der Sache, 3) durch den Tod des Nießbrauchers, da er als ein vererblicher nicht bestellt werden kann, 4) durch Zusammentreffen mit dem Eigentum in derselben Person, es sei denn, daß der Eigentümer ein rechtliches Interesse an seinem Fortbestehen hat. Er wird endlich aufgehoben durch die Erklärung des Nießbrauchers dem Eigentümer oder Besteller gegenüber, den N. aufgeben zu wollen (§ 1064). An Grundstücken erlischt der N. durch die Erklärung des Nießbrauchers, daß er sein Nießbrauchrecht aufgebe, und die Löschung dee Nießbrauchrechts im Grundbuch. Mitunter kommt auch ein N. an verbrauchbaren Sachen, sogen. quasiususfructus, vor (z. B. Nahrungsmittel, Brennmaterial, Möbellager etc.). In einem solchen Fall erwirbt der Nießbraucher Eigentum an den Sachen und kann beliebig über sie verfügen, nur hat er nach Beendigung des Nießbrauchs dem Eigentümer den Wert der Sachen zur Zeit der Nießbrauch bestellung zu ersetzen (§ 1067). Auf den N. an Rechten finden die Vorschriften über den N. an Sachen entsprechende Anwendung. Im einzelnen ist noch folgendes zu merken. Bestellt wird dieser N. nach den für die Übertragung des Rechtes geltenden Vorschriften, also gerade so, wie das betreffende Recht selbst übertragen wird. Kann also ein Recht selbst nicht übertragen werden, wie z. B. der N., so kann auch kein N. daran bestellt werden (§ 1068, 1069). Der N. an einer unverzinslichen Forderung berechtigt zu deren Einziehung und Kündigung, nicht aber zu andern Verfügungen, z. B. Zession, Erlaß etc., über sie. Mit der Leistung des Schuldners erwirbt der Gläubiger das Eigentum, der Nießbraucher den N. an dem geleisteten Gegenstand. Handelt es sich hierbei um verbrauchbare Gegenstände, so gehen sie ins Eigentum des Nießbrauchers über, der ihren Wert seinerzeit zu erstatten hat (§ 1074, 1075). Bei einem N. an einer verzinslichen Forderung kann der Schuldner das Kapital nur an den Gläubiger und Nießbraucher gemeinschaftlich zahlen, beide können auch nur gemeinschaftlich kündigen. Das eingezogene Kapital ist nach Angabe des Nießbrauchers mündelsicher anzulegen, der Zin sengen uß gebührt allein dem Nießbraucher (§ 10771079). Dem Nießbraucher eines Altenteils (s. d.), einer Leibrente oder eines ähnlichen Rechtes gebühren die einzelnen Leistungen, nicht bloß deren Zinsen (§ 1073). Diese Bestimmungen gelten auch[683] für den N. an einer Grund- oder einer Rentenschuld (§ 1080). Besteht ein N. an einem Inhaberpapier (s. d.) oder Orderpapier (s. d.), so bleibt das Hauptpapier im gemeinschaftlichen Besitz von Eigentümer und Nießbraucher, dagegen gehören die Zins-, Renten- oder Gewinnscheine dem Nießbraucher (§ 1081, 1082). Auch auf den N. an einem Vermögen sind die Vorschriften über den N. an Sachen sinngemäß anzuwenden. Er kann an dem ganzen Vermögen eines Lebenden wie an einer Erbschaft eingeräumt werden und bedarf nach § 311 gerichtlicher oder notarieller Form. Er wird in der Weise bestellt, daß dem Nießbraucher der N. an den einzelnen Vermögensgegenständen eingeräumt wird, also je nachdem durch Einigung und Übergabe bei beweglichen Sachen und Rechten oder durch Einigung und Eintragung im Grundbuch bei unbeweglichen Sachen (§ 1085). Ruhen auf dem Vermögen irgend welche Lasten, die vor der Bestellung des Nießbrauchs entstanden sind, so sind die Gläubiger vorab zu befriedigen, selbst wenn für den Nießbraucher nichts mehr übrigbleibt (§ 1086). Eventuell müssen sie gegen den Nießbrauchbesteller auf Leistung, gegen den Nießbraucher auf Duldung der Zwangsvollstreckung klagen (Zivilprozeßordnung, § 737, 378, 794). Für während des Nießbrauchs fällig werdende Zinsen von bereits früher verzinslichen Forderungen sowie für andre wiederkehrende Leistungen, die ordnungsgemäß aus den Einkünften des Vermögens bestritten zu werden pflegen, haftet der Nießbraucher auch mit seinem eignen Vermögen; eine Haftung, die nicht durch Vertrag ausgeschlossen werden kann (§ 1088). Vgl. die beim Bürgerlichen Gesetzbuch ausgeführte Literatur zu den § 10301089.
Buchempfehlung
Jean Pauls - in der ihm eigenen Metaphorik verfasste - Poetologie widmet sich unter anderem seinen zwei Kernthemen, dem literarischen Humor und der Romantheorie. Der Autor betont den propädeutischen Charakter seines Textes, in dem er schreibt: »Wollte ich denn in der Vorschule etwas anderes sein als ein ästhetischer Vorschulmeister, welcher die Kunstjünger leidlich einübt und schulet für die eigentlichen Geschmacklehrer selber?«
418 Seiten, 19.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro