Orchester

[96] Orchester hieß im Theater der Griechen der Teil der Bühne, auf dem sich der Chor bewegte (orchestra, »Tanzplatz«); beim Versuch der Wiederbelebung der antiken Tragödie, der bekanntlich die Kunstgattung der Oper (s. d.) ins Leben rief, ging der Name O. auf den Raum über, den die den Gesang der Bühnendarsteller begleitenden Instrumentenspieler einnehmen (zwischen Bühne und Publikum), sowie schließlich auf die Instrumentisten selbst, so daß jede Vereinigung von Instrumentenspielern verschiedener Art zum Zweck der Ausführung größerer Instrumentalwerke oder Vokalwerke mit Instrumentalbegleitung heute ein O. heißt. Je nach der Zusammensetzung unterscheidet man das Streichorchester, in dem nur Streichinstrumente beschäftigt sind, und das Harmonieorchester, das nur Blasinstrumente enthält; noch spezieller das Blechorchester (Messingorchester),[96] in dem auch die Holzblasinstrumente nicht vertreten sind, sondern nur Hörner, Trompeten, Posaunen und ähnliche Instrumente, weshalb die von einem solchen O. ausgeführte Musik auch Hornmusik genannt wird. Das aus Blas- und Schlaginstrumenten zusammengesetzte O. nennt man Militärmusik oder Janitscharenmusik (türkische Musik). Alle diese O. sind von untergeordneter Bedeutung gegenüber bem vollen oder großen O., von dem das sogen. kleine O. nur eine Abart ist. Das große sowohl als das kleine O. begreift sämtliche Hauptgattungen der Musikinstrumente in sich: Streichinstrumente, Holz- und Blechblasinstrumente und Schlaginstrumente (Pauken); nur in der Stärke der Besetzung sowie besonders in der Anzahl der angewendeten Arten von Blasinstrumenten unterscheiden sie sich. Das kleine O. besteht außer dem Streichquintett (ersten und zweiten Violinen, Bratschen, Celli und Bässen) aus 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten (die erst seit den spätern Haydnschen und Mozartschen Symphonien regelmäßiger auftreten), 2 Fagotten, 2 Hörnern, 2 Trompeten und 2 Pauken (die noch bei Haydn vielfach fehlen). Welche Fülle verschiedener Klangfarben mit diesen bescheidenen Mitteln erzielt werden kann, beweisen die Symphonien von Haydn, Mozart und Beethoven hinlänglich. Treten zu den genannten noch 2 weitere Hörner und 3 Posaunen hinzu, so heißt das O. schon das große; es ist (mit oder ohne Pickelflöte) das eigentliche Symphonieorchester, wie es nicht nur Beethoven in seinen größern Symphonien, sondern auch die nachbeethovenschen Symphoniker bis auf den heutigen Tag festgehalten haben. Erheblich erweitert ist dagegen das große O. der neuern Oper, der neuern Messe, überhaupt der neuern Chormusik mit O. und der Programmsymphonien. Das Streben nach Charakteristik des Ausdrucks, nach Individualisierung verschiedenartiger Personen, Tonmalerei etc. hat die Komponisten veranlaßt, für alle diese Arten illustrierender Instrumentalmusik immer neue Klangfarben aufzusuchen, und so finden wir denn neben den bereits genannten Instrumenten noch: Englisch Horn, Baßklarinette, Kontrafagott, Baßtuba, Harfe, große und kleine Trommel, Becken, Triangel, Glockenspiel (Lyra), Saxophon etc. Auch eine besonders starke Besetzung der einzelnen Arten von Instrumenten fordert manchmal der Komponist zur Erzielung eines außergewöhnlichen Effekts (so Berlioz für das Tuba mirum seines »Requiem«). Das großartigste Opernorchester ist das Wagners in den »Nibelungen«; er verlangt außer dem Streichorchester: 3 große Fl ölen, eine Pickelflöte, 3 Oboen, ein Englisch Horn, 3 Klarinetten, eine Baßklarinette, 3 Fagotte, 8 Hörner, eine Tenortuba, 2 Baßtubas, eine Kontrabaßtuba, 3 Trompeten, eine Baßtrompete, 2 Tenorposaunen, eine Baßposaune, eine Kontrabaßposaune, 2 Paar Becken, Triangel, große und kleine Trommel. Im »Parzival« kommen dazu noch Glocken und Orgel. In den frühern Opern beschränkt sich Wagner in der Vergrößerung des Symphonieorchesters auf die dreifache Besetzung der Holzbläser und Trompeter sowie die Einführung von Englisch Horn, Baßklarinette, Baßtuba, Harfe und Schlaginstrumenten. Bei den andern Opernkomponisten fällt auch noch die dreifache Besetzung der Holzbläser und Trompeten fort. Wir sind nach der richtigen Bemerkung des Franzosen H. Lavoix, der die erste Geschichte der Instrumentation geschrieben hat (1878), auf dem Weg zur Wiederherstellung der Verhältnisse des 16. und 17. Jahrh., wo jedes Instrument in drei oder vier verschiedenen Größen existierte, in Sopran- (Alt-), Tenor- und Baßlage; der Unterschied ist nur, daß wir alle diese Instrumente zu einem kolossalen Instrumentalkörper vereinigen, während man im 16. Jahrh. fast nur vierstimmig mit Instrumenten derselben Familie musizierte. Vgl. Instrumentalmusik.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 15. Leipzig 1908, S. 96-97.
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