[16] Haydn, 1) Joseph, Komponist, geb. 1. April 1732 in Rohrau, einem Dorf in Niederösterreich, unweit der ungarischen Grenze, gest. 31. Mai 1809 in Wien. H. war der Sohn eines armen Stellmachers (das älteste von 12 Kindern) und erhielt seinen ersten Unterricht in Haimburg beim Schulmeister Frankh, seinem Vetter, von wo ihn 1740 der Kapellmeister Reutter wegen seiner schönen Stimme und Treffsicherheit als Chorknaben der Stephanskirche nach Wien zog. Dort erhielt er Gesangs- und guten Schulunterricht, aber keinerlei theoretischen Unterricht. Doch komponierte er bereits damals fleißig auf eigne Faust. 1750 wurde er, weil seine Stimme gebrochen war, durch seinen Bruder Michael (s. unten) ersetzt und entlassen und mußte sich auf eigne Hand fortzubringen suchen. Er gab nun Lektionen, spielte bei Nachtständchen (wobei bald seine eignen Kompositionen zur Geltung kamen) und in Orchestern um Geld; doch war seine Existenz eine sehr dürftige, und mit Freuden ergriff er die Gelegenheit, als Akkompagnist Porporas in dessen Gesangsstunden zu fungieren. Dadurch profitierte er nicht nur für seine künstlerische Bildung, sondern wurde allmählich mit bedeutenden Musikern, wie Dittersdorf, Wagenseil u. a., bekannt. So kam er auch zu den musikalischen Unterhaltungen des Barons Fürnberg, der ihn 1755 zur Komposition seines ersten Quartetts anregte. Um diese Zeit entstanden auch seine ersten Klavierwerke, Trios und Serenaden, schon 1753 auch seine erste Oper: »Der krumme Teufel« für den Komiker Kurz, die mehrmals (auch außerhalb Wiens) ausgeführt wurde. Baron Fürnberg verschaffte ihm 1759 seine erste Anstellung als Musikdirektor des Grafen Morzin auf Lukavec in Böhmen, für dessen Kapelle er in demselben Jahre seine erste Symphonie in D dur schrieb. Jetzt, auf seinen geringen festen Gehalt fußend, wagte er die Tochter eines Friseurs Keller, der sich früher seiner angenommen hatte, zu heiraten; die Ehe war aber nicht glücklich. Kinder- und liebelos dauerte sie bis 1800, wo die Frau in Baden bei Wien starb. 1761 ward H. zweiter Kapellmeister des Fürsten Esterhazy mit 400 Gulden Gehalt und der besten Gelegenheit, nach allen Seiten hin sein Talent zu bewähren. Der Fürst hatte eine eigne Opern-, Konzert- und Kirchenmusik, und H. stand allem vor, mußte schreiben, einstudieren, dirigieren, Unterricht geben, sogar seinen Flügel im Orchester stimmen. Als 1766 der erste Kapellmeister des Fürsten, G. J. Werner, starb, rückte H. in seine Stelle. Bis zum Tode des Fürsten 1790, wo die Kapelle aufgelöst und H. mit vollem Gehalt (1400 Gulden) zur Disposition gestellt wurde, befand sich H. wohl in dieser wenn auch äußerlich nicht glänzenden, doch seinem freudigen Schaffensdrang vollauf genügenden Lage. Während dieser Zeit bis 1769 zu Eisenstadt in Ungarn, dann auf Schloß Esterhazy und nur im Winter zwei oder drei Monate in Wien lebend, schuf er die Mehrzahl seiner Symphonien, viele Quartette, Trios, Sonaten etc., viele Kompositionen für das Baryton (eine Art Violoncell, das Lieblingsinstrument des Fürsten), Opern (für das Marionettentheater des Fürsten), das Oratorium »Il ritorno di Tobia« (1774), Messen und sonstige Kirchenstücke, zahlreiche Lieder etc. Auch eine Musik zu Goethes »Götz von Berlichingen« und die Komposition der »Sieben Worte« entstanden in dieser Epoche. Unterdes war Haydns Ruhm auch ins Ausland gedrungen. Schon bis 1781 war in Paris viermal sein »Stabat mater« ausgeführt worden und auch seine Symphonien fanden derartigen Anklang, daß die Direktion der Liebhaberkonzerte 1784 H. veranlaßte, sechs Symphonien für Paris zu schreiben, und 1790 gelang es dem englischen Konzertunternehmer Salomon (s. d.), H. zu einer Reise nach London zu bereden, indem er ihm 700 Pfd. Sterl. garantierte, wofür er sechs neue Symphonien persönlich dirigieren sollte. Dem ersten Londoner Aufenthalt (1791–92), gelegentlich dessen er in Oxford zum Ehrendoktor gemacht wurde, folgte schon 1794–95 ein zweiter unter ähnlichen Bedingungen. Reich belohnt und ehrenvoll anerkannt wie selten ein Künstler, kehrte H. nach Wien zurück. Auch die Anregung zu seinem erfolgreichsten Werke, dem Oratorium »Die Schöpfung«, verdankt er jenem Aufenthalt in England; den ihm vom dortigen Dichter Lidley anvertrauten Text brachte er nach Wien, ließ ihn, da er der englischen Sprache nicht hinreichend mächtig war, um das Original zu komponieren, vom Freiherrn van Swieten frei ins Deutsche übersetzen und vollendete die Komposition 1798. Der glänzende Erfolg der »Schöpfung« bei ihrer ersten Ausführung in Wien 1798, der sich unmittelbar darauf in allen Hauptstädten Europas wiederholte, veranlaßte den Künstler, noch ein zweites gleichartiges Werk zu schreiben, und so entstanden 1800 »Die Jahreszeiten« (nach Thomsons Lehrgedicht »The Seasons«), eine Arbeit, die mit ihrer Frische und Jugendkraft die 68 Jahre ihres Autors nirgends spüren läßt. Nach der Vollendung dieses mit gleichem Beifall wie die »Schöpfung« aufgenommenen Oratoriums schwand seine Produktionskraft mehr und mehr; 1803 beschloß er seine schöpferische Tätigkeit mit dem 83., unvollendet gebliebenen Streichquartett, dann genoß er noch sechs Jahre, als Künstler wie als Mensch hochverehrt, auf seinem kleinen Besitztum in der Wiener Vorstadt Gumpendorf der Ruhe bis zu seinem Tode. Seine Beisetzung erfolgte in der Bergkirche zu Eisenstadt. Vor der Mariahilfer Kirche zu Wien wurde ihm 1887 ein Marmordenkmal (von Natter) errichtet. Sein Bildnis s. Tafel »Deutsche Tondichter I« (beim Artikel »Musik«).
Wenngleich H. einen großen Teil seiner Popularität seinen beiden großen Chorwerken »Die Schöpfung« und »Die Jahreszeiten« verdankt, die der Chorkomposition ganz neue Bahnen erschlossen, so liegt doch seine historische Bedeutung noch mehr auf dem Gebiete der Instrumentalmusik. Namentlich danken ihm die Orchestersymphonie und das Streichquartett ihre Ausbildung durch eine vordem kaum in unscheinbaren Ansätzen sich entwickelnde Kunst der thematischen Arbeit, die aus einem unscheinbaren Motivkern die reichsten musikalischen Gebilde erstehen läßt. Diese Kunst ist in Haydns frühern Werken noch keineswegs nachweisbar, sondern steigert sich erst allmählich mit wachsender künstlerischer Reise. Dagegen zeigen aber auch schon seine ersten Werke die gegen den Stil der Bach-Epoche so merkwürdig dastehende heitere Fröhlichkeit und herzliche Naivität, die anfänglich heftige Verurteilung durch die ältern Musiker fand. Das Zurückgehen von dem herben Kunsternste der Kompositionsweise eines Händel, Corelli, Abaco in der ersten Hälfte des Jahrhunderts auf das schlicht Volksmäßige ist zwar nicht direkt auf Haydns Initiative zurückzuführen, sondern bereitet sich schon bei andern Komponisten, deren Blütezeit vor die seinige fällt, vor, aber dasselbe kommt doch erst bei H. zur vollen Höhe der künstlerischen Durchbildung. Eine Gesamtausgabe der Werke Haydns fehlt noch. Soweit bisher zu[16] übersehen, schrieb H. 125 Symphonien, 77 Streichquartette, 30 Streichtrios, 35 Klaviertrios, 66 Divertissements, Kassationen etc. verschiedener Besetzung, 20 Klavierkonzerte, 9 Violinkonzerte, 6 Cellokonzerte, 33 Klaviersonaten, auch 24 Opern (meist für das Marionettentheater in Eisenstadt), 13 Messen, 2 Tedeums und viele andre Kirchenstücke (die Stabat mater), viele kleine Vokalsachen (Lieder, Kanons, Bearbeitungen schottischer und wallisischer Lieder etc.) und Klaviersachen. Vgl. C. F. Pohl, Joseph H. (Berl. u. Leipz. 1875–81, Bd. 1 u. 2, unvollendet) und H. in London (Wien 1867); v. Karajan, Joseph H. in London 1791 und 1792 (das. 1861); Reißmann, Joseph H. (Berl. 1879); Leop. Schmidt, Joseph H. (das. 1898).
2) Johann Michael, Bruder des vorigen, geb. 14. Sept. 1737 in Rohrau, gest. 10. Aug. 1806 in Salzburg, bildete sich in Wien zum Musiker, wurde 1757 Musikdirektor des Bischofs von Großwardein und 1762 Konzertmeister und Domorganist in Salzburg. Er war ein tüchtiger Komponist, besonders auf dem Gebiete der Kirchenmusik (30 Messen, 114 Gradualien, 67 Oratorien etc., auch 30 Symphonien, 3 Quartette etc.). Eine Symphonie in C dur und einige Klaviersachen erschienen 1895 in Leipzig in neuer Ausgabe. Vgl. v. Wurzbach, Joseph H. und sein Bruder Michael (Wien 1862).