[239] Symphonīe (griech., ital. Sinfonia), ein in Sonatenform geschriebenes Werk für großes Orchester. Das griechische Symphonia (»Zusammenklang«) ist im Altertum Bezeichnung für das, was wir jetzt Konsonanz der Intervalle nennen. Eine S. aus dem 15. Jahrh. hat H. Riemann in der Musikzeitung »Der Klavierlehrer« (Berl. 1898) veröffentlicht. Häufiger wird der Name zu Ende des 16. Jahrh. für seriöse und gravitätische (Pavanen-) Stile gehaltene, weniger kontrapunktisch als akkordisch gesetzte Tonstücke für 4 bis 8 und mehr Instrumente in geradem Takt. Auch der Name Intrada, der besonders bei den deutschen Komponisten um 1600 vorherrscht, wird Stücken ähnlichen Charakters beigelegt, doch sind dieselben mehr marschartig gehalten und dienten der Eröffnung von festlichen Tafeln oder eines Balles, während die Symphonien in der Kirche größern Vokalwerken vorausgeschickt wurden. Als die Oper aufkam (um 1600), erhielten auch deren rein instrumentale Einleitungen den Namen Symphonia; und man hat sogar die moderne S. ganz aus der Opernouvertüre ableiten wollen. Das ist aber ein historischer Irrtum, insofern die Oper nur fortgesetzt die außer ihr entwickelten Instrumentalformen aufnahm, nicht aber selber diese entwickelte.[239] Die Vorgeschichte der S. ist daher vielmehr die der Sonate (s. d.) und des Konzerts (s. d. 2 u. 3). Die Operneinleitungen Lullys und Scarlattis waren nichts andres als italienische Sonaten, und zwar keineswegs die vollendetsten Typen derselben; der praktische Zweck verbot eine so weite und so reiche Ausführung, wie sie die vielstimmigen Sonaten erfuhren, die außerhalb der Oper geschrieben wurden. Erst die Zusammenstellung der französischen Ouvertüre mit der Tanzsuite, welche die fast ein Jahrhundert besonders in Deutschland mit Vorliebe kultivierte Form der Konzert-Orchestermusik ergab, machte dieselbe zu einem wichtigen Vorläufer der eigentlichen S. Die italienische Opernsinfonie stand durchaus hinter ihr und hinter den selbständig als Orchestermusik aus der Sonate hervorgegangenen Konzerten (Concerto grosso und Solokonzert) zurück und bewegte sich überwiegend in mehr nur dekorativem Passagenwesen. Auf dem Gebiete der Kirchen- und Kammersonate, des Konzerts und der französischen Ouvertüre haben die Komponisten ganz allmählich jene freie Beweglichkeit und thematische Gestaltungskunst vorbereitet, die um die Mitte des 18. Jahrh. die Entstehung der modernen S. möglich machte. Daß dabei auch befruchtende Einflüsse der Oper angenommen werden müssen, steht außer Zweifel, aber mehr in dem allgemeinen Sinn des Übergehens kantabler Elemente aus der Technik der Gesangskomposition in die Erfindung instrumentaler Allegrothemen. Der wichtigste Schritt zur Herausbildung der eigentlichen S. war aber die Übertragung der zweiteiligen Liedform auf das erste Allegro der S.; dieser Schritt geschah nicht in der Opernsymphonie, sondern in der Konzertsymphonie im Anschluß an die Entwickelung der Violinsonaten und Klaviersonaten durch Abaco, Pergolesi, Locatelli, Gluck, Ph. Emanuel Bach und besonders die die Bläser im Orchester verselbständigenden Mannheimer Komponisten Joh. Stamitz, Fr. X. Richter und Filtz. Johann Christian Bach, Haydn, Dittersdorf und Mozart fanden den neuen Stil schon in voller Entwickelung vor. Wenn Haydn und Mozart bald alle Vorgänger gänzlich in Schatten stellten. so geschah das doch nicht durch Neuerungen in der Form der S., sondern vielmehr durch Vertiefung ihres Inhalts. In diesen beiden Meistern und ihrem größten Nachfolger Beethoven traten bedeutende künstlerische Individualitäten hervor, die den durch ihre Vorläufer in allen Teilen vorbereiteten Formen ungeahnte Bedeutung verschafften, indem sie auch die Dimensionen der einzelnen Sätze der S. erweiterten, das Orchester weiter verstärkten und mehr und mehr alles äußerliche Wesen zugunsten der Vertiefung des Ausdrucks abstreiften. Die Ordnung der Sätze der S.: Allegro in Sonatenform, Adagio oder Andante, Menuett und abschließendes Allegro oder Presto, fand schon Haydn feststehend vor. Beethoven ersetzte das Menuett, das letzte Überbleibsel der Tanzsuite, durch den idealisierten Tanztypus des Scherzo und gab dem Finale mehr ein dem ersten Satze die Wage haltendes Gewicht. Die Symphoniker seit Beethoven haben die Form nicht weiter zu entwickeln vermocht; nichtsdestoweniger würde es ein Fehlschluß sein, wollte man sie als ausgelebt ansehen; die Symphonien von Schubert, Mendelssohn, Schumann, Brahms und Bruckner beweisen, daß sie noch zur Füllung mit im mer neuem Inhalt tauglich sein wird. Die symphonischen Dichtungen der neuesten Zeit (Berlioz, Liszt, Saint-Saëns, Strauß) sind nicht eigentliche Fortbildungen der Form der S., sondern gehören zur Kategorie der sogen. Programmusik (s. d.), die keine aus rein musikalischen Prinzipien sich ergebende Form einhält, sondern einen poetischen Vorwurf auch musikalisch wiederzugeben strebt und die musikalischen Ausdrucksmittel im übertragenen Sinn anwendet. Die Verbindung einer S. mit einem Chorwerke, die Beethoven zuerst in der neunten S. anstrebte, hat seitdem mehrfache Nachfolger gefunden (z. B. auch in Mendelssohns »Lobgesang«), zumeist aber (Berlioz, David, Liszt) unter Aufgabe der eigentlichen Symphonieform. Vgl. Kretzschmar, Führer durch den Konzertsaal, 1. Abt. (3. Aufl., Leipz. 1898, 2 Bde.).