Pfeilgift

[700] Pfeilgift, vegetabilische oder animalische Stoffe, mit denen Geschoßspitzen versehen werden, um diese schneller und sicherer tötend zu machen. Die Skythen bereiteten ein P. aus gesamten Vipern und gefaultem Menschenblut, auch das Herakleische P., welches das Blut des Nessos derart vergiftete, daß es selbst nun wieder die furchtbarsten Wirkungen äußerte, konnte nur ein Fäulnisgift sein, das fermentartig wirkl. In Norwegen gebraucht man noch jetzt zur Jagd auf den Nordkaper (Balaenoptera rostrata) ein P., das aus Leichengift früher erlegter Tiere besteht. Odysseus vergiftete seine Pfeile mit Pflanzensäften, die er aus der Ferne holte, und Achilleus fiel offenbar durch einen Giftpfeil. Die Giftpflanze der Skythen und Dalmatiner wird im Altertum Helenium genannt. Nikander von Kolophon erwähnt ein Toxicum (von toxon, Bogen, Pfeil) genanntes P. der perrhäischen Nomaden und der Ackerbau treibenden Völker am Euphrat, auch wurde dieser Name besonders häufig dem P. der alten Kelten und Gallier beigelegt. Die Pflanze, aus der es bereitet wurde, hieß Xenium. Es sollte augenblicklich töten, und man beeilte sich, das Fleisch rings um den Pfeil auszuschneiden, damit das Tier vor schneller Fäulnis bewahrt bliebe. Daß das P. im Magen nicht giftig wirkte, wußte man recht gut. Auf den Gebrauch vergifteter Pfeile bei den alten Germanen deuten manche Mythen, aber niemals scheint man sie im Kriege benutzt zu haben. 388 sollen Franken auf die Soldaten des Quintinus mit vergifteten Pfeilen geschossen haben, und das Salische Gesetz verbot nur den Gebrauch der Giftpfeile gegen Stammesgenossen, nicht gegen Fremde. Später durften Giftpfeile nur auf der Jagd angewandt werden, und dieser Gebrauch erhielt sich bei Marseille bis ins 14., in verborgenen Alpentälern bis ins 16. Jahrh. Die Älpler benutzten die Knollen der Ranunculus thora zur Bereitung von P, mit dem zu Lobels (gest. 1616) Zeiten noch ein regelrechter Handel betrieben wurde. Nach Gesner wirkte das Thoragift in einer halben Stunde, war aber im Magen unschädlich. Das einzige Gegengift sollte Aconitum anthora liefern. Die noch jetzt in den andern Erdteilen gebräuchlichen Pfeilgifte wurden zuerst durch Raleigh 1595 und Försch 1775 bekannt. In Mittelasien wird häufig Aconitum ferox als P. benutzt, daneben Pothos decursiva und in Hinterindien und auf den ostindischen Inseln das Upas-Antiar (Pohon-Upas), das aus dem Milchsaft des Antiar- oder Upasbaums (Antiaris toxicaria) bereitet wird. Es bildet eine schwarzbraune Latwerge, schmeckt äußerst bitter und scharf, bringt ein Gefühl von Erstarrung auf der Zunge und im Schlund, Konvulsionen, Diarrhöe und Erbrechen hervor und tötet durch Herzlähmung. Der wirksame Bestandteil ist das Antiarin. Das Upas-Tjoeté (Tieuté), Upas-Radja oder Tschettikgift ist das wässerige Extrakt der Wurzelrinde[700] des auf Java und Borneo heimischen Strauches Strychnos Tieuté, schmeckt sehr bitter und enthält Strychnin, woraus sich die Symptome von Tetanus bei den durch dieses Gift Vergifteten erklären. Auf Malakka angewandtes Strychnosgift verursacht keine Krämpfe, sondern wirkt wie Curare. Außerdem werden in Asien noch sehr viele andre Pflanzen, wie Dioscorea hirsuta, Amorphophallus-, Lasianthus-Arten, Dieffenbachia seguina, Pangium edule, Tabernae-montana malaccensis etc., benutzt. Die Kamtschadalen sollen ihr P. aus Anemone ranunculoides bereiten. Das Festland von Australien hat keine Pfeilgifte, auf manchen Inseln vergiftet man die Pfeile durch Einstoßen in verwesende menschliche Leichname. Das in Südamerika übliche Curare (Urari, Uiraêry, Woorari, Tikuna; vgl. Curare) wird vorzugsweise im Flußsystem des Orinoko und Amazonas, aber auch noch in Peru benutzt. Man gewinnt es aus vielen Strychnos-Arten (Loganiazeen), zum Teil wohl unter Zusatz andrer vegetabilischer Stoffe und Ameisen- und Schlangengift. Man unterscheidet Tubocurare in Bambusröhren gefüllt, Kalabassencurare in Flaschenkürbissen und Topfcurare in nicht oder schwach gebrannten Tontöpfchen. Falsche Curaregifte werden aus zwei Arten der Menispermazeengattungen (Onomospermum und Cocculus) hergestellt. Das P. der Goajiroindianer im äußersten Norden von Südamerika ist Schlangengift; nach andern Berichten wird es auch aus zusammen verwesten Schlangen, Kröten, Eidechsen, Skorpionen, Taranteln dargestellt; die Chocoindianer in Kolumbien benutzen auch die Ausschwitzung eines Laubfrosches (Phyllobates melanorhinus). In Afrika, vom Kapland bis Ägypten, werden Pfeilgifte aus Acocanthera-Arten (Aporynazeen) bereitet. Sie enthalten als wirksamen Bestandteil Quabain (Ukambin), das als außerordentlich heftiges Herzgift wirkt und je nach der Dosis früher oder später tötet. Als Gegengift gilt Dawarinde, die sich aber in Deutschland als unwirksam erwies. Die Buschleute bereiten ihr Echujagift aus Adenium Boehmianum, einer Apocynazee, das ebenfalls als Herzgift wirkt. Die Monbuttu benutzen ein P. aus Erythrophlaeum guineense, Palisota Barteri, Combretum grandiflorum, Strychnos Icaja und einer Tephrosia-Art. Einige nilotische Stämme verwenden Euphorbia-Arten. In Gabun, Guinea, Senegambien, Kamerun und am Nyassasee werden Gifte aus Strophantus-Arten (Apocynazeen) benutzt, die als Herzgift wirken. Hierher gehört auch das Kombigift. Sehr günstig wirkt bei diesen Pfeilgiften das Auswaschen der erweiterten Wunde mit Alkohol, noch sicherer eine Einspritzung von Diastase. Hottentotten und Buschmänner bereiten P. aus einer (nicht giftigen) Amaryllidee (Haemanthus toxicarius) und verschiedenen Euphorbien. Dazu werden Schlangengift, die Puppe eines Käfers (Diamphidia simplex, Chrysomelide). auch eine Raupe Ngwa benutzt. Andre Stämme Westafrikas benutzen Euphorbien, Erythrophlaeum guineense, Physostigma venenosum, Calotropis procera, wohl auch Schlangen gift und pulverisierte Stacheln giftiger Fische. Vgl. Lewin, Die Pfeil gi ste (Berl. 1894); Barbosa Rodrigues, L'Uiraêry ou Curare (Brüssel 1903); auch Literatur bei Artikel »Curare«.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 15. Leipzig 1908, S. 700-701.
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