[87] Strafverfahren, sowohl Bezeichnung für eine einzelne strafrechtliche Untersuchung als für das Verfahren überhaupt, das zum Zweck der Untersuchung und Bestrafung von verbrecherischen Handlungen stattfindet. Die Einleitung eines Strafverfahrens (einer strafrechtlichen Untersuchung, eines Straf- oder Kriminalprozesses, s. Strafprozeß) ist heutzutage der Regel nach Sache der Staatsanwaltschaft. Nur ausnahmsweise ist es dem Verletzten überlassen, sein durch strafbares Unrecht angeblich verletztes Recht vor Gericht selbst zu verfolgen (s. Staatsanwalt, Privatklage). Die Staatsanwaltschaft, bei leichtern Vergehen und Übertretungen die Amtsanwaltschaft, schreitet ein auf erstattete Anzeige, die jedoch nicht nur bei dem Staats- oder Amtsanwalt, sondern auch bei den Behörden und Beamten des Polizei- und Sicherheitsdienstes sowie bei den Amtsgerichten angebracht werden kann. Bei Antragsdelikten (s. d.), die nur auf Antrag des Verletzten strafrechtlich verfolgt werden, bedarf es eines förmlichen Antrags. Das S. selbst zerfällt in ein Vorverfahren und ein Hauptverfahren. Ersteres hat den Zweck, festzustellen, ob gegen eine bestimmte Person wegen eines bestimmten Verbrechens hinreichender Verdacht vorliege. Zweck des Hauptverfahrens dagegen ist es, festzustellen, ob der Angeklagte des ihm zur Last gelegten Verbrechens schuldig sei. Innerhalb des Vorverfahrens ist zwischen dem Vorbereitungsverfahren (Ermittelungs-, Skrutinialverfahren) und der Voruntersuchung (s. d.) zu unterscheiden. In dem erstern ist hauptsächlich die Staatsanwaltschaft mit Unterstützung der Polizeibehörden tätig. Sie kann aber auch den Einzelrichter in Anspruch nehmen, der dann bei Gefahr im Verzug schleunige Untersuchungshandlungen auch von Amts wegen vorzunehmen hat. Das Vorbereitungsverfahren richtet sich zunächst nicht notwendig gegen eine bestimmte Person; es handelt sich vielmehr bei demselben vor allen Dingen um die Frage, ob überhaupt ein Verbrechen vorliegt, und im Bejahungsfall um die Ermittelung des Täters. Eine Voruntersuchung dagegen setzt voraus, daß ein bestimmter Angeschuldigter und ein bestimmtes Verbrechen in Frage steht. Die Voruntersuchung wird von dem Richter (Untersuchungsrichter) geführt, und Zweck derselben ist es, durch Klarstellung des Sachverhalts eine Entscheidung darüber zu ermöglichen, ob das Hauptverfahren gegen den Angeschuldigten zu eröffnen oder ob derselbe außer Verfolgung zu setzen sei. Die Eröffnung des Hauptverfahrens (s. d.) setzt eine Anklageschrift der Staatsanwaltschaft voraus; sei es, daß sie auf Grund des Vorbereitungsverfahrens, sei es, daß sie auf Grund der Voruntersuchung eingereicht wird. Das Vorbereitungsverfahren schließt entweder mit der Einleitung der Voruntersuchung, oder mit der Eröffnung des Hauptverfahrens durch das Gericht, oder aber mit der Einstellung (s. d.) des Strafverfahrens durch den Staatsanwalt ab. Ist eine Voruntersuchung geführt, so beschließt das Gericht darüber,[87] ob das Hauptverfahren zu eröffnen, oder ob das S. definitiv oder vorläufig einzustellen sei. Das Hauptverfahren selbst findet vor dem erkennenden Gericht statt. Der Schwerpunkt des Hauptverfahrens wie derjenige des ganzen Strafverfahrens liegt in der Hauptverhandlung (s. d.); diese schließt mit dem Urteil ab, das entweder ein freisprechendes oder ein verurteilendes ist oder auf Einstellung des Verfahrens lautet. Natürlich braucht durchaus nicht jede Strafsache alle drei Stadien des Strafverfahrens, Vorbereitungsverfahren, Voruntersuchung und Hauptverhandlung, zu durchlaufen. Die Voruntersuchung ist bei den vor das Reichsgericht oder vor das Schwurgericht gehörigen Strafsachen notwendig, bei den Schöffengerichtssachen dagegen unzulässig (deutsche Strafprozeßordnung, § 176). Dem Vorbereitungsverfahren entspricht nach der österreichischen Strafprozeßordnung das Stadium der »Vorerhebungen«. Die Anklageschrift ist, wenn keine Voruntersuchung stattgefunden hat, bei dem Vorsitzenden der Ratskammer (s. Strafsenat), sonst aber bei dem Richter, der die Voruntersuchung geführt hat, einzubringen. Gegen die Anklageschrift kann vom Beschuldigten Einspruch, über den das Oberlandesgericht entscheidet, erhoben werden. Erfolgt kein Einspruch, so geschieht die Anordnung der Hauptverhandlung durch den Gerichtshof erster Instanz, dem zu diesem Zwecke die Akten vorzulegen sind. Erfolgte Einspruch und wird demselben in keiner Weise (§ 211213) stattgegeben, so ergeht die Entscheidung des Oberlandesgerichts dahin: Es werde der Anklage Folge gegeben; in diesem Falle ist zugleich über alle die Verbindung oder Trennung mehrerer Anklagen und Vorladung von Zeugen und Sachverständigen betreffenden Anträge Beschluß zu fassen (§ 207219 der Strafprozeßordnung).
An das S. in erster Instanz kann sich ein Verfahren in der Instanz der Rechtsmittel (s. d.), möglicherweise auch ein Verfahren zum Zweck der Wiederaufnahme (s. d.) des Verfahrens anschließen. Dem rechtskräftigen verurteilenden Straferkenntnis folgt die Strafvollstreckung. Als besondere Arten des Strafverfahrens sind nach der deutschen Strafprozeßordnung folgende zu nennen: 1) das S. bei dem amtsgerichtlichen Strafbefehl (s. d.); 2) das S. nach vorangegangener polizeilicher Strafverfügung (s. Strafbefehl); 3) das S. bei dem Strafbescheid (s. d.) der Verwaltungsbehörden (administratives S.); 4) das Verfahren gegen Abwesende, die sich der Wehrpflicht entzogen haben; 5) das S. bei Einziehungen und Vermögensbeschlagnahmen (objektives S.). Bei dem letztern besteht die Eigentümlichkeit, daß die Hauptverhandlung auch dann stattfindet, wenn die Strafverfolgung oder Verurteilung einer bestimmten Person nicht ausführbar ist. Im einzelnen richtet sich das S. nach den Vorschriften des Strafprozeßrechts (s. Strafprozeß).