Paraffin

[416] Paraffin, eine aus dem Teer von Braunkohle, Torf und bituminösem Schiefer, aus Erdöl, Ozokerit darstellbare, wachsähnliche Substanz, die aus Kohlenwasserstoffen, vorwiegend Grenzkohlenwasserstoffen oder Paraffinen CnH2n+2 besteht. In Deutschland wird P. besonders aus Braunkohlen dargestellt und zwar aus Schwelkohle, die zwischen Halle, Zeitz und Weißenfels vorkommt. Bituminöser Schiefer wird bei Darmstadt, in Schottland und in geringer Menge in Frankreich verarbeitet. Mit Torf sind viele Versuche angestellt worden (Aschersleben, Oldenburg). Man unterwirft die Braunkohle einer trocknen Destillation[416] in stehenden, 6 m hohen und bis 1,9 m weiten Schwelösen, die aus Schamotte erbaut sind, durch schlangenförmig herumgeführte oder durch steigende und fallende Feuerzüge erhitzt werden und im Innern ein System von 30–40 senkrecht übereinander liegenden, jalousieartig angeordneten Glockenringen besitzen, die durch eine durch Stege gehende Tragstange gehalten werden. So bildet sich im Ofen ein zylindrischer Raum, der durch die Öffnungen zwischen je zwei Glocken mit dem umgebenden Schwelraum in Verbindung steht. Letzterer ist 5–9 cm breit und nimmt die Kohlen auf, die oben auf den Glockenhut, der den innern zylindrischen Raum abschließt, geschüttet werden. Unten verläuft der Ofen konisch, und am Ende befindet sich ein zylindrischer Kasten, der nach oben durch einen Schieber gegen den Ofen abgeschlossen und durch einen untern Schieber entleert wird. Durch den Glockenhut führt ein Gasableitungsrohr, das sich außerhalb des Ofens abwärts biegt und sich mit einem zweiten Rohr vereinigt, das aus dem untern Teil des Ofens abgeht. Die Kohle passiert den Ofen in 30 Stunden. Unten zieht man beständig die abgeschwelte Kohle (Grude) in kleinen Mengen hervor, während in demselben Maße Kohle nachsinkt. Die Gase und Dämpfe treten in den innern Glockenraum und gelangen von hier durch die Ableitungsrohre nach der Vorlage und der Kondensation. An der Vorlage ist ein Flügelexhaustor oder ein Körtingscher Luftsauger angebracht, um das Entweichen der Dämpfe aus dem Ofen zu beschleunigen. Ein Zylinder schwelt in 24 Stunden 50 bis 70 hl Kohle. Die Kondensation besteht aus liegenden und auf Kasten stehenden schmiedeeisernen Röhren, die lediglich durch die Luft gekühlt werden. Die bituminösen Schiefer werden in stehenden Zylindern destilliert, die sich wesentlich von den Braunkohlenöfen unterscheiden. Man gibt sehr viel höhere Temperatur und leitet überhitzten Wasserdampf in die Zylinder. In Messel bei Darmstadt wird der bituminöse Schiefer zerkleinert und das feinste Material in Braunkohlenschwelöfen, das gröbere nach dem Trocknen in schottischen Schieferöfen destilliert.

Das aus den Braunkohlenöfen entweichende Gas wird zum Heizen der Öfen benutzt. Das in der Kondensation gewonnene Wasser ist ohne Bedeutung, da es nur geringe Mengen Ammoniak enthält. Der Braunkohlenteer ist gelblichbraun oder schwarz, bei gewöhnlicher Temperatur butterartig und riecht eigenartig kräftig. Man gewinnt davon aus der Schwelkohle bis 50 Proz. und mehr. Seine Beschaffenheit ist abhängig von der Kohle und von der Temperatur beim Schweten. Er enthält im wesentlichen flüssige und feste Kohlenwasserstoffe der Fettreihe und geringe Mengen aromatischer saurer und basischer Körper. Er wird nach dem Entwässern durch Anwärmen aus eisernen Blasen unter Zusatz von wenig gelöschtem Kalk, Braunstein oder Eisenoxyd destilliert, wobei als Rückstand Koks (Blasenkoks) erhalten wird. Besser unterbricht man die Destillation früher und vereinigt die Rückstände verschiedener Blasen in einer Rückstandsblase, die dann zur Trockne destilliert wird. Ein Körtingscher Luftsauger ermöglicht, die Destillation im luftverdünnten Raum auszuführen. Einleiten von Wasserdampf in die Blase, um die Abführung der Dämpfe zu befördern, ist für die Paraffinfabrikation nicht vorteilhaft. Man erhält bei der fraktionierten Destillation leichtes Rohöl und Paraffinmasse. Letztere läßt man bei sehr niedriger Temperatur unter Anwendung von Winterkälte oder Eismaschinen kristallisieren und trennt das Öl vom P. durch Filterpressen und hydraulische Pressen. Die abgepreßten Öle werden abermaliger fraktionierter Destillation unterworfen und liefern abermals Rohöl und Paraffinmasse etc. Das gefärbte und stark riechende P. schmelzt man mit 10–20 Proz. Benzin oder leichtem Braunkohlenteeröl und preßt es nach dem Erstarren, wobei das abfließende (sehr paraffinreiche) Öl die Verunreinigungen mit fortnimmt. Das Verfahren wird ein-, auch zweimal wiederholt und das gereinigte P. in Destillierblasen mit Wasserdampf behandelt, um es durch Austreibung der letzten Benzinspuren geruchlos zu machen. Schließlich wird das P. bei 70–80° durch Teerkohle und Blutlaugensalzrückstände entfärbt und in Tafeln oder Blöcke gegossen. In ähnlicher Weise wird P. aus Erdwachs und Erdöl gewonnen, in letzterm Fall als Nebenprodukt. Die bei der Fabrikation entfallenden Teeröle finden unter verschiedenen Namen technische Verwendung (s. Mineralöle). Bester Braunkohlenteer liefert 17, Rangunteer 10, javanisches Öl 40, Teer aus Bogheadkohle bis 15, Erdwachs bis 50 Proz. und mehr, amerikanisches, russisches und galizisches Erdöl sehr wenig. Ergiebige Rohstoffe für P. sind gegenwärtig das Erdöl vom Irawadi, die Ozokerite vom Kaukasus, von Galizien, Rumänien, Bulgarien, die bituminösen Schiefer von Trinidad, Cuba, Kalifornien, Peru, Kanada etc.

P. wurde 1830 von Reichenbach im Holzteer entdeckt, nachdem Bucher schon 1820 eine fettartige Substanz aus Erdöl von Tegernsee erhalten hatte, deren Identität mit P. Kobell erkannte. Reichenbach nannte den Körper P., weil er sich wenig reaktionsfähig (parum affinis) zeigte. Der Wert der Paraffine wird hauptsächlich durch den Schmelzpunkt bedingt, der zwischen 30 und 63° liegt. Die bei und über 50° schmelzenden Sorten nennt man harte, die leichter schmelzbaren weiche Paraffine. Je härter, desto wertvoller sind sie, und man sucht deshalb die schwer schmelzbaren Kohlenwasserstoffe von den leichter schmelzbaren möglichst zu trennen, was aber nur unvollständig gelingt. Die Paraffine des Handels sind stets kristallinisch, farb-, geruch- und geschmacklos, durchscheinend, fühlen sich schlüpfrig an, spez. Gew. 0,869 (Schmelzpunkt 38°) bis 0,915 (Schmelzpunkt 58°), sieden bei 350–400°, entzünden sich an der Luft bei 160–165°, lösen sich in Äther, Benzol, Schwefelkohlenstoff, flüchtigen und fetten Ölen, wenig in Alkohol, nicht in Wasser. Mit Walrat, Wachs und Stearinsäure lassen sie sich zusammenschmelzen. Sie widerstehen verdünnten Säuren und Alkalien, und besonders die harten sind sehr beständig, nur von Salpetersäure und Chromsäure werden sie oxydiert. Bei anhaltendem Erhitzen auf 150° an der Luft bräunt sich P. und nimmt Sauerstoff auf. Bei höherer Temperatur, namentlich unter erhöhtem Druck, zerfällt es in flüssige und gasförmige Kohlenwasserstoffe. Beim Erhitzen mit Schwefel entwickelt P. sehr gleichmäßig Schwefelwasserstoff. Belmontin ist P. aus Rangunteer, Vaselin (Kolloidparaffin) weiches P. aus pennsylvanischem Erdöl, Ceresin P. aus Ozokerit.

Das härteste P. dient zur Darstellung von Kerzen und zum Überziehen von Fleisch und Früchten behufs der Konservierung; weiches dient als Zusatz zu Stearin und Wachs bei der Kerzenfabrikation, zum Tränken der schwefelfreien Reibzündhölzer, zur wasserdichten Appretur von Geweben, Leder, Tauen, zur Herstellung der Wachspuppen, als Schmiermittel, zum Konservieren von Holz, zur Gewinnung zarter Parfüme, zum Dichten der Fässer, zum Verhüten des Schäumens beim Verkochen der Rübensäfte, zum Satinieren[417] und Polieren von Glanzpapier, als Surrogat des Wachses (Ceresin), zum Tränken von Gipsabgüssen, bei Herstellung von Patronen, als Brennmaterial in der Glasbläserlampe, bei Fabrikation von Hartglas, zu Bädern und auch sonst als Hilfsmittel bei chemischen Operationen. In der Medizin benutzt man P. bei Operationen als Ersatz fehlender oder geschwundener Gewebe, zum Verschluß von Gaumenspalten, Bruchpforten, auch bei plastischen Operationen. P. wurde 1849 von Reece in Irland aus Torfteer, von Wagemann und Vohl in Beuel bei Bonn aus Schieferteer dargestellt. Zu größerer Bedeutung gelangte diese Industrie aber erst, als man zu Anfang der 1850er Jahre in Schottland aus einigen Sorten Kohle (besonders Bogheadkohle) und 1856 in der Provinz Sachsen aus Braunkohle große Ausbeute gewann. Young in England und Hübner in Rehmsdorf bei Zeitz erwarben sich besonders um die Entwickelung der Paraffinindustrie große Verdienste. Deutschland produzierte 1902 gegen 11,000 Ton. P., viel größer ist aber die Produktion in England und Amerika, von denen letzteres jährlich ca. 66,000 T. nach Europa ausführt. Vgl. Albrecht, Das P. und die Mineralöle (Stuttg. 1875); Perutz, Die Industrie der-Mineralöle etc. (Wien 1868–80, 2 Bde.); Scheithauer, Die Fabrikation der Mineralöle und des Paraffins (Braunschw. 1895).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 15. Leipzig 1908, S. 416-418.
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