Chemiatrie

[896] Chemiatrie (Chemiatrik, gr.), 1) die der Anwendung chemischer Arzneimittel (s. Arzneimittel), bes. metallischer, wie sie vorzüglich durch Paracelsus in die Medicin eingeführt wurden, huldigende Schule der Ärzte; 2) Heilung von Krankheiten nach Ansichten, daß es dabei wesentlich auf Umwandlung krankhafter Stoffe im thierischen Körper durch geeignete Mittel ankomme, die chemisch eine zur Gesundheit führende Verbindung mit jenen eingehen. Durch Verfolgung dieser Ansichten, die, als im 14. Jahrh. die Chemie die Gestaltung einer eigenen Wissenschaft zu gewinnen anfing, allmählig Oberhand über andere bekamen, wurde das Chemiairische System in die Medicin eingeführt, das bes. durch Franz de le Boe, unter Benutzung der Theorien von van Helmont u. Descartes, als Lehrsystem aufgestellt wurde. Ihm war bes. die van Helmontsche Theorie der Gährungen unterlegt, die Säfte des Körpers bekommen nach solchem durch chemische Veränderungen Schärfen (sauren. alkalische). Zur Verbesserung dieser u. zur Bewirkung einer angemessenen Fermentation im Körper wurden hiernach meist chemisch bereitete Medicamente dargereicht. Dies System wurde von den Chemiatrikern ausgebildet; Guy Patin, le Vasseur, Joh. Pascal, R. Vieussens, waren in Frankreich, W. Charleton, Th. Willis, Joh. Floyer in England, Corn. van Bontekoe in Holland, Ol. Borrich, Th. Bartholin in Dänemark, Otto Tachenius, Wedel, Ettmüller, Doläus in Deutschland, L. Tozzi, P. Sacchi in Italien Hauptstützen u. fanden überall Anhänger, bis die Ch. endlich durch die von H. Boerhaave in Holland, Fr. Hoffmann in Deutschland, Th. Sydenham in England u. A. aufgestellten reineren u. bes. auf dem Wege der Erfahrung gewonnenen Grundsätze der rationellen Medicin verdrängt wurde; wogegen aber, unter den Umformungen der Chemie der neueren Zeit, vielfach auch, u. zum Theil nicht ohne Glück, Versuche gemacht wurden, ein chemiatrisches System auf sichere Grundlagen aufzustellen, bes. in der Periode der antiphlogistischen Chemie, wo die Unterscheidung der 4 Grundstoffe in der Natur, als Sauer-, Stick-, Wasser- u. Kohlenstoff, eben so in den ätiologischen Theil der Pathologie, als in die Arzneimittellehre, in Aufstellung von sauer-, stick-, wasser- u. kohlenstoffhaltigen Mitteln Eingang gewann. Fourcroy, Cruikshank, I. Blair, Beddoes, Baumes, u. in Deutschland Brandis, Reil, Ackermann, Reich u. A. haben zur Verbreitung dieser neuen Lehre vorzugsweise gewirkt. 3) Auch übermäßiger Gebrauch der Arzneimittel (Polypharmacie).

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 3. Altenburg 1857, S. 896.
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