Robinson Crusŏe

[207] Robinson Crusŏe, ist der Name, welchen der englische Satyriker u. Romanschriftsteller Defoe (s.d.) dem Helden eines Romans beigelegt hat, welcher unter dem Titel: The life and the praising adventures of Robinson Crusoe (Lond. 1719) erschien u. bei seinen Zeitgenossen solchen Beifall fand, daß der Verfasser noch eine Fortsetzung, sowie einen dritten moralischen Theil unter dem Titel: Serious reflexions during the life of R. with his vision on the angelic world (Lond. 1719) hinzufügte. Letzter fand wenig Anklang u. wurde bald vergessen, während der eigentliche Roman nicht nur zahllose Auflagen erhielt, sondern sich auch schnell ins Ausland verbreitete, in alle europäischen Sprachen übersetzt wurde u. allerwärts fast dieselbe Wirkung hervorbrachte. Bis auf neuere Zeit herab war allgemein die Ansicht verbreitet, daß Defoe den Stoff zu seinem Roman aus den ihm anvertrauten Tagebüchern eines schottischen Seemannes, Alexander Selkirk (geb. 1616 in Largo), betrügerischer Weise unter bloßer Änderung von Namen, Zeit u. Ort entnommen habe. Letzter erzählt selbst in seinem Reiseberichte in der Collection of voyages (Lond. 1756), daß er den Weltumsegler Dampier als Bootsmann nach der Südsee begleitet habe, aber mit seinem Capitän in Streit gerathen u. deshalb im Septbr. 1704 mit einigen wenigen Geräthschaften auf der damals unbewohnten Insel St.-Juan Fernandez zurückgelassen worden sei. Hier habe er 4 Jahre u. 4 Monate einsam[207] u. nothleidend gelebt, bis ihn im Februar 1709 der Capitän Wood Rogers aufgenommen u. 1711 nach England zurück gebracht habe. Vgl. Howell, The life and adventures of Alex. Selkirk (Lond. 1828). Neuere Untersuchungen haben jedoch zur Gewißheit erhoben, daß Defoe die Tagebücher Selkirks nicht benutzte, sondern wahrscheinlich durch die Lectüre eines kurzen Berichtes über dessen Abenteuer, welcher 1712 in Druck erschien, nur die erste Anregung zu seinem R. C. erhalten habe. In Deutschland erschien die erste Übersetzung von Defoe's Buch, Lpz. 1720, 2 Bde., u. erlebte in demselben Jahre noch drei Auflagen. Nirgends fand der Roman so viel Nachahmer wie hier; es bildete sich eine ganz eigene Gattung von Romanen, welche man gewöhnlich als Robinsonaden bezeichnet. Vorbereitet war die letztere in Deutschland bereits durch den Simplicissimus von Grimmelshausen, welcher eine ähnliche Geschichte (im 6. Buch) als den Schluß der Abenteuer seines Helden erzählt; ein anderer Vorläufer der Robinsonaden findet sich in der kurzen Geschichte eines Spaniers Serrano, welche in Happels Mandorell (1682) erzählt wird. Eine der besten dieser abenteuerlichen Erfindungen nach dem Vorgange von Defoe soll der Schlesische Robinson (Bresl. 1723, 2 Thle.) sein. Sonst gibt es einen Brandenburgischen, Berlinischen, Böhmischen, Dänischen, Färöischen, Fränkischen, Französischen, Neuen Französischen, Englischen, Italienischen, Griechischen, Harzrobinson, zwei Holländische, einen Irländischen, Jüdischen, Leipziger, einen R. vom Berge Libanon, einen R. aus Mähren, ferner einen Nordischen, Oberösterreichischen, Persischen, Pfälzischen, Polnischen, Preußischen, Russischen, Sächsischen, Schwäbischen, Schwedischen, Spanischen, Steyerischen, Thüringischen, Ungarischen, Westfälischen, Neuen Westfälischen, Wiener R. Auch Brüder R-s u. zwei Robinsoninnen gibt es, so wie einen Geistlichen, Medicinischen, Buchhändler-, Unsichtbaren u. Neuen R. Auszüge aus den meisten derselben gibt Haken in der Bibliothek der Robinsone (Berl. 1805, 5 Bde.). Nachdem schon Bodmer u. Breitinger in den Discursen der Maler die Lecture des Defoe'schen Romans den Frauen empfohlen hatte, trug bes. Rousseau zur Aufnahme desselben bei, indem er ihn in seinem Emil für ein Buch erklärte, welches ein treues Bild von ursprünglichen Zuständen des Menschen gewähre, alle natürlichen Bedürfnisse des Menschen dem Kindersinne anschaulich mache u. die Mittel zu deren Befriedigung in ungezwungener Reihenfolge vorführe, u. alsbald erschienen auch Bearbeitungen für die Jugend. Die beste unter den letzteren in pädagogischer Hinsicht ist die von I. H. Campe, dessen Robinson der Jüngere (Hamburg 1779–80, 2 Thle. u.ö., 59. Aufl. 1860) nicht nur zahllose Auflagen erlebte u. Übertragungen erfuhr, sondern auch wiederum eine ganze Literatur von Robinsonaden für die Jugend hervorrief, welche jedoch dauernd keinen Beifall gefunden haben (s. oben), hervorzuheben darunter ist der Schweizer Robinson (Zürich 1812–13, 2 Bde., 2. Aufl.1821, Bd. 3 u. 4,1826–27) von Wyß. Gleichzeitig mit Campe wurde Defoe's Roman auch von Wetzel (Lpz. 1779 f., 2 Bde.) bearbeitet. Der bedeutendste unter den deutschen Originalwerken in der Literatur der Robinsonaden ist die sogenannte Insel Felsenburg, welche Gisander (L. Schnabel) unter dem Titel: Wunderliche Fata einiger Seefahrer, absonderlich Alberti Julii, eines geborenen Sachsen etc. (Nordh. 1731–43, 4 Bde.) erscheinen ließ, u. welche später, nachdem der Sinn für diese Gattung des Romans durch Campe wiederum angeregt war, mehrfach modernisirt, z.B. von Andre (Felsenburg, Gotha 1788–90, 3 Bde.) u. von Tieck (Bresl. 1828, 6 Bdchn.) u. auch für die Jugend umgearbeitet wurde. Vgl. Hettner, Robinson u. die Robinsonaden, Berl. 1854.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 14. Altenburg 1862, S. 207-208.
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