Starrsucht

[701] Starrsucht (Catalepsis), diejenige Krankheit, welche entweder überhaupt nur in einem od. in mehrern, in regelmäßigen od. unregelmäßigen Perioden wiederkehrenden Anfällen die Sinnenthätigkeit, das Bewußtsein u. die Muskelbewegung gänzlich aufhebt, wobei ein verschiedener Grad von krampfhafter Zusammenziehung der Muskeln mit Steifigkeit der Glieder eintritt, indem dieselbe entweder nicht im Stande ist, die Sehnen der Glieder zu überwinden, so daß diese vielmehr, wenn man sie in die Höhe gehoben allmälig zusammensinken, od. in jeder Lage starr bleiben, so daß sich die Glieder wie Wachs biegen lassen, od. völlig starr erhalten, wie beim Starrkrampf. Der Kranke verharrt dann in den beiden letzten Fällen in der Lage u. Stellung, worin ihn der Anfall traf. Das Wesen der Krankheit besteht in einer temporären Beschränkung der Hirn- u. Nerventhätigkeit. Die S. kommt, als überhaupt seltene Krankheit, bei Frauen u. im mittlern Lebensalter häufiger. vor, als bei Männern u. Kindern, wird bes. durch psychische Ursachen, lange Beschäftigung mit einem Gegenstande, bes. einem religiösen, durch Affecte u. Leidenschaften, geistige Getränke, Würmer, unregelmäßige, fehlende Katamenien, Onanie, die Pubertätsentwicklung, Schwangerschaft, unterdrückte Ab- u. Aussonderungen, gestörte Hautausdünstung, schlimme od. gestörte Wechselfieber, Leiden des Gehirns etc. erzeugt u. kommt selten als selbständige Krankheit vor, häufiger mit anderen nervösen Erscheinungen in Verbindung, z.B. bei Hysterischen. Als unbeständige u. oft fehlende Vorboten des Anfalles beobachtet man Angst, Ohrenklingen, Schwindel, Gähnen, Kopfschmerz, Unruhe, Krämpfe, Herzklopfen, Schluchzen, Empfindung als ob von der Herzgrube Luft in die Höhe stiege etc. Gewöhnlich tritt der Anfall plötzlich ein. Das Ansehen, Puls u. Athem sind oft unverändert, od. der Puls ist klein, häufig od. stark u. langsam, das Athmen manchmal unmerklich, das [701] Gesicht geröthet od. blaß, die Hautwärme ungestört od. ungleich, Stuhl u. Urin sind unterdrückt, selten erfolgen sie unwillkürlich; die Augen sind fast immer offen, selten geschlossen, immer unbeweglich u. stier; die Pupille ist meist gegen den Lichtreiz unempfindlich. Nur als Ausnahme sind bisweilen einzelne Sinnesthätigkeiten unversehrt od. selbst erhöht. Die Anfälle dauern von 3–5 Minuten bis zu mehren Tagen u. enden unter Seufzen, Gähnen u. Dehnen der Glieder. Die Krankheit verläuft bald acut, bald chronisch. Als eine besondere Form der letztern hat man auch die Steifsucht (Catochus), wobei neben Unbiegsamkeit der Glieder Integrität der Sinne besteht, unterschieden. Der Kranke vollendet die angefangene Periode od. das Wort, welches durch den Anfall unterbrochen wurde, er weiß nichts von dem, was im Paroxysmus ihm begegnet ist, in kurzer Zeit befindet er sich dann so, wie vor dem Anfalle, welcher bald an bestimmten Tagen, Stunden wieder zurückkehrt, bald durch äußere zufällige Einwirkungen erregt wird, bisweilen längere Zeit aussetzt, aber auch öfters an einem Tage beobachtet wurde. Es verbindet sich außerdem die S. mit anhaltenden u. intermittirenden Fiebern, mit Somnambulismus, mit Schlafreden u. Exstase, mit Veitstanz. Mit der Heilung dieser Krankheiten verschwindet auch die S. Ist die S. nur symptomatische Erscheinung der Hysterie u. Entwickelungsperiode, so geht sie gewöhnlich bald vorüber u. macht anderen Symptomen Platz. Als selbständige Krankheit ist sie zwar meist gefahrlos, aber sehr hartnäckig u. oft unheilbar. Man hat eine Menge Nervenmittel dagegen empfohlen, von welchen sich jedoch keines bes. ausgezeichnet hat; am hülfreichsten hat sich bis jetzt der Magnetismus bewiesen.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 16. Altenburg 1863, S. 701-702.
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