Vertreter

[528] Vertreter (Stellvertreter), derjenige, welcher die Stelle eines Andern so einnimmt, daß dasjenige, was er im Namen des Letzteren thut, als unmittelbar von diesem ausgegangen u. daher auch für diesen verbindlich erachtet wird. Die Stellvertretung findet sowohl in den Verhältnissen des öffentlichen, als des Privatrechts vielfache Anwendung. Im ersteren beruht z.B. Einfügung einer durch Wahl gebildeten Volkskammer, eines Abgeordneten- u. Ständehauses auf der Idee, daß die Mitglieder derselben V. des Volkes sind, daher die Bezeichnung Repräsentativsystem für alle Staatsformen, in denen eine derartige Vertretung vorkommt. Ähnlich bilden die Gemeindevertreter (Gemeinderath, Stadtverordnetenversammlung) nach den neuern Gemeindeordnungen die Gesammtheit der Gemeinde. Für die ordentlichen Mitglieder solcher Versammlungen pflegen regelmäßig zugleich wieder V. gewählt zu werden, welche dann einberufen werden, wenn die ersteren vorübergehend verhindert sind an den Berathungen Theil zu nehmen. Eben so ist bei allen Staatsämtern in der Regel eine Stellvertretung nicht blos statthaft, sondern meist schon im Voraus geordnet. Selbst bei dem Inhaber der höchsten Gewalt kann eine Stellvertretung zeitweilig eintreten, z.B. bei Reisen des Fürsten außer Landes, vorübergehender Krankheit etc.; dauernde Verhinderung, z.B. wegen Minderjährigkeit, Schwachsinnigkeit, führt zur Einsetzung einer Regentschaft (s. Regent). Die V. des Volkes od. der Gemeinde sind der Regel nach an Instructionen ihrer Wähler nicht gebunden, sondern haben nach freiem, eignem Ermessen zu handeln. Dagegen haben die V. des Fürsten, eines Beamten etc. sich regelmäßig an die Instructionen zu halten, welche ihnen bei Übermachung der Stellvertretung ertheilt worden sind. Das Strafrecht kennt keine Stellvertretung, es kann sich daher Niemand von der Strafbarkeit einer Handlung damit befreien, daß er sich nur als den V. eines Andern ausgibt, u. ebensowenig ist bei der Verbüßung einer Strafe eine Stellvertretung zuzulassen. Gleiches gilt auch für die privatrechtlichen Folgen unerlaubter Handlungen, u. selbst für Rechtsgeschäfte geht das Römische Recht von dem Grundsatz aus, daß diese ihre Wirkung unmittelbar nur für den Handelnden haben, so daß, wenn das Rechtsgeschäft im Interesse eines Andern vorgenommen würde, dem Letztern erst durch einen Act (z.B. Cession) der Erwerb od. die Verpflichtung vermittelt werden muß. Doch hat die letztere Regel späterhin Modificationen erlitten, zunächst durch den Rechtssatz, daß derjenige, welcher in der Gewalt eines Andern steht, wie z.B. das Hauskind, vermöge der Natur dieser Gewalt als Stellvertreter auch dem Inhaber der Gewalt erwirbt, u. sodann dadurch, daß auch in vielen Fällen eine freie Repräsentation mit unmittelbarer Wirkung für denjenigen, in dessen Namen gehandelt worden ist, zugelassen wurde. Doch gibt es noch im neuesten Recht Handlungen, bei denen überhaupt die Thätigkeit eines V-s ausgeschlossen ist, wie bei der Errichtung eines Testaments, bei der Erwerbung eines Civilerbrechts u. regelmäßig bei der Begründung u. Aufhebung von Familienverhältnissen. Nur in den Familien des hohen Adels ist es gestattet eine Ehe auch durch einen V. (in procura) abzuschließen. Bei der Frage, in wie weit die Handlung des V-s für den Andern, welcher vertreten wird, eine Wirkung äußert, ist zu unterscheiden, ob das Verhältniß der Stellvertretung auf einer Gewalt des Letztern über den Erstern, od. in der Verfassung einer juristischen Person, durch welche die Repräsentation derselben festgesetzt wird, ihren Grund hat, od. ob es ein vollkommen freies, entweder auf einem übernommenem Amt od. einem Auftrag, beruhendes ist. Im ersteren Falle bedarf es, soweit die Wirkung der Handlung für den Gewalthaber eine nothwendige Folge der Gewalt ist, nicht einmal des Willens desselben, um auch für den Vertretenen Folgen zu erzeugen, z.B. bei dem Eigenthumserwerb durch ein Hauskind; außerdem, namentlich zur Hervorbringung von Verpflichtungen, ist der Befehl od. die Genehmigung des Gewalthabers erforderlich. Im zweiten Falle ist ebenfalls der Wille der repräsentirten juristischen Person nicht erforderlich, indem der verfassungsmäßige Beschluß des Repräsentanten selbst als der Wille der juristischen Person gilt. Gleichergestalt verhält es sich, wenn die freie Stellvertretung auf einem übernommenem Amte, z.B. dem eines Vormundes beruht; beruht dagegen die Stellvertretung nur auf einem Auftrag, so bedarf es, damit die Handlung des V-s eine Rechtswirkung für den Vertretenen erzeuge, noch des Hinzutritts des Willens des Repräsentirten, u. die Handlung hat daher eine Wirkung für ihn nur in so weit, als sie seinem Willen gemäß geschehen ist. In wie weit letzteres der Fall ist, richtet sich besonders darnach, ob die ertheilte Vollmacht als eine specielle od. generelle anzusehen ist. Vgl. Mandat. Über Erfüllung der Militärpflicht durch V. s. Stellvertretung 2).

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 18. Altenburg 1864, S. 528.
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