Frankreich (Geschichte)

[186] Frankreich (Geschichte. Dieß Land ist, da wo es aus der vorgeschichtlichen Nacht aufdämmert, von Völkerschaften bewohnt, die zum Hauptstamme der Celten gehörten, welche aus Hochasien herabgewandert sich in Oberitalien, der Schweiz, Frankreich, Belgien, Holland, Irland, England, Schottland und dem südlichen Deutschland festsetzten. Sie nannten sich Gallier, waren wild, kriegerisch, grausam und von ihren Nachbarn gefürchtet. Sie wurden von Häuptlingen regiert; doch die Druiden (und Druidinnen) übten als Priester, Wahrsager und Aerzte die oberste Macht aus. Mehr als Ein Mal machten sie sich den Römern furchtbar; erst Julius Cäsar's Vernichtungskampf unterwarf sie dauernd der römischen Herrschaft. Gallien wurde von nun an als römische Provinz beherrscht, die lateinische Sprache verdrängte die gälische oder vermischte sich vielmehr mit ihr, bis endlich mit dem Sturze des weströmischen Kaiserthums die Franken aus dem südlichen Deutschland eindringen, Sitz und Herrschaft erringen und dem Lande den Namen Frankenreich (Frankreich) beilegen. Chlodowig I. stiftete die fränkische Monarchie. Seine Dynastie (die der Merovinger) regierte über 200 Jahre. Die Majordomus (Meister des Hauses, erste Minister) gewannen einen solchen Einfluß, daß es Karl Martell's, des Maurenbesiegers Sohne, Pipin dem Kleinen, nicht schwer wurde, den schwachen Childerich III. vom Throne zu ver. drängen. Pipin's Sohn, Karl der Große, ist der riesige Pförtner des Mittelalters; in ihm vereinigen sich alle Glanzpunkte der mit der Völkerwanderung begonnenen neuen Aera. Nicht nur in dem hellen Gebiet der Geschichte, sondern auch in der Dämmerwelt der Sage glänzt strahlend sein Name. Er vereinigte die Ländermasse von der Tiber bis zur Eider und vom Ebro bis zur Raab unter[186] seinem Scepter. Nach seines Sohnes, Ludwig des Frommen, Tode zerfiel dieses gewaltige Reich in drei Theile: Karl der Kahle (gestorben 877) war des neuen Frankreichs erster König. 987 schwang sich ein Herzog von Burgund, Hugo Capet, auf den Thron und gründete die capetingische Dynastie, von welcher alle späteren französischen abstammen. Unter Ludwig VI. (von 1108 bis 1137) bildeten sich die charakteristischen Institutionen des Mittelalters, das Städte- und Gildewesen, dem Ritterthume gegenüber, aus. Philipp August gründete die Pairschaft Frankreichs, die ursprünglich aus 6 weltlichen und 6 geistlichen Thronvasallen bestand. In diese Zeit fällt auch die Entstehung der provençalischen Troubadours. Die Ritter wurden zugleich Sänger, ein romantischer Himmel hob sich über das Land der Provenzalen, aus welchem die Namen einer Gabriele von Vergy, des Castellans von Coucy, der Clemence Isaure etc. wie südliche Sterne hervorleuchten. Die Kreuzzüge begannen, der Glanz des Orients strahlte in die europäische Dämmerung herein, Wissenschaften und Künste traten aus der dunkeln Zelle in's freie, heitere Leben. Ludwig der Heilige unternahm einen Heereszug nach Palästina, vergrößerte das Reich, befestigte das königliche Ansehen und war ein Wohlthäter seines Volkes. Unter seinem Enkel Philipp dem Schönen wurde der Tempelorden aufgehoben und Jakob Molay, der Großmeister der Templer, nebst anderen Rittern verbrannt. Mit Philipp VI. (1328) kam das Haus Valois auf den Thron. Von da an beginnen die Kriege mit England: der sogenannte schwarze Prinz (Eduard's III. von England Sohn) nahm Johann den Guten gefangen. Unter Karl VI. drangen die Briten bis Paris, und Heinrich V. ließ sich sogar als König von Frankreich huldigen. Karl's VII. Reich und Krone wurde nur durch die Siege der begeisterten Johanna d'Arc gerettet. Ludwig XI., einer der merkwürdigsten Männer der Geschichte, grausam, bigott, schlau, herrschsüchtig, unterdrückte die mächtigen Kronvasallen und vereinigte die verschiedenen Provinzen der That nach[187] zu einem einzigen Reiche. Mit Ludwig XII. beginnt die Herrschaft des Hauses Valois-Orleans. Sein Neffe und Nachfolger, d. ritterliche Franz I., wurde in mehrere Kriege mit England und Karl V. von Deutschland verwickelt, welcher Letztere ihn auch in der Schlacht von Pavia gefangen nahm. Von nun an macht sich der Einfluß der Frauen, der Geliebten der Könige (denn Franz war eben so galant als tapfer), in Frankreichs Regentengeschichte geltend. Romantisch merkwürdig ist seine Liebe zur Herzogin von Etampes. Seinen Nachfolger Heinrich II. beherrschte Diana von Poitiers und mit ihm zugleich das Land. Nach seinem Tode regierte die eben so schlaue als grausame Katharina von Medicis. Diese Epoche ist durch die Bartholomäusnacht mit Blut bezeichnet, durch die Sittenlosigkeit des Hofes, durch Verrath und Intriguen mit Schmach bedeckt. Mit ihrem Sohne Heinrich III. (vom Dominicaner Clement ermordet) starb das Haus Orleans-Valois aus und die Dynastie der Bourbonen stieg mit Heinrich IV., der eben so galant als edelmüthig, eben so merkwürdig wegen seiner Tugenden, wie wegen seiner Schwächen war, auf den Thron. Die Zahl seiner Geliebten, worunter die schöne Gabriele von Estrée und die Marquise von Vermeuil die merkwürdigsten sind, schlägt man auf 60 an. Nach seinem Tode (er wurde 1610 von Ravaillac ermordet) regierte seine Witwe während Ludwig's XIII. Minderjährigkeit mit wenig Energie. Sie wurde durch Richelieu's Einfluß vertrieben und starb in der größten Dürftigkeit 1642 zu Köln. Von jetzt an machte sich der Ministerdespotismus, wie der kalte Herrscheregoismus, 'wozu sich noch das Regiment der Favoritinnen gesellte, geltend. Ludwig XI V., während dessen Minderjährigkeit Anna von Oestreich mit Mazarin und Colbert klug und glücklich die Zügel der Regierung führte, wollte nicht nur der schönste und geistreichste, sondern auch der mächtigste und länderreichste Regent seiner Zeit sein, und dieser Egoismus verleitete ihn zu vielen Eroberungskriegen. Sein Zeitalter zeichnet sich in geselliger[188] Beziehung eben so durch große Immoralität, wie durch die schönsten und glücklichsten Bestrebungen der Künste und Wissenschaften aus. Unter seinem Nachfolger Ludwig XV. artete die Frauenherrschaft zum öffentlichen Scandal aus; das böse Beispiel, welches der Hof und die höhern Stände gaben, wirkte höchst nachtheilig auf die Sittlichkeit des Volkes, und aus dieser Immoralität entsprangen großentheils alle nachherigen Gräuel der Revolution. Doch fällt in diese Epoche die Blüthe der französichen Literatur, die unter Ludwig XIV. begonnen hatte. Das sogenannte Zeitalter dieses Königs führt seine größten Sterne am literarischen Himmel heraus. Wenn unter diesem Könige Namen glänzen, wie Corneille, Molière, Racine, I. B. Rousseau, Lafontaine, Fenelon, Bayle etc., so ragen hier Voltaire, I. I. Rousseau, Montesquieu, d'Alembert, Diderot und Andere hervor. Zum Theil durch diese Schriftsteller wurde gegen Ende der Regierung Ludwig's X.V. eine große Veränderung in der allgemeinen, religiösen und polit. Denkart bewirkt, welche die erste franz. Revolution vorbereitete. In den Abgrund, der sich nun öffnete, stürzte der edle Ludwig XVI., dessen Kraft dem ungeheuern Sturme nicht gewachsen war. Das Volk erstürmte am 14. Juni 1789 die Bastille, nahm die königliche Familie später gefangen, erklärte am 21. Sept. 1792 Frankreich zu einer Republik, ließ die königliche Familie unter der Guillotine verbluten, und von da an tauchen das Revolutionstribunal und der Wohlfahrtsausschuß gleich blutigen Ungeheuern auf. Die Schreckenszeit välzt sich wie ein Bergstrom über Frankreich. Robespierre, Marat, St. Just, Danton, Carrier u. a. Blutmenschen treten auf und wüthen wechselsweise mit und gegen einander. Während in der Vendée der Bürgerkrieg ausbrach, erfocht die neue Republik nach außen hin glänzende Siege. Die Schreckensregierung wurde am 27. Juli 1794 gestürzt, Robespierre's Haupt fiel, die Blutmenschen unterlagen, Ordnung und Mäßigung kehrten allmälig zurück, und auch die äußern Verhältnisse gestalteten sich durch die Siege Napoleon [189] Bonaparte's auf's Günstigste. Von 1798 an bis 1815 ist die Geschichte Frankreichs beinahe nur die Geschichte Napoleon's. Ein Theil der heutigen Generation ist noch Zeuge, eben so des glänzenden Aufschwunges wie des gewaltigen Sturzes dieses großen Mannes. Wir sehen seine Adler bei den Pyramiden des Nils, in Spanien, Italien, Deutschland, Rußland, sehen ihn zum Kaiser gekrönt, Könige stürzen, Throne und Reiche aufbauen, Gesetze geben, Riesenbauten unternehmen; wir erblicken Moskau's Brand, den Untergang der siegreichen Armee in den Eisgefilden des Nordens, sehen die gewaltige Völkerschlacht bei Leipzig, finden ihn von Elba zurückgekehrt noch ein Mal siegreich die Bourbonen vertreiben; aber bei Waterloo an der tiefsten Todeswunde verbluten und endlich auf Helena im stillen Gram sich verzehrend in der Gefangenschaft enden – Ludwig XVIII.. vom 9. Juli 1815 an von Neuem König von Frankreich, gab, um die mannichfach-gährenden Elemente zu versöhnen, seinem Volke eine Verfassung, welche aber unter seinem Nachfolger Karl X. durch die Juliordonnanzen (1830) verletzt wurde, und so eine neue Revolution zur Folge hatte, die die Bourbons zum dritten Male vom Throne stürzte. Der Wille der Nation verbannte sie aus Frankreich und erhob Ludwig Philipp aus dem Hause Orleans zum König der Franzosen (9. August 1830). Merkwürdig unter seiner jetzt fünfjährigen Regierung ist die Kolonisirung Algiers, die Allianz mit England, die Eroberung der antwerpner Citadelle, die Emeuten, welche als heftige Vibrationen der gewaltigen Erschütterung folgten, der Aufstand in der Vendée, welchen die muthige Herzogin von Berry organisirte und leitete etc. Gestehen muß man, daß Ludwig Philipp mit bewunderungswürdiger Klugheit, mit Kraft und Ausdauer immer die neuanschwellenden Stürme der Parteien zu beschwichtigen weiß.

St.

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Damen Conversations Lexikon, Band 4. [o.O.] 1835, S. 186-190.
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